Kapitel 3
Gehaltlosigkeit
Gehaltlosigkeit ist die beste Voraussetzung für volle Aufnahmefähigkeit.

Gehaltlosigkeit, die Leere (wenn du damit Stille und Abwesenheit von Gedanken, Regungen usw. meinst), ist die Grundvoraussetzung, in die das höhere Bewusstsein einströmen kann.

Das übliche Ergebnis der Leere ist die Beruhigung jeglicher vitaler Unruhe, obwohl sie, wenn sie nicht vollständig ist, die sich mechanisch wiederholende Tätigkeit des mentalen Geistes nicht beendet.

Ja, es ist so [der Korrespondent schrieb, dass sich sein Körper im Zustand der Leere so leicht wie Baumwolle anfühlte. – Hrsg.]. Am Ende hat man das Gefühl, keinen Körper zu haben, sondern in der Weite des Raumes als unendliches Bewusstsein und Sein ausgebreitet zu sein – oder als wäre der Körper nur ein Punkt in diesem Bewusstsein.

Es gibt keinen Grund, warum Leere ein dumpfer oder unglücklicher Zustand sein soll. Es ist meist eine Gewohnheit des Mentals und Vitals, Glücksempfinden oder Anteilnahme nur mit Tätigkeit zu assoziieren; das spirituelle Bewusstsein jedoch kennt keine solchen Begrenzungen.

Die Leere kann von überall her kommen, aus dem Mental, dem Vital oder von oben.

Gehaltlosigkeit, Leere, kann von verschiedener Art sein – eine bestimmte Art spiritueller Gehaltlosigkeit oder die Leere, die eine Vorbereitung für neue Erfahrung ist. Eine Erschöpfung der Lebens-Energie aber ist etwas ganz anderes. Sie kann durch Ermüdung kommen oder dadurch, dass jemand oder etwas die vitale Kraft abzieht, oder durch einen Einbruch von Tamas.

Kapitel 4
Ausdruckslosigkeit
Im Verlauf der Sadhana stellt sich häufig ein Zustand der Ausdruckslosigkeit, der Leere ein, so etwas wie diese „neutrale Ruhe“ – besonders wenn die Sadhana im physischen Bewusstsein stattfindet. Nicht dass das Streben aufgehört hätte zu bestehen, aber es manifestiert sich während dieser Zeit nicht, weil alles neutral ruhig geworden ist. Dieser Zustand ist für das menschliche Mental und Vital unangenehm, da sie daran gewöhnt sind, immer in einer bestimmten Art von Tätigkeit zu sein, und sie betrachten jenen als einen leblosen Zustand. Man darf sich aber, wenn es so ist, nicht beunruhigt oder enttäuscht fühlen, sondern muss ruhig bleiben in dem festen Vertrauen, dass es sich nur um ein Stadium handelt, ein Gebiet, das in der Sadhana durchquert werden muss. In welchem Zustand auch immer man sich befindet, der Glaube und die feste Vorstellung der Hingabe müssen im Mental wachgehalten werden. Was die kurzen Regungen der Rastlosigkeit anbelangt, so werden sie, wenn das eingehalten wird, zur Ruhe gelangen, und das ruhige Mental und Vital werden schnell wieder die Oberhand gewinnen.

Das Physische ermüdet durch die Ausdruckslosigkeit nicht. Es kann sich aufgrund der ihm eigenen Neigung zu Trägheit tamasisch fühlen, der Leere aber widersetzt es sich meist nicht. Es könnte natürlich das vitale Physische sein. Du musst es einfach als ein Überbleibsel der alten Regungen zurückweisen.

Ausdruckslosigkeit, Leere, ist nur ein Zustand, in dem die Verwirklichung vor sich gehen muss. Wenn hierfür Streben notwendig ist, muss es angewandt werden; wenn die Verwirklichung von selbst kommt, ist natürlich das Streben nicht notwendig.

