Kapitel 4
Der innere Gewinn aus dem Kommen des Avatars
Worte Sri Aurobindos
Es werden jene einen inneren Gewinn durch das Kommen des Avatars erlangen, die daraus die wahre Art der göttlichen Geburt und der göttlichen Werke kennenlernen. Sie werden in ihrem Bewusstsein immer mehr von ihm erfüllt. Mit ihrem ganzen Wesen nehmen sie ihre Zuflucht bei ihm, manmaya mam upasritah. Geläutert durch die verwirklichende Kraft ihrer Erkenntnis und befreit von ihrer niederen Art erlangen sie das göttliche Wesen und die göttliche Natur, madbhavam. Der Avatar kommt hernieder, um die göttliche Art zu offenbaren, die im Menschen über seiner niederen Natur existiert. Er will zeigen, was die göttlichen Werke sind: frei, unegoistisch, uneigennützig, ohne egoistische Interessen, apersonal, universal, erfüllt vom göttlichen Licht, von der göttlichen Macht, von der göttlichen Liebe. Er kommt als die göttliche Persönlichkeit, die das Bewusstsein des menschlichen Wesens erfüllen und die begrenzte egoistische Persönlichkeit so ersetzen soll, dass sie, aus dem Ego befreit, eingehen kann in die Unendlichkeit und Universalität, aus der Geburt in die Unsterblichkeit. Er kommt als die göttliche Macht und Liebe, die die Menschen zu sich ruft, so dass sie ihre Zuflucht darin suchen und nicht mehr im Ungenügen ihres menschlichen Willens und im Ringen ihrer menschlichen Furcht, ihres Zorns und ihrer Leidenschaft. Befreit von all dieser Unruhe und diesem Leiden dürfen sie in der Stille und Seligkeit des Göttlichen leben. Dabei ist es ganz unwesentlich, unter welcher Gestalt oder unter welchem Namen des Göttlichen der Avatar kommt oder welchen Aspekt er herausstellt. Denn auf allen ihren Wegen, die ihrer Natur nach verschiedenartig sind, folgen die Menschen Gott auf dem Pfad, der ihnen vom Göttlichen bestimmt ist. Am Ende wird er sie alle zu sich hinführen. Der Aspekt Gottes, der ihrer Natur entspricht, ist der, unter dem sie dem Avatar am besten nachfolgen, wenn er kommt, sie zu führen. Auf dieselbe Weise, wie die Menschen Gott annehmen, lieben und Freude an ihm haben, nimmt Gott den Menschen an, liebt er ihn und hat er seine Freude an ihm, ye yatha mam prapadyante tams tathaiva bhajamyaham.

Worte Sri Aurobindos
Nara ist die menschliche Seele, die, als der ewige Kamerad des Göttlichen, sich selbst nur dann findet, wenn sie zu dieser freundschaftlichen Verbundenheit erwacht und, wie die Gita sagen würde, in Gott zu leben anfängt. Narayana ist die göttliche Seele, in unserem Menschsein immer gegenwärtig, der geheime Lenker, Freund und Helfer des menschlichen Wesens, nach der Gita „der Herr, der innen im Herzen der Geschöpfe seinen Wohnsitz hat“. Wenn in uns die Verhüllung von diesem geheimen Heiligtum entfernt worden ist, der Mensch von Angesicht zu Angesicht mit Gott spricht, die göttliche Stimme hört, das göttliche Licht empfängt, in der göttlichen Macht handelt, dann kann das verkörperte menschliche bewusste Wesen in die Erhabenheit des Ungeborenen und Ewigen emporgehoben werden. Der Mensch wird zu jenem Wohnen in Gott fähig. Er gibt sein ganzes Bewusstsein auf und hinein in das Göttliche. Das hält die Gita hoch als das beste und höchste Geheimnis der Dinge, uttamam rahasyam.

