Sri Aurobindo Digital Edition
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  1. ALLES LEBEN IST YOGA
  2. Das Ziel – Der Sinn in der Seele Geburt

Kapitel 8

Unsere tiefste Aspiration und das unausweichliche Ziel

DAS GOLDENE LICHT

Dein goldenes Licht kam hernieder in mein Gehirn

Und die grauen Räume des Mentals, von der Sonne berührt,

Wurden eine helle Antwort an die okkulten Ebenen der Weisheit,

Einer ruhigen Erleuchtung und einer Flamme.

Dein goldenes Licht kam nieder in meinen Hals,

Und meine Sprache ist göttlich weise nun,

Ein Lobgesang von dir mein einziger Ton;

Meine Worte sind trunken vom Wein des Unsterblichen.

Dein goldenes Licht kam nieder in mein Herz,

Ergreifend mein Leben mit Deiner Ewigkeit;

Es ist ein Tempel geworden wo Du bist,

Und all seine Leidenschaften weisen auf Dich.

Dein goldenes Licht kam nieder in meine Füße:

Meine Erde ist nun dein Spielplatz und dein Sitz.

– Sri Aurobindo

Kapitel 9

Aphorismen

DAS ZIEL

Sind wir über Kenntnisse hinaus, dann haben wir Wissen. Vernunft war das Mittel; Vernunft ist die Schranke.

Sind wir über Bemühungen hinaus, dann haben wir Macht. Anstrengung war das Mittel, Anstrengung ist die Schranke.

Sind wir über Vergnügungen hinaus, dann haben wir Seligkeit. Begierde war das Mittel, Begierde ist die Schranke.

Sind wir über die Individualisierung hinaus, dann sind wir wahre Person. Ego war das Mittel, Ego ist die Schranke.

Sind wir über das Menschentum hinaus, dann sind wir der Mensch. Das Tier war das Mittel, das Tier ist die Schranke.

Wandle die Vernunft in geordnete Intuition; sei ganz und gar Licht. Das ist dein Ziel.

Wandle Anstrengung in gleichmäßiges, freies Strömen von Seelenstärke; sei ganz und gar bewusste Kraft. Das ist dein Ziel.

Wandle Vergnügen in gleichmäßige und gegenstandslose Ekstase; sei ganz und gar Seligkeit. Das ist dein Ziel.

Wandle das gesonderte Einzelwesen in die Welt-Person; sei ganz und gar das Göttliche. Das ist dein Ziel.

Wandle das Tier in den Hirten der Herden; sei ganz und gar Krishna. Das ist dein Ziel.

– Sri Aurobindo

Denken ist weder Haupt- noch Ursache des Daseins, sondern ein Werkzeug des Werdens: ich werde, was ich in mir sehe. Alles, was Denken mir eingibt, kann ich tun; alles, was Denken in mir enthüllt, kann ich werden. Das sollte des Menschen unerschütterlicher Glaube an sich selbst sein, denn Gott wohnt in ihm.

Immerfort zu wiederholen, was der Mensch schon getan hat, ist nicht unsere Aufgabe, sondern zu neuen Verwirklichungen und ungeahnten Meisterschaften vorzustoßen. Zeit, Seele und Welt sind uns als Feld gegeben, Schau, Hoffnung und schöpferische Vorstellung dienen uns als Eingeber, Wille, Gedanke und Arbeit sind unsere all-wirksamen Mittel.

Was gibt es Neues, das wir noch zu erlangen hätten? Liebe, denn bisher haben wir es nur zu Hass und Selbstgenuss gebracht; Wissen, denn bisher haben wir es nur zu Irrtum, Feststellung und Meinung gebracht; Seligkeit, denn bisher haben wir es nur zu Vergnügen, Schmerz und Gleichgültigkeit gebracht; Macht, denn bisher haben wir es nur zu Schwäche, Anstrengung und vereiteltem Sieg gebracht; Leben, denn bisher haben wir es nur zu Geburt, Wachstum und Sterben gebracht; Einheit, denn bisher haben wir es nur zu Krieg und Bündnis gebracht.

In einem Wort: Gottheit; uns neu zu schaffen nach dem göttlichen Bild.

– Sri Aurobindo

DAS ENDE

Die Begegnung von Mensch und Gott bedeutet immer ein Eindringen und Eintreten des Göttlichen in das Menschliche und ein Sich-Versenken des Menschen in die Göttlichkeit.

Doch ist jenes Versenken nicht von der Art einer Selbstvernichtung. Auslöschung ist nicht die Erfüllung all dieser Suche und Leidenschaft, dieses Leidens und Entzückens. Das Spiel wäre nie begonnen worden, müsste es derart enden.

Wonne ist das Geheimnis. Lerne das reine Entzücken kennen, und du kennst Gott.

Was war denn der Anfang der ganzen Geschichte? Dasein, das sich aus schierem Entzücken am Sein vervielfachte und in zahllose Trillionen von Formen tauchte, um sich unzählig wiederzufinden.

Und was liegt in der Mitte? Trennung, die zu vielfältiger Einheit strebt, Unwissenheit, die zu einer Fülle mannigfaltigen Lichtes sich hin bemüht, Schmerz, der in den Wehen unvorstellbarer Ekstase liegt. Denn das alles sind dunkle Erscheinungsformen und entstellte Schwingungen.

Und was ist das Ende der ganzen Geschichte? Wie Honig, der sich selbst und all seine Tropfen zusammen kosten würde, und all seine Tropfen würden einander und jeder die ganze Wabe als sich selbst kosten, so dürfte es am Ende mit Gott und der Seele des Menschen und dem Weltall sein.

