Kapitel 11
Der Yoga der Schau der All-Gestalt
1. Arjuna sprach:
Aus Mitleid hast Du dies Wort vom tiefsten spirituellen Geheimnis des Seins zu mir gesprochen. Dadurch ist meine Verblendung aufgehoben.
2. Über Entstehen und Vergehen der Daseinsformen habe ich nun ausführlich von Dir, O Lotosäugiger, gehört, und ebenso über die unvergängliche Größe der göttlichen Seele.
3. So ist es, wie Du Dich selbst dargestellt hast, O Höchster Herr. Ich begehre nun, Deine göttliche Gestalt und Deinen göttlichen Körper zu erblicken, O Purushottama.
4. Wenn Du meinst, dass es von mir erkannt werden kann, O Herr, O Meister des Yoga, dann zeige mir Dein unvergängliches Selbst.
5. Der Erhabene sprach:
Erblicke, O Partha, Meine hundert und tausend göttlichen Gestalten, verschieden nach Art, Form und Farbe.
6. Schaue die Adityas, die Vasus, die Rudras, die beiden Aswins und auch die Maruts. Betrachte die vielen wunderbaren Erscheinungen, die noch niemand gesehen hat, O Bharata (Arjuna).
7. Hier und heute soll dein Blick die ganze Welt umfassen mit allem Beweglichen und Unbeweglichen, O Gudakesha, das in Meinem Körper vereint ist, und was du sonst noch zu schauen begehrst.
8. Was du sehen sollst, das kann dein menschliches Auge nicht fassen. Es gibt aber ein göttliches Auge (ein innerstes Schauen), und dieses Auge verleihe Ich dir jetzt. Erblicke Mich in Meinem göttlichen Yoga.
9. Sanjaya sprach:
Als Hari, der Meister des großen Yoga, so gesprochen hatte, O König, da zeigte er dem Partha seine erhabene Gestalt.
10.-11. Es ist die Gestalt der unendlichen Gottheit, deren Angesichter uns überall anblicken. Alle Wunder des Seins existieren in ihr. Unendlich vervielfältigt sie all die wunderbaren Offenbarungen des Seins, ein weltweites Gottwesen, das mit unzählbaren Augen sieht, aus unzähligen Mündern spricht, zum Kampf gewappnet ist mit zahllosen erhobenen göttlichen Waffen, herrlich erstrahlt im heiligen Schmuck der Schönheit, gekleidet ist in himmlischen Gewändern der Göttlichkeit, lieblich anzuschauen ist in den Girlanden aus göttlichen Blüten, duftend von überirdischen Wohlgerüchen.
12. So hell strahlt das Licht dieses göttlichen Körpers, als ob tausend Sonnen zugleich am Himmel aufgegangen wären.
13. Die ganze Welt, in ihre Vielfalt zerteilt und doch eine Einheit, wird sichtbar im Körper des Gottes der Götter. Arjuna erblickte ihn (den Gott, großartig, schön und schrecklich, den Herrn der Seelen, der in der Herrlichkeit und Erhabenheit seines Geistes diese wilde und schauerliche, diese geordnete und wundervolle, diese liebliche und schreckliche Welt hat sichtbar werden lassen).
14. Und überwältigt von Erstaunen, von Freude und von Furcht, beugt er sich tief zu Boden und huldigt dieser erschütternden Erscheinung mit ehrfurchtsvollen Worten und mit gefalteten Händen.
15. Arjuna sprach:
In Deinem Körper schaue ich all die Götter, O Gott, und die verschiedenen Scharen von Wesen: Brahman, den Schöpfergott, im Lotos sitzend, und die Rishis und das Volk der göttlichen Schlangen.
16. Ich erblicke Arme und Körper, Augen und Münder, ich sehe Deine unendlichen Formen zu allen Seiten. Aber ich sehe weder Dein Ende noch Deine Mitte noch Deinen Anfang, O Herr des Weltalls, O allumfassende Gestalt.
17. Ich sehe Dich mit Deiner Krone, mit Deinem Streitkolben und Deinem Diskus, kaum zu erkennen, denn Du bist eine leuchtende Masse von Energie zu allen Seiten von mir, eine Flammenglut, die mich einschließt, ein sonnenhelles, feuerglühendes Unermessliches.
18. Du bist der erhabene Unwandelbare, den wir erkennen müssen. Du bist das hohe Fundament und der hohe Wohnsitz des Universums. Du bist der unvergängliche Hüter der ewigen Gesetze. Du bist die immerwährende Seele des Seins.
19. Ich erblicke Dich als den ohne Anfang, Mitte und Ende von unendlicher Stärke, mit zahllosen Armen, Deine Augen sind Sonnen und Monde, Du hast ein Gesicht von flammendem Feuer und entzündest das ganze Weltall mit der Flamme Deiner Energie.
20. Aller Raum zwischen Erde und Himmel wird von Dir allein ausgefüllt. Wenn diese Deine wilde und verblüffende Gestalt gesehen wird, winden sich alle drei Welten in Pein und Leiden, O Du mächtiger Geist.
21. Die Scharen der Götter dringen in Dich ein, voll Angst und Anbetung. Die Rishis und die Siddhas, laut rufend „Lass Frieden walten und Glück“, preisen Dich mit vielen Hymnen.
22. Die Rudras, Adityas, Vasus, Sadhyas, Vishvas, die beiden Aswins und die Maruts, die Ushmapas, die Gandharvas, die Yakshas und Asuras, die Siddhas, alle haben in erschrockenem Staunen ihre Augen auf Dich gerichtet.
