Kapitel 7
Nur im Schweigen kann man einander verstehen
Nur im Schweigen kann man einander verstehen. Es kommt oft vor, dass zwei Menschen über etwas sprechen, und dann auf einmal, ohne irgendeinen Grund, schweigen beide eine Zeitlang; dann sagt der eine plötzlich ein Wort, das genau dem entspricht, was der andere dachte. Das sind Menschen, die sich schweigend verstehen. Sie sind demselben Lauf gefolgt, sind zum selben Ergebnis gelangt, und der eine ergänzt das Denken des anderen. Das geschieht oft bei solchen, die lange zusammengelebt und eine Art mentale Verwandtschaft entwickelt haben, die sie einander tatsächlich hinter den Worten verstehen lässt. Ich kenne Leute, die aus verschiedenen Ländern stammten – ihr wisst ja, dass die Art zu denken je nach den Ländern verschieden ist; die Art der Gedankenfolge ist anders, derjenigen eines anderen Landes oft entgegengesetzt –, ich hatte sogar Erfahrungen mit Personen weit voneinander entfernter Volksgruppen, denen es gelungen war, sich mental so gut übereinzustimmen, dass sie sich derart, ohne Worte, verstanden.

Ganz sicher ist dies das Allerschwierigste, wenn man das absolute Schweigen herstellen will; denn vieles hat man nicht wahrgenommen, und dies wird dann riesengroß! Alle möglichen Einflüsterungen, Regungen, Gedanken, Formationen waren da, die sich gleichsam automatisch im äußeren Bewusstsein vollzogen, fast außerhalb des Bewusstseins, an der Grenze des Bewusstseins; und sobald man ganz still sein will, nimmt man wahr, was sich da alles regt und bewegt und sich rührt und rumort und einen Haufen Geräusche erzeugt und einen am Schweigen hindert. Deshalb sollte man lieber ganz ruhig, ganz friedvoll bleiben und gleichzeitig sehr aufmerksam auf etwas achten, das über einem ist und wonach man voll Sehnsucht strebt. Wenn aber ringsherum ein solcher Lärm aufgeführt wird, nicht darauf achten, nicht hinblicken, sich nicht darum kümmern. Wenn Gedanken kommen und gehen, … nicht hinschauen, nicht darauf achten, sich nach oben konzentrieren, in einer starken Aspiration, die man sogar formulieren kann – weil das manchmal die Konzentration unterstützt –, zum Licht, zum Frieden, zur Ruhe, zu einer Art inneren Unbewegtheit, und dass die Konzentration stark genug ist, dass einen das, was rundrum weiterwogt, nicht in Anspruch nimmt. Aber wenn du plötzlich sagst: „Oh, da ist Lärm! Oh, da ist ein Gedanke!“ Dann ist es aus. Es gelingt einem dann nie, ruhig zu sein. Hast du nie Leute gesehen, die versuchen, einen Streit zu beenden, indem sie noch lauter schreien als die Streitenden! Also, so etwa ist das! (die Mutter lacht).

Kapitel 8
Das Schweigen von oben
„Das Schweigen wird leichter durch einen Einfluss von oben hergestellt.“ Was bedeutet „von oben“, liebe Mutter?
Höhere Regionen des Bewusstseins. Wenn du dich den höheren Regionen des Bewusstseins öffnest und die Kraft von oben herabkommt, stellt sie in den unteren Regionen ganz natürlich eine Stille her, weil diese Bereiche von dieser herabkommenden höheren Kraft beherrscht werden. Das kommt aus den höheren Bereichen des Mentals und von jenseits davon, sogar vom Supramental. Wenn also diese Kraft und dieses Bewusstsein in die Bewusstseinsweisen einer niedrigeren Ebene herab- und hereinkommen, werden diese Bewusstseinsweisen natürlich ruhig, weil sie von diesem höheren Licht, das sie transformiert, gleichsam erfüllt, gleichsam überflutet werden.