Liebe ist der Grundton, Freude die Melodie, Kraft der Zusammenklang, Wissen der Musiker, das unendliche Weltall der Komponist und die Zuhörerschaft. Wir kennen erst die vorbereitenden Misstöne, die ebenso schlimm sind, wie die Harmonie großartig sein wird; bestimmt aber kommen wir zur Fuge der göttlichen Glückseligkeiten.

– Sri Aurobindo

Kapitel 10

Göttliche Vollkommenheit des menschlichen Wesens

Worte Sri Aurobindos

Unser Ziel ist die göttliche Vollkommenheit des menschlichen Wesens. Wir müssen zunächst wissen, welche wesentlichen Elemente eine totale Vollkommenheit des Menschen ausmachen; ferner müssen wir uns klar machen, was wir unter göttlicher im Unterschied zur menschlichen Vollkommenheit verstehen. Wenn sich auch nur eine Minderheit der Menschen mit dieser Möglichkeit, die das wichtigste Ziel unseres Lebens sein soll, befasst, so wird doch von der gesamten denkenden Menschheit grundsätzlich anerkannt, dass der Mensch seinem Wesen nach dazu befähigt ist, sich selbst zu entwickeln und an einen Stand der Vollkommenheit heranzukommen, den sein Mental begreifen, den es sich vornehmen und nach dem es streben kann. Manche fassen dieses Ideal als weltliche Umwandlung auf, während es für andere religiöse Umkehr bedeutet.

Oft begreift man die weltliche Vollkommenheit als etwas Äußeres, Soziales, die Sache einer Aktion: ein vernünftigerer Umgang mit unseren Mitmenschen und unserer Umgebung, bessere und tüchtigere Bürger sein und unsere Pflichten genauer erfüllen, die Lebensweise soll bereichert, freundlicher und glücklicher gestaltet werden, die Gesellschaft soll die Möglichkeiten der Existenz gerechter und harmonischer gestalten. Andere bevorzugen ein inneres und subjektives Ideal: Intelligenz, Wille und Vernunft sollen aufgeklärt, auf eine höhere Stufe gehoben werden, die Macht und Fähigkeit der menschlichen Natur soll erhöht und besser geordnet, das sittliche Leben edler, das ästhetische reicher, das Gefühlsleben mehr verfeinert und das vitale und körperliche Wesen gesünder und besser unter Kontrolle gehalten werden. Manchmal wird ein einzelnes Element bis fast zum Ausschluss der Übrigen hervorgehoben; manchmal, und das bei weitblickenden und ausgeglichene Menschen, wird eine ganzheitliche Harmonie als totale Vollkommenheit angestrebt. Das äußere hierfür angewandte Mittel ist eine Veränderung in der Erziehung und in den sozialen Institutionen, oder man bevorzugt ein inneres Selbst-Training und eine Selbst-Entfaltung als wahre Hilfsmittel. Diese beiden Ziele können aber auch miteinander vereinigt werden: Vervollkommnung des inneren individuellen Wesens und Vervollkommnung des äußeren Lebens.

Das weltliche Ziel verwendet das gegenwärtige Leben und seine Möglichkeiten als Betätigungsfeld; im Gegensatz dazu besteht das religiöse Ziel in einer Selbst-Vorbereitung auf eine andere Existenz nach dem Tode. Das allgemeine Ideal der Religion ist eine Art Heiligkeit. Ihr Mittel ist Bekehrung des unvollkommenen oder sündigen menschlichen Wesens durch die göttliche Gnade oder durch den Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das in einer Heiligen Schrift niedergelegt oder durch einen Religionsstifter gegeben wurde. Das Ziel der Religion mag gesellschaftliche Umwandlung einschließen, aber diese Umwandlung geschieht meist durch die Annahme eines gemeinsamen religiösen Ideals und die Methode eines gottgeweihten Lebens, durch eine brüderliche Gemeinschaft der Heiligen, eine Theokratie oder ein Reich Gottes, das auf Erden das Himmelreich widerspiegelt.

Das Ziel unseres Yoga, der auf einer Synthese beruht, muss in dieser Beziehung wie in anderen Teilen integraler und umfassender sein. Er muss all diese Elemente oder diese Tendenzen eines stärkeren Impulses zur Selbstvervollkommnung enthalten und er muss sie in Einklang miteinander, ja zur Einheit bringen. Damit er das mit Erfolg tun kann, muss er eine Wahrheit zugrunde legen, die weiter als das gewöhnliche religiöse und höher als das weltliche Prinzip ist. Alles ist ein geheimer Yoga, ein geheimes Wachsen der Natur zur Entdeckung und Erfüllung des göttlichen Prinzips, das in ihr verborgen liegt und das im menschlichen Wesen, je weiter dieses Wachsen fortschreitet, mehr und mehr geoffenbart, bewusst und lichtvoll wird. Je mehr sich alle Instrumente des Wissens, Wollens, Handelns und Lebens dem Geist öffnen, der im Menschen und in der Welt ist, desto stärker bekommt das Selbst dieses göttliche Prinzip in seinen Besitz. Mental, Leben und Körper, alle Gestaltungen unserer Natur, sind die Mittel für dieses Wachsen. Ihre höchste Vervollkommnung finden sie aber nur dann, wenn sie sich für etwas öffnen, das jenseits von ihnen ist, denn erstens sind sie nicht das Ganze, das der Mensch eigentlich ist, und zweitens ist jenes Etwas, das er eigentlich ist, der Schlüssel zu seinem vollständigen Wesen; es bringt ihm ein Licht, das ihm die ganze hohe und weite Wirklichkeit seines Wesens offenbart.

