Kapitel 13

Astrologie, Karma und Schicksal

Worte Sri Aurobindos

Astrologie? Viele astrologische Vorhersagen erfüllen sich, insgesamt sogar eine große Zahl. Doch daraus folgt nicht, dass die Sterne unser Geschick lenken. Die Sterne berichten lediglich über ein Schicksal, das bereits geformt wurde, sie sind Hieroglyphen und keine Kraft – oder wenn ihre Tätigkeit eine Kraft einsetzt, ist es eine übermittelnde Energie, aber keine verursachende Macht. Wir können es auch so ausdrücken, dass es jemanden gibt, der das Schicksal bestimmt, und dass es etwas gibt, das Schicksal ist – die Sterne aber sind nur Indikatoren. Die Astrologen selbst sagen, dass es zwei Kräfte gibt, daiva und purusartha, Schicksal und individuelle Energie – und die individuelle Energie kann Schicksal verändern, ja sogar zunichte machen. Überdies zeigen die Sterne häufig mehrere Schicksalsmöglichkeiten an, zum Beispiel, dass man im mittleren Alter sterben wird, aber auch ein voraussagbar hohes Alter erreichen kann, wenn diese Vorherbestimmung überwunden wird. Schließlich gibt es Fälle, in denen sich die Vorhersagen des Horoskops mit großer Genauigkeit bis zu einem gewissen Alter erfüllen und dann nicht mehr stimmen. Dies geschieht meist, wenn sich die betreffende Person vom gewöhnlichen Leben abkehrt und dem spirituellen Leben zuwendet. Wenn es eine sehr drastische Wende ist, kann die Vorhersagbarkeit unmittelbar aufhören. Im anderen Fall dauern gewisse Ergebnisse noch eine Zeitlang an, es besteht aber nicht länger die gleiche Unausweichlichkeit. Dies scheint anzuzeigen, dass es eine höhere Macht oder Ebene oder Quelle spirituellen Schicksals gibt oder geben kann, die, wenn ihre Stunde gekommen ist, die niedere Macht oder Ebene oder Quelle des vitalen oder materiellen Schicksals, das die Sterne anzeigen, zunichte zu machen vermag. Ich sage vital, da der Charakter ebenfalls aus dem Horoskop ersehen werden kann, und zwar viel vollständiger und befriedigender als die Ereignisse des Lebens.

In Indien wird Schicksal mit Karma erklärt. Wir selbst sind durch unsere Taten unser Schicksal, doch bindet uns dieses Schicksal, das durch uns geschaffen wurde, denn was wir gesät haben, müssen wir in diesem oder einem anderen Leben ernten. Und während wir in der Gegenwart die Folgen des Schicksals aus der Vergangenheit auf uns nehmen, schaffen wir gleichzeitig unser Schicksal für die Zukunft. Das verleiht unserem Willen und Tun einen Sinn und erzeugt nicht, wie europäische Kritiker falsch annehmen, einen starren und unfruchtbaren Fatalismus. Doch unser Wille und Tun können sogar oft vergangenes Karma annullieren oder modifizieren, nur bestimmte starke Einflüsse, utkata karma genannt, sind nicht modifizierbar. Auch hier kann durch die Erlangung von spirituellem Bewusstsein und Leben Karma aufgehoben oder aber die Macht gewonnen werden, es aufzuheben. Denn wir treten in die Einung mit dem Göttlichen Willen ein, kosmisch oder transzendent, der annullieren kann, was er unter bestimmten Bedingungen gewährte, und der neu erschaffen kann, was er bereits erschuf – die festgelegten engen Richtlinien lösen sich auf, und es entsteht eine plastischere Freiheit und Weite. Weder Karma noch Astrologie weisen daher auf ein fixiertes und für immer unveränderliches Schicksal hin.

