Der gewöhnliche Zustand der Menschen – Innere Identität und Zerstreuung
Man ist immer mehr oder weniger mit dem identifiziert, was man tut und mit den Dingen, mit denen man in Verbindung steht. In ihrem alltäglichen Zustand der Identifikation identifizieren sich die Menschen mit allem, was sie machen, mit allem, was sie sehen, mit allen Leuten, die sie häufiger treffen. Sie sind so. Etwas in ihnen ist tatsächlich sehr vage, sehr unbeständig und wandert ständig überall herum. Und wenn sie ganz einfach nur ein wenig darüber wissen wollen, wer sie wirklich sind und was sie ausmacht, sind sie gezwungen, sich aus einer Menge Dinge zurückzuziehen, in die sie sich zerstreut haben. Zwischen den Menschen existiert untereinander eine Art von unbewusstem Fließzustand: Das habe ich euch schon viele Male gesagt, dieser Zustand erzeugt eine Vermischung von Gefühlen und Gedanken, sobald sich der Austausch nicht mehr auf einer völlig materiellen Ebene ereignet. Weil ihr eine Haut besitzt, fließt ihr nicht einfach so ineinander über. Seht ihr, sogar das subtil Physische ist wie eine Art fast nicht wahrnehmbarer Dunst, der aus den materiellen Körpern strömt, das ist die subtil physische Substanz, sie vermischt sich schrecklich mit allem und verursacht ständig alle Arten von Reaktionen von einer Person zur nächsten.
Man kann deshalb, ohne zu wissen warum, ohne die geringste Ahnung über die Ursache dafür zu haben, schnell von einem Zustand ausgeglichener Gesundheit, in einen Zustand der Unausgeglichenheit und großen Unbehagens stürzen! Man versteht nicht warum, es gibt keinen äußeren Grund dafür, es geschieht ganz plötzlich. Man kann sich gerade sehr friedlich gefühlt haben, zufrieden, um ganz plötzlich wütend zu werden, unzufrieden und besorgt! Man weiß nicht warum, es gibt keine erkennbare Ursache dafür. Man kann gerade voller Freude gewesen sein, voller Begeisterung und Heiterkeit und dann ist man im nächsten Moment ohne ersichtlichen Grund traurig, mürrisch, deprimiert, entmutigt!
Manchmal passiert es auch, dass man sich in einem Zustand von Depression befindet, dann geht man irgendwo anders hin und alles hellt sich innerlich auf, mit einem Licht und mit einer Freude, warum? Plötzlich wird man optimistisch, das ist natürlich selten, aber es kann doch passieren, es ist dieselbe Sache, sie ist auch ansteckend. Aber trotzdem riskiert man viel öfter, destruktive als konstruktive Dinge einzufangen!
Es gibt sehr wenig Menschen, die eine Atmosphäre der Freude, des Friedens und der Zuversicht ausstrahlen, das ist sehr selten. Aber diese sind die wahren Wohltäter der Menschheit. Sie brauchen dazu nicht einmal ihren Mund aufzumachen.
DIE MUTTER, CWM 7:252

Warum der Mensch sich selbst in Frage stellt
Weil der Tiger seiner Natur entsprechend handelt und nichts anderes weiß, darum ist er göttlich, und es gibt nichts Schlechtes in ihm. Wenn er sich selbst in Frage stellen könnte, wäre er ein Krimineller.
SRI AUROBINDO
Was wäre der wirklich wahre Zustand für den Menschen? Warum muss er sich in Frage stellen?
Auf der Erde1 ist der Mensch ein Wesen des Übergangs. Deshalb durchlief seine Natur verschiedene Entwicklungen, die in einer Aufeinanderfolge einer aufsteigenden Kurve folgten und ihr weiterhin folgen werden, bis sie die Schwelle zur supramentalen Natur erreichen und er in den Supermenschen (superman) umgewandelt wird.