Das Mental kommt durch ein größeres Wissen zu seiner Erfüllung; es ist jetzt erst im Dämmerlicht. Das Leben entdeckt seine Bedeutung in einer größeren Macht und in einem stärkeren Willen, aus denen es jetzt noch verdunkelt nach außen wirkt. Der Körper findet seine höchste Verwendung darin, Instrument einer Macht des Seins zu sein, für die er die physische Stütze und den materiellen Ausgangspunkt bildet. Sie alle müssen sich zuerst selbst entfalten und ihre gewöhnlichen Wirkensmöglichkeiten entdecken. Unser normales Leben ist ein Ausprobieren dieser Möglichkeiten und eine Gelegenheit für dieses vorbereitende und zaghafte Selbst-Training. Jedoch kann das Leben erst dann zur vollkommenen Selbst-Erfüllung gelangen, wenn es sich für jene größere Wirklichkeit des Seins öffnet, für die es dann ein wohlbereitetes Wirkungsfeld ist, deren reichere Macht es entfaltet, vernünftiger verwendet und deren Leistungsfähigkeit es steigert.

Darum sind Ausbildung und bessere Anwendung des Intellekts, des Willens, der Sittlichkeit, des Gefühls- und ästhetischen Lebens sowie des Körpers sehr nützlich, doch nur eine konstante Kreisbewegung ohne befreiendes und erleuchtetes Endziel, falls sie nicht dahin gelangen, dass sie sich für die Macht und Gegenwart des Geistes öffnen und dessen direkte Einwirkung zulassen. Dieses unmittelbare Einwirken führt zur Umkehr des Wesens, der unentbehrlichen Bedingung unserer Vervollkommnung. Darum ist es Prinzip und Ziel eines Integralen Yoga der Selbst-Vervollkommnung, dass wir in die Wahrheit und Macht des Geistes hineinwachsen und durch das direkte Wirken dieser Macht zu einem brauchbaren Träger werden, durch den das Selbst sich so zum Ausdruck bringen kann, – ein Leben des Menschen im Göttlichen und ein göttliches Leben des Geistes in der Menschheit.

Gerade weil eine persönliche Anstrengung dazu notwendig ist, muss es, bei dem Prozess dieser Umwandlung, zwei Stufen geben. Zuerst muss das menschliche Wesen seine persönlichen Kräfte einsetzen, sobald es durch die Seele, das Mental und das Herz dieser göttlichen Möglichkeit inne wird und sich ihr als wahrem Lebensziel zuwendet, um sich dafür vorzubereiten und all das loszuwerden, was einem niedrigen Wirken angehört. Es muss sich von allem befreien, was dem entgegensteht, um sich für die spirituelle Wahrheit und ihrer Macht zu öffnen, mit der Befreiung sein spirituelles Wesen in Besitz zu nehmen und alle natürlichen Regungen in Mittel umzuwandeln, durch die sich das Selbst frei zum Ausdruck bringt. Mit dieser Umkehr beginnt der des Selbst bewusste Yoga, der sich über seine Ziele klar ist: Es kommt zu einem neuen Erwachen und zu einer Hinwendung des Lebens-Motives nach oben. Wir befinden uns solange in dem geheimen, noch unerleuchteten, vorbereitenden Yoga der Natur, als wir uns nur intellektuell, ethisch oder anders für die jetzigen normalen Ziele des Lebens üben, was kaum über den gewöhnlichen Wirkenskreis des Mentals, des Vitals und des Körpers hinausgeht. Wir verfolgen dabei allein das Ziel gewöhnlicher menschlicher Vollkommenheit. Das effektive Zeichen dieser Umwandlung und der vorläufigen Macht einer großen integralen Umkehr unseres Wesens und Lebens ist das spirituelle Verlangen nach dem Göttlichen und einer göttlichen Vollkommenheit, nach Einung mit ihm in unserem Wesen und nach spiritueller Vervollkommnung unserer Natur.

Durch diese persönliche Anstrengung kann nur eine vorläufige Umwandlung, eine anfängliche Umkehr bewirkt werden. Sie besteht darin, dass unsere mentalen Motive, unser Charakter und Temperament mehr oder weniger spiritualisiert werden. Das vitale und physische Leben wird gemeistert, zur Ruhe oder zu einem veränderten Wirken gebracht. Die umgewandelte subjektive Wesensart kann zur Grundlage für eine Kommunion oder Einung der im Mental wohnenden Seele mit dem Göttlichen werden und zu einer teilweisen Spiegelung der göttlichen Natur in der Mentalität des menschlichen Wesens. Bis zu dieser Grenze kann der Mensch mit seiner nicht oder nur indirekt unterstützten Anstrengung gehen. Denn das ist ein Ringen des Mentals, und das Mental kommt auf die Dauer nicht über sich hinaus: Das Höchste, zu dem es sich erheben kann, ist eine spiritualisierte und idealisierte Mentalität. Wenn es über diese Grenze hinausgeht, verliert es den Halt an sich selbst und den Halt am Leben. Es gerät dann entweder in einen Trancezustand, der es völlig absorbiert, oder in eine Passivität. Zur höheren Vollkommenheit kann man nur dann gelangen, wenn eine höhere Macht das gesamte Wirken des Wesens durchdringt und zu sich emporhebt. Darum ist es die zweite Stufe dieses Yoga, beharrlich alles Wirken der Natur in die Hand dieser höheren Macht zu legen. Wir ersetzen so das persönliche Ringen durch deren Einfluss und Herrschaft über uns und ihr Wirken in und durch uns. Schließlich wird das Göttliche, nach dem wir streben, zum unmittelbaren Meister des Yoga und bewirkt unsere volle spirituelle und ideelle Umkehrung.

