Kapitel 1

Bewusst werden

Worte Sri Aurobindos

Sich dessen bewusst zu werden, was in der eigenen Natur geändert werden muss, ist der erste Schritt dazu, es zu ändern. Aber man muss die Abläufe in der eigenen Natur beobachten, ohne zu verzweifeln oder zu denken: „Es ist hoffnungslos“ oder „Ich kann mich nicht ändern.“

Worte der Mutter

„Sich kennen und sich meistern“, was heißt das?

Das heißt, sich seiner inneren Wahrheit bewusst sein, der verschiedenen Teile seines Wesens und ihres Wirkens. Man muss wissen, warum man dies tut, warum jenes: Man muss seine Gedanken kennen, seine Gefühle, all seine Handlungen, all seine Regungen, das, wozu man fähig ist, und so weiter. Und sich zu kennen genügt nicht: Dies Wissen muss eine bewusste Meisterung mit sich bringen. Sich vollkommen kennen heißt, sich vollkommen meistern.

Aber das braucht ein beständiges Streben. Es ist nie zu früh zum Anfangen, nie zu spät zum Fortfahren. Sogar wenn du noch ganz klein bist, kannst du beginnen, dich zu erforschen und zu erkennen und nach und nach zu meistern. Und sogar dann, wenn du sogenannt „alt“ bist, recht betagt bist, ist es nicht zu spät, die Anstrengung zu machen, sich immer besser zu erkennen und immer besser zu meistern. Das ist die Wissenschaft vom Leben.

Um sich zu vervollkommnen, muss man sich erst seiner selbst bewusst werden. Zum Beispiel ist es dir in deinem Leben bestimmt schon öfters passiert, dass dich jemand plötzlich fragt: „Warum hast du das getan?“, und darauf antwortest du unwillkürlich: „Ich weiß es nicht.“ Fragt dich jemand: „Woran denkst du?“, antwortest du: „Ich weiß es nicht“. „Warum bist du müde?“ – „Ich weiß es nicht“. „Warum bist du glücklich?“ – „Ich weiß es nicht“, und so weiter fort. Ich könnte fünfzig Leute nehmen und sie unvermittelt, unvorbereitet fragen: „Warum hast du das getan?“ Und sind sie innerlich nicht „wach“, so antworten sie alle: „Ich weiß es nicht.“ (Natürlich spreche ich da nicht von jenen, die eine Disziplin ausgeübt haben, sich zu erkennen und ihre Regungen bis zum Äußersten zu verfolgen. Jene können sich natürlich besinnen, sich sammeln und richtig antworten, wenn auch erst nach einer Weile.) Du kannst sehen, dass es sich so verhält, wenn du dich den Tag über gut beobachtest. Du sagst etwas und weißt gar nicht, warum du es sagst – erst nachdem die Worte deinen Mund verlassen haben, merkst du, dass es nicht eigentlich das war, was du sagen wolltest. Du besuchst zum Beispiel jemanden und nimmst dir vor, etwas ganz Bestimmtes sagen zu wollen. Stehst du aber vor dem Betreffenden, so sagst du nichts, oder andere Worte entschlüpfen deinem Mund. Bist du imstande zu sagen, inwieweit die Atmosphäre des anderen dich beeinflusst und daran gehindert hat, das zu sagen, was du dir vorgenommen hast? Wie viele sind imstande, es zu sagen? Sie erkennen gar nicht, dass der andere sich in der und der Verfassung befand und sie ihm darum nicht sagen konnten, was sie gewollt hatten. Natürlich gibt es sehr offenkundige Fälle, wo du Menschen in so schlechter Laune antriffst, dass du sie um nichts bitten kannst. Davon spreche ich nicht. Ich spreche von der klaren Wahrnehmung der gegenseitigen Beeinflussungen, nämlich was auf deine Natur einwirkt und von ihr zurückwirkt. Diese Wahrnehmung fehlt für gewöhnlich. Auf einmal fühlt man sich beispielsweise unwohl oder man fühlt sich froh, aber wie viele können sagen: „Das ist es.“? Und das ist auch schwer zu wissen. Es ist durchaus nicht leicht. Man muss schon sehr wach sein, stets in einem sehr aufmerksamen Zustand der Beobachtung.

