Kapitel 9
Die wichtigste Überantwortung
Worte der Mutter
Die wichtigste Überantwortung ist die Hingabe deines Charakters, deiner Wesensart, damit sie sich wandeln kann. Wenn du nicht deine ureigenste Natur hingibst, wird sich diese Natur nie ändern. Das ist das Allerwichtigste. Du hast eine bestimmte Art des Verstehens, gewisse Art und Weisen des Reagierens, gewisse Art und Weisen des Fühlens, beinahe bestimmte Weisen des Voranschreitens, und vor allem eine besondere Art, das Leben zu betrachten und von ihm bestimmte Dinge zu erwarten – nun, das ist es, was du hingeben musst. Das heißt, wenn du wahrhaftig das göttliche Licht empfangen und dich wandeln willst, dann musst du deine ganze Wesensart darbringen – darbringen indem du sie öffnest, sie so empfänglich wie möglich machst, damit das göttliche Bewusstsein, das sieht, wie du sein solltest, unmittelbar auf diese Regungen einwirken und sie in wahre Regungen wandeln kann, die tiefer im Einklang mit deiner eigenen Wahrheit stehen. Dies ist weitaus wichtiger als das hinzugeben, was man tut. Nicht was man tut, ist das wichtigste (obwohl natürlich auch das wichtig ist), sondern was man ist. Um welche Tätigkeit es sich auch handelt, es kommt dabei nicht eigentlich auf die Art und Weise des Tuns an, sondern auf den Bewusstseinszustand in dem gehandelt wird. Du magst arbeiten, eine uneigennützige Arbeit verrichten, ohne im geringsten an persönlichen Gewinn zu denken, arbeiten um der Freude an der Arbeit willen, doch bist du nicht gleichzeitig bereit, diese Arbeit auch zu lassen, die Arbeit zu wechseln oder die Arbeitsweise zu ändern, wenn du an deiner Art zu arbeiten hängst, dann ist deine Hingabe nicht vollständig.

Worte der Mutter
Hingabe ist der Entschluss, dem Göttlichen die Verantwortung über dein Leben anzuvertrauen. Ohne diese Entscheidung ist gar nichts möglich; wenn du dich nicht überantwortest, kommt Yoga überhaupt nicht in Frage. Alles andere folgt diesem auf natürliche Weise, denn der ganze Prozess beginnt mit der Hingabe. Du kannst dies mit Hilfe des Wissens oder durch innige Verehrung leisten.

Kapitel 10
Die Überantwortung von Angesicht zu Angesicht
Worte Sri Aurobindos
Das einzige Gott wirklich willkommene Opfer ist eine letzte, höchste, äußerste Selbst-Hingabe – es ist jene Überantwortung von Angesicht zu Angesicht, in tiefer Verehrung und Erkenntnis, frei und ohne jeden Vorbehalt, an den Einen, der zugleich unser innewohnendes Selbst, das uns umgebende und konstituierende All und die Höchste Wirklichkeit jenseits von dieser oder irgendeiner anderen Manifestation ist. Zugleich ist er insgeheim dieses alles zusammen, überall verborgen, die immanente Transzendenz. Denn Gott gibt sich einer Seele, die sich ihm ganz hingibt, in seiner Ganzheit. Nur wer seine ganze Natur darbringt, findet das Selbst. Nur wer alles hingeben kann, gewinnt überall die Freude an der Göttlichen Ganzheit. Nur eine höchste Selbst-Aufgabe gelangt zum Höchsten. Nur wenn wir durch das Opfer alles, was wir sind, sublimieren, können wir das Höchste verkörpern und hier in dem immanenten Bewusstsein des transzendenten Geistes leben.
Kurz gefasst, dies wird von uns gefordert: wir sollen unser ganzes Leben in ein bewusstes Opfer umwandeln. Jeder Augenblick und jede Regung unseres Wesens müssen entschieden zu einer ständigen und aufrichtigen Selbst-Hingabe an den Ewigen gemacht werden. All unsere Handlungen, die kleinsten, gewöhnlichsten und unbedeutendsten nicht weniger als die größten, außergewöhnlichen und edelsten, müssen als geweihte Werke getan werden. Unsere individualisierte Natur muss in dem alleinigen Bewusstsein leben, dass jede innere und äußere Regung einem größeren Etwas jenseits von unserem Ego geweiht ist. Welche Gabe es auch sei und wem auch immer wir sie darbringen mögen, es muss uns beim Tun bewusst sein, dass wir sie dem einen göttlichen Wesen in allen Wesen weihen. Unsere gewöhnlichsten und gröbsten materiellen Handlungen müssen diesen verfeinerten Charakter annehmen. Wenn wir essen, sollten wir dessen eingedenk sein, dass wir unsere Nahrung jener Gegenwart in uns darbringen. Das muss wie ein heiliges Opfer in einem Tempel sein. Das Empfinden, dass wir dabei nur unser körperliches Bedürfnis sättigen oder uns durch einen Genuss befriedigen, muss von uns abfallen. Bei jeder großen Arbeit, in jeder hohen Disziplin und in jedem schwierigen oder edlen Unternehmen dürfen wir, auch wenn wir es um unsretwillen, für andere oder für die Menschheit leisten, nicht bei der Vorstellung „wir selbst“, „die Menschheit“, „die anderen“ stehen bleiben. Was wir da tun, muss bewusst als ein Opfer des Wirkens nicht an diese, sondern entweder durch sie oder unmittelbar der Einen Gottheit dargebracht werden; der Göttliche Einwohner, der durch diese Gestaltungen verhüllt war, darf nicht länger verborgen bleiben, sondern unserer Seele, unserem Mental und unseren Sinnen gegenwärtig sein. So müssen unsere Taten und ihre Ergebnisse in die Hand dieses Einen gelegt werden, weil wir fühlen, dass der Unendliche und Erhabene jene Gegenwart ist, durch die allein unser Arbeiten und unsere Aspiration möglich ist. Denn in seinem Wesen findet alles statt; für ihn nimmt die Natur all unser Wirken und unsere ganze Aspiration entgegen und bringt es auf seinem Altar dar. Auch dort, wo die Natur allein ganz deutlich die Wirkende ist und wo wir ihr Wirken nur beobachten und dessen Gefäß und Träger sind, sollten wir ständig an den göttlichen Meister denken und uns ihn als den Wirkenden nachdrücklich bewusst machen. Sogar unser Einatmen und Ausatmen, ja unser Herzschlag kann und muss als der lebendige Rhythmus des universalen Opfers in uns bewusst gemacht werden.