Der Doppelcharakter unseres Yoga hebt ihn über das weltliche Ideal von Vollkommenheit hinaus und strebt zugleich höher als die himmelstürmende, intensivere, aber viel engere religiöse Formel. Das weltliche Ideal sieht im Menschen immer ein mentales, vitales und physisches Wesen. Sein Ziel ist menschliche Vollkommenheit innerhalb dieser Grenzen: eine Vervollkommnung des Mentals, des Vitals und des Körpers, eine Ausdehnung und Verfeinerung des Intellekts und des Wissens, eine Ausweitung der Kräfte des Willens und der Macht, eine Steigerung des sittlichen Charakters, des Lebenszieles und des Verhaltens, eine höhere ästhetische Empfindsamkeit und Schöpferkraft, eine Ausgeglichenheit der Gefühle und Lebensfreuden, die Gesundheit von Vital und Körper, ein wohlgeordnetes Handeln und Rechtschaffenheit. Das ist ein weites und großes Ziel. Es ist aber nicht groß und weit genug, da jenes höhere Element unseres Wesens unbeachtet bleibt, das unser Mental nur unbestimmt als das spirituelle Element erfassen kann. Dieses lässt es entweder unentwickelt oder leistet ihm nur unzureichend Genüge als einer hohen, doch nur gelegentlichen oder zusätzlichen, abgeleiteten Erfahrung, die als Ausnahmeerscheinung der Aktivität des Mentals entstammt oder des Mentals bedarf, um überhaupt existieren und dauern zu können. Wenn das Ideal der Vollkommenheit die himmelstrebenden, umfassenden Bereiche unserer Mentalität zu entfalten sucht, kann es zwar zu einem hohen Ziel werden, aber nicht hoch genug, um seine Aspirationen über das Mental hinaus auf das zu richten, von dem unsere reine Vernunft, unsere hellste mentale Intuition, unser tiefstes mentales Empfinden und Fühlen, unsere stärkste mentale Willenskraft und Macht oder das ideale Ziel und die Absichten des Mentals nur blasse Ausstrahlungen sein können. Auch ist das Ziel dieses weltlichen Ideals nur auf die irdische Vervollkommnung des normalen menschlichen Lebens gerichtet.

Ein Yoga der integralen Vervollkommnung sieht im Menschen ein göttliches, spirituelles Wesen, das im Mental, Vital und Körper involviert ist. Sein Ziel ist deshalb Befreiung und Vervollkommnung seiner göttlichen Natur. Er strebt danach, das innere Leben im vollkommen entwickelten spirituellen Wesen zum ständigen, eigentlichen Leben des Menschen zu machen. Die spiritualisierte Aktion von Mental, Vital und Körper soll nur der menschliche Ausdruck des spirituellen Wesens sein. Dieser Yoga sucht, über das Mental hinaus zum supramentalen Wissen, Wollen, Empfinden, Fühlen, zur supramentalen Intuition und dynamischen Antriebskraft des vitalen und physischen Handelns vorzudringen, zu allem, was das ursprüngliche Wirken des spirituellen Wesens ausmacht. Das geschieht, damit das spirituelle Wesen nichts Vages, Undefinierbares oder etwa unvollkommen Realisiertes bleibe, das auf die mentale Stütze angewiesen ist und mentalen Beschränkungen unterliegt. Darum nimmt dieser Yoga zwar das menschliche Leben an, trägt aber der weiten überirdischen Aktion hinter dem irdischen Aktion hinter dem irdischen materiellen Leben Rechnung. Er vereinigt sich mit dem göttlichen Sein, aus dem alle partiellen und niederen Zustände als aus ihrem höchsten Ursprung hervortreten. So wird alles Leben seiner göttlichen Quelle bewusst und fühlt jedes Mal, wenn Wissen, Wollen, Fühlen, Empfinden und Körper aktiv werden, den alles verursachenden göttlichen Impuls. Dieser Yoga weist nichts zurück, was in der weltlichen Zielsetzung wesentlich ist. Vielmehr weitet er dieses aus, findet ihre höhere, wahre Bedeutung, die dem weltlichen Ziel verborgen ist, und lebt darin. So gestaltet er es um aus etwas Begrenztem, Irdischem und Sterblichem in eine Form von unendlichem, göttlichem und unsterblichem Wert.

Der Integrale Yoga trifft sich mit dem religiösen Ideal an mehreren Punkten, geht aber gemäß seiner größeren Weite darüber hinaus. Das religiöse Ideal richtet seinen Blick nicht nur auf diese Erde, sondern auch von ihr weg auf einen Himmel, ja über alle Himmel hinaus auf ein Nirvana. Sein Ideal der Vollkommenheit ist auf jede Art innerer oder äußerer Wandlung gerichtet, die letztlich der Abwendung der Seele vom menschlichen Leben und Hinwendung zum Jenseits dient. Seine übliche Idee von Vollkommenheit ist eine religiös-ethische Wandlung und drastische Läuterung des aktiven und emotionalen Wesens, die dort, wo sie ihr höchstes Ziel erlangt, oft in asketischer Entsagung und Zurückweisung der vitalen Impulse gipfelt. Jedenfalls liegen Motiv und Lohn oder Ertrag eines Lebens der Frömmigkeit und richtigen Verhaltens im Überirdischen. Sofern das religiöse Ideal eine Wandlung von Wissen, Wollen und Empfinden zulässt, werden diese anderen Zwecken als denen des menschlichen Lebens zugewandt. Das führt schließlich zum Verzicht auf alle irdischen Inhalte des Empfindens des Schönen, Wollens und Wissens. Anders als die Methode weltlicher Vervollkommnung kennt die religiöse Methode keine Entwicklung; statt dessen Umkehr einerlei, ob dabei Nachdruck auf persönliches Bemühen oder göttlichen Einfluss, auf unser Wirken und Erkennen oder die Gnade gelegt wird. Letzten Endes beabsichtigt sie nicht, unsere mentale und physische Natur zu wandeln. Vielmehr will sie statt ihrer eine rein spirituelle Natur und deren Wesen annehmen. Da das auf Erden nicht möglich ist, möchte das religiöse Ideal zu seiner höchsten Erfüllung die gesamte kosmische Existenz in eine andere Welt versetzen oder völlig abschütteln.