Manche Menschen schlafen zwölf Stunden am Tag, und während der übrigen Zeit sagen sie: „Ich bin wach.“! Und manche schlafen zwanzig Stunden am Tag, und den Rest der Zeit sind sie auch nur halb wach! Um in diesem Zustand aufmerksamer Beobachtung zu sein, musst du sozusagen überall Antennen haben, die mit deinem wahren Bewusstseinszentrum in dauernder Verbindung stehen. Auf diese Weise verzeichnest du alles und ordnest alles, du lässt dich nicht mehr überraschen oder täuschen, und du kannst nichts anderes sagen als das, was du willst. Wie viele aber leben so als in ihrem Normalzustand? Genau das meine ich, wenn ich davon spreche, „bewusst zu werden“. Willst du aus den Bedingungen und Umständen, in denen du dich befindest, den größten Nutzen ziehen, so musst du völlig wach sein. Du darfst dich nicht überraschen lassen, nicht Dinge tun, ohne zu wissen warum, nicht Dinge sagen, ohne zu wissen warum. Du musst dauernd wach sein.

Du musst auch begreifen, dass du nicht ein gesondert lebendes Einzelwesen bist, sondern dass das Leben ein ständiger Austausch von Kräften ist, von Bewusstsein, von Schwingungen, von Bewegungen aller Art. Das ist wie in einer Menschenmenge: Wenn jedermann drängt, gehen alle vorwärts, und wenn alle zurückweichen, geht jedermann zurück. Dasselbe geschieht in der inneren Welt, in deinem Bewusstsein. Ständig wirken und reagieren dort Kräfte und Einflüsse auf dich, und es ist wie ein Gas in der Atmosphäre, und bist du nicht ganz und gar wach, so treten diese Dinge in dich ein, und erst wenn sie richtig in dir drin sind und dann wieder herauskommen, so als kämen sie von dir selbst, nimmst du sie wahr. Wie oft treffen Menschen solche, die nervös, wütend und schlecht gelaunt sind, und sie werden ebenfalls nervös, wütend, schlecht gelaunt, einfach so, ohne zu wissen warum. Wie kommt es, dass du gegen bestimmte Personen sehr gut spielst, während du gegen andere nicht spielen kannst? Oder diese ganz ruhigen, gar nicht bösen Menschen, die in einer zornigen Menge auf einmal zornig werden! Und niemand weiß, wer angefangen hat: Etwas ist vorbeigekommen und durch das Bewusstsein gefegt. Es gibt Menschen, die derartige Störungen auslösen können, und die anderen antworten darauf, ohne zu wissen warum. Alles ist so, von den kleinsten Dingen bis zu den größten.

Um in der Gemeinschaft seinen individualisierten Status zu bewahren, muss man sich seiner selbst absolut bewusst sein. Was für eines Selbstes? – Das Selbst, das über aller Vermischtheit steht, das heißt das, was ich die Wahrheit deines Wesens nenne. Und solange du der Wahrheit deines Wesens nicht bewusst bist, wirst du von allem möglichen bewegt, ohne es im geringsten zu bemerken. Das kollektive Denken, die kollektive Suggestion ist ein ungeheurer Einfluss, der fortwährend auf das individuelle Denken einwirkt. Und das Außergewöhnliche dabei ist, dass man es nicht bemerkt. Man meint, man denke eben „so“, tatsächlich aber denkt die Gemeinschaft „so“. Die Masse ist immer dem Einzelnen unterlegen. Nimm Menschen von gleicher Qualität, der gleichen Kategorie, nun, wenn sie allein sind, dann stehen sie mindestens zwei Grade höher als ihresgleichen in der Menge. Es gibt da eine Vermischung von Dunkelheit, von Unbewusstheit, und man gleitet zwangsläufig in diese Unbewusstheit ab. Um dem zu entgehen, gibt es nur ein Mittel: sich seiner selbst bewusst zu werden – immer bewusster und immer aufmerksamer.

