Kapitel 14

Depression und Begeisterung – zwei Extreme

Depression und Begeisterung sind die beiden Extreme, und jedes bringt seine Schwierigkeiten mit sich, seine Hindernisse.

Die Depression – es sei denn, man hat einen starken Willen eingesetzt – redet einem ein: „Es lohnt sich nicht, da kann man sein ganzes Leben lang warten.“ Die Begeisterung andererseits erwartet, das Vital schon morgen umgewandelt zu sehen: „Ich werde keinerlei Schwierigkeiten mehr haben, sondern auf dem Pfad des Yoga schnell vorankommen; das göttliche Bewusstsein werde ich ohne Schwierigkeiten erringen.“ Allerdings gibt es noch ein paar weitere Schwierigkeiten… Es braucht ein wenig Zeit, eine Menge Ausdauer. Da sagt sich das Vital nach einigen Stunden – vielleicht nach einigen Tagen, vielleicht nach einigen Monaten: „Wir sind nicht allzu weit gekommen mit unserer Begeisterung, ist denn überhaupt etwas getan? Lässt uns diese ganze Bewegung nicht gerade dort, wo wir vorher waren, vielleicht sogar schlimmer als vorher, etwas verwirrt, etwas verstört? Die Dinge sind nicht mehr, wie sie waren, und sie sind noch nicht, wie sie sein sollten. Recht langweilig ist das, was ich tue.“ Und dann, noch ein wenig weiter getrieben, sagt dieser Gentleman: „Ach nein, genug davon, lasst mich in Ruhe. Ich bleibe schön ruhig in meiner Ecke, rühre mich nicht und will auch gar nicht stören – aber belästigt mich nicht!“ Und so ist man nicht viel weiter als vorher.

Das ist eines der großen Hindernisse, die es sorgsam zu vermeiden gilt. Bei dem geringsten Eindruck von Unzufriedenheit, von Verdrossenheit muss man dem Vital folgendes sagen: „Mein Freund, du verhältst dich jetzt schön ruhig, du tust, was dir gesagt wird, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“ Und dem anderen, dem Begeisterten, der meint: „Alles muss jetzt geschehen, sofort“, antwortest du: „Beruhige dich, deine Energie ist zwar vortrefflich, doch soll sie nicht in fünf Minuten verpuffen; wir werden sie noch lange brauchen, bewahre sie dir sorgfältig, und je nach Bedarf wende ich mich an deinen guten Willen, den du voll und ganz beweisen darfst; du gehorchst, du murrst nicht, du erhebst keinen Widerspruch, du meuterst nicht, du willigst in alles ein. Du bringst ein kleines Opfer, wenn es von dir verlangt wird, du sagst aus ganzem Herzen Ja.“

Dein ganzer Ärger, deine ganze Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Abneigung und Wut, alles … das kommt vom Vital. Das Vital verwandelt Liebe in Hass, das Vital erzeugt den Geist der Rache, den Groll, den bösen Willen, das Bedürfnis zu zerstören und zu schaden. Das Vital macht dich mutlos, wenn die Dinge schwierig oder nicht nach seinem Geschmack sind. Und es hat eine außergewöhnliche Fähigkeit, in Streik zu treten! Wenn es nicht zufrieden ist, verkriecht es sich in eine Ecke und regt sich nicht mehr. Und dann hast du keine Energie mehr, du hast keine Kraft mehr, du hast keinen Mut mehr, dein Wille ist wie … wie eine welkende Pflanze. Alle Verstimmungen und Enttäuschungen, alle Abneigungen, alle Wut, alle Verzweiflung, aller Kummer, aller Zorn, das kommt alles von diesem Gentleman. Weil es die Energie in Aktion ist.

Es kommt also darauf an, nach welcher Seite das Vital sich wendet. Und ich sage dir, es hat eine sehr starke Angewohnheit, in Streik zu treten. Das ist seine mächtige Waffe: „So! Du machst nicht, was ich will, also: Ich rühre mich nicht mehr, ich stelle mich tot.“ Und es macht so etwas wegen einer Kleinigkeit. Es hat einen sehr schlechten Charakter, es ist sehr empfindlich und sehr nachtragend – es hat einen ganz schlechten Charakter. Denn ich glaube, es ist sich seiner Macht wohl bewusst, und es spürt sehr gut, dass nichts dem Schwung seiner Kraft widerstehen könnte, wenn es sich ganz gibt. Und wie alle, die ein Gewicht in die Waagschale zu werfen haben, feilscht es herum: „Ich gebe dir meine Energie, aber dann musst du auch tun, was ich will. Wenn du mir nicht gibst, was ich verlange, ziehe ich meine Energie wieder zurück.“ Und dann wirst du so flach wie ein Pfannkuchen. Und das ist wahr, genau so kommt es.

Das Vital ist schwer einer Regel zu unterwerfen. Doch wenn es einem gelingt, es zu zähmen, hat man natürlich etwas Mächtiges zur Verwirklichung in den Händen. Denn das Vital nimmt die größten Hindernisse im Sturm. Das Vital kann einen Dummkopf gescheit machen – es ganz allein, denn wenn es sich dafür begeistert, einen Fortschritt machen zu können, wenn das Vital es sich in den Kopf setzt voranzukommen, kann auch der Dümmste gescheit werden! Ich habe es erlebt, ich beziehe mich nicht auf Erzählungen anderer: Ich habe es gesehen, ich habe Leute gesehen, die farblos und dumm waren, unfähig zu verstehen, sie verstanden nichts – man konnte ihnen monatelang etwas erklären, es drang nicht ein, als würde man ein Stück Holz anreden –, und dann, plötzlich, wurde ihr Vital von einer Leidenschaft erfasst; sie wollten einfach jemandem gefallen oder etwas leisten, und dazu war es nötig zu verstehen, etwas zu wissen, das brauchten sie; also setzten sie alles in Bewegung, sie trieben das eingeschlafene Mental an, sie schickten Energien in alle Ecken, wo noch keine waren, und sie begriffen, sie wurden intelligent. Ich kannte jemanden, der praktisch nichts wusste, nichts verstand, und der in dem Moment, als das Mental sich in Bewegung setzte und von dieser Leidenschaft zum Fortschritt ergriffen wurde, wunderbare Sachen zu schreiben begann. Ich hatte sie in der Hand. Und als der Schwung abflaute, als das Vital in Streik trat (denn manchmal zog es sich zurück und streikte), wurde die betreffende Person wieder vollkommen dumm…

Also, so ist das. Gehe sorgfältig mit ihm um, behandle es mit großer Achtung, aber gehorche ihm nie. Denn es wird dich zu allen möglichen unerfreulichen Erlebnissen führen. Und wenn es dir irgendwie gelingt, es zu überzeugen, dann wirst du mit Riesenschritten auf dem Weg vorankommen.