
Strahlende Reinheit
Die Natur singt ihre schönsten Lieder jenen, die sie lieben…
Strecke deine Hände vor, um die reiche Fülle der Sonnenstrahlen zu fühlen. Drücke die zarten Blüten gegen deine Wange und betaste ihre anmutigen Formen, ihre sanfte wandelbare Gestalt, ihre Geschmeidigkeit und Frische. Lass die Luftfluten, die durch die Himmel streichen, dein Gesicht umwehen, „ziehe den Weltraum in großen Atemzügen ein,“ staune, staune über das nimmermüde Wehen des Windes. Sammle Note für Note die unendliche Musik, die mehr und mehr deiner Seele zuströmt von den Taktklängen tausender Zweige und rauschender Wasser. Wie kann die Welt verkümmern, wenn dieser höchst profunde, gefühlvolle Sinn, Kontakt, seinen Dienst treu versieht? Würde eine Fee mich auffordern, zwischen dem Gesichts- und Tastsinn zu wählen, so würde ich sicher nicht den warmen, einnehmenden Kontakt menschlicher Hände missen wollen oder den Reichtum der Form, Beweglichkeit und Fülle, die in meine Handflächen drücken.
Hellen Keller


Ohne Zweifel sollte jeder Mensch Zeit für eine besondere Freude haben, selbst wenn es nur täglich fünf Minuten sind, um eine liebliche Blume oder eine Wolke oder einen Stern zu betrachten, oder einen Vers zu lernen oder jemandem seinen grauen Alltag aufzuhellen. Was nützt der gewaltige Fleiß, an dem sich so viele Menschen aufreiben, wenn sie es stets hinausschieben, ein Lächeln mit Schönheit und Freude auszutauschen, und sich stattdessen an beschwerliche Pflichten und Beziehungen klammern? Wenn sie nicht diese gute, frische und ewige Gegenwart in ihr Leben hereinlassen, wie es ihnen möglich ist, schließen sie sich notwendigerweise vom Himmel aus, und ein grauer Staub legt sich über alles Leben. Dass der Himmel heller als die Erde ist, bedeutet wenig, wenn nicht die Erde selbst gewürdigt und genossen wird. Wird ihre Schönheit geliebt, so verleiht dies das Recht, zum Strahlen des Sonnenaufgangs und der Sterne hinzustreben.
Hellen Keller


Die unendlichen Wunder des Universums werden uns in genau dem Maße offenbart, wie wir in der Lage sind, sie aufzunehmen. Die Lebhaftigkeit unserer Schau hängt nicht so sehr davon ab, wie sehr wir sehen können, sondern davon, wie sehr wir fühlen. Auch schafft bloßes Wissen noch nicht Schönheit. Die Natur singt ihre schönsten Lieder jenen, die sie lieben. Sie enthüllt ihre Geheimnisse nicht jenen, die nur kommen, um ihr Verlangen nach Analyse zu stillen, um Fakten zu sammeln, sondern jenen, die in ihren vielfältigen Phänomenen Andeutungen hoher, feiner Gefühle sehen.
Hellen Keller


Was wir einmal genossen haben, können wir nie wieder verlieren. Ein Sonnenuntergang, ein Berg, der in Mondlicht gebadet ist, das Meer in Stille und in Sturm – wir sehen sie, wir lieben ihre Schönheit, halten den Anblick in unserem Herzen fest. Alles, was wir innig lieben, wird Teil unserer selbst. Unsere Lieben sind uns nicht mehr verloren, wenn sie sterben, als wenn sie noch an unserer Seite lachten, liebten, arbeiteten und spielten. Wahrlich ist das Leben Herr über den Tod und Liebe kann nie vergehen.
Hellen Keller