Der Integrale Yoga gründet sich jedoch auf die Auffassung, dass das spirituelle Wesen allgegenwärtig ist. Seine Fülle wird ihrem Wesen nach nicht verwirklicht, indem wir uns in andere Welten versetzen oder die eigene kosmische Existenz auslöschen, vielmehr wenn wir aus dem, was wir jetzt unserer äußeren Erscheinung nach sind, herauswachsen und in das Bewusstsein allgegenwärtiger Wirklichkeit eingehen, die wir im Wesenhaften unseres Seins immer sind. Der Integrale Yoga ersetzt demnach die Form der religiösen Frömmigkeit durch sein vollständigeres spirituelles Suchen nach Einung mit dem Göttlichen. Er geht vom persönlichen Bemühen aus und beschleunigt unsere Umkehr, indem er das Göttliche in uns einströmen und von uns Besitz ergreifen lässt. Die göttliche Gnade, wenn wir es so nennen dürfen, ist aber nicht einfach ein geheimnisvolles Einströmen oder eine Hand, die von her berührt. Vielmehr ist sie das alles durchdringende Handeln der göttlichen Gegenwart, die wir immer mehr als die in unserem Innern wirkende Macht des höchsten Selbsts und des Meisters unseres Wesens erkennen, die in unsere Seele eingeht und sie so in Besitz nimmt, dass wir fühlen, wie sie uns nahe ist und auf unsere sterbliche Natur Druck ausübt. Wir leben in ihrem Gesetz, kennen und besitzen sie als die ganze Kraft unserer spiritualisierten Natur. Die Bekehrung, die sie zustande bringt, ist eine integrale Umwandlung: unser ethisches Wesen wird in die Wahrheit und das Recht der göttlichen Natur gewandelt, unser intellektuelles Wesen in die Erleuchtung göttlichen Wissens, unser emotionales Wesen in die göttliche Liebe und Einung, unser dynamisches und willenhaftes Wesen in das Wirken einer göttliche Macht, unser ästhetisches Wesen in ein uneingeschränktes Aufnehmen und ein schöpferisches Genießen der göttlichen Schönheit, und schließlich ist eine göttliche Umwandlung des vitalen und körperlichen Wesens nicht ausgeschlossen. Der Integrale Yoga sieht im vorausgegangenen Leben ein unbeabsichtigtes und unbewusstes oder halbbewusstes vorbereitendes Wachsen auf diese Wandlung hin und Yoga als die freiwillige und bewusste Bemühung und Verwirklichung dieses Wandels, durch den der Zweck der menschlichen Existenz im Prozess ihrer Umgestaltung in all ihren Teilen erfüllt wird. Der Integrale Yoga erkennt die suprakosmische Wahrheit und ein Leben in jenseitigen Welten an. Aber er sieht auch, dass die irdische Existenz ein in diese Welt ausgedehnter Zustand der einen Existenz ist. Darum ist die Wandlung des einzelnen Menschen wie das Gemeinschaftsleben auf Erden eine Form göttlicher Sinnerfüllung des Seins.

Die wesentliche Voraussetzung für die integrale Vervollkommnung ist, dass wir uns für das suprakosmische Göttliche öffnen. Die andere Bedingung ist, dass wir uns mit dem universalen Göttlichen einen. Hier fällt der Yoga der Selbst-Vervollkommnung zusammen mit dem Yoga des Wissens, des Wirkens und der Hingabe. Denn es ist unmöglich, die menschliche Natur in die göttliche umzuwandeln oder sie zum Instrument des göttlichen Wissens und Willens und der göttlichen Daseinsfreude zu machen, solange es keine Einheit mit dem höchsten Sein, Bewusstsein und der höchsten Glückseligkeit, und keine Einung mit seinem universalen Selbst in allen Dingen und Wesen gibt. Der individuelle Mensch kann die göttliche Natur nicht völlig getrennt besitzen, indem er sich in sie zurückzieht und ganz in ihr aufgeht. Solange das Leben als trennendes Dasein in Mental, Vital und Körper dauert, wird diese Einheit keine zuinnerst spirituelle sein. Die vollständige Vollkommenheit besteht darin, dass es durch diese spirituelle Einung auch die Einung mit dem universalen Mental, dem universalen Vital und der universalen Form erlangt, mit diesen anderen Konstanten des kosmischen Seins. Da überdies das Leben als Selbstausdruck des im Menschen verwirklichten Göttlichen aufzufassen ist, muss es ein Wirken der göttlichen Natur in unserem Leben geben. Daraus erfolgt notwendig die supramentale Umwandlung, die das unvollkommene Wirken der Oberflächen-Natur durch das ursprüngliche Wirken des spirituellen Wesens ersetzt und die mentalen, vitalen und physischen Seiten der äußeren Natur durch die Ideenkraft des Geistes spiritualisiert und umgestaltet. Diese drei Elemente bilden den Inbegriff integraler göttlicher Vollkommenheit des menschlichen Wesens: das Einswerden mit dem erhabenen Göttlichen, das Einswerden mit dem universalen Selbst, und eine supramentale Lebens-Aktion aus dem transzendenten Ursprung und durch diese Universalität, wobei der individuelle Mensch durch seine Seele als Träger und natürliches Instrument weiterhin fungiert.