Kapitel 5
Leere, Ausdruckslosigkeit und Schweigen
Das Schweigen des Wesens ist das erste natürliche Ziel des Yoga. Du und einige andere finden darin keine Befriedigung, weil sie das vitale Mental nicht überwunden haben, das immer eine Art von Aktivität will, eine Abwechslung, eine Tätigkeit, ein Ereignis. Die ewige Unbeweglichkeit des schweigenden Brahman ist nichts, was ihm zusagt. Wenn dann die Leere kommt, wird sie als dumpf, träge, monoton empfunden.

Ich verstehe nicht ganz, was die Natur dieser Stille und dieser Hitze ist, die dich so fühlen lässt. Ein inneres Schweigen ist ein Zustand, der dem Sadhana förderlich ist, auch wenn es eine Zeit lang das Aufhören aller inneren Aktivität, aller Gedanken, Emotionen oder mentalen Wahrnehmungen bedeutet. Aber es ist möglich, und es kommt auch vor, dass das ungewohnte physische Bewusstsein das Schweigen als dumpf und als Entzug von Intelligenz empfindet, statt als Befreiung und Ruhe, und die Fremdartigkeit dieses inaktiven Zustands verursacht Beunruhigung und alarmierte Ratlosigkeit. Auch die Hitze kann für das physische Bewusstsein lästig und schwer zu ertragen sein, weil sie ungewohnt ist und es erschreckt und beunruhigt. Wenn das der Fall ist, müssen wir versuchen, die Intensität der einwirkenden Kraft zu verlangsamen und zu vermindern.
In jedem Fall aber versuche, jede Beunruhigung, die dir suggeriert wird, zu ignorieren und den Glauben zu bewahren, den du im letzten Teil des Briefes zum Ausdruck bringst.

Ich kann unmöglich geschrieben haben, dass nur du das Schweigen als leer empfindest, denn es gibt viele, die es zuerst so empfinden. Man empfindet es als leer, weil man daran gewöhnt ist, das Dasein mit Gedanken, Gefühl und Bewegung oder mit Formen und Objekten zu assoziieren, während nichts von alledem vorhanden ist. Aber wirklich leer ist es nicht.

Das Vital vermag an einem leeren Zustand kein Interesse zu finden. Wenn du von deinem Vital abhängig bist, kannst du ihn nicht aufrechterhalten. Es ist der Geist, der in dem Schweigen, das von allen mentalen oder anderen Tätigkeiten frei ist, Erlösung findet, denn in diesem Schweigen wird er sich selbst gewahr. Damit die Ausdruckslosigkeit Wirklichkeit wird, muss man in das Purusha- oder Beobachter-Bewusstsein eingetreten sein. Wenn du es von deinem Mental oder Vital her betrachtest, gibt es keine Ausdruckslosigkeit, denn wenn es auch keine deutlichen Gedanken gibt, so müssen doch eine mentale Einstellung oder mentale Schwingungen vorhanden sein – wie zum Beispiel keine Anteilnahme zu fühlen.

Das Schweigen kann zurückbleiben, wenn die Ausdruckslosigkeit gegangen ist. Alles kann hereinströmen und dennoch bleibt das Schweigen erhalten; wenn du von Kraft, Licht, Ananda, Wissen usw. erfüllt bist, kannst du dich nicht länger als ausdruckslos, leer bezeichnen.

Jede Art von Verwirklichung: unendliches Selbst, kosmisches Bewusstsein, Mutters Gegenwart, Licht, Kraft, Ananda, Wissen, die Sachchidananda-Verwirklichung, die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins bis hinauf zum Supramental. All das kann kommen in dem Schweigen, das andauert, aber nicht mehr ausdruckslos ist.

Leere, Schweigen und Frieden sind die Grundvoraussetzung für die spirituelle Siddhi – sie ist der erste Schritt. Sie ermöglicht es dem Purusha, frei von den Regungen der Prakriti zu sein, zu sehen und zu wissen, woher sie kommen, da sie nicht mehr aus dem Inneren des Mentals, des Herzens usw. aufsteigen, da diese sich in einem Zustand der Ruhe befinden, und die niederen Regungen zurückzuweisen und das Wissen, den Willen usw. des höheren Bewusstseins, das oben ist, zu rufen.