Das Ende des Lebens - Der Anfang des Überlebens
Im Jahr 1854 machte die amerikanische Regierung ein Angebot für ein großes Areal von Indianerland und versprach dem Indianervolk ein Reservat. Die Antwort von Häuptling Seattle ist eine äußerst schöne und profunde Aussage zur Umwelt…
Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen, die Wärme des Landes? Der Gedanke ist uns fremd.
Wenn wir nicht die Frische der Luft und das Glitzern des Wassers besitzen, könnt ihr sie dann kaufen?
Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig. Jede funkelnde Tannennadel, jeder Sandstrand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung und jedes summende Insekt ist der Erinnerung und Erfahrung meines Volkes heilig. Der Lebenssaft, der durch die Bäume strömt, trägt die Erinnerungen des Menschen…
Wir sind Teil der Erde und sie ist Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern; die Rinder, das Pferd, der große Adler, sie sind unsere Brüder. Die felsigen Berggipfel, die Säfte in den Wiesen, die Körperwärme des Ponys und der Mensch – sie alle gehören derselben Familie an…
Die Flüsse sind unsere Brüder, sie stillen unseren Durst. Die Flüsse tragen unsere Kanus, und ernähren unsere Kinder. Wenn wir euch unser Land verkaufen. müsst ihr daran denken und es euren Kindern beibringen, dass die Flüsse unsere Brüder sind und eure; und ihr müsst hinfort den Flüssen dieselbe Freundlichkeit entgegenbringen wie jedem anderen Bruder…
In den Städten des weißen Mannes gibt es keinen ruhigen Ort. Kein Ort, um das Aufrollen der Blätter im Frühling zu hören oder das Rascheln der Flügel eines Insekts. Aber vielleicht ist es so, weil ich ein Wilder bin und nicht verstehe. Das Getöse scheint nur die Ohren zu verletzen. Und was hat das Leben noch an sich, wenn der Mensch nicht den einsamen Ruf des Ziegenmelkers hören kann oder das nächtliche Streiten der Frösche am Teich? Ich bin ein roter Mann und verstehe nicht. Der Indianer liebt den sanften Ton des Windes, der über die Fläche eines Teiches saust, und den Geruch des Windes selbst, gereinigt von einem Regen um Tagesmitte, oder bereichert mit dem Duft der Pinie.
Die Luft ist dem roten Mann kostbar, denn alle Dinge teilen denselben Atem – das Tier, der Baum, der Mensch, sie alle teilen denselben Atem. Der weiße Mann scheint nicht die Luft zu bemerken, die er atmet. Wie ein Mensch, der seit vielen Tagen im Sterben liegt, bemerkt er nicht den Gestank. Aber wenn wir euch unser Land verkaufen, müsst ihr daran denken, dass die Luft uns kostbar ist, dass die Luft ihren Geist mit all dem Leben teilt, das sie stützt. Der Wind, der unserem Großvater den ersten Atem gab, empfängt auch seinen letzten Hauch. Und wenn wir euch unser Land verkaufen, müsst ihr es für sicher halten und heilig halten als einen Ort, wo selbst der weiße Mann hingehen kann, um den Wind zu schmecken, der den süßen Duft der Blumen der Wiese trägt.
So werden wir euer Angebot prüfen, unser Land zu kaufen. Wenn wir beschließen, es anzunehmen, werde ich eine Bedingung stellen: Der weiße Mann muss die Tiere dieses Landes als seine Brüder behandeln…

Was ist der Mensch ohne die Tiere? Wenn all die Tiere weg wären, würde der Mensch an einer großen Einsamkeit des Geistes sterben. Denn alles, was den Tieren zustößt, stößt bald dem Menschen zu. Alle Dinge sind verknüpft.
Ihr könnt euren Kindern beibringen, dass der Boden unter ihren Füßen die Asche unseres Großvaters ist. Damit sie das Land respektieren werden, sagt euren Kindern, dass die Erde reich mit den Leben unserer Leute ist. Lehrt eure Kinder, was wir unsere Kinder gelehrt haben, dass die Erde unsere Mutter ist. Was immer der Erde zustößt, stößt den Söhnen der Erde zu. Wenn Menschen auf den Boden spucken, spucken sie auf sich selbst.
Dieses wissen wir: die Erde gehört nicht dem Menschen; der Mensch gehört der Erde. Dies wissen wir. Alle Dinge sind verknüpft wie das Blut, das eine Familie eint. Alle Dinge sind verknüpft. Was immer der Erde zustößt, stößt den Söhnen der Erde zu. Der Mensch hat nicht das Gewebe des Lebens gewoben: er ist nur eine Faser darin. Was immer er dem Gewebe antut, tut er sich selbst an…

