Kapitel 12

Pilzkunst

Was meinst du mit Pilzgattung1?

Weißt du nicht, was ein Pilz ist? Wie Pilze wachsen? Pilze sprießen überall und scheinen nicht zu irgendeinem Anbau zu gehören. Die Idee ist die von einer Art spontanem Wachstum, das keine Wurzeln in der Totalität der Schöpfung besitzt. Es gibt Dinge, die nicht zu einem Ganzen gehören, die wie fremd sind. Anstatt Pilze hätte ich Parasiten auf Bäumen sagen können. Du weißt, dass es Parasiten auf Bäumen gibt, wie die Mistel auf der Eiche. Auch hier habe ich sie auf gewissen Bäumen gesehen. Ich habe Pflanzen gesehen, die am Baum hafteten, Pflanzen, die vom Leben des Baumes lebten, die nicht ihr eigenes separates Leben, ihre eigenen Wurzeln besaßen, die ihre Nahrung nicht direkt vom Boden aufnahmen. Sie hafteten an einer anderen Pflanze, als ob sie eines anderen Arbeit ausnutzten. Die anderen arbeiten, um die Nahrung zu besorgen, und diese haften an ihnen und leben davon. Wirklich, wie Parasiten auf Tieren leben.

Ich weiß nicht, ich glaube, ich bin zu sehr ins Detail gegangen. Aber für jene, die es kennen, habe ich genug darüber gesagt… In alten Zeiten, ich meine in den künstlerischen Zeitaltern wie zum Beispiel in Griechenland oder auch während der italienischen Renaissance (aber viel mehr in Griechenland und in Ägypten) wurden Bauten zum öffentlichen Nutzen errichtet. Meistens wurde auch in Griechenland und in Ägypten eine Art Heiligtum gebaut, um ihre Götter zu beherbergen. Nun, was sie zu tun versuchten, war etwas Totales, in sich Schönes, Vollständiges. Und dabei benutzten sie die Architektur, das heißt den Sinn für die Harmonie der Linien und die Skulptur, um zur Architektur das Ausdrucksdetail hinzuzufügen, und die Malerei, um diesen Ausdruck zu vervollständigen. Aber dies alles wurde in einer aufeinander abgestimmten Einheit gehalten, die das geschaffene Denkmal bildete. Die Skulptur bildete einen Teil des Gebäudes, die Malerei bildete einen Teil des Gebäudes. Sie waren keine abgesonderten Dinge, einfach dorthin gestellt, niemand wusste warum – sie gehörten zum allgemeinen Plan. Und wenn also diese Leute beispielsweise einen Tempel erbauten, dann war er ein Ganzes, in dem fast alle Manifestationen der Kunst zu finden waren, vereint in einem einzigen Willen, die Schönheit auszudrücken, die sie auszudrücken wünschten, das heißt ein Kleid für den Gott, den sie anbeten wollten. Alle schönen Kunstepochen waren von dieser Art. Jedoch gerade in dieser Zeit, obwohl nicht in jüngster Zeit – gegen Ende des letzten Jahrhunderts –, wurde die Kunst kommerziell, käuflich, und Bilder wurden gemalt, um verkauft zu werden. Sie wurden auf Leinwand gemalt, gerahmt, und dann wurde ohne bestimmten Grund ein Bild hierhin oder ein anderes dorthin gehängt, oder aber eine Skulptur wurde angefertigt, die den einen oder anderen Gegenstand darstellte, und sie wurde aufgestellt, egal wo. Sie hatte nichts mit dem Haus zu tun, in dem sie aufgestellt wurde. Sie passte nicht hinein. Dinge konnten an sich schön sein, aber sie hatten keine Bedeutung. Es war kein Ganzes, das einen Zusammenhang besaß und etwas auszudrücken versuchte: Es war eine Zurschaustellung von Talent, Klugheit, der Fähigkeit, ein Bild oder eine Statue anzufertigen. Ebenso die Architektur jener Zeit – sie hatte keine bestimmte Bedeutung. Man baute nicht mit dem Gedanken, die Kraft auszudrücken, die man in jenem Gebäude verkörpern wollte. Die Architektur war nicht der Ausdruck einer Aspiration oder von etwas, das deinen Geist emporhebt oder Ausdruck der Herrlichkeit der Gottheit, der man eine Wohnstätte geben wollte. Es waren einfach nur Pilze. Sie stellten hier ein Haus auf, dort ein Haus, machten dieses und jenes, Bilder, Statuen, Gegenstände aller Art. So sah man, wie ich dir gerade erzählt habe, beim Betreten eines Hauses hier ein wenig Skulptur, dort ein wenig Malerei, Schaukästen mit einer Unmenge bizarrer Gegenstände, die keine Verbindung untereinander besaßen. Und warum das Ganze? Um eine Art Ausstellung zu machen, eine Schau von Kunstgegenständen, die nichts mit Kunst und Schönheit zu tun hatte! Man muss die tiefe Bedeutung der Kunst verstehen, um zu fühlen, in welchem Ausmaß dies schockierend war. Sonst erscheint es, wenn man daran gewöhnt ist, wenn man in jener Epoche und in jenem Milieu gelebt hat, ganz natürlich – aber es ist nicht natürlich. Es ist eine kommerzielle Deformation.