Kapitel 6
Leere, Ausdruckslosigkeit und das Selbst
Leere ist ein Zustand von Ruhe des mentalen oder vitalen oder des gesamten Bewusstseins, das von keinen mentalen oder vitalen Regungen gestört wird, sondern für das Reine Dasein offen oder dafür bereit ist oder darauf hinzielt, oder bereits ist, aber in seiner vollen Macht des Seins noch nicht verwirklicht. In welchem dieser Zustände es sich befindet, hängt von dem einzelnen Fall ab. Der Selbst-Zustand oder Zustand des reinen Daseins wird manchmal auch Leere genannt, doch nur in dem Sinn, dass es ein Zustand der reinen statischen Ruhe des Wesens ohne irgendwelche Kontakte mit der beweglichen Natur ist.

Leere als solche ist keine Eigenart des höheren Bewusstseins, obwohl es, wenn man die reine Verwirklichung des Selbstes [erlangt] hat, für das menschliche Vital häufig so aussieht, weil alles unbeweglich ist – und dem Vital scheint alles, was nicht in voller Tätigkeit ist, leer zu sein. Die Leere aber, die das Mental, Vital oder Physische erfüllt, ist eine besondere Sache, die dazu ausersehen ist, den Raum für die Dinge von oben frei zu machen.

Die Leere ist der Zustand des Selbstes – frei, weit und schweigend. Sie erscheint dem Mental leer, doch ist sie in Wirklichkeit einfach ein Zustand des reinen Daseins und Bewusstseins, Sat und Chit mit Shanti.

Es gibt nichts Derartiges wie „neant“. Mit „Gehaltlosigkeit“ ist eine Leere gemeint, die von allen Inhalten frei ist, außer dem reinen und einfachen Dasein. Ohne sie kann man nicht den schweigenden Brahman verwirklichen.

Kapitel 7
Schweigen, Denken und Wirken
Als ich oben auf der Treppe stand, nachdem ich meinen Brief für Euch hinterlassen hatte, fühlte ich eine intensive Gedankenkraft in mir aufsteigen. Ich fühlte sie in meinem Kopf, aber als wäre es ein offener Raum.
Es ist eine Befreiung, wenn es vollendet ist. Seit 1908, als ich die Erfahrung des Schweigens machte, denke ich nie mit dem Kopf oder dem Gehirn – es ist immer der Weite, die sich gewöhnlich über dem Kopf befindet, in der die Gedanken auftauchen.

Ist das, was ich fühle, wirklich yogische Leere oder hat mein Mental das falsch verstanden? Es dauert schon lange an. Bei anderen Menschen dauert sie, glaube ich, nur ein oder zwei Tage.
Als ich die Leere bekam, dauerte sie Jahre. Was auch immer kam, kam in die Leere, und ich konnte mich jederzeit aus der Aktivität in den reinen stillen Frieden zurückziehen.

Du schreibst: „Als ich die Leere bekam, dauerte sie Jahre. Alles, was sonst noch kam, kam in die Leere…“. In meinem Fall sehe ich nicht, dass etwas kommt. Es bleibt immer gleich oder es wächst. Aber es kann natürlich sein, dass es die Natur auf eine höhere Herabkunft vorbereitet.
Ich hatte viele Monate lang die reine Leere, in der nichts war. Es ist nicht wirklich Leere – denn es gibt so etwas wie Leere nicht – sondern es ist die reine Erfahrung des Selbstes. Dein mentaler Geist, der an alle möglichen Regungen gewöhnt ist, sieht es auf negative Weise. Das ist alles.

Lesen war für mich schwierig, weil das höhere Bewusstsein versuchte herabzukommen. Ich spürte einen starken Druck auf meinem Kopf.
Es müsste doch möglich sein, zu lesen, während das innere Bewusstsein zuschaut und sozusagen den Akt des Lesens sieht. In einem Zustand absoluter inneren Schweigens hielt ich Reden und gab eine Zeitung heraus, aber all das geschah, ohne dass ein Gedanke in mein Mental eindrang oder das Schweigen auch nur im Geringsten gestört oder beeinträchtigt wurde.