Worte Sri Aurobindos

Ich muss mich vor der Vorstellung hüten, dass die Tierkreiszeichen und Planeten den Charakter oder das Schicksal des Menschen bestimmen. Sie tun es nicht, sie deuten nur darauf hin, denn die überirdischen und astralen Einflüsse sind die Empfindungs- oder Nervenkräfte in der Natur, die zu den Instrumenten unseres Karmas werden. Daher gaben die europäischen Mystiker der Empfindungs- und Nervenebene des Menschen die Bezeichnung „Astral-Ebene“ und der magnetischen Energie oder dem Nervenstrom, der vitalen Kraft im Menschen, die Bezeichnung „Astral-Fluss“. Es ist die gleiche vitale Kraft, die von allen Teilen des Sonnensystems sowie diesem physischen Universum über uns ausströmt. Doch der Mensch ist mächtiger als seine Empfindungen oder Vitalität oder die vitalen Kräfte des Universums. Unser Schicksal und unser Temperament werden durch unseren eigenen Willen geschaffen, und unser eigener Wille vermag sie zu ändern.

Worte Sri Aurobindos

Es ist nicht vorstellbar, dass der Geist in unserem Inneren nur ein Automat in den Händen von Karma und in diesem Leben ein Sklave seiner vergangenen Taten ist. Die Wahrheit muss weniger starr und eher formgebend sein. Wenn eine gewisse Menge von Ergebnissen des vergangenen Karma im gegenwärtigen Leben formuliert wird, muss das mit der Zustimmung des seelischen Wesens geschehen, das lenkend über der neuen Gestaltung seiner Erden-Erfahrung steht. Es stimmt nicht nur einem äußeren, zwangsläufigen Prozess zu, sondern einem geheimen Willen und einer Führung. Dieser geheime Wille ist nicht mechanisch, sondern spirituell. Die Führung kommt von einer Intelligenz, die mechanische Verfahrensweisen anwenden mag, diesen jedoch nicht unterworfen ist. Was die Seele durch ihre Geburt in einem Körper sucht, sind Ausdruck ihres Selbsts und Erfahrung. Von ihr wird alles gestaltet, was für den Ausdruck des Selbsts und für die Erfahrung in diesem Leben notwendig ist, ob das eintritt als automatisches Ergebnis vergangener Leben oder als freie Auswahl ihrer Resultate und deren Fortsetzung oder als eine neue Entwicklung – alles ist ein Mittel zur Erschaffung der Zukunft: Denn das Prinzip besteht nicht darin, den Mechanismus eines Gesetzes auszuarbeiten, sondern durch die kosmische Erfahrung die Natur so zu entwickeln, dass sie schließlich aus der Unwissenheit herauswachsen kann. Darum muss es die beiden Elemente geben: Karma als Instrument, aber auch das verborgene Bewusstsein und den Willen im Inneren, die durch das Mental, das Leben und den Körper wirken, die das Karma verwenden. Das Schicksal ist nur einer der Faktoren unseres Daseins, ob es rein mechanisch oder von uns selbst erschaffen ist, eine von uns selbst geschmiedete Kette. Das Wesen mit seinem Bewusstsein und seinem Willen sind ein noch wichtigerer Faktor. In der indischen Astrologie, die alle Lebensumstände als Karma ansieht, die zumeist in der Schrift der Sterne vorausbestimmt und angezeigt sind, gibt es doch einen Vorbehalt für die Energie und Kraft des Wesens, das einen Teil, viel oder sogar alles von dem verändern und aufheben kann, was so geschrieben steht, außer den zwingendsten und mächtigsten Bindungen des Karma. Das ist eine vernünftige Darstellung eines Gleichgewichts. Aber es muss zu dieser Rechnung noch die Tatsache hinzugefügt werden, dass das Schicksal nicht einfach, sondern komplex ist. Das Schicksal, das unser physisches Wesen festlegt, bindet es nur so lange und insofern, als kein höheres Gesetz eingreift. Das Handeln gehört zu unserer physischen Seite, es ist das physische Ergebnis unseres Wesens. Aber hinter unserer Außenseite steht eine freiere Lebens-Macht, eine freiere Mental-Macht, die über die andere Energie verfügt, ein anderes Schicksal erschaffen und dieses einsetzen kann, um den ursprünglichen Plan abzuändern. Sobald die Seele und das Selbst hervortreten und wir bewusste spirituelle Wesen werden, kann diese Umwandlung die Schrift unseres physischen Schicksals aufheben oder völlig umgestalten.