Teil 4 SRI KRISHNA – DER GÖTTLICHE MEISTER DES YOGA
Kapitel 1
Liebe und Bhakti für Krishna
Worte Sri Aurobindos
Was Krishna anbelangt, warum näherst du dich ihm nicht einfach und geradewegs? Die einfache Annäherung ist gleichbedeutend mit Vertrauen. Wenn du betest, vertraue darauf, dass er dich erhört. Wenn die Erwiderung lange auf sich warten lässt, vertraue darauf, dass er es weiß und dich liebt und dass er in seiner Weisheit die richtige Zeit wählen wird. Reinige in der Zwischenzeit ruhig das Gelände, damit er nicht über Stock und Stein stolpern möge, wenn er schließlich kommt. Das ist mein Vorschlag, und ich weiß, was ich sage – denn was immer du auch denken magst, ich kenne sehr wohl all die menschlichen Schwierigkeiten und Kämpfe, und ich weiß um ihre Heilung. Daher lege ich soviel Wert auf das, was die Kämpfe und Schwierigkeiten vermindern und abkürzen würde, nämlich auf die seelische Wende, den Glauben, ein vollkommenes und einfaches Vertrauen und Sich-Verlassen. Du wirst dich erinnern, dass dies die Ziele des Vaishnava-Yoga sind. Natürlich, es gibt auch den anderen Vaishnava-Weg, der zwischen Sehnen und Verzweiflung hin und her pendelt – inbrünstiges Suchen und Trennungsschmerz. Diesem letzteren scheinst du zu folgen, und ich leugne nicht, dass man auch auf ihm das Ziel erreichen kann, wie beinahe auf jedem anderen Weg, sofern man ihm ernsthaft folgt. Jene aber, die ihm folgen, finden dann sogar Geschmack an der Trennung, an der Abwesenheit und der Laune des Göttlichen Liebenden. In ihren Liedern berichten einige, wie sie ihm ihr ganzes Leben folgten, er aber immer wieder ihrer Schau entglitt, und selbst hieran finden sie Gefallen und suchen ihn immerzu. Du aber findest keinen Gefallen daran, weshalb du nicht erwarten kannst, dass ich diesem Weg für dich zustimme. Folge Krishna um jeden Preis, doch mit der festen Absicht, ihn zu erreichen, folge ihm nicht mit der Befürchtung eines Fehlschlages oder indem du irgendwie der Möglichkeit zustimmst, auf halbem Wege abzubrechen.

Worte Sri Aurobindos
Die direkte Annäherung an Krishna ist nicht sicher oder einfach; es kann manchmal schrecklich riskant sein, wenn etwas im Sadhak ist, das die Klarheit und Einzigartigkeit seiner Haltung beeinträchtigt. In diesem Fall kann jedes falsche Begehren, jede Eitelkeit, jeder Stolz, jede sexuelle Unreinheit, jeder Ehrgeiz oder jede andere ausgeprägte Schwäche den Weg zu einer ernsthaften Verzerrung der Sadhana ebnen, die sich in falsche Bahnen verwandelt, zu einer Störung oder einem Scheitern führen, sogar in das spirituelle Verderben. Krishnas eigener Einfluss kann kein falscher Einfluss sein, wenn es wirklich der seinige ist, doch man kann ihn leicht mit einem anderen Einfluss verwechseln und diesen als seinen akzeptieren. Krishna ist der Herr der Liebe und Schönheit und der Freude, und nichts ist einfacher für die Menschen, die auf der Suche nach diesen Dingen immer in die falsche Richtung gehen, ihre falsche Art und Weise der Suche nach ihm mit hineinbringen. Diese Erfahrung muss einer der Gründe sein, warum die Seher darauf bestanden, sich Krishna durch einen Guru zu nahen, da man ansonsten nicht zu ihm gelangen könne. Darum bestanden sie auf vairagya, auf der Loslösung von den gewöhnlichen Zielen und Zwecken der menschlichen Natur, wenn es notwendig sei. Deshalb zeigt sich Krishna auch nicht gerne, bis das Feld für ihn frei ist! Die Intervention einer Macht oder eines Einflusses, die sich als Krishna darstellt, sogar seine Gestalt oder Stimme nachahmt, wären fatal, akzeptierte man sie; aber selbst seine wirkliche Offenbarung könnte jemanden aus der Fassung bringen, der nicht wirklich bereit dafür ist. Man muss sich vor diesen Gefahren hüten, und es ist der Guru, der sich als Schutzschild gegen sie einsetzen kann.