Kapitel 11
Das erste und das letzte Wort des Integralen Yoga
Worte Sri Aurobindos
Das erste Wort des supramentalen Yoga ist Überantwortung; sein letztes Wort ist ebenfalls Überantwortung. Der Yoga beginnt mit dem Willen, sich dem ewigen Göttlichen zu geben, um sich in das göttliche Bewusstsein zu erheben und um der Vollkommenheit und Umwandlung willens. Im vollständigen Geben erreicht der Yoga seinen Höhepunkt; denn nur durch ein umfassendes Sich-Selbst-Geben wird das endgültige Ziel des Yoga erlangt: das vollständige Emporheben in die supramentale Gottheit, die Vollkommenheit des Wesens, die Umwandlung der menschlichen Natur.

„Einer der beiden großen Schritte in diesem Yoga ist, bei der Mutter Zuflucht zu nehmen“, erklärte Sri Aurobindo. Als er zu einer späteren Gelegenheit gefragt wurde, was denn der andere große Schritt sei, antwortete er: „Aspiration des Sadhaks nach dem göttlichen Leben.“

ANHANG
Quellenangaben
Zitat
- CWSA Vol. 13, p. 14
Sri Aurobindos Mission
- CWM Vol. 12, p. 116
Evolution – Das langsame Werden einer Gottheit
- CWSA Vol. 12, pp. 165-168
Die Manifestation – Der Körper Gottes
- CWSA Vol. 12, pp. 161-63
- CWSA Vol. 23, p. 74
Definition einer göttlich gewordenen Menschheit
- CWSA Vol. 23, pp. 90-91
Das Göttliche und das Supramental
- CWSA Vol. 28, pp. 7-8
- CWSA Vol. 23, pp. 115-16
- CWSA Vol. 28, p. 11
- CWSA Vol. 28, p. 12
- CWSA Vol. 21, p. 141
Das seelische Wesen
- CWSA Vol. 28, p. 103
- CWM Vol. 16, pp. 221-22
Das Seelische und das Spirituelle
- CWM Vol. 3, pp. 63-64
- CWM Vol. 4, pp. 164-65
- CWSA Vol. 28, p. 105
Sri Aurobindos Lehre
- CWSA Vol. 36, pp. 547-50
Das Neue in Sri Aurobindos Yoga
- CWSA Vol. 29, pp. 399-401
- CWSA Vol. 13, pp. 87-88
Die Transformation
- CWSA Vol. 29, pp. 398-99
Die Öffnung der Tore des Supramentals für das Erd-Bewusstsein
- CWSA Vol. 35, pp. 283-84
Die Bedingungen für die Verwirklichung
- CWSA Vol. 32, p. 3
- CWSA Vol. 32, p. 6
Spiritualität – die einzige Hoffnung auf Vollendung des Menschen
- CWSA Vol. 13, p. 536
- CWSA Vol. 25, p. 182
Die praktische Methode des Yoga – Drei Aspekte
- CWSA Vol. 29, pp. 5-8
Überantwortung – Das einzige wirksame Mittel
- CWSA Vol. 12, pp. 169-71
Die wichtigste Überantwortung
- CWM Vol. 4, p. 372
- CWM Vol. 3, p. 126
Die Überantwortung von Angesicht zu Angesicht
- CWSA Vol. 23, pp. 110-11
Das erste und das letzte Wort des Integralen Yoga
- Bulletin Nov. 1978, p. 14
- CWSA Vol. 32, p. 36

CWM: Collected Works of the Mother, 2nd ed., Vols. 1-17
CWSA: Complete Works of Sri Aurobindo, 2012, Vols. 1-37