Versuche folgende kleine Übung: Zu Beginn des Tages sagst du dir: „Ich werde nicht sprechen, ohne zu denken, was ich sage.“ Du glaubst, du denkst all das, was du sagst, nicht wahr? Das ist keineswegs der Fall. Du wirst feststellen, wie oft das Wort, das du nicht äußern willst, dir entschlüpfen will, und dass du dich bewusst anstrengen musst, es daran zu hindern.

Ich kannte Menschen, die sehr gewissenhaft versuchten, nicht zu lügen, aber sobald sie sich in einer Gruppe befanden, erzählten sie unwillkürlich Lügen, anstatt die Wahrheit zu sagen. Sie hatten nicht die Absicht, es zu tun, dachten noch vor einer Minute nicht, dass sie es tun würden, es kam einfach „so“. Warum? – Weil sie sich unter Lügnern befanden. Da war eine Atmosphäre der Falschheit, und sie wurden ganz schlicht von deren Krankheit angesteckt!

Nach und nach, langsam, beharrlich, indem man am Anfang gut Sorge trägt und sehr aufmerksam ist, wird man auf diese Weise bewusst, lernt, sich zu erkennen und dann auch Meister seiner selbst zu werden.

Worte der Mutter

Wie kann man sich auf den Yoga vorbereiten?

Bewusst sein vor allem. Wir sind uns bloß eines geringen Teils unseres Wesens bewusst, im Übrigen sind wir unbewusst. Es ist diese Unbewusstheit, die uns an unsere niedere Natur gebunden hält und darin jede Veränderung und alle Umwandlung verhindert. Dieser Unbewusstheit bedienen sich die ungöttlichen Kräfte, um in uns einzudringen und uns zu versklaven. Du musst dir deiner selbst bewusst werden, deiner Natur und deiner Regungen. Du musst wissen, wie und warum du etwas tust, fühlst oder denkst. Du musst deine Beweggründe und Antriebe verstehen, die verborgenen und die in Erscheinung tretenden Kräfte, die dich handeln lassen. Du musst gewissermaßen den Mechanismus deines Wesens in kleine Teile zerlegen. Erst wenn du bewusst bist, kannst du beurteilen und auswählen, kannst du wahrnehmen, welche Kräfte dich herunterziehen und welche dich weiterbringen. Und wenn du zu wissen vermagst, was zu tun und zu lassen ist, wenn du das Wahre vom Falschen, das Göttliche vom Ungöttlichen unterscheiden kannst, dann musst du strikt nach diesem Wissen handeln, das heißt entschlossen das eine zurückweisen und das andere annehmen. Bei jedem Schritt bist du vor diese Dualität gestellt, und bei jedem Schritt hast du deine Wahl zu treffen. Du musst geduldig, ausdauernd und wachsam sein – „schlaflos“, wie die Adepten sagen; du musst es immer ablehnen, dem Ungöttlichen die geringste Gelegenheit gegen das Göttliche zu geben.

Worte Sri Aurobindos

Um etwas von sich zurückweisen zu können, muss man sich zuerst der Einflüsse der Natur bewusst werden, mit einer klaren inneren Erfahrung ihrer Wirkensweisen und entdecken, wo sie tatsächlich in der Natur liegen. Dann kann man daran arbeiten, sie auszusortieren, wenn es sich um einen gänzlich falschen Einfluss handelt, oder man kann ihn umwandeln, wenn er nur eine Entstellung einer höheren und wahreren Eigenschaft darstellt. Das oder etwas Ähnliches wird manchmal grob und unvollkommen mit einem rudimentären und ungenügenden Wissen im System der Psychoanalyse versucht. Der Prozess der Anhebung der niederen Beweggründe der Natur in das volle Licht des Bewusstseins ist unvermeidlich, um sie zu erkennen und mit ihnen umzugehen, denn ohne diesen Prozess kann es keine vollständige Änderung geben. Sie kann aber nur wirklich gelingen, wenn ein höheres Licht und eine höhere Kraft genügend daran arbeiten, um früher oder später die Kraft der Neigung zu Begierden zu überwinden, die diese Änderung aufhält.