23. Erschüttert und in Angst versetzt ist die Welt mit ihren Nationen, und auch ich bin es angesichts Deiner großen Gestalt mit den vielen Mündern und Augen, O Starkarmiger, den vielen Armen, Schenkeln, Füßen und Bäuchen, schrecklich anzusehen die vielen Zähne.
24. Ich erblicke Dich, O Vishnu, wie Du bis an den Himmel heranreichst, in vielen Farben erstrahlend, mit geöffneten Mündern und feurigen Augen. Beunruhigt und gequält ist die Seele in meinem Inneren, und ich finde keinen Frieden und keine Freude mehr.
25. Da ich auf Deine Münder schaue, schrecklich anzusehen mit ihren vielen Fangzähnen zum Zerstören, auf Deine Gesichter, die den Vernichtungsfeuern von Tod und Zeit gleichen, verliere ich jeden Richtungssinn und finde keinen Frieden mehr. Wende Dein Herz der Gnade zu, O Gott der Götter, Zuflucht aller Welten!
26.-27. Die Söhne des Dhritarashtra, sie alle mit der Vielzahl der Könige und Helden, Bhishma, Drona und Karna zusammen mit den hervorragendsten Kriegern auch auf unserer Seite, sie alle stürzen sich in Deine Hauer und schrecklichen Rachen. Manche sieht man mit zermalmten blutigen Schädeln gefangen zwischen Deinen Zähnen der Macht.
28. Wie die Strömung vieler Fluten dem Ozean zueilt, so werden alle diese Helden der Menschenwelt in Deine vielen Flammenmünder hineingerissen.
29. Wie ein Schwarm von Motten in immer wachsender Hast zu ihrem Verderben hineinfliegt in ein Feuer, das jemand entzündete, so stürzen sich jetzt die Nationen mit wachsender Eile in Deinen Rachen des Verderbens.
30. Die Regionen ringsum leckst Du mit Deinen Zungen und verschlingst alle Völker in Deinem Feuerrachen. Die ganze Welt ist erfüllt von der Glut Deiner Energien. Grell und fürchterlich ist Dein Feuermeer, und es verbrennt uns alle, O Vishnu.
31. Erkläre mir, wer Du bist, der Du diese Gestalt des Schreckens trägst. Sei gegrüßt, O Du gewaltige Gottheit! Wende Dein Herz der Gnade zu! Wissen möchte ich, wer Du bist, der Du von Anfang warst. Denn ich kann die Absicht Deines Wirkens nicht verstehen.
32. Der Erhabene sprach:
Ich bin der Zeit-Geist, der Vernichter der Welt, der sich aufgemacht hat in Riesengestalt zur Vernichtung der Völker. Auch ohne dein Zutun werden alle diese Krieger, die sich in den Heeren gegenüberstehen, nicht mehr sein.
33. Darum erhebe dich! Erwirb dir deinen Ruhm! Besiege deine Feinde! Erfreue dich einer reichen Herrschaft! Durch Mich und niemand sonst sind auch sie bereits erschlagen. Auf dir liegt nur der Vollzug, O Savyasachin.
34. Töte sie, die schon von Mir getötet sind: Drona, Bhishma, Jayadratha, Karna und die anderen heldenhaften Krieger! Lass keinen Schmerz und keine Verwirrung mehr über dich kommen! Kämpfe, du wirst den Feind in der Schlacht besiegen!
35. Sanjaya sprach:
Als Kiriti (Arjuna) mit gefalteten Händen und zitternd diese Worte Keshavas gehört hatte, huldigte er ihm nochmals und sprach zu Krishna mit versagender Stimme, zutiefst erschrocken und niedergebeugt.
36. Arjuna sprach:
Recht und billig ist es, O Krishna, dass die Welt über Deinen Namen jubelt und frohlockt. In Schrecken fliehen vor Dir die Rakshasas nach allen Richtungen, und die Scharen der Siddhas verbeugen sich vor Dir in Anbetung.
37. Wie sollten sie Dir auch keine Huldigung erweisen, O mächtiger Geist! Denn Du bist der ursprüngliche Schöpfer und Wirkende und größer selbst als der schöpferische Brahman. O Du Unendlicher, O Du Herr der Götter, O Du Wohnsitz des Weltalls! Du bist der Unwandelbare. Du bist das, was ist und was nicht ist, und Du bist, was das Erhabene ist.
38. Du bist die uralte Seele und die erste und ursprüngliche Gottheit, die erhabene Ruhestätte dieses Alls. Du bist der Wissende und alles, was erkannt werden soll. Du bist der höchste Zustand des Seins. O Du Unendlicher in endlicher Gestalt, durch Dich ist dieses Weltall ausgebreitet worden.
39.-40. Du bist Yama und Vayu und Agni und Soma und Varuna und Prajapati, Vater der Geschöpfe und ihr Urahne. Sei tausendmal gegrüßt und wieder und immer wieder gegrüßt von vorn, von hinten und von allen Seiten, denn Du bist alles und jedes, das ist. Unendlich an Macht, unermesslich an Kraft zum Handeln, durchwaltest Du alles und bist alles.