Schließlich und endlich mögen wir doch Brüder sein. Wir werden sehen. Eines wissen wir, was der weiße Mann eines Tages entdecken mag – unser Gott ist derselbe Gott. Ihr mögt nun denken, dass ihr Ihn besitzt, wie ihr unser Land zu besitzen wünscht; aber ihr könnt es nicht. Er ist der Gott des Menschen, und Sein Mitgefühl ist dasselbe für den roten Mann und den weißen. Diese Erde ist ihm kostbar, und der Erde Schaden zuzufügen, heißt, ihren Schöpfer zu verachten. Auch die Weißen werden dahingehen…
Aber in eurem Untergang werdet ihr strahlen, angefeuert von der Kraft des Gottes, der euch in dieses Land brachte und euch zu einem speziellen Zweck Herrschaft über dieses Land und über den roten Mann verlieh. Jene Bestimmung ist uns ein Mysterium, denn wir verstehen nicht, wenn die Büffel alle geschlachtet werden, die wilden Pferde gezähmt, wenn die verborgenen Winkel des Waldes den Geruch vieler Menschen tragen und der Anblick der reifen Hügel durch sprechende Drähte entstellt ist. Wo ist das Dickicht? Hinweg. Wo ist der Adler? Hinweg. Das Ende des Lebens und der Anfang des Überlebens.

Der Mensch jenseits des Menschen

Höher hinausstreben
Besteht für Tiere eine innere Notwendigkeit, zu etwas anderem zu werden als was sie sind?
Ich kannte Tiere, die sich sehnten, zu Menschen zu werden, aber sie lebten mit Menschen zusammen. Katzen und Hunde zum Beispiel, die in enger Vertrautheit mit Menschen lebten, hatten wirklich eine Sehnsucht danach. Ich hatte eine Katze, die sehr unglücklich darüber war, eine Katze zu sein, sie wollte ein Mensch sein. Sie starb vorzeitig. Sie pflegte zu meditieren, sie tat sicher eine Art Sadhana ihrer eigenen Art, und als sie dahinschied, reinkarnierte sich sogar ein Teil ihres vitalen Wesens in einem Menschen. Das kleine psychische Element, das sich im Zentrum des Wesens fand, ging direkt in einen Menschen ein, aber selbst das, was im Vitalen der Katze bewusst war, ging in einen Menschen. Aber dies sind recht außergewöhnliche Fälle.
Die Mutter