Diese aufsteigende Kurve ist die Spirale seiner mentalen Entwicklung. Wir bezeichnen jede spontane Erscheinung als „natürlich“, die nicht das Ergebnis einer Wahl ist oder einer vorher überlegten Entscheidung, das heißt, das was ohne eine mentale Einflussnahme geschieht. Deshalb erscheint ein Mensch „natürlicher“, wenn er über eine gefühlsmäßige Spontaneität verfügt, die sehr wenig von mentalen Gedanken beeinflusst wird. Aber diese Natürlichkeit ähnelt sehr der eines Tieres und befindet sich am untersten Ende der menschlichen evolutionären Entwicklung. Er wird diese Spontaneität, die frei von jeglichem mentalen Eingriff ist, in anderer Form erst dann wieder erlangen, wenn er die supramentale Stufe seiner Entwicklung erreicht hat, das heißt, wenn er das Denken überschreitet und in der höheren Wahrheit lebt.
Bis dann ist all sein Verhalten „natürlich“! Aber mit der Entwicklung des Denkens wurde die Evolution, man kann nicht sagen verbogen, aber verzerrt, weil das Denken durch die ihm eigene Natur offen für Perversionen ist, und es war beinahe von Anfang seiner Entwicklung an pervertiert oder genauer gesagt, es wurde durch die asurischen (Asura) Kräfte pervertiert. Und dieser Zustand der Perversion weckt in uns den Eindruck, dass es unnatürlich ist.
Warum er, der Mensch, sich selbst in Frage stellt? Einfach deshalb, weil das die Natur des Denkens ist!
Mit der Entwicklung des Denkens begann die Individualisierung des Menschen und brachte ein sehr stechendes Gefühl der Trennung mit sich, sowie eine mehr oder weniger genaue Empfindung der Freiheit, eine Wahl treffen zu können – all das, all diese psychologischen Zustände sind die natürlichen Konsequenzen des mentalen Lebens und sie öffnen die Tür zu allem, was wir jetzt sehen, von Irrtümern bis zu den rigidesten mentalen Prinzipien. Der Verstand hat den Eindruck, zwischen einer Sache und einer anderen wählen zu können, aber dieser Eindruck ist die verzerrte Wiedergabe eines wahreren Prinzips, das nur dann vollständig realisierbar wäre, wenn die Seele oder das psychische Wesen im Bewusstsein aktiv werden würde und die Führung der Entwicklung des Menschen übernehmen würde. Dann würde das Leben des Menschen wirklich die Manifestation des höchsten Willens werden, der sich individuell und bewusst ausdrückt. Aber im normalen menschlichen Zustand ist das extrem außergewöhnlich, sodass es dem normalen menschlichen Bewusstsein überhaupt nicht natürlich vorkommt – es scheint beinahe etwas Übernatürliches zu sein!
Der Mensch stellt sich deshalb in Frage, weil das Instrument seiner Mentalität dazu bestimmt ist, alle Möglichkeiten einer Sache zu erkennen. Und die unmittelbare Konsequenz daraus ist die Vorstellung von Gut und Böse oder dem, was richtig oder falsch ist und all dem Elend, das daraus folgt. Man kann nicht sagen, dass das etwas Schlechtes ist, es ist ein zwischenzeitlicher Zustand der menschlichen Entwicklung – kein angenehmer, aber immerhin… einer der sicherlich unvermeidlich war für die Entwicklung des menschlichen Denkens.
DIE MUTTER, CWSA 12:429

1 Mutter fügte hinzu: „Diese Einzelheit ist nicht unbedeutend. Ich sagte „auf der Erde“, das bedeutet, dass der Mensch nicht nur zur Erde gehört, in seiner Essenz ist der Mensch ein universales Wesen, aber er hat einen besonderen Platz in der Manifestation der Schöpfung auf der Erde.“
Was man „Mich Selbst“ nennt
Süße Mutter, wenn du sagst: „Konzentriere dich im Herzen“, heißt das, dass man sich mit den Gedanken konzentrieren soll?
Mit dem Bewusstsein, nicht mit dem Denken, mit dem Bewusstsein!