41.-42. Habe ich je vor Dir ein kühnes und vorschnelles Wort gesprochen, da ich Dich nur als meinen menschlichen Freund und Gefährten ansah, wenn ich sagte: „O Krishna, O Yadava, O Kamerad“; da ich nichts wusste von Deiner Erhabenheit, in unbedachten Irrtum oder in Liebe redete; habe ich Dir je Respektlosigkeit gezeigt in Scherz und Spiel, wenn wir auf den Polstern, dem Ratssitz oder beim Bankett beieinander saßen; wenn ich allein war oder in Deiner Gegenwart, Du Fehlloser –, so erbitte ich Vergebung von Dir, dem Unermesslichen.
43. Du bist der Vater dieser ganzen Welt der sich bewegenden und der unbeweglichen Dinge. Du bist der einzige, dem Anbetung gebührt, das erhabenste Ziel der Verehrung. Niemand ist Dir gleich. Wie könnte denn ein anderer in den drei Welten größer sein als Du, in Deiner Allmacht Unvergleichlicher!
44. Darum verneige ich mich tief vor Dir. Ich werfe meinen Körper vor Dir zu Boden und verlange Gnade von Dir, dem anbetungswürdigen Herrn. Wie ein Vater mit seinem Sohn, wie ein Freund mit seinem Freund und Kameraden, wie einer, der liebevoll ist zu dem, den er liebt, so sollst Du, O Gottheit, mit mir verfahren.
45. Ich habe gesehen, was niemals zuvor gesehen ward, und bin voller Freude, wenn auch mein Verstand von Furcht verwirrt ist. O Gottheit, zeige mir nun Deine andere Gestalt, wende Dein Herz der Gnade zu, Du Herr der Götter, O Du Wohnung des Weltalls!
46. Sehen möchte ich Dich wieder so wie zuvor, den Gekrönten mit Streitkolben und Diskus. Nimm Deine vierarmige Gestalt wieder an, O Du Tausendarmiger, O universale Gestalt.
47. Der Erhabene sprach:
Was du jetzt durch Meine Gunst erschaust, O Arjuna, ist Meine erhabene Gestalt, Meine Gestalt von leuchtender Kraft, die allumfassende, unendliche, ursprüngliche, die niemand unter den Menschen außer dir bis jetzt erblickt hat. Ich habe sie dir durch Meinen Selbst-Yoga gezeigt.
48. Nicht durch das Studium der Veden, nicht durch Opfer und auch nicht durch Gaben, nicht durch zeremonielle Riten, nicht durch strenge Kasteiungen kann diese Meine Gestalt von jemand anderem als dir geschaut werden, du Vornehmster der Kurus.
49. Ohne Schmerz solltest du diesen Meinen schrecklichen Anblick ertragen, ohne Verwirrung deines Mentals, ohne dass dir die Glieder versagen. Wirf die Furcht von dir und lass dein Herz frohlocken! Erblicke wieder Meine andere Gestalt!
50. Sanjaya sprach:
Als Vasudeva so zu Arjuna gesprochen hatte, offenbarte er ihm wieder seine normale (Narayana) Erscheinung. Der Mahatman nahm wieder die ersehnte Gestalt der Gnade, Liebe und Holdseligkeit an und tröstete so den Erschrockenen.
51. Arjuna sprach:
Da ich nun wieder Deine freundlich-menschliche Gestalt erblicke, O Janardana, wird mein Herz von Wonne erfüllt, und ich genese wieder zu meiner eigenen Natur.
52.-54. Der Erhabene sprach:
Die mächtigere Gestalt, die du hast schauen dürfen, ist nur für die wenigen, höchst-entwickelten Seelen. Die Götter selber verlangen immer danach, sie zu betrachten. So wie du Mich erblickt hast, kann ich nicht erkannt werden durch das Studium des Veda, noch durch strenge Kasteiungen, noch durch Gaben oder durch Opfer. Es kann nur erreicht werden durch jenes Bhakti, das allein Mich in allen Dingen betrachtet, anbetet und liebt.
55. Sei Vollstrecker Meiner Werke! Nimm Mich an als das erhabene Wesen und Ziel! Werde Mein Bhakta! Sei frei von Bindung und ohne Feindschaft zu allen Wesen! Denn solch ein Mensch gelangt zu Mir, O Pandava.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das elfte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der Schau der All-Gestalt“.

Kapitel 12
Der Yoga der Hingabe (Bhakti Yoga)
1. Arjuna sprach:
Wer hat das höhere Wissen vom Yoga: Jene Dir in Liebe Ergebenen, die so durch ein immerwährendes Einssein nach Dir suchen, oder jene, die nach dem ungeoffenbarten Unwandelbaren trachten?
2. Der Erhabene sprach:
Jene, die ihr Mental fest in Mir gegründet haben und, von höchstem Glauben erfüllt, durch immerwährendes Einssein zu Mir zu gelangen suchen, die halte Ich für die Vollkommensten in der Einung des Yoga.
3.-4. Aber auch jene, die nach dem unerklärbaren und ungeoffenbarten Unwandelbaren trachten, das allgegenwärtig, unvorstellbar, in sich ausgeglichen, unbeweglich und beständig ist, auch sie gelangen zu Mir, wenn sie all ihre Sinne bezähmen, ihr Verstehen gelassen ist, wenn sie das eine Selbst in allen Dingen erkennen und von ruhiger Freundlichkeit stillen Wohlwollens für alle Wesen sind.
5. Doch ist der Weg derer, die sich dem Suchen nach dem ungeoffenbarten Brahman weihen, viel schwerer. Verkörperte Seelen können hier nur durch ständige Abtötung ihres Körpers zum Ziel gelangen, durch Leiden all ihrer unterdrückten Wesensteile, durch harte Disziplin und Qual ihrer Natur.