Worte Sri Aurobindos

Was nun die Vorhersage anbelangt, so habe ich niemals einen Weissagenden gekannt oder getroffen, der, wie berühmt auch immer, unfehlbar gewesen wäre. Einige Vorhersagen erfüllen sich wortgetreu, andere nicht – oder sie erfüllen sich halb oder gehen ganz und gar daneben. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Fähigkeit der Vorhersage etwas Unwirkliches ist oder dass man alle genauen Vorhersagen durch Wahrscheinlichkeit, Schicksal oder zufälliges Zusammentreffen erklären kann. Die Tatsache, dass viele Vorhersagen sich so unterschiedlich erfüllen, muss man entweder durch eine unvollkommene Fähigkeit des Weissagenden erklären, die manchmal erfolgreich ist und manchmal versagt, oder dadurch, dass die Dinge nur zum Teil vorhersagbar, da nur zum Teil vorherbestimmt sind, oder aber durch verschiedene Faktoren oder Linien von Macht, verschiedene Serien von Möglichem und Tatsächlichem. Solange man einer Linie folgt, ist die Vorhersage genau, im anderen Falle nicht, oder wenn sich die Linien der Macht ändern, fällt auch die Vorhersage unter den Tisch. Immerhin kann man sagen, dass es, wenn Dinge überhaupt vorhersagbar sind, eine Macht oder Ebene geben muss, durch die oder auf der alles vorhersehbar ist. Wenn es ein göttliches Allwissen und eine göttliche Allmacht gibt, muss es so sein. Selbst dann aber muss das, was vorausgesehen wird, ausgearbeitet werden, und es wird durch ein Spiel von Kräften ausgearbeitet – spirituelle, mentale, vitale und physische Kräfte –, und auf dieser Ebene von Kräften gibt es keine absolute Starrheit. Persönlicher Wille oder persönliches Bemühen ist eine jener Kräfte. Napoleon befragt, warum er immer plane und arbeite, da er doch an eine Vorherbestimmung glaube, antwortete: „Da es vorherbestimmt ist, dass ich arbeite und plane.“ Mit anderen Worten, sein Planen und Arbeiten waren ein Teil des Schicksals und trugen zu den Ergebnissen bei, die vom Schicksal vorgesehen waren. Selbst wenn ich ein ungünstiges Ergebnis voraussehe, muss ich für das Ziel, das ich im Auge habe, arbeiten. Denn dies hält die Kraft, das Prinzip der Wahrheit, dem ich diene, am Leben und gibt ihm die Möglichkeit eines späteren Sieges. Auf diese Weise wird es Teil des künftigen günstigen Schicksals, selbst wenn das gegenwärtige feindlich ist. Menschen wenden sich von einer Sache nicht ab, weil sie ihr Scheitern erkannten oder vorhersahen – und vom spirituellen Standpunkt ist ihre hartnäckige Ausdauer gerechtfertigt. Zudem leben wir nicht allein für ein äußeres Ergebnis. Das Ziel unseres Lebens ist vielmehr das Wachsen der Seele – nicht der äußere Erfolg der Stunde oder der nächsten Zukunft. Die Seele aber vermag trotz eines oder sogar dank eines feindlichen materiellen Geschicks zu wachsen.

Und schließlich, auch wenn alles vorherbestimmt ist, besteht kein Grund zu sagen, Leben sei wie in Shakespeares oder vielmehr Macbeths Ausspruch „eine Geschichte, die ein Idiot erzählt, voller Lärm und Aufruhr und ohne Sinn“. So wäre das Leben, wenn alles Zufall und mutwillige Ungewissheit wäre. Wenn es jedoch etwas Vorhersehbares ist, etwas in jeder Einzelheit Geplantes, so heißt das, dass Leben tatsächlich eine Bedeutung hat, dass ihm ein geheimes Ziel innewohnen muss, auf das durch ganze Zeitalter hingearbeitet wurde, machtvoll, ausdauernd, mit uns als einem Teil davon, als Mitwirkende an der Erreichung jenes unüberwindlichen Zieles.

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