Kapitel 16

Handeln im Schweigen

Wenn man wirklich aufmerksam lesen würde, was Sri Aurobindo geschrieben hat, alles, was er geschrieben hat, hätte man die Antwort auf alle Fragen. Aber gewisse Augenblicke und gewisse Darstellungsweisen von Ideen haben eine dynamische Wirkung auf das Bewusstsein und verhelfen dazu, dass man einen spirituellen Fortschritt macht. Damit die Darstellung wirksam ist, ist es erforderlich, dass sie der spontane Ausdruck einer unmittelbaren Erfahrung ist. Wenn man bereits Gesagtes und zu Erfahrungen der Vergangenheit Gehörendes auf die gleiche Art wiederholt, wird das eine Art Lehre, was man ein didaktisches Geschwätz nennen könnte, und das bringt einige Gehirnzellen in Gang, aber in Wirklichkeit ist es nicht sehr nützlich.

Was mich betrifft und das, was ich zu machen versuche, so ist das Handeln im Schweigen immer viel wichtiger… Die Kraft, die arbeitet, ist nicht durch Worte begrenzt, was ihr unendlich viel mehr Macht verleiht, und außerdem drückt sie sich in jedem Bewusstsein nach der diesem Bewusstsein eigenen Form aus, was ihr unendlich viel mehr Wirksamkeit verleiht. Eine bestimmte Schwingung wird im Schweigen ausgesandt mit einem bestimmten Ziel, um ein ganz bestimmtes Ergebnis zu erzielen, aber nach der mentalen Empfänglichkeit jedes Einzelnen äußert sie sich in jedem individuellen Bewusstsein genau in der Form, die für jeden Einzelnen die wirksamste, die aktivste, die am unmittelbarsten nützliche sein kann; wenn man hingegen mit Wörtern formuliert, muss diese Formel von jedem in ihrer Fixiertheit aufgenommen werden – in der Fixiertheit der Wörter, mit denen sie ausgestattet wird –, und sie verliert an Kraft und lebendigem Reichtum, weil die Wörter zunächst nicht immer so verstanden werden, wie sie mitgeteilt werden, und dann, weil sie nicht immer dem Begriffsvermögen jedes Einzelnen angepasst sind.

Also meiner Ansicht nach ist es immer besser, man schweigt, wenn eine Frage nicht plötzlich eine Erfahrung hervorbringt, die als neue Formel ausgedrückt werden kann. Nur wenn die Frage lebendig ist, kann sie eine Erfahrung hervorbringen, die zu einer lebendigen Lehre führt. Und damit eine Frage lebendig ist, muss sie einem inneren Bedürfnis nach Fortschritt entsprechen, einem spontanen Bedürfnis, auf irgendeiner Ebene einen Fortschritt zu machen – auf der mentalen Ebene, das ist die üblichste Art, wenn sie aber zufällig einer inneren Sehnsucht entspricht, einem Problem, das man sich gestellt hat und das man lösen will, dann wird die Frage interessant und lebendig und wirklich nützlich, und sie kann zu einer Vision, zu einer Wahrnehmung auf einer höheren Ebene, zu einer Bewusstseinserfahrung führen, so dass die Formel neu sein und eine neue Kraft zur Verwirklichung mit sich bringen kann.

Abgesehen von diesen Fällen habe ich immer das Gefühl, dass es besser ist, nichts zu sagen, und dass einige Minuten der Meditation immer nützlicher sind.

Die Lektüre zu Beginn soll dazu dienen, das Denken zu kanalisieren, ihm eine Richtung zu geben und es auf ein bestimmtes Problem, auf einen Ideenkomplex oder auf die Möglichkeit eines neuen Verständnisses hin festzulegen, das der Lektüre entspringt; und tatsächlich ist das fast wie ein Meditationsthema, das für die Stille nach der Lektüre gestellt wurde. Sprechen, um zu sprechen, ist überhaupt nicht interessant – dafür sind die Schulen da. Nicht hier.