6.-7. Jene jedoch, die ihr gesamtes Wirken an Mich überantworten, die, Mir völlig hingegeben, Mich verehren, indem sie über Mich in einem unerschütterlichen Yoga meditieren, die ihr ganzes Bewusstsein auf Mich richten, diese, O Partha, befreie Ich schnell aus dem Meer des an den Tod gebundenen Daseins.
8. Lass all dein Denken in Mir ruhen und gründe dein ganzes Verstehen in Mir. Zweifle nicht daran, dass du in Mir, oberhalb dieses sterblichen Daseins wohnen wirst.
9. Und wenn du nicht fähig bist, das Bewusstsein ständig auf Mich zu richten, O Dhananjaya, dann trachte nach Mir durch den Yoga praktischer Disziplin.
10. Und wenn du auch dies nicht kannst, Mich durch Praxis zu suchen, dann sei es dein höchstes Ziel, Mein Werk zu tun. Wenn du all deine Handlungen um Meinetwillen tust, wirst du Vollkommenheit erlangen.
11. Aber wenn selbst dies ständige Gedenken an Mich und die Erhebung deines gesamten Wirkens empor zu Mir du als jenseits deiner Kraft empfindest, dann verzichte mit beherrschtem Selbst auf alle Früchte deines Handelns.
12. Wissen ist wahrlich besser als Praxis, Meditation ist besser als Wissen, Verzicht auf die Früchte des Handelns ist besser als Meditation. Auf Verzicht folgt Friede.
13.-14. Wer frei ist von Egoismus, von „ich“ und „mein“, wer Freundschaft und Mitleid mit allen Wesen hat und keinem lebendigen Geschöpf mit Hass begegnet, wer von ruhigem Gleichmut erfüllt ist gegenüber Freude und Leid, wer geduldig ist und vergibt, wer wunschlos zufrieden ist und sich ständig selbst beherrscht, wer den festen, unerschütterlichen Willen und die Entschlossenheit des Yogin hat und solche Liebe und Verehrung, dass er sein ganzes Gemüt und seine Vernunft an Mich hingibt, der ist Mir lieb.
15. Wer die Welt nicht quält und plagt und sich auch nicht quälen und plagen lässt vonseiten der Welt, wer befreit ist von der geplagten, aufgeregten niederen Natur, von ihren Wellen der Freude und Furcht, der Angst und des Unwillens, der ist Mir lieb.
16. Wer nichts mehr begehrt, rein ist, sachkundig in allem Handeln, neutral gegenüber allem, was kommt, nicht geplagt oder beunruhigt wird durch das, was eintritt oder geschieht, wer allen Antrieb zum Handeln aufgegeben hat, der Mich Verehrende –, der ist Mir lieb.
17. Wer weder das Erfreuliche begehrt, noch jubelt, wenn es ihm zufällt, wer vor dem Unerfreulichen nicht zurückschreckt und nicht Leid empfindet, wenn es ihn befällt, wer keinen Unterschied mehr macht zwischen glücklichen und unglücklichen Ereignissen (weil er in seiner Gott-Ergebenheit alle Dinge gleichmütig als gut entgegennimmt aus den Händen seines ewigen Geliebten und Meisters) –, der ist Mir lieb.
18.-19. Gleichmütig gegenüber Freund und Feind, gleichmütig gegenüber Ehrung und Beschimpfung, Freude und Schmerz, Lob und Tadel, Kummer und Glück, Hitze und Kälte (all den Beunruhigungen mit gegensätzlichen Einflüssen der angeborenen Natur), schweigsam, zufrieden und genügsam mit allem und jeglichem, an keine Person oder Sache gebunden, an keinen Ort und kein Heim gebunden, gefestigt im Mental (weil es ständig im höchsten Selbst ruht und für immer auf das göttliche Ziel seiner Liebe und Verehrung gerichtet ist) –, ein solcher Mensch ist Mir lieb.
20. Aber über alle Maßen lieb und teuer sind Mir jene Verehrer, die Mich zu ihrem einzigen und höchsten Ziel machen und aus vollkommenem Glauben und mit Sorgfalt dem zur Unsterblichkeit führenden Dharma folgen, das in dieser Lehre dargestellt wird.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das zwölfte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der Hingabe“.

Kapitel 13
Der Yoga der Unterscheidung von Feld und Kenner des Feldes
1. Arjuna sprach:
Über Prakriti und Purusha, über das Feld und den Kenner des Feldes, über das Wissen und den Gegenstand des Wissens möchte ich gern noch mehr erfahren, O Keshava.
2. Der Erhabene sprach:
Dieser Körper, O Sohn der Kunti, wird das Feld genannt. Jener, der Kenntnis nimmt von dem Feld, wird von den Weisen der Kenner des Feldes genannt.
3. Begreife Mich, O Bharata, als den Kenner des Feldes auf allen Feldern. Wirkliche Erleuchtung und einzige Weisheit ist nur dort, wo Wissen gleichzeitig das Feld und dessen Kenner umfasst.
4. Erfahre nun also von Mir in Kürze, was das Feld ist, sein Charakter, seine Natur, sein Ursprung und seine Entstellungen und was Er ist und welche Mächte Er hat.