Worte der Mutter

Um an deiner Perfektion zu arbeiten, ist der erste Schritt, dir deiner selbst bewusst zu werden und die verschiedenen Teile deines Wesens und ihre entsprechenden Aktivitäten zu erkennen. Du musst lernen, diese verschiedenen Teile voneinander zu unterscheiden, so dass du klar ihren Ursprung erkennen kannst, die Aktivitäten der vielen Impulse, Reaktionen und der unterschiedlichen Willensrichtungen, die miteinander im Wettstreit liegen und dich zum Handeln antreiben. Das ist ein arbeitsames Selbststudium, das viel Ausdauer und Aufrichtigkeit verlangt. Denn die Natur des Menschen, vor allem seine mentale Natur, hat eine spontane Neigung, für alles, was man denkt, fühlt, sagt und tut, eine günstige Erklärung zu finden. Nur wenn wir diese Neigungen in uns mit großer Sorgfalt beobachten und sie sozusagen vor das Tribunal unseres höchsten Ideals stellen, mit dem aufrichtigen Willen, uns dessen Urteil zu unterwerfen, können wir darauf hoffen, in uns ein Unterscheidungsvermögen zu entwickeln, das sich niemals irrt. Denn wenn wir uns wirklich weiterentwickeln wollen und die Kapazität erlangen wollen, die Wahrheit unseres Wesens zu erkennen, das heißt, das, wofür wir wirklich geschaffen sind, das, was wir unsere Mission auf dieser Erde nennen können, dann müssen wir auf sehr regelmäßige und dauerhafte Weise alles von uns zurückweisen oder aus uns herauswerfen, was mit der Wahrheit unserer Existenz nicht übereinstimmt und ihr entgegengesetzt ist. Auf diese Weise können nach und nach alle Teile und Elemente unseres Wesens zu einem homogenen Ganzen um unser seelisches Zentrum herum geordnet werden und unsere innerste wahre seelische Natur ausdrücken. Es dauert sehr lange, bis diese Arbeit der Einigung einen bestimmten Grad der Vollkommenheit erreicht. Deshalb müssen wir uns mit Geduld und Ausdauer ausrüsten, um sie zu vollenden, mit der Entschlossenheit, unser Leben zu verlängern, damit wir Erfolg mit unserer Bemühung haben.

Worte der Mutter

Man sollte niemals versäumen, sein Zimmer sauber zu machen, das ist sehr wichtig; innere Reinheit ist mindestens so wichtig wie äußere Reinheit.

Vivekananda hat irgendwo geschrieben (Ich kenne das Original nicht, sondern habe nur die französische Übersetzung gelesen): „Man soll jeden Morgen seinen Körper und seine Seele reinigen, aber wenn du für beides nicht die Zeit hast, ist es besser, die Seele zu reinigen als den Körper.“

Wie können wir wissen, ob die schmutzigen kleinen Dinge in uns sich versteckt haben oder ob sie wirklich verschwunden sind?