Aber wenn du sprichst, ist es anders, Liebe Mutter!

(Schweigen)

(Ein anderes Kind) Mutter, wenn du sprichst, versuchen wir mit unserem mentalen Geist zu verstehen, aber wenn du mit uns in der Stille in Verbindung bist, auf welchen Wesensteil soll man sich konzentrieren?

Es ist immer besser, für die Meditation (wir benutzen das Wort „Meditation“, das bedeutet nicht unbedingt, „Gedanken im Kopf bewegen“, im Gegenteil), es ist immer besser zu versuchen, sich in einem Zentrum, dem Zentrum der Aspiration, wenn man so sagen will, zu konzentrieren, an dem Ort, wo die Flamme der Sehnsucht brennt, alle Energien wieder dorthin zurückzubringen, zum Zentrum des Sonnengeflechts, und, wenn möglich, eine aufmerksame Stille zu erreichen, wie wenn man etwas äußerst Subtilem zuhören wollte, etwas, das volle Aufmerksamkeit, völlige Konzentration und absolute Stille benötigt. Und zudem sich nicht mehr rühren; nicht mehr denken, sich nicht mehr rühren und diese Bewegung des Sich-Öffnens machen, so dass man alles empfängt, was man empfangen kann, aber indem man sehr darauf achtet, dass man nicht zu erfahren versucht, was geschieht, solange dies vor sich geht, denn wenn man verstehen oder gar aktiv beobachten will, wird dadurch eine Gehirntätigkeit beibehalten, die für die volle Aufnahmefähigkeit ungünstig ist – still sein, still sein so vollkommen wie möglich, in einer aufmerksamen Konzentration, und außerdem sich nicht rühren.

Wenn einem das gelingt, dann kommt plötzlich, wenn alles beendet ist, wenn man aus der Meditation heraustritt, einige Zeit später (meistens nicht sofort) aus dem Innern des Wesens etwas Neues in das Bewusstsein hervor; ein neues Verständnis, eine neue Wertung der Dinge, eine neue Einstellung im Leben – kurz, eine neue Sichtweise. Das kann flüchtig sein, aber in diesem Moment, wenn man es feststellt, merkt man, dass da etwas auf dem Weg des Verstehens oder der Umwandlung einen Schritt vorgerückt ist. Das kann eine Erleuchtung, ein wahreres oder innigeres Verstehen der Wahrheit oder eine Umwandlungskraft sein, die euch einen seelischen Fortschritt machen lässt, oder eine Bewusstseinserweiterung, eine größere Beherrschung der Regung, eine Zunahme der Wesenstätigkeiten.

Und diese Resultate sind nie unmittelbar. Denn wenn man versucht, sie sofort zu bekommen, behält man einen Zustand der Aktivität bei, der der echten Empfangsbereitschaft völlig entgegengesetzt ist. Man muss so neutral, so unbewegt, so passiv sein wie man kann, mit einer stillen Sehnsucht im Hintergrund, die weder mit Worten noch in Gedanken formuliert ist, auch nicht mit Gefühlen; etwas, das so macht (Handbewegung, wie eine aufsteigende Flamme) in einer inbrünstigen Schwingung, die aber nicht formuliert und das vor allem nicht zu verstehen versucht.

Man kommt (mit etwas Übung) in einen Zustand, den man nach Belieben in einigen Sekunden erlangt, das heißt, man versäumt überhaupt keine Zeit von der Meditation. Natürlich muss man am Anfang seinen mentalen Geist langsam beruhigen, sein Bewusstsein sammeln, sich konzentrieren; man verliert dreiviertel der Zeit bei der Vorbereitung, Hat man aber Übung in der Sache, kann man sie in zwei, drei Sekunden erhalten, und dann ist man die ganze Zeit im Genuss der Aufmerksamkeit.

Natürlich gibt es auch fortgeschrittenere oder vollkommenere Voraussetzungen, aber das kommt später. Doch schon wenn man das erreicht, hat man den vollen Gewinn von der Meditation.