5. Von den Rishis ist hiervon in vielfältiger Weise in verschiedenen inspirierten Versen gesungen worden. Und ebenso handeln hierüber die Brahmasutras, die uns die rationale und philosophische Analyse geben.
6.-7. (Das Feld, Kshetra, wird von folgenden Teilen gebildet:) die noch unterschiedslose, unmanifestierte Energie, die fünf elementaren Zustandsformen der Materie, die zehn Sinne und der eine (das Mental), die Intelligenz und das Ego sowie die fünf Objekte der Sinne. Zuneigung und Abneigung, Lust und Schmerz (dies sind die hauptsächlichen Entstellungen des Kshetra), Bewusstsein, Anordnung und Ausdauer bilden, in Kürze beschrieben, das Feld und seine Entstellungen.
8. Als wahres Wissen im Gegensatz zur Unwissenheit gilt: Völlige Abwesenheit von weltlicher Eitelkeit und Anmaßung; niemandem Schaden zufügen; eine aufrichtige Seele; ein duldsames, leidgeprüftes und gütiges Herz; Reinheit von Mental und Körper; ruhige Charakterstärke und Unerschütterlichkeit; Selbstbeherrschung und meisterhafte Beherrschung der niederen Natur; herzliche Ehrerbietung dem Lehrer gegenüber.
9.-10. Eine entschlossene Beseitigung des Hingezogenwerdens des natürlichen Wesens zu den Gegenständen der Sinne; grundlegende Freiheit vom Egoismus; das Aufgeben der Gebundenheit an Familie und Heim und des Aufgehens darin; eine klare Erkenntnis der fehlerhaften Natur des gewöhnlichen physischen Menschenlebens, das ziellos und leidvoll Geburt und Tod, Krankheit und Alter unterworfen ist; beständiger Gleichmut der Seele allen erfreulichen und unerfreulichen Ereignissen gegenüber.
11.-12. Ein meditatives Mental, der Einsamkeit zugewandt und abgewandt dem eitlen Lärm der Massen und Menschenansammlungen; philosophische Erkenntnis des wahren Sinns und der umfassenden Prinzipien des Seins; ruhige Stetigkeit der inneren spirituellen Erkenntnis und des inneren Lichts; der Yoga unentwegter Hingabe; die Liebe zu Gott; des Herzens tiefe und ständige Anbetung der allumfassenden und ewigen Gegenwart. Alles Gegenteilige ist Unwissenheit.
13. Ich werde dir den einzigen Gegenstand zeigen, auf den das Bewusstsein spirituellen Wissens eingestellt sein muss. Fest darauf konzentriert, wird die Seele, die hier verdüstert ist, wieder heil und kommt zur seligen Freude an ihrer wahren Natur und an ihrem ursprünglichen Bewusstsein der Unsterblichkeit. Es ist der ewige erhabene Brahman, der weder Sat (Sein) noch Asat (Nichtsein) genannt wird.
14. Seine Hände und Füße umgeben uns von allen Seiten. Seine Häupter, Augen und Angesichter sind jene unzählbaren Antlitze, die wir schauen, wohin wir uns auch wenden. Sein Ohr ist überall. In seiner unermesslichen Größe erfüllt und umhüllt er diese ganze Welt mit sich selbst. Er ist das allumfassende Wesen, in dessen Umarmung wir leben.
15. Ihn reflektieren alle Sinne und ihre Eigenschaften, aber er ist ohne Sinne. Er ist an nichts gebunden und trägt und erhält doch alles. Er erfreut sich der Gunas und wird doch nicht durch sie eingeschränkt.
16. Was in uns ist, ist er, und was wir außerhalb von uns erfahren, ist er auch. Das Innere und das Äußere, das Ferne und das Nahe, das Sich-Bewegende und das Unbewegliche, all dies ist er zur selben Zeit. Er ist die äußerste Feinheit von dem, was so fein ist, dass wir es nicht mit unserer Erkenntnis erfassen.
17. Er ist unteilbar und der Eine. Aber er scheint sich selbst in Formen und Geschöpfe zu zerteilen und tritt in all den gesonderten Daseinsformen in Erscheinung. Alle Dinge werden ewig von ihm geboren, in seiner Ewigkeit aufrechterhalten und ewig zurückgenommen in seine Einheit.
18. Er ist das Licht aller Lichter, strahlend jenseits aller Finsternis unserer Unwissenheit. Er ist das Wissen und zugleich das Objekt des Wissens. Er wohnt im Herzen aller.
19. So habe Ich dir Feld, Wissen und Objekt des Wissens kurz erläutert. Wenn der Mir Ergebene ein solcher Kenner geworden ist, erlangt er Mein bhava (das göttliche Sein und die göttliche Natur).
20. Erkenne du, dass Purusha (die Seele) und Prakriti (die Natur) beide ohne Ursprung sind und ewig. Aber die Funktionsweisen der Natur und die niederen Gestaltungen, die Sie für unsere bewusste Erfahrung annimmt, haben ihren Ursprung in Prakriti (im gegenseitigen Aufeinander-Wirken dieser beiden Wesenheiten).
21. Die Kette von Ursache und Wirkung und der Zustand, Handelnder zu sein, werden von Prakriti erschaffen. Purusha genießt Lust und Schmerz.
22. Purusha, involviert in Prakriti, genießt die Eigenschaften (Gunas), die aus Prakriti geboren werden. Die Gebundenheit an die Eigenschaften (Gunas) ist die Ursache für seine Geburt in guten oder schlechten Mutterschößen.
