Kapitel 1

Der Vorgang der Wiedergeburt

Jedes mal wenn die Seele in eine neue Geburt eintritt, wird ein Mental, Leben und Körper aus den Substanzen der universalen Natur geformt, die der vergangenen Evolution der Seele sowie ihrem Erfordernis für die Zukunft entsprechen.

Sobald der Körper sich auflöst, wandert das Vital zur vitalen Ebene, um dort eine Zeit lang zu bleiben, dann fällt die vitale Hülle ab. Schließlich zieht sich die Seele oder das seelische Wesen in die seelische Welt zurück, um dort zu ruhen, bis eine neue Geburt naht. Das ist der allgemeine Verlauf für ein normal entwickeltes menschliches Wesen. Es gibt jedoch Abweichungen, die der individuellen Natur und ihrer Entwicklungsstufe entsprechen. So kann zum Beispiel das mentale Wesen, wenn das Mental stark entwickelt ist, [bei der Seele] bleiben und ebenso das Vital, vorausgesetzt sie sind um das wahre seelische Wesen geordnet und um dieses zentriert – sie teilen dann die Unsterblichkeit der Seele.

Die Seele sammelt die wesentlichen Elemente ihrer Erfahrungen im Leben und macht sie zur Grundlage ihres Wachsens in der Evolution; sobald sie in das Leben zurückkehrt, nimmt sie mit ihren mentalen, vitalen und physischen Hüllen soviel karma auf, wie sie im neuen Leben zur weiteren Erfahrung braucht.

Es ist eigentlich der vitale Teil des Wesens, für den sraddha und Riten abgehalten werden, und dies geschieht, um dem Wesen zu helfen, sich von den vitalen Schwingungen zu befreien, die es noch an die Erde oder die vitalen Welten binden, so dass es rasch zu seiner Ruhe im seelischen Frieden gelangen kann.

SRI AUROBINDO (22:433)

1. Das seelische Wesen steht hinter dem Mental, Leben und Körper und stützt sie; die seelische Welt ist nicht eine Welt in der Rangordnung der mentalen, vitalen oder physischen Welten, sondern steht hinter diesen allen, und die sich hier entwickelnden Seelen kehren dorthin für die Zeit zwischen zwei Leben zurück. Wenn die Seele in der aufsteigenden Ordnung von Körper, Leben und Mental nur ein Prinzip wäre, den anderen ebenbürtig und in der Rangordnung auf gleicher Grundlage mit diesen, könnte sie nicht die Seele von allem übrigen sein, das göttliche Element, das die Evolution der anderen ermöglicht, und diese als Instrumente für das Wachsen zum Göttlichen hin durch kosmische Erfahrung benützt. Ebensowenig kann die seelische Welt eine unter den übrigen Welten sein, zu denen das evolutionäre Wesen sich um der überphysischen Erfahrung willen begibt; es ist eine Ebene, zu der es sich zur spirituellen Assimilation seiner Erfahrungen in sich selbst zurückzieht, eine Ebene für ein Wiedereintauchen in sein eigenes ursprüngliches Bewusstsein, seine eigene seelische Natur.

2. Für die wenigen, die die Unwissenheit zurücklassen und in das nirvana eintreten, besteht das Problem nicht, unmittelbar in die höheren Welten der Manifestation aufzusteigen. Nirvana oder moksha ist ein befreiter Daseinszustand und nicht eine Welt – es ist eine Abkehr von den Welten und der Manifestation.

3. Der Zustand der Seele, die sich in die seelische Welt zurückzieht, ist ein vollkommen statischer; jede [der Seelen] zieht sich in sich selbst zurück und hat keine Beziehung zu anderen. Wenn sie aus ihrem Trancezustand auftaucht, ist sie für ein neues Leben bereit, doch wirkt sie zwischenzeitlich nicht auf das Erdenleben ein. Es gibt andere Wesen, Wächter der seelischen Welt, doch kümmern sich diese nicht um die Erde, sondern nur um die seelische Welt, sowie um die Rückkehr der Seelen zur Reinkarnation.

4. Ein Wesen der seelischen Welt kann nicht mit der Seele eines Menschen auf der Erde verschmelzen. Was manchmal vorkommt, ist, dass ein sehr fortgeschrittenes seelisches Wesen eine Emanation herabsendet, die in ein menschliches Wesen eingeht und dieses, bis es bereit ist, auf das seelische Wesen selbst vorbereitet, damit dieses in das Leben eintreten kann. Diese geschieht, wenn eine besondere Arbeit verrichtet und das menschliche Gefäß hierfür vorbereitet werden muss. Eine derartige Herabkunft zeitigt eine erstaunliche und plötzliche Veränderung in der menschlichen Persönlichkeit und Natur.

5. Meist bewahrt die Seele die gleiche Linie des Geschlechtes. Eine Veränderung des Geschlechtes geht in der Regel von den nichtzentralen Teilen der Persönlichkeit aus.

6. Es gibt keine feststehende Regel dafür, in welchem Stadium die Seele zur Wiedergeburt in einen neuen Körper eintritt, denn die Umstände ändern sich mit dem einzelnen Individuum. Es gibt seelische Wesen, die vom Zeitpunkt der Empfängnis an Beziehung mit dem Milieu der Geburt und den Eltern aufnehmen und die Entwicklung der Persönlichkeit und Zukunft bereits im Embryo vorbereiten; andere treten [in den Körper] erst zum Zeitpunkt der Geburt ein, andere noch später im Leben – in diesen Fällen hält eine Emanation des seelischen Wesens das Leben aufrecht. Man sollte wissen, dass die Voraussetzungen des künftigen Lebens grundsätzlich nicht während des Aufenthaltes in der seelischen Welt bestimmt werden, sondern zum Zeitpunkt des Todes; das seelische Wesen wählt dann, was es im nächsten Erdenleben ausarbeiten wird, und dementsprechend gestalten sich die Voraussetzungen.

