Kapitel 13
Einige kindliche Vorstellungen
Wenn das Göttliche, das ganz Liebe ist, am Ursprung der Schöpfung ist, woher kommen dann all die Übel, von denen es auf der Erde wimmelt?
Alles kommt vom Göttlichen; doch hat das Eine Bewusstsein, der Höchste die Welt nicht unmittelbar aus sich hervorgehen lassen: eine Macht aus ihm hat sich über viele absteigende Stufen ausgebreitet, ist über viele Mittler gegangen. Viele Schöpfer, oder besser gesagt Bildner, Gestalter von Formen, haben an der Schöpfung der Welt teilgenommen. Es sind Zwischenmächte, und ich nenne sie lieber „Bildner“ als „Schöpfer“, weil sie dem Stoff nur seine Form, seinen Charakter, seine Natur geben. Sie sind zahlreich gewesen; manche haben harmonische und heilbringende Dinge gebildet, andere hingegen schlechte und schädliche. Manche sind eher Entsteller und Verunstalter gewesen als Bildner, denn durch ihre Einmischung haben sie verdorben, was andere gut begonnen hatten.
Du sagst: „Viele Schöpfer, oder besser gesagt Bildner, Gestalter von Formen, haben an der Schöpfung der Welt teilgenommen“. Wer sind diese Bildner?
Es kommt darauf an. Viele Namen wurden ihnen gegeben. Alles geschah stufenweise und durch Individualitäten aller Art hindurch: Jeder Seinszustand wird von Wesenheiten, von Individualitäten und Persönlichkeiten bewohnt, und jeder schuf eine Welt um sich her oder beteiligte sich an der Gestaltung bestimmter Wesen auf der Erde. Die letzten Schöpfer sind die Schöpfer der vitalen Welt, aber auch Wesen des Obermentals waren Schöpfer und Formgeber und hatten Emanationen, und von diesen Emanationen gingen wiederum Emanationen aus, und so fort. Ich meinte damit, dass der Göttliche Wille nicht direkt auf die Materie einwirkte, um der Welt die nötige Form zu geben, sondern sozusagen durch Schichten, Weltebenen hindurch, wie etwa die mentale Ebene – so viele Wesen des Mentals sind Bildner und waren an der Gestaltung bestimmter Wesen beteiligt, die sich auf der Erde inkarnierten. Für die vitale Ebene gilt dasselbe.
In einer Überlieferung heißt es zum Beispiel, dass die ganze Welt der Insekten das Werk von Bildnern der vitalen Welt ist und dass das der Grund sei, warum sie ein geradezu diabolisches Aussehen annehmen, wenn man sie unter dem Mikroskop vergrößert. Hast du das kürzlich gesehen, als dir die Mikroben im Wasser gezeigt wurden? Selbstverständlich waren die Bilder zur Unterhaltung gedacht, um Eindruck zu machen, aber sie beruhen auf wirklichen Formen, die derart vergrößert waren, dass Ungeheuer daraus wurden. Die Welt der Insekten ist fast durchweg eine Welt winzig kleiner Ungeheuer, die in vergrößertem Maßstab einfach grauenvoll wären. Es wird nun behauptet, dass Wesenheiten der vitalen Welt, Wesen des Vitals sich ein Vergnügen daraus machten, das zu erschaffen, sie hatten ihren Spaß daran, alle diese unmöglichen Tiere zu gestalten, die das menschliche Dasein durchweg unerfreulich machen.
Sind diese Zwischenmächte auch aus der Göttlichen Macht hervorgegangen?
Ja, durch Mittler, nicht direkt. Diese Wesen stehen nicht in direkter Verbindung mit dem Göttlichen (im Allgemeinen, es gibt Ausnahmen), es sind Wesen, die mit anderen Wesen in Verbindung stehen, die wiederum mit anderen Wesen in Verbindung stehen, die ihrerseits wieder mit anderen Wesen in Verbindung stehen, und so fort, hierarchisch, bis zum Höchsten.
Wenn sie aus dem Göttlichen hervorgegangen sind, warum sind sie dann böse?