23. Beobachtender Zeuge, Ursprung der Zustimmung, Erhalter des Wirkens der Natur, ihr Genießer, allmächtiger Herr und erhabenes Selbst ist zugleich die Erhabene Seele (Para Purusha), die in diesem Körper wohnt.
24. Wer so den Purusha und die Prakriti mit ihren Eigenschaften kennt, der soll nicht wiedergeboren werden, wie er auch leben und wirken mag.
25. Dies Wissen erwächst aus einer inneren Meditation, durch die uns das ewige Selbst in unserem Selbstsein offenbar wird. Es kann auch aus dem Yoga der Sankhyas erwachsen (durch die Trennung der Seele von der Natur). Oder es erwächst aus dem Yoga der Werke.
26. Andere, die diese Yoga-Wege nicht kennen, mögen durch andere die Wahrheit erfahren und ihr Mental gemäß jenem Sinn formen, dem es mit Glauben und Konzentration lauscht. Doch wie auch immer wir zu diesem Wissen gelangt sind, es trägt uns über den Tod hinaus in die Unsterblichkeit.
27. Wisse also, O Bester der Bharatas, dass jegliches Wesen, ob beweglich oder unbeweglich, aus der Vereinigung von Feld und Kenner des Feldes geboren wird.
28. Wer den Erhabenen, der in gleicher Weise in allen Wesen wohnt, unvergänglich im Vergänglichen, wer ihn so sieht, sieht wirklich.
29. Wer den gleichmütigen Herrn begreift als den spirituellen Innewohnenden in allen Kräften, in allen Dingen und in allen Wesen, der fügt sich selbst kein Leid zu (indem er sein Wesen dem Verlangen und den Leidenschaften ausliefert). Und so erlangt er den erhabenen Status.
30. Wer sieht, dass alles Wirken in Wahrheit durch Prakriti geschieht und dass das Selbst der nicht-handelnde Zeuge ist, der sieht.
31. Wenn er begreift, dass dies unterschiedliche Dasein der Wesen in dem einen ewigen Sein bleibt und sich doch aus ihm heraus ausbreitet, dann gelangt er zum Brahman.
32. Weil das unvergängliche erhabene Selbst ohne Anfang ist und ewig und nicht durch die Eigenschaften (Gunas) eingeschränkt wird, darum, O Kaunteya, handelt es nicht und leidet es auch nicht, obwohl es im Körper wohnt.
33. So wie der Äther, der das All durchdringt, wegen seiner Feinheit nicht beeinträchtigt wird, so bleibt auch das Selbst, das überall im Körper seinen Ort hat, unbeeinträchtigt.
34. So wie die Sonne die ganze Erde erleuchtet, so, O Bharata, erleuchtet der Herr des Feldes das gesamte Feld.
35. Die mit dem Auge des Wissens diesen Unterschied zwischen dem Feld und dem Kenner des Feldes und die Befreiung der Wesen von Prakriti wahrnehmen, sie gelangen zum Erhabenen.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das dreizehnte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der Unterscheidung von Feld und Kenner des Feldes“.

Kapitel 14
Der Yoga der Dreiteilung der Gunas
1. Der Erhabene sprach:
Wieder will Ich dir das höchste Wissen kundtun, den Inbegriff allen Wissens, nach dessen Erkenntnis die Weisen zur höchsten Vollkommenheit gelangt sind.
2. Nachdem sie in diesem Wissen ihre Zuflucht genommen haben und mit Mir von gleicher Natur und gleichem Gesetz geworden sind, werden sie in die Schöpfung nicht mehr hineingeboren und auch nicht durch die Angst vor der allumfassenden Auflösung erschüttert.
3. Mein Schoß ist das Mahat Brahman. In diesen senke Ich den Samen ein. Aus ihm entspringen alle Wesen, O Bharata.
4. Was für Gestaltungen auch immer aus irgendwelchen Mutterschößen hervorgebracht werden, O Kaunteya, das Mahat Brahman ist ihr Schoß. Und Ich bin der Vater, der den Samen einsenkt.
5. Die drei Gunas (Seinsweisen, Eigenschaften der Natur) Sattwa, Rajas und Tamas, die aus Prakriti geboren sind, fesseln im Körper, O Starkarmiger, den unvergänglichen Bewohner des Körpers.
6. Von diesen ist Sattwa durch die Klarheit seiner Eigenschaften die Ursache von Licht und Erleuchtung, und durch die Kraft dieser Reinheit bringt es in der Natur keine Krankheit und kein Leiden hervor. Es fesselt aber durch die Gebundenheit an Erkenntnis und durch die Gebundenheit an Glück, O Sündenloser.
7. Rajas, wisse, hat als Wesensmerkmal den Reiz der Vorliebe und des Verlangens. Es ist ein Kind der Bindung der Seele an das Verlangen nach den Dingen, O Kaunteya, und es fesselt den verkörperten Geist durch Bindung an die Werke.
8. Aber Tamas, erkenne, ist aus der Unwissenheit geboren und der Betörer aller verkörperten Wesen. Es fesselt durch Nachlässigkeit, Trägheit und Schlaf, O Bharata.
9. Sattwa bindet an das Glück, Rajas an das Wirken, O Bharata. Tamas hüllt das Wissen ein und bindet an die Nachlässigkeit von Irrtum und Untätigkeit.