Eigentlich ist das sogar die einzige Art, beständige Stille in seinem Mental herzustellen: nämlich sich diesen höheren Bereichen zu öffnen und dieses höhere Bewusstsein, diese Kraft, dieses Licht ständig in das niedrigere Mental herabkommen und Besitz von ihm ergreifen zu lassen. Und da kann dann dieses niedrigere Mental ständig ruhig und still sein, weil dieses höhere Bewusstsein tätig ist und das ganze Wesen erfüllt. Man kann handeln, schreiben, sprechen, ohne dass das der mentale Geist aktiv ist, mit dieser von oben kommenden Kraft, die in das Mental eindringt und sich seiner bedient. Der mentale Geist selbst wird einfach nur ein friedliches Instrument. Das ist eigentlich die einzige Art, das Schweigen herzustellen; denn hat sich diese Kraft erst einmal eingerichtet, ist das Schweigen hergestellt, rührt sich der mentale Geist nicht mehr, er ist lediglich unter dem Impuls dieser Kraft tätig, wenn sie sich in ihm äußert. Er ist wie ein ganz ruhiges, ganz stilles Feld, und wenn die Kraft kommt, setzt sie Elemente in Bewegung und benutzt sie, und sie drückt sich durch den mentalen Geist aus, ohne dass dieser sich bewegt. Er bleibt ganz ruhig.

Kapitel 9
Musik und Schweigen
Ich kannte einen Musiker, der ihm keineswegs gleichkam, der aber ein sehr guter Musiker war und komponierte. Er komponierte Opern, komische Opern, und Musik zu … keine Konzertmusik. … Er hatte ein großes Blatt Papier, und darauf schrieb er die Namen der verschiedenen Instrumente; und vor jedes schrieb er, ganz einfach so, was es spielen sollte. Ich war mit ihm befreundet und habe ihn arbeiten sehen. Es war, als schriebe er Gleichungen. Als es fertig war, brauchte man es nur einem Orchester zu geben; das war eine herrliche Sache. Der andere, ihr habt es bemerkt, spielte auf dem Klavier sein Thema; er spielte einige Noten, es war nichts, es hörte sich so an wie zwei oder drei Noten: das war sein Thema. Und über dieses Thema begann er nun sofort zu schreiben. Er aber spielte manchmal nicht einmal das Thema auf dem Klavier, er schrieb direkt. Das ist eine besondere Gehirnstruktur. Andere komponierten ausschließlich auf dem Klavier und jemand anderes musste für sie schreiben. Ein anderer musste diese Arbeit tun, die verschiedenen Noten zuordnen und wie sie zu organisieren waren, um die geschaffene Harmonie wiederzugeben. Aber dieser Mann, von dem ich spreche – ihm gaben große Musiker, wie zum Beispiel Saint-Saens, Musiker seiner Zeit, ihre Kompositionen zum Orchestrieren. Sie schrieben das, wie man für Klavier schreibt, für zwei Hände, und er übertrug es in Orchestermusik. Er orchestrierte ganz einfach so, wie ich es gesagt habe, indem er die verschiedenen Instrumentengruppen voneinander trennte und vor jede schrieb, welchen Part sie spielen sollte. (Schweigen)
Mutter, wenn man Musik hört, wie muss man sie wahrhaft hören?
Nun, wenn man ganz still sein kann, still und aufmerksam, einfach, als wäre man ein Instrument, das aufnehmen soll – man rührt sich nicht, und man ist nichts anderes als etwas, das zuhört –, wenn man ganz still sein kann, ganz unbewegt und einfach nur so, dann dringt das ein. Und erst später, nach einiger Zeit, kann man die Wirkung wahrnehmen, was sie ausdrücken wollte oder den Eindruck, den sie in einem hervorrief.
Aber die beste Art zuzuhören ist die, wie ein Spiegel zu sein, unbewegt und ganz konzentriert, ganz still. Im übrigen sieht man die Menschen, die Musik wirklich lieben – ich habe Musiker Musik hören sehen, Musiker, Komponisten oder Spieler, die die Musik wirklich liebten, ich habe gesehen, wie sie Musik hörten –, sie bewegen sich überhaupt nicht mehr, sie sind einfach nur so, sie rühren sich nicht mehr von der Stelle. Alles, alles ist so. Und wenn man es fertigbringt, nicht zu denken, dann ist es sehr gut, dann hat man den vollen Nutzen … Das ist eines der stärksten Mittel für eine innere Öffnung.

