Kapitel 14
Der unausweichliche nächste Schritt in unserer evolutionären Bestimmung
Worte Sri Aurobindos
Von den beiden erforderlichen Umwandlungen ist die seelische die erste – wenn die seelische Umwandlung in dir stattgefunden hat, erleichtert das unendlich die andere, das heißt die Umwandlung des gewöhnlichen menschlichen in das höhere spirituelle Bewusstsein –, andernfalls wird man voraussichtlich entweder eine schleppende und langweilige oder eine aufregende, aber gefährliche Reise haben.

Worte Sri Aurobindos
Ich habe niemals von einer „Umwandlung der Seele“ gesprochen; ich habe immer über eine „seelische Umwandlung“ der Natur geschrieben, was etwas völlig anderes ist. Ich habe es manchmal als eine Durchseelung der Natur bezeichnet. Die Seele ist in der Evolution, sie ist ein Teil des menschlichen Wesens, sein göttlicher Teil – eine Durchseelung wird dich also nicht über die gegenwärtige Evolution hinausführen, sie wird aber das Wesen vorbereiten, auf alles, was von der Göttlichen oder Höheren Natur kommt, zu reagieren und abgeneigt gegen eine Reaktion auf den Asura, Rakshasa, Pisacha oder das Tier im Menschen oder irgendeinen Widerstand der niederen Natur, welcher der göttlichen Wandlung im Wege ist.

Worte Sri Aurobindo
…es ist für das Mental des Menschen schwierig, die Seele oder das Selbst oder sonst ein spirituelles Element in ihm von der mentalen und vitalen Gestaltung, in der sie erscheinen, scharf zu unterscheiden. Das trifft aber nur so lange zu, als das Hervortreten noch nicht vollständig ist. Im Tier ist das Mental noch nicht scharf getrennt von seiner eigenen Lebens-Prägung und -Materie. Seine Regungen sind so sehr den Lebens-Bewegungen involviert, dass es sich noch nicht von ihnen loslösen, noch nicht von ihnen getrennt dastehen und sie beobachten kann. Im Menschen ist aber das Mental gesondert worden. Er kann seine mentalen Vorgänge als etwas erkennen, das von seinen Lebens-Vorgängen unterschieden ist. Sein Denken und sein Wille können sich von seinen Empfindungen und Impulsen, Begehren und Gefühls-Reaktionen lösen. Sie können diesen selbständig gegenüberstehen, sie beobachten und beherrschen, ihre Funktion bestätigen oder aufheben. Er kennt aber die Geheimnisse seines eigenen Wesens noch nicht gut genug, um entscheidend und gewiss seiner selbst als eines mentalen Wesens in Leben und Körper innezuwerden. Er hat aber einen Eindruck davon und kann innerlich diese Position einnehmen. So erscheint auch zuerst die Seele im Menschen nicht als etwas vom Mental und mentalisierten Leben völlig Verschiedenes. Ihre Bewegungen sind den Mental-Bewegungen involviert, ihre Wirkensweisen scheinen mentale und emotionale Aktivitäten zu sein. Das mentale menschliche Wesen ist sich einer Seele in seinem Inneren nicht bewusst, die hinter Mental, Leben und Körper zurücktritt, sich von ihnen loslöst, ihr Wirken und ihre Gestaltung sieht, kontrolliert und formt. Das ist aber in dem Maß, wie die innere Entwicklung fortschreitet, genau das, was geschehen kann, muss und auch wirklich geschieht. Es ist der lange hinausgezögerte, jedoch unausweichliche nächste Schritt in unserer evolutionären Bestimmung. Es kann zu einem entscheidenden Hervortreten kommen, in dem sich das Wesen vom Denken trennt und sich in einem inneren Schweigen als der Geist im Mental schaut. Oder es sondert sich ab von den Lebens-Bewegungen, vom Begehren, den Gefühlen, kraftvollen Impulsen und gewahrt sich als den Geist, der das Leben unterstützt. Ober es trennt sich vom Körper-Sinn und erkennt sich als Geist, der die Materie beseelt: So entdecken wir uns selbst als den Purusha, als ein mentales Wesen, als eine Lebens-Seele oder als ein subtiles Selbst, das den Körper trägt und erhält. Viele Menschen halten das für eine ausreichende Entdeckung des wahren Selbstes. In gewissem Sinn haben sie auch recht. Denn das ist das Selbst oder der Geist, der sich so im Blick auf die Aktivitäten der Natur selbständig darstellt. Diese Offenbarung seiner Gegenwart reicht aus, das spirituelle Element von ihnen abzulösen. Aber die Entdeckung des Selbstes kann noch weitergehen. Sie kann sogar jede Beziehung zu Form und Aktivität der Natur beiseite stellen. Denn man kann diese Selbste als Repräsentanten einer göttlichen Wesenheit erkennen, der gegenüber Mental, Leben und Körper nur Formen und Instrumente sind. Dann sind wir die Seele, die die Natur betrachtet, alle ihre dynamischen Wirkungen in uns erkennt, und zwar nicht durch mentale Wahrnehmung und Beobachtung, sondern durch ein inneres Bewusstsein, dessen unmittelbares Empfinden der Dinge und selbständige, genaue innere Schau. So wird die Seele durch ihr Hervortreten fähig, alle Macht über unsere Natur auszuüben und sie zu verändern. Wenn im Wesen völliges Schweigen herrscht, entweder die Stille des ganzen Wesens oder die Stille hinter ihm, die unbeeinträchtigt bleibt von den Bewegungen der Außenseite, können wir eines Selbstes gewahr werden, einer spirituellen Substanz unseres Wesens, eines Seins, das umfassender ist als die Seelen-Individualität. Es breitet sich in die Universalität aus, geht über alle Abhängigkeit von jeglicher natürlichen Form oder Aktivität hinaus und weitet sich nach oben hin in eine Transzendenz, deren Grenzen nicht erkennbar sind. Diese Befreiungen der spirituellen Seite in uns sind der entscheidende Schritt der spirituellen Entwicklung in der Natur.
Erst durch diese entscheidenden Bewegungen wird der wahre Charakter der Evolution deutlich erkennbar. Denn bis dahin gab es nur vorbereitende Vorgänge, einen Druck der seelischen Wesenheit auf Mental, Leben und Körper, um dadurch ein wahres Seelen-Wirken zu entfalten, ein Drängen des Geistes oder des Selbstes zur Befreiung vom Ego, von der vordergründigen Unwissenheit, eine Hinwendung des Mentals und Lebens zu einer noch verborgenen Wirklichkeit – vorläufige Erfahrungen, partielle Formulierungen eines spiritualisierten Mentals, eines spiritualisierten Lebens, aber noch keine vollständige Umwandlung und keine Wahrscheinlichkeit, dass sich die Seele oder das Selbst ganz enthüllen oder dass eine grundsätzliche Umwandlung der Natur eintritt.