Es gibt nur eine Rechtfertigung, und die wäre, es zu einem Mittel für die Erziehung zu machen. Dann wird es zu einem Museum. Wenn du ein Museum errichtest, ist es ein historisches Sammeln all dessen, was gemacht worden ist. Es dient dazu, dir ein historisches Wissen über die Dinge zu vermitteln. Ein Museum ist jedoch nichts an sich Schönes, weit gefehlt! Für einen Künstler ist es etwas ziemlich Schockierendes. Vom Gesichtspunkt der Erziehung aus ist es sehr gut, denn dort sind an einem einzigen Ort Exemplare aller möglichen Dinge gesammelt worden, und auf diese Art kannst du lernen, Gelehrsamkeit erwerben. Vom Gesichtspunkt der Schönheit aus ist es jedoch schrecklich.

Und so gab es später ein Bestreben zurückzukehren (zum Beispiel zu Anfang dieses Jahrhunderts – ich spreche von den ersten Jahren dieses Jahrhunderts), ein Bestreben, das zu schaffen, was man „dekorative Kunst“ nannte (Jugendstil, Art Nouveau, d.Ü.), das heißt zu versuchen, zu einer Schau des Gesamten zurückzukehren und beim Einrichten eines Hauses ein geordnetes Ganzes zu schaffen, in dem sich die Dinge an einem bestimmten Ort befanden, eben weil sie dafür bestimmt waren, und wo jeder Gegenstand nicht nur seinen Daseinszweck besaß, sondern auch seinen genauen Platz und nicht anderswohin gestellt werden konnte. Ein Gesamtes wurde geschaffen, ein Ganzes. Das war also schon ein wenig besser. Sie probierten.

Hier in Indien ist es ganz anders, denn es gibt eine Kunsttradition, die verblieben ist. Das ganze Land ist voller Dinge, die in einem vortrefflichen Augenblick der künstlerischen Geschichte des Landes geschaffen wurden. Man lebt inmitten davon. Man hat kaum die Nachwirkungen dessen erlitten, was in der übrigen Welt geschehen ist, vor allem in Europa. Nur jene Teile Indiens, die ein wenig zu anglisiert sind, haben das Empfinden für Schönheit verloren. Es gibt gewisse Schulen in Bombay, Künstlerschulen, die schrecklich sind. Und dann gab es das Bestreben der Kalkutta-Schule, die indische Kunst wiederzubeleben. Das geschah jedoch nur in sehr geringem Ausmaß. Vom Gesichtspunkt der Kunst aus sind es die alten Schöpfungen, die alten Tempel und Bilder, die sich am meisten in deiner Reichweite befinden. Das alles war sehr gut. Und das wurde gemacht, um einen Glauben auszudrücken. Und es wurde genau mit einem Sinn für das Ganze, nicht in Unordnung angefertigt.

Du hast diese Kunstbewegung, von der ich spreche und die auf die europäische Zivilisation bezogen ist, sehr wenig verfolgt. Man hat hier nicht sehr viel von ihr verspürt – nur ein wenig, jedoch nicht tief. Hier ist die Mehrzahl der Schöpfungen (dies ist ein sehr gutes Beispiel), die Mehrzahl der Werke, ich glaube sogar fast alle schönen Werke, nicht signiert. All jene Malereien in den Höhlen, jene Statuen in den Tempeln – sie sind nicht signiert. Man weiß überhaupt nicht, wer sie geschaffen hat. Und all das geschah nicht wie gegenwärtig mit dem Gedanken, sich einen Namen zu machen. Man war zufällig ein großer Bildhauer, ein großer Maler, ein großer Architekt, und das war dann auch alles. Es bestand keine Frage, den eigenen Namen auf alles zu setzen und es laut in den Nachrichten zu verkünden, damit niemand es vergäße! In jener Zeit tat der Künstler das, was er zu tun hatte, ohne sich darum zu kümmern, ob sein Name der Nachwelt überliefert würde oder nicht. Alles geschah in einer Regung der Aspiration, um eine höhere Schönheit zum Ausdruck zu bringen, und vor allem mit dem Leitgedanken, der angerufenen Gottheit eine angemessene Wohnstätte zu geben. In den Kathedralen des Mittelalters war es genauso, und ich glaube nicht, dass auch dort die Namen der Künstler, die sie erbauten, geblieben sind. Wenn es irgendwelche gibt, dann ist das ganz außergewöhnlich, und nur durch Zufall ist der Name erhalten geblieben. Während es heute nicht ein winzig kleines Stückchen Leinwand gibt, auf dem sich nicht dennoch eine Signatur befindet, um dir mitzuteilen: Dies hat Herr Sowieso geschaffen!

1 Siehe Kapitel „Musik“, 1. Abschnitt.