Kapitel 10
Man muss ruhig sein
Eben hat mich jemand gefragt, was ich mit den folgenden Worten sagen wollte:
„Man muss ruhig sein.“
Es ist ganz klar, wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, meine ich je nachdem viele verschiedene Dinge. Aber die erste unerlässliche Ruhe ist die mentale Ruhe [oder Stille], weil sie im Allgemeinen am meisten fehlt. Wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, meine ich damit: Man sollte versuchen, keinen unruhigen, erregten, hektischen Gedanken zu haben; versuchen, den Kopf zur Ruhe zu bringen und aufzuhören, sich in allen Vorstellungen und Beobachtungen und gedanklichen Konstruktionen im Kreis zu drehen.
Man könnte mit Recht eine Frage hinzufügen: Es wird gesagt, „Sei ruhig“, aber was muss man tun, um ruhig zu sein? Die Antwort ist immer die gleiche: Man muss zuerst die Notwendigkeit dazu verspüren und es wollen, und dann danach streben, und dann probieren! Zum Probieren gibt es eine unübersehbare Menge von Hilfsmitteln, die von vielen Leuten empfohlen und versucht worden sind. Das sind meist langwierige, verzwickte, schwierige Mittel; und viele Leute lassen sich entmutigen, bevor sie das Ziel erreicht haben, denn je mehr sie probieren, umso mehr fangen ihre Gedanken an, aufgeregt in ihrem Kopf umherzujagen.
Für jeden sieht das Hilfsmittel anders aus, doch zuerst muss man aus irgendeinem Grund das Gefühl haben – sei es, weil man abgespannt ist, sei es, weil man überanstrengt ist, sei es, weil man wirklich den Zustand, in dem man lebt, überschreiten will –, man muss zuerst die Notwendigkeit dieser Ruhe, dieses Friedens im Mental verstehen, fühlen. Und danach kann man dann nacheinander alle Mittel ausprobieren, bekannte und neue, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Jetzt merkt man recht schnell, dass es eine andere Ruhe gibt, die notwendig und sogar sehr dringend ist, das ist die vitale Ruhe, das heißt, die Wunschlosigkeit. Nur ist es bei dem Vital so: Wenn es nicht ausreichend entwickelt ist, schläft es entweder ein oder es streikt, sobald man zu ihm sagt, es solle ruhig sein; es sagt: „Ach nein! Ich gehe nicht weiter! Wenn du mir nicht die Nahrung gibst, die ich brauche, die Erregung, die Begeisterung, das Begehren, ja die Leidenschaft, rühre ich mich lieber nicht von der Stelle und tue nichts mehr.“ Da ist dann das Problem ein klein wenig heikler und vielleicht noch ein wenig schwieriger; denn wenn man von Erregung in Trägheit verfällt, ist das ganz sicher alles andere als ein Fortschritt! Man darf Ruhe nie mit Trägheit oder schläfriger Passivität verwechseln.
Die Ruhe ist ein sehr positiver Zustand; es gibt einen positiven Frieden, der nicht das Gegenteil des Konflikts ist – einen aktiven, ansteckenden, mächtigen Frieden, der herrscht und beruhigt, der Ordnung schafft, der organisiert. Von diesem spreche ich; wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, will ich nicht zu ihm sagen, dass er schlafen gehen soll, träge und passiv sein und sich mit nichts mehr beschäftigen soll, weit gefehlt! … Die wahre Ruhe ist eine sehr große Kraft und eine sehr große Macht. Wenn man das Problem von der anderen Seite betrachtet, kann man tatsächlich sagen, dass alle die, die wirklich stark und machtvoll sind, immer eine große Ruhe haben. Nur die Schwachen sind aufgeregt; sobald man wirklich stark ist, ist man friedvoll, still, ruhig, und man hat die Widerstandskraft, den feindlichen Wogen zu trotzen, die sich von außen hereinstürzen, in der Hoffnung, uns durcheinander zu bringen. Diese wahre Ruhe ist immer ein Zeichen von Stärke. Ruhe gehört den Machtvollen.