Ich meine nicht, dass du im Herzen denken sollst. Ich sage, konzentriere die Energie, konzentriere das Bewusstsein, konzentriere deine innere Sehnsucht, konzentriere deinen Willen. Konzentriere dich. Man kann eine extrem intensive Konzentration erreichen, ohne einen einzigen Gedanken zu haben, und tatsächlich ist sie gewöhnlich viel intensiver, wenn man nicht denkt. (Stille) Das ist eins der unentbehrlichsten Mittel, wenn man damit Erfolg haben möchte, Selbstkontrolle zu erreichen und sogar eine begrenzte Selbstkenntnis: um sein Bewusstsein in den verschiedenen Teilen seines Wesens zu lokalisieren und es darin so zu bewegen, dass man zwischen seinem Bewusstsein und seinen Gedanken und Gefühlen und Impulsen unterscheiden kann und wahrnehmen, was das Bewusstsein an sich ist. Auf diese Weise kann man lernen, wie man es hin – und herschiebt: man kann sein Bewusstsein in den Körper verlagern, in das vitale Gefühl, in das psychische Wesen (das ist der beste Platz); man kann sein Bewusstsein in das Denken platzieren, kann es über das Denken hinausheben und mit seinem Bewusstsein kann man alle Regionen des Universums aufsuchen. Aber zuerst muss man wissen, was das eigene Bewusstsein ist, das heißt, sich seines Bewusstseins bewusst werden, es lokalisieren. Dafür gibt es viele Übungen. Aber eine von ihnen ist sehr bekannt, sie besteht darin, sich selbst dabei zu beobachten, wie man lebt, und über sich zu wachen und dann darauf zu achten, ob wirklich der Körper das Bewusstsein ist, was ich „mich selbst“ nenne, und wenn man dann realisiert hat, dass es überhaupt nicht der Körper ist, sondern dass der Körper etwas anderes ausdrückt, dann sucht man in seinen Impulsen, in seinen Emotionen, um zu sehen, ob sie das Bewusstsein von mir selbst sind, und wieder findet man heraus, dass sie es nicht sind, und dann sucht man in seinen Gedanken, ob die Gedanken wirklich das sind, was ich selbst bin, und nach einer sehr kurzen Zeit wird einem klar: „Nein, ich denke, deshalb bin „ich selbst“ etwas anderes als meine Gedanken.“ Und so gelingt es einem, durch fortschreitende Aussortierung mit etwas in sich Verbindung aufzunehmen, etwas, das dir den Eindruck vermittelt zu sein: „Ja, das bin ich selbst.“ Und dieses Etwas kann ich umher bewegen, ich kann es von meinem Körper in mein Gefühl verlagern, in meinen Verstand. Ich kann es sogar, wenn ich darin sehr geübt bin, in andere Menschen hinein verlagern und auf diese Weise identifiziere ich mich innerlich mit anderen Menschen und Dingen. Mit der Hilfe meiner inneren Bestrebung kann ich mein Bewusstsein aus meinem Körper heraus bewegen und kann damit über ihn hinaus in andere Regionen gelangen, die nicht länger diesen kleinen menschlichen Körper und das, was er enthält, ausmachen. So beginnt man zu verstehen, was das eigene Bewusstsein eigentlich ist, und danach kann man sagen: „Gut, ich werde mein Bewusstsein mit meinem psychischen Wesen vereinen und es dort verankern, sodass es mit dem Göttlichen in Harmonie ist und fähig sein wird, sich gänzlich dem Göttlichen zu übergeben.“ Oder anders: „Wenn ich durch die Übung, über meinen Intellekt und meine Fähigkeiten des Denkens hinauszugehen, in eine Region von reinem Licht, reinem Wissen gelangen kann…“, dann kann man sein Bewusstsein in dieser Region belassen und in einem leuchtenden Glanz leben, der dort über der körperlichen Form existiert.
Aber zuerst muss dieses Bewusstsein beweglich werden und man muss lernen, es von den anderen Teilen seines Wesens zu unterscheiden, die eigentlich seine Instrumente sind, sein Ausdrucksmittel. Das Bewusstsein in dir muss diese Wesensteile benutzen und du darfst sie nicht mit ihm verwechseln. Du legst dein Bewusstsein in diese Wesensteile, sodass du dir durch deinen Willen, dich mit deinem Innersten zu identifizieren, deines Körpers, deiner Gedanken, deiner Gefühle und all ihrer Aktivitäten bewusst wirst. Aber um das zu erreichen, darf dein Bewusstsein zunächst mal nicht vollkommen mit all dem vermischt und darin gefangen sein, von allem, was deine Gefühlen, deine Gedanken und dein Körper ausdrücken, sozusagen eingenommen sein, es darf sie nicht für sich selbst halten, sich nicht täuschen lassen. Wenn man an sich selbst denkt (offensichtlich machen das nicht mal zehn unter Millionen von Menschen anders), denkt man: „Ich selbst… das ist mein Körper, er ist es, was ich „mich selbst“ nenne. Ich bin so und mein Nachbar, der ist auch das, was seinen Körper ausmacht. Wenn ich von einer anderen Person spreche, spreche ich von ihrem Körper.“ Und so weiter, und so lange man in diesem Zustand der Wahrnehmung ist, ist man der Spielball aller möglichen Einflüsse und besitzt keine Selbstkontrolle.