Man kann ein kleines Experiment versuchen. Ich habe gesagt, dass man eine Taschenlampe nehmen kann, ein starkes Licht und damit im eigenen Wesen eine Runde läuft, um sich selbst innerlich auszuleuchten. Wenn man sehr aufmerksam ist, kann man leicht die hässlichen Ecken in sich finden. Nehmen wir an, du hast diese schöne Erfahrung, als Antwort auf deine innere Sehnsucht erscheint ein starkes Licht in dir, das dich mit innerer Freude, Kraft und Erkenntnis überflutet, und du hast den Eindruck, dass du dich an dem Punkt befindest, an dem du umgewandelt wirst, und dann geht die Erfahrung vorbei – sie geht immer vorbei, nicht wahr, besonders am Anfang – plötzlich hört sie auf. Dann sagst du dir, wenn du nicht aufmerksam bist: „Da, sieh‘ mal, die schöne Erfahrung ist gekommen und wieder gegangen! Ich Ärmster; sie hat mir nur einen Geschmack von ihrem Wirken vermittelt und dann hat sie mich fallen lassen.“ Nun, es ist dumm, so zu denken. Du solltest dich besser fragen: „Schau‘, ich war nicht fähig, die Erfahrung zu halten, aber warum nicht?“ So, dann nimmst du eine Taschenlampe und gehst eine Runde damit in dir selbst und versuchst, die sehr enge Beziehung zu finden zwischen der Änderung in deinem neuen Bewusstsein, das die Erfahrung brachte und den Vorgängen in dir, die das Aufhören der Erfahrung begleitet haben. Und wenn du sehr sehr aufmerksam bist und die Runde in deinem Inneren ganz gewissenhaft machst, wirst du feststellen, dass plötzlich ein Teil deines vitalen Gefühls oder deines Denkens oder deines Körpers nicht mitgemacht hat und die Erfahrung nicht aufrechterhalten hat. Anstatt mental in Gedanken regungslos, still und aufmerksam zu bleiben, hat etwas in dir angefangen zu fragen: „Warte mal einen Moment, was ist das hier für eine Erfahrung? Was bedeutet sie?“ Dieser Teil in dir begann damit, eine Erklärung zu finden, wollte das haben, was er eine „Erkenntnis“ nennt. Oder vielleicht hat in deinem vitalen Gefühl etwas angefangen, diese Erfahrung zu genießen: „Oh, wie angenehm diese Erfahrung ist! Wie sehr ich wünsche, dass sie wächst, wie gut, wenn sie konstant bliebe, wie…“ Oder etwas im körperlichen Bereich sagte sich: „Oh, es ist etwas anstrengend, die Erfahrung auszuhalten, wie lange werde ich fähig sein, sie zu bewahren?“ Was du in dir finden wirst, ist vielleicht nicht ganz so offensichtlich wie all das, was ich beschreibe, aber ein klein wenig so, verborgen, steckt es irgendwo in dir. Du wirst immer eine von diesen drei Ursachen oder andere, vergleichbare in dir finden. Hier braucht man eine Laterne: wo ist der schwache Punkt in einem selbst? Wo ist der Egoismus? Wo steckt das Verlangen? Wo befindet sich der alte Schmutz, den wir nicht länger wollen? Wo ist das Ding, das sich zurückhält, anstatt sich selbst dem Licht des Bewusstseins zu übergeben, sich ihm zu öffnen, sich zu befreien? Was ist es in mir, das sich abwendet und versucht, einen Vorteil aus der Erfahrung zu ziehen, und sich die Frucht der Erfahrung aneignen möchte? Oder besser, was ist es, das zu schwach oder zu hart ist, zu rigide, um der Entwicklung der Erfahrung zu folgen? Das fragst du dich und von da an bist du auf dem richtigen Weg, du fängst an, das Licht, das du gerade empfangen hast, genau darauf zu richten. Das musst du tun, das Licht so darauf fokussieren, dass der Widerstand sich auflöst.

Es wird dir nicht am ersten Tag gelingen, aber mache es einfach andauernd und nach und nach, oder vielleicht eines Tages ganz plötzlich, wird die Sache verschwinden. Dann wirst du nach einer Weile merken, dass du ein anderer Mensch geworden bist.

Worte Sri Aurobindos

Die Mutter hat nicht von Selbstanalyse gesprochen, das sind mentale Methoden, es sind keine spirituellen Methoden. Was die Mutter meinte, war nicht die Analyse, sondern die Schau von sich selbst und all der lebendigen Aktivitäten seiner eigenen Natur, eine lebhafte Beobachtung der Persönlichkeiten und Kräfte, die auf der Bühne unseres Wesens auftreten, ihrer Motive, ihrer Impulse, ihres Potenzials, eine Beobachtung, die genauso interessant ist wie das Zuschauen bei einem Drama oder das Lesen einer Novelle, es ist eine lebendige Vision und Wahrnehmung, wie die Dinge in uns getan werden, was uns auch eine aktive Meisterschaft über dieses innere Universum verleiht. Diese Dinge werden nur dann zu trocken, wenn man sie mit dem analytischen oder rationalen Verstand untersucht, nicht, wenn man ihnen zuschaut und sie intuitiv als einen Ausdruck des Lebens behandelt. Wenn du diese Beobachtungen nicht vom intellektuellen oder ethischen, sondern vom inneren spirituellen Standpunkt aus machen würdest, wäre es verhältnismäßig leicht für dich, aus deinen Schwierigkeiten heraus zu kommen, zum Beispiel, würdest du sofort herausfinden, woher dieser irrationale Impuls, zu fliehen, herkam, und er hätte keine Macht über dich. Natürlich kann das alles mit der besten Wirkung erreicht werden, wenn du vom Spiel deiner Natur zurücktrittst, es aus einer gewissen Distanz mit Abstand betrachtest und zum Leitenden Beobachter oder zum Zuschauer-Spieler-Manager deiner Natur wirst. Das geschieht, wenn du diese Position des Sich-Selbst-Betrachtens einnimmst.