10. Zeitweilig übernimmt Sattwa die Führung, wenn es Rajas und Tamas überwältigt hat, O Bharata. Dann wieder führt Rajas, nachdem es Sattwa und Tamas überwältigt hat; und schließlich Tamas, wenn es Sattwa und Rajas überwältigt hat.
11. Wenn durch alle Tore in den Körper eine Flut von Licht einströmt, ein Licht des Verstehens, des Wahrnehmens und der Erkenntnis, sollte man verstehen, dass es zu einer starken Ausweitung und einem Emporsteigen der sattwischen Guna in der Natur gekommen ist.
12. Habgier, das Suchen nach Anreizen, der Antrieb zu Handlungen, Unruhe und Begehrlichkeit, all dies drängt in uns nach oben, wenn Rajas zunimmt, O Bester der Bharatas.
13. Nichtwissen und Trägheit, Nachlässigkeit und Selbsttäuschung –, diese Eigenschaften werden geboren, wenn Tamas vorherrscht, O Freude der Kurus.
14. Wenn Sattwa sich behauptet hat, wenn der Verkörperte in das Pralaya (in seine Auflösung) eingeht, gelangt er zu den makellosen Welten derer, die die höchsten Prinzipien kennen.
15. Kommt es zu einer Auflösung, wenn Rajas vorherrscht, wird er unter jenen Menschen wiedergeboren, die an das Handeln gebunden sind. Wird sein Körper aufgelöst, wenn Tamas zunimmt, wird er im Schoße jener wiedergeboren, die in völligem Nichtwissen gehüllt sind.
16. Man sagt, dass die Frucht des Wirkens, das in rechter Weise vollzogen wurde, rein und sattwisch ist. Schmerz ist die Folge rajasischer Taten. Unwissenheit ist das Ergebnis tamasischen Handelns.
17. Aus Sattwa geht das Wissen hervor, die Habgier aus Rajas, Nachlässigkeit und Selbsttäuschung aus Tamas und ebenso die Unwissenheit.
18. Nach oben steigen jene empor, die in Sattwa sind. Die in Rajas leben, verbleiben in der Mitte. Die aber in Unwissenheit und Trägheit eingehüllt sind, in die Auswirkung der niedrigsten Eigenschaft, des Tamas, sinken nach unten.
19. Wenn der Sehende begreift, dass die Seinsweisen der Natur einzige Bewirker und Ursache der Handlungen sind, und Jenes kennt und sich Jenem zuwendet, das erhaben über den Gunas steht, dann gelangt er zum madbhava (Bewegung und Zustand des Göttlichen).
20. Wenn sich so die Seele über die drei Gunas erhebt, die mit der Verkörperung in der Natur entstanden sind, wird der Mensch befreit aus seinem Unterworfensein unter Geburt und Tod und deren Begleiter – Verfall, Altern und Leiden –, und die Seele kommt schließlich in den Genuss der Unsterblichkeit ihrer Selbst-Existenz.
21. Arjuna sprach:
Welches sind die Kennzeichen eines Menschen, der sich über die drei Gunas emporgeschwungen hat, O Herr? Von welcher Art ist sein Wirken? Und wie überwindet er die Gunas?
22. Der Erhabene sprach:
Von demjenigen, O Pandava, sagt man, er steht über den Gunas, der weder zurückschreckt noch weicht vor der Wirkensweise der Erleuchtung (dem Ergebnis aufsteigenden Sattwas), vor dem inneren Antrieb zum Wirken (dem Ergebnis aufsteigenden Rajas) vor der Trübung seines mentalen und nervlichen Wesens (dem Ergebnis aufsteigenden Tamas) und sich nicht nach diesen Gunas sehnt, wenn ihre Wirkung aufhört;
23. der eine Stellung eingenommen hat wie einer, der hoch über den Gunas wohnt und nicht von den Gunas erschüttert wird; der sieht, dass es die Gunas sind, die die Abläufe des Handelns bestimmen, und unbewegt daneben steht;
24.-25. der Glück und Leid als gleich betrachtet, Gold, Schlamm und Stein als von gleichem Wert; dem einerlei ist das Erfreuliche und das Unerfreuliche, Lob und Tadel, Ehre und Schande, die Partei seiner Freunde und die seiner Feinde; der beständig ist in einer weisen, unerschütterlichen und unwandelbaren inneren Ruhe und Stille; der nicht die Initiative zum Handeln ergreift (sondern alles Wirken den Gunas der Natur überlässt).
26. Und ebenso kommt jener, der Mich liebt und mit unbeirrbarer Liebe und Verehrung nach Mir trachtet, über die drei Gunas hinaus und ist dazu vorbereitet, Brahman zu werden.
27. Ich (der Purushottama) bin das Fundament des schweigenden Brahman und der Unsterblichkeit, des unvergänglichen spirituellen Seins und des ewigen Dharma und der höchsten Seligkeit des Glücks.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das vierzehnte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der Dreiteilung der Gunas“.

Kapitel 15
Der Yoga der erhabenen Person (Purushottama Yoga)
1. Der Erhabene sprach:
In seinem eigentlichen Ursprung oben (im Ewigen) verwurzelt und mit seinen Ästen ausgestreckt nach unten, sagt man von dem Aswattha-Baum, er sei ewig und unvergänglich. Seine Blätter sind die Hymnen des Veda. Wer ihn kennt, ist der Veda-Kenner.