Wir hatten eine Katze…, die wir Brownie nannten.
Sie war bewundernswert und starb an der Katzenkrankheit – wie es eine Krankheit der Hunde gibt, so gibt es auch eine der Katzen – ich weiß nicht, wie sie sie sich holte, aber sie verhielt sich während der Krankheit wunderbar und ich kümmerte mich um sie wie um ein Kind. Und sie drückte stets eine Art Sehnsucht aus. Zu jener Zeit, bevor sie erkrankte… wir pflegten zu jener Zeit in einem Raum des Library House Meditation zuhalten, im Zimmer dort – es war Sri Aurobindos eigenes Zimmer – und saßen dabei auf dem Boden. Und in einer Ecke stand ein Lehnstuhl, und als wir uns zur Meditation versammelten, kam diese Katze jedes Mal und ließ sich auf dem Lehnstuhl nieder und trat wortwörtlich in eine Trance ein, sie hatte Bewegungen der Trance; sie schlief nicht, sie war nicht eingeschlafen, sie war wirklich in einer Trance; sie gab entsprechende Zeichen zu erkennen und hatte erstaunliche Bewegungen, wie wenn Tiere träumen; und sie wollte nicht aus der Trance herauskommen, sie weigerte sich, sie blieb stundenlang in ihr. Aber sie kam nie ins Zimmer, bis wir die Meditation begannen. Sie ließ sich dort nieder und blieb während der ganzen Meditation. Wir waren bereits fertig, aber sie blieb dort, und erst wenn ich zu ihr ging, um sie zu nehmen, sie in einer bestimmten Weise rief und in ihren Körper zurückbrachte, war sie bereit, wegzugehen; sonst rührte sie sich nicht von der Stelle, ganz gleich wer kam und sie rief. Diese Katze hatte stets eine große Sehnsucht, eine Art Sehnsucht, zu einem Menschen zu werden, und tatsächlich trat sie dann auch in einen menschlichen Körper ein, als sie ihren Körper verließ. Nur war es ein sehr kleiner Teil des Bewusstseins des Menschen… Aber dies war eine Katze, die viele Geburten sozusagen übersprang, viele psychische Stadien, um in Kontakt mit einem menschlichen Körper zu treten. Es war ein recht schlichter menschlicher Körper, aber dennoch, trotzdem…
Es besteht ein Unterschied in der Entwicklung einer Katze und eines Menschen… Es kommt vor… Ich denke, dies sind außergewöhnliche Fälle, aber dennoch kommt es vor.
„Ist in diesen Fällen das Psychische bewusst?“
Die Sehnsucht ist bewusst, ja sie ist bewusst. Die Sehnsucht war sehr bewusst in ihr, sehr bewusst. Es ist nicht ein vollentwickeltes Psychisches, wie wenn es zu einem vollständig unabhängigen Wesen wird, das ist es nicht; aber es ist eine Sehnsucht, es ist eine intensive Sehnsucht nach Fortschritt – wie wir ja die Sehnsucht haben, zu supramentalen Wesen zu werden anstatt menschliche Wesen zu bleiben, so war es etwas ganz und gar ähnliches: es war eine Katze, die Yoga praktiziert – exakt dies –, um zu einem Menschen zu werden.
Die Mutter

Sri Aurobindo sagt hier, dass jede Spezies sich mit den bestimmten Charakteristika jener Spezies begnügt, den Prinzipien ihrer Struktur, und nicht den Versuch unternimmt, sich in eine neue Spezies zu transformieren oder umzuwandeln. Der Hund begnügt sich damit, ein Hund zu sein, das Pferd, ein Pferd zu sein, und es versucht zum Beispiel nie, zu einem Elefanten zu werden! Vor diesem Hintergrund stellt Sri Aurobindo die Frage: Wird der Mensch sich damit begnügen, ein Mensch zu sein, oder wird er die Notwendigkeit erkennen, etwas anderes zu sein als Mensch, das heißt ein Übermensch?
Das ist zusammengefasst der Inhalt des Absatzes.
Aber wenn man an solche Darstellungen gewöhnt ist, wenn man einen spekulativen Geist hat und dies liest, so ist etwas in unserem Wesen nicht befriedigt. Das heißt, dies betrifft nur die äußerlichste Form, jene Art Kruste des Wesens, aber im Inneren fühlt man „etwas“, was dagegen eine Art mächtige Tendenz hat, über jene Form hinauszugehen. Und eben dies will Sri Aurobindo uns verdeutlichen.
Ich habe Haustiere gesehen, die wirklich eine Art innerer Notwendigkeit hatten, zu etwas anderem zu werden als das, was sie waren. Ich kannte Hunde, die so waren, Katzen, Pferde und sogar Vögel. Die äußere Form war notwendigerweise das, was sie war, aber im Tier fand sich etwas Lebendiges und Wahrnehmbares, das eine deutliche Anstrengung unternahm, einen anderen Ausdruck, eine andere Form zu erlangen. Und jeder Mensch, der über das Stadium des Tiermenschen hinausgegangen und zum Menschenwesen geworden ist, hat das, was ich eine „unverbesserliche“ Notwendigkeit nennen würde, etwas anderes zu sein als dieses höchst unbefriedigende Halbtier – unbefriedigend in seinem Ausdruck, in seinen Ausdrucksmitteln und Lebensinstrumenten.
Die Mutter