Der Körper ist das äußerlichste Instrument von allen und doch ist er es, den man meistens „sich selbst“ nennt, außer man hat damit begonnen darüber nachzudenken.
DIE MUTTER, CWM 7:249

Die Wahrheit des Wesens
Vor einiger Zeit wurde ich etwas gefragt, worauf ich noch nicht geantwortet habe. Hier ist die Antwort. Ich habe irgendwo geschrieben: „Das Besondere an jedem Wesen ist seine einzigartige Beziehung zum Göttlichen und seine einzigartige Art, das Göttliche in der Schöpfung auszudrücken.“
Es ist das, was hier in Indien die Wahrheit jedes Wesens, das Gesetz oder das Dharma des Wesens genannt wird: das innere Zentrum und die Ursache der Individualität.
Jeder Mensch trägt diese Wahrheit in sich, eine Wahrheit, die einzigartig ist, die vollständig seine eigene ist und die er im Leben ausdrücken muss. Nun, was ist diese Wahrheit? Dies ist die Frage, die mir gestellt wurde:
Was ist diese Wahrheit des Wesens, und wie wird sie äußerlich im körperlichen Leben ausgedrückt?
Sie drückt sich so aus: Jedes individuelle Wesen hat eine direkte und ursprüngliche Beziehung mit dem Höchsten, mit dem Ursprung von allem, der sich jenseits aller Schöpfung befindet. Dieser einzigartigen Beziehung muss man Ausdruck verleihen, durch seine eigene unverwechselbare Art und Weise, mit der man mit dem Göttlichen in Verbindung steht.
Deshalb steht jeder Mensch in einer direkten und ausschließlichen Beziehung zum Göttlichen – die Beziehung, die man zum Göttlichen hat, ist einzigartig und uneingeschränkt, sodass du vom Göttlichen die Gesamtheit der Erfahrung und der Beziehung empfängst, die für dich realisierbar ist, wenn du in einem empfänglichen Bewusstseinszustand bist, und das ist weder ein Teilen mit jemand anderem, eine Teilerfahrung oder eine Wiederholung, sondern exklusiv und einzig die Beziehung, die nur jeweils jeder einzelne mit dem Göttlichen haben kann. Von einem psychologischen Standpunkt aus gesehen hat man deshalb ganz allein diese direkte Beziehung zum Göttlichen.
Man ist mit dem höchsten Göttlichen ganz allein.
Die Beziehung, die man zu ihm hat, wird niemals eine Entsprechung haben, sie wird niemals genau die gleiche sein, die ein anderer Mensch mit ihm hat. Es gibt nicht zwei Beziehungen, die gleich sind und deshalb kann nichts von dir weggenommen werden, um es einem anderen zu geben, und nichts kann dir entzogen werden, um es einem anderen zu geben. Und wenn diese Beziehung aus der Schöpfung verschwände, würde sie wirklich verschwinden – was unmöglich ist.
Das bedeutet, wenn man in der Wahrheit seines Wesens lebt, ist man ein unersetzlicher Teil der Schöpfung.
Natürlich meine ich nicht, dass man entsprechend dem lebt, was man glaubt, sein zu sollen, sondern, dass man der Wahrheit seines Wesens entsprechend lebt. Wenn man dann durch seine Entwicklung mit der Wahrheit des eigenen Wesens in Verbindung steht, hat man sofort eine einzigartige und ausschließliche Beziehung zum Göttlichen, die es kein zweites Mal gibt.
Und natürlich, weil es die Wahrheit deines Wesens ist, ist es das, was du in deinem Leben ausdrücken solltest.