Kapitel 11

In vollem Maße zu sein, ist die Absicht der Natur in uns

Worte Sri Aurobindos

Das einzige, das getan werden muss, ist, dass wir wir selbst werden; unser wahres Selbst ist aber das, was in unserem Innern ist, und über unser äußeres Selbst des Körpers, Lebens und Mentals hinauszukommen, ist die Voraussetzung dafür, dass wir dieses höchste Wesen werden, das unser wahres und göttliches Wesen ist, damit wir als dieses geoffenbarte Selbst handeln. Nur wenn wir im Innern wachsen und im Innern leben, können wir es finden; sobald dies geschehen ist, von dorther das spirituelle oder göttliche Mental, das entsprechende Leben und den entsprechenden Körper zu bilden und mit diesen Werkzeugen eine Welt zu schaffen, die die wahre Umgebung für eine göttliche Lebensweise ist –, dies ist das endgültige Ziel, das diese Kraft der Natur uns gewiesen hat. Es ist also die erste Notwendigkeit, dass das Individuum, jeder Einzelne, den Geist, die göttliche Wirklichkeit in seinem Innern, entdeckt und in seinem ganzen Wesen und Leben zum Ausdruck bringt. Ein göttliches Leben muss zuerst und vor allem ein inneres Leben sein; denn da das Äußere der Ausdruck dessen sein muss, was im Innern ist, kann es im äußeren Dasein keine Göttlichkeit geben, wenn es keine Vergöttlichung des inneren Wesens gibt. Die Göttlichkeit im Menschen wohnt verhüllt in seinem spirituellen Zentrum; für den Menschen kann es gar nicht möglich sein, über sich selbst hinauszukommen oder ein höheres Ziel seines Daseins zu verwirklichen, wenn es nicht in seinem Innern die Wirklichkeit eines ewigen Selbstes und des Geistes gibt.

Zu sein und in vollem Maße zu sein, ist die Absicht der Natur in uns; um aber in vollem Maße zu sein, müssen wir unseres eigenen Wesens völlig bewusst sein: Unbewusstheit, Halb-Bewusstheit oder eine mangelhafte Bewusstheit ist ein Wesenszustand, in dem wir nicht im Besitz unseres Selbsts ist; es ist zwar Dasein, aber nicht die Fülle des Wesens. Im ganzen und vollständig unseres Selbsts und der ganzen Wahrheit unseres Wesens inne zu sein, ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass wir unser Dasein wahrhaft besitzen. Dieses Selbst-Innesein ist es, was wir unter spirituellem Wissen verstehen: die Essenz spirituellen Wissens ist ein inneres, aus dem Selbst seiendes Bewusstsein; sein ganzes Wirken von Wissen, eigentlich sein Wirken jeglicher Art muss dieses Bewusstsein sein, das sich jeweils formuliert. Alles andere Wissen ist ein Bewusstsein, das sein Selbst vergessen hat und nun danach strebt, wieder zum Bewusstsein seines Selbsts und dessen Inhalts zurückzukehren; es ist eine Unwissenheit des Selbsts, die sich bemüht, sich wieder zurückzuverwandeln in das Wissen des Selbsts.

Da aber Bewusstsein in sich die Kraft des Seins birgt, müssen wir, um in vollem Maße zu sein, die innere und integrale Kraft unseres Wesens haben; das bedeutet, dass wir in den Besitz der vollen Kraft unseres Selbsts und all ihrer Verwendung kommen soll. Es wäre ein nur verstümmeltes oder vermindertes Dasein, wenn wir bloß da sein würden, ohne dass wir die Kraft unseres Wesens besitzen, oder nur eine halbe oder mangelhafte Kraft von ihm hätten; es wäre bloßes Existieren, aber nicht die Fülle unseres Wesens. Es ist sicher möglich, nur statisch zu existieren, wobei die Kraft des Wesens in sich selbst gesammelt und unbeweglich ist; integrales Sein verlangt dagegen, dass wir sowohl in der Dynamik wie in der Statik des Wesens sind: Macht des Selbsts ist das Zeichen für die Göttlichkeit des Selbsts – Geist ohne Macht ist kein Geist. Wie das spirituelle Bewusstsein etwas Inneres und Selbst-Seiendes ist, muss aber auch diese Kraft unseres spirituellen Wesens etwas Innerstes sein, automatisch in ihrem Wirken, aus dem Selbst seiend, das Selbst zur Erfüllung bringend. Jedes Instrument, das es verwendet, muss ein Teil seiner selbst sein; ja, jede äußere Instrumentation, deren sich das spirituelle Bewusstsein bedient, muss zu einem Teil seiner selbst und zu einer Ausdrucksform seines Wesens gemacht werden. Die Kraft des Wesens in einer bewussten Handlung ist Wille; und alles, was der bewusste Wille des Geistes ist, sein Wille des Wesens und des Werdens, all das muss das ganze Dasein harmonisch zur Erfüllung bringen können. Jedes Wirken, jede Energie des Wirkens, die diese Souveränität nicht besitzt oder nicht Meister des Mechanismus ihres Wirkens ist, trägt durch diesen Mangel das Zeichen der Unvollkommenheit der Wesenskraft, der Zerteilung oder behindernden Aufspaltung des Bewusstseins, der Unvollständigkeit in der Manifestation des Wesens an sich.