Manchmal fühle ich eine Art Leere, als wäre ich nur eine starre Statue. Mein Mental, mein Leben und mein Körper sind ohne Energie. Das macht es mir fast unmöglich zu arbeiten.
Was du beschreibst, ist keineswegs ein Entzug von Lebensenergie; es ist einfach die Auswirkung der Leere und Stille, die in den unteren Teilen dadurch entsteht, dass sich das Bewusstsein oben befindet. Man muss sich nur an den Gedanken gewöhnen, dass man unter diesen Bedingungen handeln kann. In einem Zustand größerer Leere habe ich eine Tageszeitung herausgegeben und in drei oder vier Tagen ein Dutzend Reden gehalten – aber ich habe das nicht irgendwie geschafft, es ist einfach passiert. Die Kraft ließ den Körper die Arbeit tun, ohne dass eine innere Aktivität stattfand.
Ich bin nicht in der Lage, diese Leere, die durch den Entzug der Lebensenergie verursacht wird, von der Leere zu unterscheiden, die durch eine spirituelle Leere verursacht wird.
Der Entzug der Lebensenergie lässt den Körper leblos, hilflos, leer und ohnmächtig zurück, ist aber mit keinerlei Erfahrung verbunden, außer manchmal mit großem Leid und Unbehagen.

Du hattest die Leere jahrelang erlebt. Aber deine schien anders zu sein als meine. Denn du konntest sie als Mauer gegen alles Unerwünschte nutzen.
Ich habe sie nie als Mauer gegen etwas benutzt. Du scheinst mehr über mein Sadhana zu wissen als ich selbst.

Ich glaube, ich habe so viele Stunden harter äußerer Arbeit zu leisten wie fast jeder im Ashram, und ich bin mir nicht bewusst, dass ich irgendeine Muße habe oder dass ich auch nur die kurze Zeit, die ich zur Konzentration habe, in seliger Ruhe verbringe und mit dem schweigenden Brahman kommuniziere. Sogar meine Konzentration ist von der Natur des Handelns, und sie ist keine luftige, stillschweigende Kontemplation, wie deine Informanten sich das vorzustellen scheinen.
Ich möchte hinzufügen, dass ich mein Leben nicht damit verbracht habe, das quietistische Ideal und die quietistische Sadhana zu verteufeln, ohne zu wissen, warum sie diesem Ideal gefolgt sind. Ich habe alle Erfahrungen gemacht, die die quietistische Sadhana geben kann, die Verwirklichung des eigenschaftslosen Parabrahman, der Maya, des Sunya, der Unwirklichkeit der Welt, des Akshara Purusha. Ich weiß auch ganz genau, warum sie sich von der Welt abgewandt haben und durch all die Millionen Schwierigkeiten gegangen sind, denen sie sich nicht stellen wollten. Keine der Schwierigkeiten, von denen du eine oder zwei aufzählst, ist mir fremd – nur habe ich niemandem oder dem Yoga die Schuld dafür gegeben und sie überwunden.
Jeder, der will, kann den quietistischen Yoga praktizieren. Aber wer sich einbildet, sie [die quietistischen Yogas] seien leicht und es gäbe dort diese Schwierigkeiten nicht, oder dass die Sadhakas dieser Pfade alle vollendete Heilige seien, frei von den menschlichen Leidenschaften und Fehlern, die man hier unter den Sadhakas sieht, der unterliegt einer großen Täuschung. Kein Yogapfad ist einfach, und die Vorstellung, dass man durch das Verlassen der Welt und das Eintauchen in sich selbst automatisch die vitale und äußere Natur ablegt, ist eine Illusion. Wenn ich dich auffordere, Gleichmut und Egolosigkeit zu entwickeln, indem du dich dem Göttlichen öffnest, dann tue ich das, weil ich es so getan habe und weil es der beste Weg ist, dies zu tun, und nicht, indem du dich in dich selbst zurückziehst und dich von allem abschottest, was den Gleichmut stören und das Ego erregen könnte. Was die Konzentration und die Vervollkommnung des Wesens und die Suche nach dem inneren Selbst betrifft, so habe ich auf dem Weg zur Arbeit in den Straßen von Kalkutta oder im Umgang mit Menschen während meiner Arbeit ebenso viel getan wie allein und in der Einsamkeit.