Der Mensch – das höhere Wesen
Worin liegt das Menschsein des Menschen? Darin, sich selbst zu übersteigen…
„In welcher Weise ist der Mensch also vom Standpunkt der Form anderen Tieren überlegen?“
Ich denke, das lässt sich recht leicht herausfinden.
Sri Aurobindo spricht von der Form, die imstande ist, den Geist (Spirit) zu manifestieren. Die ureigene Natur der Manifestation des Geistes ist Bewusstsein, Verstehen und schließlich Meisterschaft. Es ist offensichtlich, dass man vom Standpunkt der Ästhetik und rein physischen Erscheinung gewisse Tierformen schön finden kann und vielleicht sogar schöner als die menschliche Form in ihrem gegenwärtigen Zustand der… Degeneration, so meine ich. Es gab Zeiten, wo die menschliche Rasse schöner und harmonischer gewesen zu sein scheint; aber als Ausdrucksmittel des Geistes ist ihre Überlegenheit jenseits aller Zweifel. Denn die bloße Tatsache, dass der Mensch auf-recht steht, zeigt symbolisch die Fähigkeit, Dinge von oben zu betrachten. Er dominiert, was er sieht, anstatt stets seine Nase am Boden zu haben. Natürlich kann man sagen, dass Vögel fliegen, aber mit Flügeln kann man schwerlich ein Mittel zum intellektuellen Selbstausdruck haben!
Die aufrechte Haltung ist sehr symbolisch. Wenn du versuchst, auf allen Vieren zu gehen, wirst du sehen, dass diese Haltung, mit Augen und Nase notwendigerweise zum Boden gewandt, dir nicht das Gefühl vermittelt, Dinge von einer anderen Ebene oder sogar von oben zu betrachten. Die ganze Struktur des menschlichen Körpers ist so gestaltet, dass sie mentales Leben ausdrückt. Die Proportionen des Gehirns, zum Beispiel die Struktur des menschlichen Kopfes, die Struktur von Armen und Händen, all dies ist vom Standpunkt des Ausdrucks des Geistes fraglos ganz und gar überlegen, und es scheint ausschließlich zu dem Zweck konzipiert und konstruiert worden zu sein, Intelligenz auszudrücken.
Sicher ist der Mensch vom Standpunkt der Kraft, Geschmeidigkeit und Wendigkeit nicht das begabteste der Tiere, aber im Ausdruck des Geistes lässt sich kein anderes Tier mit ihm vergleichen. Alles ist mit Hinblick darauf konstruiert. Wir mögen dieser Möglichkeit andere Dinge hinzufügen wollen, die nur um des mentalen Lebens willen geopfert worden zu sein scheinen – aber gerade auch wegen dieser Fähigkeit, ein mentales Leben auszudrücken, ist der Mensch in der Lage, in sich Fähigkeiten zu entwickeln, die nur latent sind. Der Mensch hat eine Fähigkeit, zu erziehen: sein Körper kann entwickelt, erzogen werden. Er kann gewisse Fähigkeiten ausbauen. Man könnte sich nicht ein Tier vorstellen, selbst unter jenen, die wir am meisten bewundern, das zum Beispiel zur Körpererziehung fähig ist, rein physisch – ich meine hier nicht, zur Schule gehen oder Dinge lernen, sondern nur bloße Körpererziehung, eine systematische Entwicklung der Muskeln. Das Tier wird geboren und macht guten Gebrauch von dem, was es hat, und es wächst nach seinem eigenen Gesetz, aber es erzieht sich nicht oder tut es in einer sehr rudimentären Weise, in einem extrem begrenzten Bereich, wohingegen der Mensch durch eine normale und systematische Entwicklung seine Defekte und Mängel beheben kann. Der Mensch ist sicher in einer organisierten Weise das erste progressive Tier, das seine Kapazitäten, seine Möglichkeiten, seine Fähigkeiten erhöhen und Dinge erlangen kann, die er nicht spontan besaß. Es gibt kein einziges Tier, das dies vermag.
Ja, unter dem Einfluss des Menschen haben Tiere Bewegungen gelernt, die sie sonst nicht spontan machten, aber das geschah unter dem Einfluss des Menschen. Sicher hätten Hunde oder Pferde nie gelernt, zu tun, was sie durch Kontakt mit dem Menschen erlernten. Daher ist es offensichtlich, dass die menschliche physische Form die bestgeeignete ist, um den Geist auszudrücken. Sie mag uns unangemessen erscheinen, aber doch eben deshalb, weil wir uns imstande fühlen, mehr aus unseren Körpern herauszuholen, als sie spontan ohne erziehenden Willen gegeben hätten. Und mit dieser Möglichkeit, Intelligenz auszudrücken, Beobachtung, Begreifen, Deduktion – all die mentalen Eigenschaften –, hat der Mensch allmählich gelernt, die Gesetze der Natur zu verstehen, und hat versucht, sie nicht nur zu verstehen, sondern zu meistern.
Wenn wir das, was er ist, vergleichen mit dem höheren Wesen, das in der Wahrheit lebt und zu dem wir werden wollen, können wir offensichtlich in einer sehr herabwürdigenden Art über den Menschen sprechen, so wie er gegenwärtig ist, und über seine Unvollkommenheit klagen. Aber wenn wir uns an die Stelle der Tiere versetzen, die ihm in der Evolution unmittelbar vorausgehen, sehen wir, dass er mit Möglichkeiten und Kräften ausgestattet ist, die die anderen kaum ausdrücken können. Die bloße Tatsache, dass man den Willen hat, die Gesetze der Natur zu kennen und hinreichend zu meistern, um in der Lage zu sein, sie den eigenen Erfordernissen anzupassen und sie in einem gewissen Maß zu wandeln, ist etwas, was einem Tier unmöglich, unvorstellbar ist.
Die Mutter