Worte der Mutter

Sich der verschiedenen Beweggründe in sich selbst bewusst zu werden und zu wissen, was man macht und warum, ist der unverzichtbare Ausgangspunkt. Ein Kind sollte gelehrt werden, seine Reaktionen und Impulse zu bemerken und deren Ursachen zu erkennen und zu einem guten Beobachter seiner selbst zu werden. Es sollte lernen, seine Wünsche, seine Reaktionen von Wut und Leidenschaft, seine Besitzinstinkte und seine Instinkte der Aneignung und des Beherrschen-Wollens wahrzunehmen und zu unterscheiden, sowie deren gegenteilige Entsprechungen von Schwäche, Entmutigung, Depression und Verzweiflung und auch deren Hintergrund der Selbstgefälligkeit, der all das unterstützt.

Worte Sri Aurobindos

Der normale Mensch ist sich vieler Dinge nicht bewusst, die in ihm ablaufen, denn seine vitale Natur versteckt sie vor seinem Denken und befriedigt sie, ohne dass der Verstand realisiert, welche Kraft ihn zum Handeln bewegt – so werden Dinge, die unter dem Vorwand von Nächstenliebe, Menschlichkeit, Gottesdienst usw. getan werden, größtenteils durch das Ego motiviert, das sie als Rechtfertigung für sich benutzt und sich hinter ihnen versteckt. Im Yoga muss dieses verdeckte Motiv aus seinem Versteck geholt, entlarvt und abgeschafft werden. Zweitens, manche Dinge werden im normalen Leben unterdrückt und verbleiben in der Natur, verdrängt, aber nicht überwunden. Sie können jeden Tag wieder auftauchen oder können sich in verschiedenen nervösen oder anderen Störungen des Verstandes, des Gefühls oder des Körpers ausdrücken, ohne dass es offensichtlich wird, was deren wirkliche Ursache ist. Das wurde kürzlich durch europäische Psychologen entdeckt und stark betont und es wurde in einer neuen Wissenschaft, der Psychoanalyse, auch überbewertet. Auch hier muss man in der Sadhana diese unterdrückten Impulse bewusst machen und sie überwinden.

Worte der Mutter

Was auch immer man sich bewusst machen möchte, zuerst muss man es wollen. Und wenn ich sage: „Es wollen“, meine ich damit nicht, dass du an einem Tag sagst: „Oh, ich möchte es sehr!“, und es zwei Tage später völlig vergessen hast.

Um es zu wollen, braucht man eine dauernde, unterstützende, konzentrierte Bemühung, eine beinahe ausschließliche Beschäftigung des Bewusstseins damit. Das ist der erste Schritt. Es gibt noch viele andere: eine sehr aufmerksame Beobachtung seiner selbst, eine sehr durchdringende Analyse, eine sehr wache Unterscheidung von dem, was in diesem Bemühen rein ist und was nicht.

Worte Sri Aurobindos

Wenn man im wahren Bewusstsein lebt, fühlt man das Verlangen als etwas, das außerhalb von einem selbst existiert und von der universalen niederen Prakriti von außen in das Denken oder das vitale Gefühl hereinkommt. Im normalen menschlichen Gemütszustand wird das nicht so empfunden, die Menschen nehmen das Verlangen erst dann wahr, wenn es schon da ist, nachdem es in sie hineingekommen und einen Unterschlupf oder eine gewohnheitsmäßige Anhaftung vorgefunden hat, und deshalb denken sie, dass es ihr eigenes ist und Teil von ihnen selbst. Darum ist die erste Bedingung dafür, ein Verlangen loszuwerden, mit dem wahren Bewusstsein wahrzunehmen, dass es außerhalb von einem selbst in der universalen niederen Natur existiert, denn dann wird es viel leichter, es wegzuschicken, als wenn man so mit ihm kämpft, als wäre es ein Bestandteil von einem selbst, der aus dem Wesen herausgeworfen werden muss. Es ist leichter, es als einen Eindringling von außen hinauszuwerfen, als es als etwas herauszuschneiden, was man als Teil seiner Substanz empfindet.