Letztlich soll das Bewusstsein, um vollständig zu sein, die volle Seins-Seligkeit besitzen. Wesen ohne Seins-Seligkeit, ohne volle innige Freude am eigenen Selbst und an allen Dingen ist etwas Neutrales und Herabgemindertes; es ist ein Seiendes, aber nicht die Fülle des Seins. Auch diese Seligkeit soll eine innere, aus dem Selbst seiende, automatische sein; sie darf nicht von Dingen außerhalb des Selbsts abhängen: woran sie ihre tiefe Freude hat, das macht sie zu einem Teil ihrer selbst, sie hat ihre Freude daran als an einem Teil ihrer eigenen Universalität. Alle Un-Seligkeit, aller Schmerz und alles Leiden sind Zeichen von Unvollkommenheit, von Unvollständigkeit; sie entstehen aus einer Zerteilung des Wesens, aus einer Unvollständigkeit des Bewusstseins des Wesens, aus einer Unvollständigkeit der Kraft des Wesens. Im Wesen vollständig zu werden, im Bewusstsein des Wesens, in der Kraft des Wesens, in der Seligkeit des Wesens, und in dieser integrierten Vollständigkeit zu leben, ist die göttliche Lebensweise.

In vollem Maße zu sein, bedeutet aber weiter, dass wir allumfassend sind. Wenn wir innerhalb der Begrenzungen des kleinen beschränkten Ichs leben, existieren wir zwar auch, aber es ist eine unvollkommene Existenz: seiner wirklichen Natur nach bedeutet es ein Leben in einem unvollständigen Bewusstsein und einer unvollständigen Kraft und Seligkeit des Daseins. Wir sind dadurch weniger, als wir selbst eigentlich sind, und das unterwirft uns der Unwissenheit, Schwäche und dem Leiden: selbst wenn unsere Natur durch göttliche Zusammensetzung ihrer Art diese Dinge ausschließen könnte, würden wir doch nur in einem beschränkten Horizont des Daseins, in einem eingeengten Bewusstsein und in einer begrenzten Macht und Freude am Sein leben. Alles Wesen ist ein einziges Wesen und in der Fülle leben heißt, in vollem Maße all das zu sein, was ist. Im Wesen aller zu sein und alle in unser eigenes Wesen einzubeziehen, des Bewusstseins aller bewusst zu sein, mit unserer Kraft in die allumfassende Kraft integriert zu sein, alles Handeln und alle Erfahrung in unserem Innern mitzutragen und als das eigene Handeln und die eigene Erfahrung zu fühlen, alle Selbste als unser eigenes Selbst zu fühlen, alle Seins-Seligkeit als eigene Seins-Seligkeit zu empfinden, das ist die notwendige Voraussetzung für eine integrale göttliche Lebensweise.

Um aber so in Fülle und Freiheit unserer Universalität allumfassend sein zu können, müssen wir auch übernatürlich sein. Die spirituelle Fülle des Wesens ist Ewigkeit; wir besitzen nicht die Wirklichkeit des Selbsts und nicht die Fülle unseres spirituellen Seins, wenn wir nicht das Bewusstsein des zeitlos ewigen Wesens haben, wenn wir vom Körper, vom verkörperten Mental oder vom verkörperten Leben abhängig sind, wenn wir abhängig sind von dieser oder jener Welt, von dieser oder jener Bedingung des Wesens. Wir sind nur ein Eintagsgeschöpf, wenn wir nur als ein Selbst des Körpers leben oder nur unser Körper sind, ausgeliefert dem Tod, dem Begehren, Schmerz und Leiden, Verfall und Dekadenz. Es ist also erste Bedingung für eine göttliche Lebensweise, dass wir das Bewusstsein des Körpers transzendieren, über es hinauskommen, dass wir nicht im Körper oder durch den Körper festgehalten werden, dass wir vielmehr den Körper als Werkzeug behandeln, als eine mindere äußere Gestaltung aus dem Selbst. Eine zweite Bedingung ist, dass wir nicht ein der Unwissenheit und Bewusstseins-Beschränkung unterworfenes Mental bleiben, dass wir das Mental transzendieren und als Werkzeug behandeln, dass wir es als eine äußere Gestaltung des Selbsts beherrschen. Eine dritte Bedingung ist, dass wir durch das Selbst und durch den Geist sind, dass wir nicht vom Leben abhängig sind und uns mit ihm identifizieren, dass wir das Leben transzendieren, beherrschen und als Ausdruck und Instrumentation des Selbsts verwenden. Auch das körperliche Leben besitzt nicht sein Wesen vollständig, seiner Art gemäß, wenn das Bewusstsein nicht umfassender ist als der Körper und wenn es nicht sein physisches Einssein mit allem materiellen Dasein fühlt; auch das vitale Leben besitzt nicht seine Lebensfülle in ihrer Eigenart, wenn das Bewusstsein nicht über das begrenzte Spiel individueller Vitalität hinauskommt und das universale Leben als das ihm eigene ebenso fühlt wie sein Einssein mit allem Leben. Auch die Mentalität ist kein vollbewusstes Dasein, keine Aktivität ihrer Art, wenn man nicht über die individuellen mentalen Begrenzungen hinauskommt und das Einssein mit dem allumfassenden Mental und mit dem Mental aller Menschen fühlt und nicht seine Freude an der eigenen Bewusstseins-Vollständigkeit deshalb hat, weil sie in reicher Mannigfaltigkeit zur Erfüllung kommt. Wir sollen aber nicht nur die individuelle Formel, sondern auch die Formel des Universums transzendieren, denn nur so können beide, das individuelle und das universale Dasein, ihr wahres Wesen und vollkommene Harmonisierung finden; in ihrer äußeren Formulierung sind beides unvollständige Begriffe der Transzendenz, doch in ihrer Essenz sind sie vollständig, und nur indem das individuelle und das universale Bewusstsein dieses Wesenhaften bewusst werden, können sie zu ihrer eigenen Fülle und zur Freiheit der Wirklichkeit kommen. Sonst bleibt der Einzelne der kosmischen Bewegung und deren Reaktionen und Begrenzungen unterworfen und verfehlt dadurch seine vollkommene spirituelle Freiheit. Er muss in die höchste göttliche Wirklichkeit eingehen, er soll sein Einssein mit ihr fühlen, er soll in ihr leben, er soll ihr Geschöpf aus dem Selbst sein: sein Mental, sein Leben und seine Körperlichkeit sollen in Begriffe ihrer Übernatur umgewandelt werden; all seine Gedanken, alle seine Gefühle und Handlungen sollen durch die Übernatur bestimmt werden, als deren Selbst-Gestaltung existieren. Das alles kann in ihm nur vollkommen werden, wenn er sich aus der Unwissenheit in das Wissen und durch das Wissen in das höchste Bewusstsein mit seiner Dynamik und Seins-Seligkeit entwickelt hat; doch kann einiges Wesentliche dieser Dinge und ihre ausreichende Versorgung mit Instrumenten schon bei der ersten spirituellen Umwandlung geschehen, was dann im Leben der gnostischen Übernatur seine höchste Entfaltung findet.