Böse? Ich glaube, ich habe es dir schon einmal erklärt: Es genügt, nicht unter dem direkten Einfluss des Göttlichen zu stehen und nicht der Bewegung der Schöpfung oder der Ausdehnung zu folgen, so wie es das Göttliche will; es genügt, jene Verbindung zu unterbrechen, damit die größte Unordnung, die Unordnung der Teilung, der Aufspaltung entsteht. Nun, sogar die leuchtendsten, die mächtigsten Wesen können beschließen, ihrer eigenen Bewegung zu folgen anstatt der göttlichen Bewegung zu gehorchen. Und obwohl sie selbst ganz wunderbar sind und die Menschen sie für die Gottheit selbst halten würden, wenn sie jene sehen würden, können sie die Quelle schlimmster Übel, größter Unordnungen und massivster Behinderungen sein, weil sie ihrem eigenen Willen folgen anstatt in Harmonie mit dem Universum zu arbeiten. Die Frage – „Wenn das Göttliche, das ganz Liebe ist, am Ursprung der Schöpfung ist, woher kommen dann all die Übel, von denen es auf der Erde wimmelt?“ – ist schlecht formuliert… Das ist kindlich ausgedrückt. Gemeint ist: „Wenn Gott alles in der Welt ist, warum gibt es das Böse in der Welt?“ Nun,… es gibt nichts, das nicht Gott wäre, nur ist es in Unordnung. Man muss versuchen, da Abhilfe zu schaffen. Gott ist nicht nur Liebe, Er ist alles, und wenn uns das ganz schlecht erscheint, dann deshalb, weil es nicht, wie es sich gehört, geordnet ist. Es gab eben Bewegungen wie die, von denen ich eben gesprochen habe.
Man kann fragen, warum das so gekommen ist. Nun, das Mental kann darauf sicher keine Antwort geben. Es ist so gekommen, weiter nichts. Dass es so kam, ist im Grunde das einzige, was uns angeht. Vielleicht ist es ein Unfall am Anfang … Wenn man die Tatsache philosophisch betrachtet, leuchtet es ein, dass das Universum, in dem wir leben, eine Bewegung unter vielen anderen ist und dass es einem Gesetz gehorcht, das ihm eigen ist (und das in den anderen Universen vielleicht ganz anders ist), und wenn der Wille wollte, dass die Welt auf dem Prinzip der Entscheidung, der Freiheit der Entscheidung beruht, dann kann man ungeordnete Bewegungen so lange nicht verhindern, bis das Wissen kommt und die Entscheidung erleuchtet ist. Wenn man die Freiheit hat zu wählen, kann man auch Schlechtes wählen, nicht unbedingt nur Gutes, denn wenn es schon im voraus entschieden wäre, wäre es keine freie Entscheidung mehr. Wenn man diese Fragen stellt, antwortet nur das Mental, und es verkleinert das Problem, es reduziert es auf eine mehr oder weniger elementare mentale Formel, doch entspricht das nur sehr vage und sehr vordergründig und unvollständig der Wirklichkeit der Dinge.
Um etwas verstehen zu können, muss man es werden. Wenn man das Wie und Warum des Universums verstehen will, muss man sich mit dem Universum identifizieren. Es ist nicht unmöglich, aber es ist auch nicht sehr einfach, besonders für Kinder.
Diese Frage war eine der kindlichsten, die gestellt wurden – völlig kindlich: „Wenn Er gerecht ist, warum gibt es Ungerechtigkeit? Wenn Er gut ist, warum gibt es Bosheit? Wenn Er Liebe ist, warum gibt es Hass?“ – Er ist doch alles! Also ist Er nicht nur dies oder nur das oder ausschließlich nur jenes – Er ist alles. Das heißt, richtiger ausgedrückt müsste man sagen: Alles ist Er. Manche Vorstellungen von der Schöpfung, die auf der Erde sehr weit verbreitet sind und die das menschliche Denken sich während sehr langer Zeit mehr oder weniger zu eigen gemacht hat, sind doch zu sehr vereinfacht! Da ist „etwas“ (eigentlich weiß man nicht recht, was), und außerdem gibt es einen Gott, der dieses Etwas in Form bringt und daraus die Welt erschafft. Wenn man also solche Vorstellungen hat, kann man zu diesem Gott mit vollem Recht sagen: „Also, du hast da eine Welt gemacht! Die ist ja reizend, deine Welt!“ Obwohl er sie, dem Schöpfungsbericht zufolge, nach sieben Tagen Arbeit für sehr gut befunden hat – ist sie doch nur gut für ihn. Vielleicht hat ihm das recht großen Spaß gemacht, aber wir, die wir in der Welt sind, wir finden sie keineswegs sehr gelungen! Und eigentlich deshalb, weil die Vorstellung und die Formulierung völlig kindlich sind. Es ist genau wie in der Geschichte vom Töpfer, der seinen Topf formt – dieser Gott ist ein menschliches Wesen, gewaltig an Größe und Macht, aber seltsam menschenähnlich. Es ist der Mensch, der Gott nach seinem Bilde erschafft, und nicht Gott, der den Menschen nach seinem Bilde erschafft! Deshalb ist es jedes Mal, wenn die Frage unvollständig oder kindlich ist, unmöglich, wirklich zu antworten, weil schon die Frage schlecht gestellt ist. Du sagst, du behauptest etwas. Doch mit welchem Recht? Weil du etwas behauptest, folgerst du: „Da dies ja so ist, wie kommt es, dass jenes so ist?“ Aber: „…dass jenes so ist“, das sagst du! Es bedeutet nicht, dass es wirklich so ist!