DIE MUTTER, CWM 8:279

Der Schatten
Du sagtest: „Jeder Mensch besitzt zwei gegensätzliche Tendenzen in seinem Charakter…, die wie Licht und Schatten derselben Sache sind.1 Warum sind die Dinge so beschaffen? Kann es nicht nur das Licht geben?“
Ja, doch, wenn man den Schatten eliminiert. Aber er muss abgeschafft werden und das passiert nicht von selbst. Die Welt ist eine Mischung, so wie sie ist. Du findest kein Objekt in ihr, das von einer Seite Licht empfängt, ohne nicht auf der anderen einen Schatten zu werfen. So ist es und tatsächlich siehst du das Licht wegen der Schatten. So ist die Welt und um nur das Licht zu bekommen, muss man ganz bestimmt durch die ganze Disziplin hindurchgehen, die notwendig ist, um den Schatten zu eliminieren. Ich habe etwas später erklärt, dass dieser Schatten das bezeichnet, was du in deiner Natur besiegen musst, um das verwirklichen zu können, was du eigentlich in deinem Leben tun sollst. Wenn du eine Rolle zu spielen hast, wenn du eine Aufgabe erfüllen willst, wirst du immer die hauptsächliche Schwierigkeit in dir selbst tragen, die dich daran hindert, sie zu verwirklichen, deshalb liegt der Sieg über sie innerhalb deiner Reichweite.
Wenn du gegen eine Schwierigkeit zu kämpfen hättest, die überall auf der Welt vorhanden ist, würde das sehr schwierig sein (du bräuchtest dazu ein sehr weites Bewusstsein und eine sehr starke Macht), während es innerhalb deiner Möglichkeiten ist, wenn sie in dir selbst existiert und du die Auswirkungen dieses Problems immer vor dir siehst, du kannst dadurch direkt und unverzüglich dagegen ankämpfen. Das ist eine sehr praktische Einrichtung.
Hast du im Bulletin den Brief von Sri Aurobindo gesehen über: die „Böse Person?“2 Dort wird die Sache sehr gut erklärt.
DIE MUTTER, CWM 6:16

1 Jeder Mensch besitzt in großem Ausmaß – und das außergewöhnliche Individuum im zunehmenden Grad der Deutlichkeit, zu beinahe gleichen Anteilen, zwei gegensätzliche Tendenzen des Charakters, die wie das Licht und der Schatten derselben Sache sind. So wird jemand, der die Fähigkeit besitzt außergewöhnlich großzügig zu sein, plötzlich einen hartnäckigen Geiz in sich aufsteigen sehen, ein mutiger Mensch wird in einem anderen Teil seines Wesens ein Feigling sein und der gute Mensch wird plötzlich böse Impulse spüren. Auf diese Weise scheint das Leben jedes Menschen nicht nur mit der Möglichkeit ausgestattet zu sein, ein Ideal zu verwirklichen, sondern auch mit den gegenteiligen Elementen, die auf konkrete Art und Weise den Kampf repräsentieren, den er ausfechten muss, um den Sieg zu erreichen, damit seine Selbstverwirklichung möglich wird. Folglich ist das ganze Leben eine Erziehung des Charakters, die mehr oder weniger bewusst und mehr oder weniger bereitwillig verfolgt wird. (DIE MUTTER, Fragen und Antworten, 1954)
2 Die „Böse Person“: Was du über die „Böse Person“ berichtest, interessiert mich sehr, weil es meine andauernde Erfahrung bestätigt, dass eine Person, die für die Arbeit (des Yoga) sehr gut geeignet ist, beinahe immer – vielleicht sollte man keine zu starre universale Regel über diese Dinge aufstellen – eine Person in sich anhaften hat, die wie ein starker Wesenszug von ihr erscheint, der genau im Widerspruch zu dem steht, was sie innerlich in der Arbeit des Yoga realisieren will. Oder wenn dieser Teil seines Wesens zuerst nicht vorhanden ist und nicht an die Persönlichkeit gebunden ist, tritt eine Kraft dieser gegensätzlichen Art in die Umgebung dieser Person ein, sobald sie ihre Selbstverwirklichung beginnt. Die Absicht dieser Kraft scheint darin zu bestehen, Widerstände, Fehltritte und nachteilige Umstände zu verursachen, in einem Wort, das ganze Problem der Arbeit des Yoga vor ihr aufzutürmen, die sie angefangen hat. In der okkulten Ökonomie der Dinge scheint es so, als ob das Problem nicht anders gelöst werden könnte, als dadurch, dass das ausgewählte Instrument es zu seinem eigenen macht. Das würde viele Dinge erklären, die oberflächlich gesehen sehr beunruhigend erscheinen. (SRI AUROBINDO, Briefe über den Yoga)