Und dies ist sogar physisch wahr. Ich weiß nicht, ob du Tiere wie Löwen, Tiger und Elefanten beobachtet hast, doch es ist eine Tatsache, dass diese Tiere immer so vollkommen ruhig sind, wenn sie nichts tun. Ein ruhender Löwe, der einen anschaut, sieht immer so aus, als wollte er zu einem sagen: „Ach, wie aufgeregt bist du!“ Er schaut einen an mit einer Miene so voll Weisheit und Frieden! Und seine ganze Macht, seine Energie, seine materielle Kraft sind da, versammelt, vereinigt, konzentriert und – ohne die leiseste Aufregung – bereit zur Tat, wenn der Befehl gegeben wird.
Ich habe Leute erlebt, viele, die nicht eine halbe Stunde ruhig sitzen bleiben konnten, ohne dass sie anfingen zu zappeln. Sie mussten einen Fuß bewegen, ein Bein bewegen, einen Arm bewegen, ihren Kopf bewegen; sie mussten die ganze Zeit unruhig sein, weil sie nicht die Macht oder die Kraft hatten, ruhig zu bleiben.
Diese Fähigkeit, unbewegt zu bleiben, wann man will, alle seine Energien zu sammeln und sie auszugeben, wie man will, vollständig, wenn man will, oder sie beim Handeln zu dosieren, wie man will, mit einer vollkommenen Ruhe, auch bei der Handlung – das ist immer ein Zeichen von Stärke. Das kann eine physische Stärke, das kann eine vitale Stärke, das kann eine mentale Stärke sein. Aber wenn du nur im geringsten aufgeregt bist, kannst du sicher sein, dass da irgendwo eine Schwäche ist; und wenn deine Aufregung vollständig ist, ist auch deine Schwäche vollständig.
Wenn ich also zu jemandem sage: „Sei ruhig“, kann ich alles mögliche meinen, das kommt auf den Einzelnen an. Doch ist es natürlich am Häufigsten dies: den mentalen Geist zur Ruhe bringen, sich nicht die ganze Zeit im Kopf aufregen, die Vorstellungen nicht wie mit einer Schaufel umgraben, sondern still werden.

Kapitel 11
Unbewegtheit und Macht
Keine Erklärung kann einem das vermitteln; man muss die Erfahrung haben. Solange man die Erfahrung nicht gehabt hat, kann man nicht verstehen, was das bedeutet … Und es ist mit allem dasselbe: Der Kopf da, das kleine Gehirn, kann nicht verstehen. Von dem Augenblick an, wo man die Erfahrung hat, versteht man – vorher nicht. Man kann eine Art fantasievoller Vorstellung haben, aber das heißt nicht verstehen. Um zu verstehen, muss man leben. Sobald du dir deines unsterblichen Geistes bewusst bist, weißt du, was eine mächtige Unbewegtheit ist – aber nicht vorher. Anderenfalls sind das bloße Worte.
Du verstehst nicht, wie man unbewegt und zugleich mächtig sein kann, ist das der Punkt, der dich stört? Nun, ich antworte dir, in der Unbewegtheit liegt die größte Macht. Das ist die souveräne Macht.
Und es gibt eine ganz kleine, äußerliche Anwendung, die du vielleicht verstehst. Jemand kommt und beleidigt einen oder sagt einem etwas Unangenehmes; und wenn man beginnt, in Einklang mit diesem Ärger oder diesem bösen Willen mitzuschwingen, fühlt man sich ganz schwach und entblößt, und meistens blamiert man sich. Aber wenn man es fertigbringt, in seinem Inneren, besonders in seinem Kopf, eine vollkommene Unbewegtheit zu behalten, die es ablehnt, diese Schwingungen aufzunehmen, dann fühlt man gleichzeitig eine große Kraft, und der andere kann einen nicht durcheinanderbringen. Wenn man sehr ruhig bleibt, auch körperlich, und imstande ist, sobald die Gewalt auf einen zukommt, ganz ruhig, ganz still, ganz unbewegt zu bleiben, nun, das hat nicht nur Macht über einen selbst, sondern auch über den anderen. Wenn man alle diese Schwingungen der inneren Reaktion nicht hat, wenn man in sich selbst absolut unbewegt bleiben kann, überall, hat das auf die anderen eine sozusagen unmittelbare Wirkung.
Das gibt dir eine Vorstellung von der Macht der Unbewegtheit. Und es ist etwas ganz Normales, das jeden Tag vorkommen kann; es ist keine Besonderheit im spirituellen Leben, es ist eine Sache des äußeren, materiellen Lebens.
