Kapitel 11

Gestern

Das Gestern sollte nicht zum Heute gemacht werden. Es ist ein gesunder Rat für jedermann, gleich welches Steckenpferd er hat, nicht in der Vergangenheit zu leben. In der Zukunft zu leben, mag sich für einige Wenige auszahlen, aber an der Vergangenheit zu klammern, niemals. Trotzdem lassen wir ständig längst vergangene Dinge wieder aufleben und verleihen dabei jenen Schwingungen Kraft, sich immer wieder neu zu formieren und die Gegenwart zu beeinträchtigen. Das ist besonders bei dem spirituellen Sucher der Fall.

Das verbreitetste Problem ist die Erinnerung an einiges uns früher zugefügte Unrecht. Jedes Mal, wenn wir uns wieder daran erinnern, durchleben wir die ganze Situation noch einmal und machen in dem Augenblick all die erlebten emotionalen Aufwühlungen wieder durch. Verbitterung, Trauer und Ärger überfallen uns mit ganzer Kraft und rauben uns das Gleichgewicht. Unser Mental ist sich teilweise bewusst, dass alles der Vergangenheit angehört und es keinen Sinn hat, in der Gegenwart darüber nachzudenken. Aber wir werden auf unwiderstehliche Weise von der alten Regung erfasst, die – wenn nicht eingedämmt - zur Gewohnheit wird. Sehr oft wiederholt sich so eine Regung, weil etwas in uns daran hängt. Außer der Beeinträchtigung unserer Psyche hat es noch eine andere Konsequenz. Durch das lebendig Erhalten der alten Schwingung verhindern wir ihre Substitution durch eine andere, glücklichere Regung. Die Mutter bittet uns, die Schwingungen von gestern nicht mitzunehmen, wenn wir der uns kränkenden Partei heute begegnen. Wenn wir uns beim Treffen mit der Person, die uns gestern verletzt hat, daran erinnern, rufen wir in ihr dieselben Schwingungen hervor, die gestern von ihr ausgingen. Wir werden gebeten, das Mental frei zu halten und ihr ganz neu zu begegnen. Diese Methode wird sie wahrscheinlich entwaffnen und eine versöhnliche Regung auslösen. Sogar wenn sie fehlschlägt, gewinnen wir spirituell, denn es ist ein positiver Sieg über unsere mechanische Natur, wenn wir uns über Verletzung und Beleidigung erheben.

Wenn wir es mit unserer Sadhana ernst meinen, ist dieses Handeln nicht schwer. Was schwieriger ist, sind die Erinnerungen an Unrecht, welches wir anderen in der Vergangenheit zugefügt haben. Dieses Problem wird akut, wenn unser Bemühen um Reinigung unseres Wesens stark ist und sich unsere Sensibilität erhöht. Jeder kleine Vorfall, bei dem unsere weniger schmeichelhafte Seite sich gezeigt hat, – unser Temperament mit uns durchgegangen ist, wir andere verletzt, schlecht behandelt und eine Menge anderer Dinge getan haben, – kommt wieder hoch und verschlingt uns. Das ist besonders schmerzhaft, wenn die Opfer unserer Demütigungen gerade jene waren, die uns liebten, sich für uns aufgeopfert und uns geduldig, vielleicht hilflos, ertragen haben. Es ist eine nervenaufreibende Erfahrung, wenn dies passiert.

Wie gehen wir mit diesen schneidenden Erinnerungen an die Vergangenheit um? Mit Reue. Mit einem schlichten Bereuen der Vergangenheit, einer festen Entscheidung, sie nicht zu wiederholen, und einem inneren Gebet um Vergebung durch jene, die wir verletzt haben. Solch eine Bewegung in unserem Wesen schließt mit der Vergangenheit ab und klärt den Weg zu einen neuen Zukunft, vorausgesetzt, wir bemühen uns, die alten Fehler unter keinen Umständen zu wiederholen. Reue ist weniger ein Sündenbekenntnis, als eine Entscheidung, eine neue Seite aufzuschlagen. Aber auch das darf nicht übertrieben werden. Wenn man vor anderen etwas zu oft bereut und bedauert, wird es zu einer Art Schwelgen, welches die alten Erinnerungen an eigene Verfehlungen wieder wachruft und uns zurückhält, auch wenn der Weg frei ist. Sie haben die subtile Wirkung, Schwingungen fortzusetzen, die besser zurückgelassen und vergessen werden. Sie behindern das reinigende Wirken der Göttlichen Gnade, welche ernsthaften Bitten um Hilfe bei einem Neuanfang immer antwortet.

Veröffentlicht im November 1983

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