Ein Wesen, ausharrend im Vergehen der Welten,
In vielfacher Gestalt, obgleich dasselbe immerdar,
Dem äußeren Geiste nicht erkennbar,
Prägt unter fremden Namen in fremden Ländern
Im Ablauf der Zeiten der Erde abgegriffenes Blatt
Mit einem wachsenden Bild seines geheimen Selbstes,
Lernt durch Erfahrung, was der Spirit wusste,
Bis es erkennt, dass seine Wahrheit lebt und Gott.
SRI AUROBINDO SAVITRI: BUCH II CANTO 14
Kapitel 1
Evolution und Seele
„Dieses erdhafte evolutionäre Wirken der Natur, von der Materie zum Mental und darüber hinaus, ist durch einen doppelten Prozess gekennzeichnet: einem äußeren, sichtbaren Vorgang der physischen Evolution mit der Geburt als seinem Mechanismus –, denn jede entwickelte Körperform, die ihre eigene entwickelte Bewusstseinsmacht beherbergt, wird durch Vererbung aufrechterhalten und in ununterbrochener Folge weitergeführt; gleichzeitig besteht ein unsichtbarer Prozess der Seelenevolution, deren Mechanismus die Wiedergeburt ist, in aufsteigenden Stufen von Form und Bewusstsein. Das erste als solches würde lediglich eine kosmische Evolution bedeuten; denn der Einzelne wäre ein schnell vergängliches Instrument, und die Rasse, als ein dauerhafter kollektiver Ausdruck, wäre die eigentliche Stuft in der progressiven Manifestation des kosmischen Bewohners, des universalen Spirits: Wiedergeburt ist eine unerlässliche Voraussetzung für eine lange Dauer und Evolution des individuellen Wesens im Erdendasein. Jede Stuft der kosmischen Manifestation, jede Form, die den innewohnenden Spirit beherbergen kann, wird durch die Wiedergeburt zu einem Hilfsmittel der individuellen Seele, der seelischen Wesenheit, um immer mehr ihres verborgenen Bewusstseins zu manifestieren; alles Leben wird zu einer Stuft in einem Sieg über die Materie durch ein weiteres Fortschreiten des Bewusstseins in ihr, was letzten Endes die Materie selbst zu einem Hilfsmittel für die volle Manifestation des Spirits machen wird.“ – SRI AUROBINDO (The Life Divine)
Das ist sehr schwer zu verstehen, liebe Mutter!
Ah! …
Wenn du die Erdgeschichte betrachtest, siehst du, dass alle Lebensformen nacheinander in einem allgemeinen Plan, einem allgemeinen Programm erschienen sind, und immer unter Hinzufügung einer neuen Vollkommenheit und eines größeren Bewusstseins. Nimm nur einmal die Tierformen, denn das ist leichter zu verstehen, sie sind die letzten vor dem Menschen: jede Tiergattung, die auftrat, war mit einer zusätzlichen Vollkommenheit in ihrer allgemeinen Natur ausgestattet – ich meine nicht in allen Einzelheiten – eine größere Perfektion als die vorhergehenden, und der krönende Gipfelpunkt des Aufstiegs war die menschliche Form, welche zur Zeit die geeignetste Form ist, um Bewusstsein zu manifestieren; das heißt, die menschliche Form auf ihrem Höhepunkt, dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten, vermag mehr Bewusstsein zu enthalten als alle vorhergehenden Tierformen.
Das ist einer der Wege der Evolution der Natur.