Worte der Mutter

Was kann man tun, um sich für den Yoga vorzubereiten? (Gespräche der Mutter, 7. April 1929)

Ich habe der Person, die mir diese Frage gestellt hat, geantwortet: „Werde vor allem zuerst bewusst.“ Die Person versuchte also bewusst zu werden und sagte mir ein paar Monate später: „Oh, was hast du mir für ein hässliches Geschenk gemacht! Früher schienen die Menschen in meinen Beziehungen alle so nett zu sein. Ich empfand Wohlwollen, sie waren so nett zu mir und nun, seit ich bewusst werde, sehe ich alle möglichen Dinge in mir, die nicht sehr schön sind, und gleichzeitig sehe ich auch in anderen Dinge, die überhaupt nicht gut sind!“ Ich antwortete ihr: „Sehr gut möglich! Wenn du keine Unannehmlichkeiten haben willst, ist es besser, nicht aus deiner Unwissenheit herauszukommen.“

Deshalb ist der erste Schritt herauszufinden, ob man die Wahrheit sehen und erkennen will oder bequem in seiner Unwissenheit verharren will.

Worte der Mutter

Das erinnert mich an eine Dame, die, nachdem sie allmählich bewusst wurde, zu mir sagte: „Bevor ich dir zugehört habe, hatte ich Vertrauen in die Menschen, jeder war nett und ich war glücklich. Jetzt, da ich klar sehe und bewusst geworden bin, habe ich meine ganze Gelassenheit verloren. Es ist schrecklich, bewusst zu werden.“

Was kann man da machen? Noch bewusster werden.

Worte der Mutter

Liebe Mutter, wann kann man wissen, dass man bewusst ist?

Das ist immer relativ. Man ist niemals völlig unbewusst und niemals vollständig bewusst. Es ist ein fortschreitender Zustand.

Es kommt aber eine Zeit, wenn man beobachten kann, was in einem selbst vor sich geht, und man seine Beweggründe studieren und deren Ursachen herausfinden kann, anstatt die Dinge automatisch zu tun, angetrieben von einem Bewusstsein und einer Kraft, die man nicht bemerkt. Gleichzeitig kann man damit beginnen, Kontrolle über das auszuüben, was in uns selbst geschieht, und auch über die Einflüsse, die von außen auf uns einströmen und unser Handeln bestimmen. Das geschieht am Anfang fast völlig unbewusst und beinahe unfreiwillig, aber stufenweise immer bewusster, bis unser Wille erwacht und leitend eingreift. Dann, in diesem Moment, in dem der bewusste Wille fähig ist, das Bewusstsein zu führen, könnte man sagen: „Ich bin bewusst geworden“. Das bedeutet nicht, dass man schon eine umfassend perfekte Bewusstheit entwickelt hat, sondern, dass man einen Anfang gemacht hat: zum Beispiel, dass man fähig ist, all seine Reaktionen zu beobachten und dass man eine gewisse Kontrolle über sie hat, und denjenigen, denen man zustimmt, freies Spiel des Ausdrucks zu erlauben, und diejenigen zu prüfen, zu stoppen, und abzuschaffen, denen man nicht zustimmt.

Außerdem musst du in dir selbst so etwas wie ein inneres Ziel, einen inneren Sinn oder ein Ideal empfinden, dem du folgst, und das du verwirklichen möchtest; etwas mehr als den bloßen Instinkt, der dich dazu zwingt zu leben, ohne zu wissen, wie oder warum. Zu diesem Zeitpunkt, an dem das eintritt, kannst du sagen, dass du bewusst bist, aber nicht vollkommen bewusst. Und mehr noch, diese Vollkommenheit des Bewusstseins schreitet immer weiter voran und ich glaube, deshalb kann niemand von sich sagen, dass er vollständig bewusst ist; man ist auf dem Weg dazu, vollkommen bewusst zu werden, aber man ist es noch nicht.