Worte Sri Aurobindos
Natürlich, der Verehrer liebt Krishna, weil Krishna liebenswert ist, und aus keinem anderen Grund – das ist sein Gefühl, sein wahres Gefühl. Er hat keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was ihn zur Liebe befähigt; ihm genügt die Tatsache, dass er liebt, und er braucht seine Gefühle nicht zu analysieren. Für ihn besteht die Gnade Krishnas darin, dass Krishna liebenswert ist, dass er sich dem Verehrer zeigt, dass er ihn ruft und seine Flöte ihn lockt. Das ist genug für das Herz, und wenn es nach mehr verlangt, dann ist es die Sehnsucht, dass der andere oder dass alle die Flöte hören, sein Antlitz sehen und die ganze Schönheit und die Wonne seiner Liebe fühlen mögen.

Kapitel 2
Innere Bereitschaft ist wichtiger als äußere Umstände
Worte Sri Aurobindos
Nicht das Herz des hingebungsvollen Verehrers, sondern der Verstand des Beobachters fragt, wie es kommt, dass die Gopis gerufen wurden und sofort reagierten und andere – die Frauen der Brahmanen zum Beispiel – nicht gerufen wurden und nicht sofort reagierten. Wird diese Frage einmal durch den Verstand gestellt, dann gibt es zwei mögliche Antworten: Einmal, dass es einfach der Wille Krishnas war, ohne jeden besonderen Grund, dass, was der Verstand als die absolute göttliche Wahl bezeichnen würde, seine willkürliche göttliche Laune, zum anderen aber die Bereitschaft des Herzens, das gerufen wurde – und das läuft dann auf adhikari-bheda hinaus… Wir müssen auf diese beiden Alternativen zurückgreifen: Krishnas Gnade ruft, wen sie will, ohne jeden entscheidenden Grund für die Wahl oder Zurückweisung – alles ist seine Gnade oder seine Vorenthaltung oder zumindest der Aufschub seiner Gnade; oder aber er ruft die Herzen, die bereit sind, bei seinem Ruf zu erschauern und emporzuspringen – und selbst dann wartet er, bis der rechte Augenblick gekommen ist. Es ist zweifellos richtig zu sagen, dass es von einem äußeren Verdienst oder der scheinbaren Tauglichkeit nicht abhängt; es ist jenes Etwas, das zu erwachen bereit war – vielleicht trotz vieler harter Schichten, die es einschlossen –, und das nur für Krishna sichtbar ist, nicht aber für uns. Vielleicht war es vorhanden lange bevor die Flöte zu spielen begann und Krishna noch damit beschäftigt war, die harten Schichten zu schmelzen, damit das Herz durch sie, wenn die erweckenden Töne kämen, in seinem Sprung nicht zurückgehalten würde. Die Gopis hörten sie und stürmten hinaus in den Wald, die anderen hörten sie nicht –, oder glaubten sie vielleicht, dass es nur eine Art Bauernmusik sei, ein grober Hirte, der für seinen Schatz die Flöte spielt, und nicht etwa ein Ruf, den geübte, kultivierte und tugendhafte Ohren als den Ruf des Göttlichen zu erkennen vermochten?

Worte Sri Aurobindos
Radha ist die Personifizierung der absoluten Liebe zum Göttlichen, die allumfassend und ganzheitlich in allen Wesensteilen vorhanden ist, von den höchsten spirituellen bis hin zu den physischen. Sie bringt das absolute Sich-Geben und die totale Weihung des gesamten Wesens und ruft in den Körper und die allerstofflichste Natur das höchste Ananda herab.