Aber es gibt eine einzige, einzigartige Lösung des Problems: nämlich, keinen Unterschied hinsichtlich des Ursprungs zwischen Gott und dem Universum zu machen. Das Universum ist das Göttliche, das in den Raum projiziert wurde, und Gott ist das Universum in seinem Ursprung. Es ist dasselbe, unter dem einen oder unter dem anderen Aspekt. Und man kann sie nicht auseinanderdividieren. Diese Konzeption ist der Vorstellung vom „Schöpfer“ und seinem „Werk“ gerade entgegengesetzt. Nur ist es sehr praktisch und bequem, vom Schöpfer und seinem Werk zu reden, das erleichtert die Erklärung ungemein und macht die Unterweisung sehr einfach. Aber es ist nicht die Wahrheit. Und dann sagt man: „Wie kommt es, dass Gott, der allmächtig ist, zugelassen hat, dass die Welt so ist?“ Das ist doch deine eigene Vorstellung! Denn es zeigt sich, dass du dich in einer bestimmten Gesamtsituation befindest, die dir unerfreulich erscheint, also projizierst du das auf das Göttliche und sagst zu ihm: „Warum hast du so eine Welt gemacht?“ – „Ich habe sie nicht gemacht. Du hast es getan. Und wenn du wieder eins mit Mir bist, verändert sich auch deine Wahrnehmung. Dein Wahrnehmen und dein Empfinden sind das Ergebnis des Nichtgeeintseins mit Mir.“ Das könnte Er antworten. Und Tatsache ist: Wenn man es schafft, sein Bewusstsein mit dem göttlichen Bewusstsein zu vereinen, gibt es kein Problem mehr. Alles erscheint ganz natürlich und einfach, und sehr gut, und genau so, wie es sein soll. Schneidet man sich aber vom Ursprung ab und stellt sich Ihm gegenüber, dann läuft wirklich alles schlecht, nichts kann gut laufen!
Willst du nun aber eine Logik, die die Dinge zu Ende denkt – wie kommt es, dass das Göttliche es duldete, dass Teile von ihm sich von ihm abtrennten und dass diese ganze Unordnung entstand? So könntest du zu mir sagen. Und ich antworte dir dann: „Wenn du wissen willst, ist es besser, sich mit dem Göttlichen zu vereinen, denn nur auf diese Art vermagst du zu wissen, warum Er die Dinge so gemacht hat“ – und nicht dadurch, dass du Ihn mental befragst, denn dein Verstand kann nicht verstehen. Und ich wiederhole: Wenn man diese Identifikation erreicht, sind alle Probleme gelöst. Und diese Empfindung, dass die Dinge nicht gut sind und dass sie anders sein sollten, hat man gerade deshalb, weil dieser göttliche Wille einen ständigen Ablauf in einem immerwährenden Fortschritt will und weil das Gewesene den Platz dem Kommenden freigeben muss, das besser ist als jenes. Und die Welt, die noch am Abend vorher gut war, ist es am Tag darauf nicht mehr. Die ganze Welt, die zu einer gewissen Zeit absolut harmonisch und vollkommen erscheinen konnte, nun, sie ist jetzt voller Misstöne, sie ist nicht mehr harmonisch, denn wir konzipieren und sehen die Möglichkeit einer besseren Welt. Fänden wir sie sehr gut, täten wir nicht, was wir tun sollen, das heißt, wir würden uns nicht dafür anstrengen, dass sie besser wird.
Es kommt eine Zeit, in der einem alle diese Konzeptionen derart kindlich erscheinen! Und der Grund liegt einzig und allein darin, dass man in sich selbst eingeschlossen bleibt. Mit diesem Bewusstsein, das dir eigen ist, das wie ein Sandkorn in der Unendlichkeit ist, willst du die Unendlichkeit erkennen und beurteilen? Das ist unmöglich. Man muss zuerst aus sich heraustreten und sich dann mit der Unendlichkeit vereinen, und danach kann man allmählich verstehen, was das ist, aber nicht vorher. Du projizierst dein Bewusstsein – was du bist, die Gedanken, die du hast, deine Fähigkeit zu verstehen –, du projizierst es auf das Göttliche, und dann sagst du: „Es geht nicht.“ – Ich verstehe! Aber es gibt keine Möglichkeit zu wissen, außer man identifiziert sich. Ich sehe zum Beispiel keine Möglichkeit, dass ein Wassertropfen einem sagen könnte, wie der Ozean ist. So ist das nun mal.
Solange du deine mentalen, moralischen Vorstellungen auf die Erschaffung des Universums anwenden willst, wirst du nie etwas davon verstehen, niemals. Denn es geht von allen Seiten und in jeder Hinsicht über diese Vorstellungen hinaus – Vorstellungen von Gut und Böse und diese Dinge. All die mentalen, moralischen Vorstellungen, die wir haben, können das Universum nicht erklären.