2. Die Äste dieses kosmischen Baumes strecken sich nach unten und oben (nach unten in die materiellen, nach oben in die supraphysischen Ebenen). Sie wachsen durch die Gunas der Natur. Die sinnlich erfassbaren Gegenstände sind sein Laubwerk. Herunter in die Welt der Menschen senkt er seine Wurzeln des Gebundenseins und des Verlangens mit der Folge endlos sich entwickelnden Handelns.
3.-4. Seine wirkliche Gestalt kann von uns in dieser materiellen Welt der Verkörperung des Menschen nicht wahrgenommen werden, auch nicht sein Anfang und sein Ende und nicht sein Wurzelgrund. Wenn man aber diesen fest verwurzelten Aswattha-Baum mit dem scharfen Schwert des Freiseins von jeglicher Bindung abgehauen hat, sollte man nach jenem höchsten Ziel trachten. Wenn man dies erlangt hat, gibt es keinen Zwang mehr, in das sterbliche Leben zurückzukehren. „Ich mache mich auf den Weg“ (sagt der vedantische Vers), „um jene ursprüngliche Seele zu suchen, aus der jener uralte Drang zum Handeln hervorgeht.“
5. Und dies sind die Stufen auf dem Weg zum erhabenen Unendlichen: Frei sein von der Verwirrung durch die niedere Maya, frei sein vom Egoismus, den großen Fehler der Bindung überwunden, jegliches Verlangen zur Ruhe gebracht, den Gegensatz von Freude und Leid ausgetrieben haben und immer fest verankert sein in einem reinen spirituellen Bewusstsein.
6. Dort finden wir das zeitlose Sein, das nicht erleuchtet wird durch Sonne, Mond und Feuer (sondern selbst das Licht der Gegenwart des ewigen Purusha ist). Dorthin gelangt, kehren sie nicht zurück. Jenes ist der höchste ewige Status Meines Seins.
7. Es ist ein ewiger Wesensteil von Mir, der in der Welt der lebendigen Geschöpfe zum Jiva wird. Er entfaltet und hegt die subjektiven Kräfte von Prakriti, das Mental und die fünf Sinne.
8. Wenn der Herr diesen Körper annimmt (bringt er das Mental und die Sinne mit sich) und wenn Er überdies noch weitergeht (indem er den Körper wieder ablegt), nimmt Er sie beim Weggehen wieder mit, so wie der Wind den Duft aus einer Blumenvase davonträgt.
9. Das Ohr, das Auge, den Tastsinn, den Geschmack und das Riechen – diese Sinne verwendet Er und ebenso den Verstand. Er erfreut sich der Gegenstände des Verstandes und der Sinne als die im Inneren oder darüber wohnende Seele.
10. Die Verblendeten nehmen Ihn nicht wahr bei seinem Kommen und Gehen, bei seinem Verharren in den Seins-Bestimmungen, bei deren Genuss und Abneigung. Nur jene nehmen Ihn wahr, die das Auge des Wissens besitzen.
11. Die Yogins, die sich bemühen, erkennen den Herrn in sich selbst. Die Unwissenden aber, auch wenn sie danach streben, nehmen Ihn nicht wahr, da sie nicht durch die spirituelle Natur geprägt sind.
12. Das Licht der Sonne, das diese ganze Welt erleuchtet, und das Licht, das im Mond ist und im Feuer –, erkenne dieses Licht als das Meinige!
13. Ich bin in diese irdische Form eingetreten (und bin der Geist ihrer materiellen Kraft) und erhalte durch Meine Macht diese Vielfalt an Formen. Ich bin die Gottheit des Soma, die durch rasa (den aufsteigenden Saft in der Erden-Mutter) alle Pflanzen und Bäume ernährt.
14. So bin Ich zur Flamme des Lebens geworden und erhalte den physischen Körper der lebendigen Geschöpfe, und vereinigt mit Prana und Apana verdaue Ich die vier Arten der Nahrung.
15. Ich wohne im Herzen aller. Aus Mir stammen das Gedächtnis und das Wissen und deren Abwesenheit. Und das, was von allen Veden (und in allen Formen des Wissens) gewusst wird, das bin Ich. Und Ich bin in der Tat der Kenner des Veda und der Verfasser des Vedanta.
16. Es gibt zwei Purushas (spirituelle Wesen) in dieser Welt: den Akshara (den Unwandelbaren und Unpersönlichen) und den Kshara (den Wandelbaren und Persönlichen). Der Wandelbare ist zu all diesen Daseinsformen geworden. Der Kutastha (das hocherhabene Bewusstsein des Zustands des Brahman) wird der Unwandelbare genannt.
17. Aber ein anderer als diese beiden ist jener höchste Purusha (Geist), der das erhabene Selbst, Paramatman, genannt wird. Er geht in die drei Welten ein und trägt und erhält sie, der unvergängliche Herr.
18. Da Ich jenseits des Veränderlichen und größer bin als der Unwandelbare selbst, werde Ich in der Welt und im Veda als der Purushottama verkündet (als das erhabene Selbst).
19. Wer so, von Täuschungen befreit, das Wissen von Mir als dem Purushottama besitzt, der verehrt Mich (hat Bhakti für Mich) mit all seinem Wissen und jeder Äußerung seines natürlichen Wesens.
20. So ist dir nun, O Sündenloser, von Mir das allergeheimste Shastra (die höchste Lehre und Wissenschaft) mitgeteilt worden. Es völlig zu kennen heißt, in seinem Verstehen vollendet und erfolgreich zu sein im höchsten Sinne, O Bharata.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das fünfzehnte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der erhabenen Person“.