Worte Sri Aurobindos

Gibt es eine Evolution in der materiellen Natur und ist sie eine Evolution des Wesens, deren zwei Schlüssel-Begriffe und Mächte Bewusstsein und Leben heißen, dann muss diese Fülle des Wesens, diese Fülle des Bewusstseins, diese Fülle des Lebens das Ziel der Entwicklung sein, dem wir zustreben und das sich auf einer früheren oder späteren Stufe unserer Bestimmung manifestieren wird. Das Selbst, der Geist, die aus der ersten Unbewusstheit von Leben und Materie sich enthüllende Wirklichkeit wird ihre vollständige Wahrheit von Wesen und Bewusstsein in diesem Leben hier und in dieser Materie entfalten. Die Wahrheit wird zu sich selbst zurückkehren – sollte es ihre Absicht sein, dass das Individuum ins Absolute heimkehrt, kann sie auch diese Rückkehr vollziehen – nicht durch eine Enttäuschung am Leben, sondern durch ihre spirituelle Vollkommenheit im Leben. Unsere Entwicklung in der Unwissenheit mit ihrer bunten Mischung von Freude und Schmerz bei unserer Entdeckung des Selbsts und der Welt, mit ihren halben Erfüllungen, ihrem ständigen Finden und Verlieren, ist nur ein erster Zustand. Sie muss unausweichlich zu einer Entwicklung im Wissen führen, einer Selbst-Findung und Selbst-Entfaltung des Geistes, eine Selbst-Enthüllung der Göttlichkeit in den Dingen in jener wahren Macht seiner selbst in einer Natur, die für uns jetzt noch die Übernatur ist.

… eine Künstler-Gottheit hier

Gestaltet stets sich neu in göttlichere Form,

Nicht enden wollend

Bis alles vollbracht ist, wofür die Sterne geschaffen wurden,

Bis das Herz Gott entdeckt

Und die Seele sich selber kennt. Und sogar dann

Gibt es kein Ende.

– Sri Aurobindo

Bibliographie

Zitate

  • Die Mutter, Die spirituelle Bedeutung der Blumen, p. 39

O Seele, es ist zu früh, um zu frohlocken

  • CWM Vol. 9, pp. 425-27
  • Savitri III.2.71-72

Unser unmittelbar vor uns liegende Ziel

  • CWSA Vol. 23, pp. 89-90
  • Savitri III.2.176-78

Für diesen Augenblick lebten die Zeitalter

  • CWSA Vol. 2, p. 608

Das Ziel

  • CWSA Vol. 21, pp. 120-22
  • CWSA Vol. 13, p. 536

Die Vorstellung eines letzten Ziels ist illusorisch

  • CWSA Vol. 17, pp. 26-27

Das zentrale Motiv der irdischen Existenz

  • CWM Vol. 9, pp. 209-13
  • CWM Vol. 9, pp. 321-22

Was geschieht in der Ewigkeit der Zeit?

  • CWM Vol. 1, p. 306
  • CWM Vol. 3, pp. 31-32
  • CWM Vol. 11, p. 76
  • CWM Vol. 11, p. 289
  • CWM Vol. 11, p. 315
  • CWM Vol. 11, p. 268

Unsere tiefste Aspiration und das unausweichliche Ziel

  • CWSA Vol. 2, p. 605

Aphorismen

  • CWSA Vol. 13, p. 199
  • CWSA Vol. 13, pp. 200-01
  • CWSA Vol. 13, pp. 203-04

Göttliche Vollkommenheit des menschlichen Wesens

  • CWSA Vol. 23, pp. 616-22

In vollem Maße zu sein, ist die Absicht der Natur in uns

  • CWSA Vol. 21, pp. 1059-62
  • CWSA Vol. 21, p. 1102
  • CWSA Vol. 2, p. 644

CWM: Collected Works of the Mother, 2nd ed., Vols. 1-17
CWSA: Complete Works of Sri Aurobindo, 2012, Vols. 1-37

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