Du darfst nicht vergessen, dass die Vorstellung einer Wiedergeburt und bestimmter Umstände des neuen Lebens als Belohnung oder Bestrafung von punya (Tugend) oder papa (Sünde) eine unreife menschliche Vorstellung von Gerechtigkeit ist, ziemlich unphilosophisch, unspirituell und das wahre Ziel des Lebens entstellend. Das Leben auf Erden ist eine Evolution, und die Seele wächst durch Erfahrung, durch ein Ausarbeiten von diesem oder jenem in der menschlichen Natur; wenn Leiden sich einstellen, dann hat man sie zum Zwecke dieses Ausarbeitens zu erdulden, und nicht als ein Urteil, das von Gott oder dem Kosmischen Gesetz verhängt ist über unser Fehlen und Irren, welche unvermeidbar sind in der [Welt der] Unwissenheit.

SRI AUROBINDO (22:439)

Es wird oft gesagt, dass Kinder von ihrem seelischen Wesen Besitz ergreifen, wenn sie sieben Jahre alt sind. Was genau heißt das?

Es stimmt nicht. Es gibt Menschen, deren seelisches Wesen vor ihrer Geburt über ihre Formung wacht, selbst bevor sie in dem Schoß ihrer Mutter sind. Es gibt Kinder, deren seelisches Wesen im Augenblick ihres ersten Schreis mit ihnen in Verbindung tritt. Es gibt auch Menschen, deren seelisches Wesen einige Stunden nach ihrer Geburt den Kontakt mit ihnen aufnimmt, oder wenige Tage danach, oder einige Wochen, einige Monate, einige Jahre danach, oder … niemals!

DIE MUTTER (4:140)

Von einem furchtbaren Leiden, das die Seele im Verlauf der Wiedergeburt erdulden soll, ist mir nichts bekannt; volkstümliche Anschauungen, selbst wenn sie einer gewissen Grundlage nicht entbehren, sind selten vorurteilsfrei und genau.

SRI AUROBINDO (22:439)

Die Seele gibt die mentalen und anderen Hüllen (außer den physischen) nicht unmittelbar beim Tode auf. Man sagt, dass es im ganzen drei Jahre dauert, sich von der Verbindungszone mit der Erde zu lösen – es kann aber Fälle eines langsameren oder schnelleren Durchganges geben. Die seelische Welt ist nicht mit der Erde verbunden – jedenfalls nicht auf diese Weise. Und der Geist, der bei Séancen auftaucht, ist nicht das seelische Wesen. Was durch das Medium in Erscheinung tritt, ist ein Gemisch, das aus dem Unterbewusstsein des Mediums und dem der Séancen-Teilnehmer stammt (ich gebrauche „unterbewusst“ hier im gewöhnlichen, nicht im yogischen Sinn) – es können vitale Hüllen sein, die von den Verstorbenen zurückgelassen und unter Umständen von einem Geist oder vitalen Wesen benutzt werden; es kann auch der Verstorbene selbst in seiner vitalen Hülle sein, oder aber etwas, das für diese Gelegenheit übernommen wurde (es ist jedoch der vitale Teil, der die Verbindung herstellt), es können Elementargeister, also Geister der niedrigsten vital-physischen Welt nahe der Erde sein, usw. usw. Meist ein furchtbares Durcheinander – ein Mischmasch aller Arten von Dingen, die durch eine Vermittlungszone aus astralem Graulicht und Schatten kommen. Viele dieser „Vermittler“ scheinen Menschen zu sein, die gerade in die feinstoffliche Welt eingetreten sind, wo sie sich von einer verbesserten Ausgabe des Erdenlebens umgeben fühlen und glauben, dass dies die wirkliche und endgültige andere Welt nach der Erde sei – tatsächlich jedoch ist es nur eine Verlängerung der Ideen, Bilder und Assoziationen der menschlichen Ebene. Es ist die nächste Welt, wie sie von spiritistischen „Führern“ und anderen Séance-Vermittlern dargestellt wird.

SRI AUROBINDO (22:458)

Es kann scheinbar rückläufige Bewegungen geben, doch sind dies nur Zick-Zack-Bewegungen, es ist kein wirkliches Zurückfallen; es ist eine Rückkehr zu etwas, das noch nicht verarbeitet ist, damit man dann umso leichter vorwärtsschreiten kann. Nicht die Seele ist es, die zum Tierzustand zurückkehrt, es ist vielmehr ein Teil der vitalen Persönlichkeit, der sich ablösen und in eine Tiergeburt eintreten kann, um dort seine Tierneigungen auszuarbeiten.

SRI AUROBINDO (22:434)

Die Seele – das seelische Wesen –, wenn sie einmal das menschliche Bewusstsein erreicht hat, kann sich ebensowenig in ein niedrigeres Tierbewusstsein zurückwenden, wie sie in einen Baum oder ein kurzlebiges Insekt zurückkehren kann. Es ist jedoch richtig, dass ein Teil der vitalen Energie oder des geformten instrumentalen Bewusstseins der menschlichen Natur dies kann, und auch sehr häufig tut, wenn es von etwas im Erdenleben stark angezogen wird. Dies mag auch einzelne Fälle einer unmittelbaren Wiedergeburt in menschlicher Form mit voller Erinnerung erklären. Im Allgemeinen aber kann man sich nur durch yogische Entwicklung oder durch Hellsehen des vergangenen Lebens genau erinnern.

SRI AUROBINDO (22:445)