Worte Sri Aurobindos
Das Verlangen der Seele nach Gott wird im lyrischen Liebeszyklus von Radha und Krishna in eine symbolische Form geworfen: Die Naturseele im Menschen, die durch Liebe nach der Göttlichen Seele, Krishna, sucht, von seiner Schönheit ergriffen und beherrscht, von seiner magischen Flöte angezogen, gibt sie die menschlichen Bedürfnisse und Pflichten für diese eine überwältigende Leidenschaft auf. In der Kadenz ihrer Phasen geht sie durch den anfänglichen sehnsuchtsvollen Wunsch nach der Glückseligkeit der Einung, weiter durch die Schmerzen der Trennung, und durch die ewige Sehnsucht und Wiedervereinigung –, dem Spiel der Liebe des menschlichen Geistes zu Gott.

Worte der Mutter
Ich habe einige schöne Gedichte über Radha und Krishna im Unterricht gehabt. Radha scheint so lebendig zu sein. Die Gelehrten der Neuzeit sagen, dass Radha erst kürzlich zum Krishna-Kult hinzugefügt wurde. Kannst du mir sagen, ob Radha existiert hat oder nicht?
Sicherlich hat sie gelebt und lebt noch immer.
Meine Liebe und Segen.

Radhas Gebet
Worte der Mutter
O Du, den ich auf den ersten Blick als den Herrn meines Wesens und meinen Gott erkannte, nimm meine Darbringung an.
Dein sind all meine Gedanken, all meine Emotionen, all die Gefühle meines Herzens, all meine Empfindungen, all die Regungen meines Lebens, Dein ist jede Zelle meines Körpers, jeder Tropfen meines Blutes. Ich bin absolut und ganz Dein, Dein, Dein ohne Vorbehalte. Was Du von mir willst, das werde ich sein. Ob Du für mich Leben oder Tod, Glück oder Sorgen, Freude oder Leid wählst, alles, was von Dir zu mir kommt, wird willkommen sein. Jede Deiner Gaben wird für mich immer ein göttliches Geschenk sein, das die höchste Glückseligkeit mit sich bringt.

Kapitel 3
Wenn man Krishna will
Worte Sri Aurobindos
Wenn man Krishna will, bekommt man Krishna – aber er ist eine hinreichend testende Gottheit und kommt nicht auf einmal, obwohl er jederzeit plötzlich kommen kann. Doch für gewöhnlich muss man ihn so sehr und hartnäckig wollen, dass man bereit ist, jeden Preis zu zahlen. Man muss sowohl wissen, wie man wartet und wie man will – man muss ständig darauf drängen und immer wieder drängen, ohne sich um die sogar längste Nichtbeachtung zu kümmern. Die Seele vermag dies zu tun –, aber auch das Mental und das Vital müssen lernen, wie man es macht.

Worte Sri Aurobindos
Ja, Krishna wird große Launenhaftigkeit nachgesagt, ein schwieriger Umgang und ein spielerisches Wesen (lila!), was die, mit denen er spielt, nicht immer gleich zu schätzen wissen. Doch steckt in seinen Launen Überlegung, und wenn er sie ablegt und es ihm gefällt, freundlich zu sein, ist er von höchster Anziehungskraft, voller Charme und Verlockung, wodurch alles, was du erlitten hast, ausgeglichen und mehr als ausgeglichen wird.

Worte Sri Aurobindos
Krishna mit Radha ist das Symbol der Göttlichen Liebe. Die Flöte ist der Ruf der Göttlichen Liebe; der Pfau ist der Sieg.

Worte Sri Aurobindos
Die Gopis sind nicht übliche Menschen im eigentlichen Sinn des Wortes: Sie sind vielmehr Verkörperungen einer spirituellen Leidenschaft und außergewöhnlich durch das Übermaß an Liebe, persönlicher Hingabe, und rückhaltlosem Selbstgeben. Wer immer dies hat, und sei seine Stellung in anderer Hinsicht auch noch so bescheiden (seine Erziehung, seine Gestaltungskraft, sein Bildungsgrad, seine äußere Heiligkeit usw.), kann Krishna mit Leichtigkeit folgen und ihn erreichen. Hierin scheint mir die Bedeutung des Gopi-Symbols zu liegen. Natürlich gibt es viele andere Bedeutungen – das ist nur eine unter vielen.