Man könnte sagen, dass die Beherrschung des Feuers das symbolische Zeichen menschlicher Überlegenheit ist. Wo immer ein Mensch ist, wird ein Feuer entzündet.
Die beiden Dinge, die den Tieraktivitäten deutlich überlegen sind, sind die Fähigkeit zu schreiben und die Möglichkeit artikulierter Sprache. Und dies ist etwas, was so deutlich überlegen ist, dass alle hinreichend entwickelten Tiere gegenüber artikulierter Sprache äußerst sensitiv sind; sie fasziniert sie. Wenn du in einer sehr klaren, sehr modulierten, sehr gut artikulierten Weise zu einem wilden Tier sprichst, wird es sogleich hingezogen, es wird wirklich fasziniert – ich spreche nicht von jenen, die in der Nähe von Menschen lebten, sondern eben von Tieren, die nie zuvor einen Menschen trafen. Sie hören sogleich zu, sie fühlen die überlegene Kraft, die ausgedrückt wird.
Die Mutter

Der Mensch selbst nimmt das wundergleiche Spiel von Elektron und Atom auf, gestaltet durch die komplexe Entwicklung des Protoplasma das chemische Leben subvitaler Dinge, vervollkommnet das ursprüngliche Nervensystem der Pflanze in der Physiologie des abgeschlossenen Tierwesens, erfüllt und wiederholt rasch in seinem embryonischen Wachstum die vergangene Evolution der Tierform in die menschliche Vollkommenheit, und, wenn er einmal geboren ist, richtet er sich von der zur Erde und nach unten gewandten Tierneigung zur aufrechten Form des Geistes auf, der bereits zu seiner weiteren himmelwärtigen Evolution aufblickt. Die ganze irdische Vergangenheit der Welt ist dort im Menschen zusammengefasst, und nicht nur hat die Natur gleichsam das physische Zeichen gegeben, dass sie in ihm einen Auszug ihrer universalen Kräfte herangebildet hat, sondern psychologisch ist er auch in seinem unterbewussten Wesen eins mit ihrem obskureren subanimalischen Leben, enthält in seinem Mental und seiner Natur das Tier und steigt aus diesem ganzen Substrat zu seinem bewussten Menschsein auf.
Sri Aurobindo

Ein Baum am sandigen Flussstrand
Streckt seine höchsten Zweige empor
Wie Finger zu den Firmamenten, die sie nicht erreichen können,
Erdgebunden, himmelsstrebend.
Dies ist die Seele des Menschen.
Körper und Kopf, hungernd nach der Erde, verzögern unseren Himmelsflug.
Sri Aurobindo