Sri Aurobindo sagte uns letzte Woche, dass diese Natur einer ansteigenden Weiterentwicklung folgt, um mehr und mehr das göttliche Bewusstsein zu manifestieren, das in allen Formen enthalten ist. So, mit jeder neuen Form, die sie hervorbringt, befähigt die Natur diese Form immer vollständiger den Spirit auszudrücken, den sie enthält. Aber wenn es so wäre, würde eine Form erscheinen, sich entwickeln, ihren höchsten Punkt erreichen, und eine andere Form würde ihr nachfolgen; die vorhergehenden hören nicht auf zu existieren, doch macht die einzelne Form keinen Fortschritt mehr. Der einzelne Hund oder Affe, zum Beispiel, gehört zu einer Spezies, die ihre eigene besondere Charakteristik hat; wenn der Affe oder der Mensch auf der Höhe seiner Möglichkeiten anlangt, das heißt, wenn ein menschliches Wesen der beste Typ der Menschheit wird, ist es zu Ende; das einzelne Wesen wird nicht weiter fortschreiten können. Es gehört zur menschlichen Spezies und wird weiterhin dazu gehören. Daher besteht vom Standpunkt der Erdgeschichte aus gesehen ein Fortschritt, denn jede Spezies stellt einen Fortschritt dar, verglichen mit der vorhergehenden Spezies; doch von Standpunkt des Individuums gibt es keinen weiteren Fortschritt: es wird geboren, folgt seiner Entwicklung, stirbt, und hört auf zu bestehen. Daher war es notwendig, ein anderes Mittel zu finden, um den Fortschritt des Einzelnen sicherzustellen; dieses war nicht ausreichend. Doch innerhalb des Individuums, das in jeder Form enthalten ist, besteht eine Anordnung von Bewusstsein, die näher und direkter unter dem Einfluss der inneren göttlichen Gegenwart steht, und die Form, die unter diesem Einfluss steht, diese gewisse innere Konzentration von Energie, hat ein Leben, das unabhängig von der physischen Form ist – es ist das, was wir im Allgemeinen die „Seele“ oder das „seelische Wesen“ nennen; und da es um das göttliche Zentrum angeordnet ist, hat es Anteil an der göttlichen Natur, die unsterblich, ewig ist. Der äußere Körper fällt ab, und dies bleibt in jeder Erfahrung, die es in jedem Leben hat, bestehen; und von Leben zu Leben findet ein Fortschritt statt, und es ist der Fortschritt des selben Individuums. Und diese Bewegung vervollständigt die andere, sodass statt einer Spezies, die sich im Verhältnis zu einer anderen weiterentwickelt, es das Individuum ist, das alle Stadien der Weiterentwicklung dieser Spezies durchläuft und sich weiterhin entwickeln kann, selbst wenn die Spezies die Grenze ihrer Möglichkeiten erreicht hat und dort verbleibt, oder aber aufhört zu existieren, je nachdem, aber sie kann nicht weitergehen; während das Individuum, dessen Leben von der rein stofflichen Form unabhängig ist, von einer Form zu anderen gehen und seine Weiterentwicklung unendlich fortsetzen kann. Das läuft auf eine doppelte Bewegung hinaus, die sich vervollständigt. Und daher hat jedes Individuum die Möglichkeit die höchste Verwirklichung zu erreichen, unabhängig von der Form, zu der es augenblicklich gehört.
DIE MUTTER (9:213)

In den vorangegangenen Stadien der Evolution hatte sich die erste Sorge und Bemühung der Natur auf eine Veränderung im physischen Aufbau zu richten, denn nur so konnte es eine Veränderung im Bewusstsein geben; dies war eine Notwendigkeit, auferlegt durch das Ungenügen der Bewusstseinskraft – bereits in der Formung begriffen –, um eine Veränderung im Körper zu erzielen. Doch im Menschen ist eine Umkehr möglich, ja, eigentlich unvermeidlich; denn es ist mit Hilfe seiner Bewusstseinsumbildung, und nicht mehr mit Hilfe eines neuen körperlichen Organismus als einer Instrumentation, dass die Evolution bewirkt werden kann und muss. In der inneren Realität der Dinge war eine Bewusstseinsveränderung immer die Hauptsache, Evolution hatte immer eine spirituelle Bedeutung und die physische Veränderung war nur instrumental; doch wurde diese Beziehung durch das abnormale Gleichgewicht zweier Faktoren verborgen, nämlich durch die Tatsache, dass der Körper der äußeren Unwissenheit das spirituelle Element, das bewusste Wesen, an Bedeutung überwiegt und verdunkelt. Doch ist einmal das Gleichgewicht hergestellt, ist es nicht länger die Veränderung des Körpers, die der Veränderung des Bewusstseins vorangehen muss; das Bewusstsein selbst wird durch seine Mutation erzwingen und bewirken, welche Mutation auch immer für den Körper nötig wird. Es sei hier bemerkt, dass das menschliche Mental bereits die Fähigkeit gezeigt hat, der Natur in der Evolution von neuen Pflanzen- und Tiertypen zu helfen; es [das Mental] hat neue Formen seiner Umwelt geschaffen und durch Wissen und Disziplin beträchtliche Veränderungen seiner eigenen Mentalität entwickelt. Es ist keine Unmöglichkeit, dass der Mensch die Natur bewusst unterstützt, auch in seiner eigenen spirituellen und physischen Evolution und Transformation. Der Trieb hierzu ist bereits vorhanden und teilweise wirksam, obgleich von der Oberflächenmentalität noch unvollständig verstanden und akzeptiert; doch eines Tages mag diese lernen, sich tiefer nach innen zu wenden und die Mittel, die geheime Energie, das geplante Wirken der inneren Bewusstseinskraft zu entdecken, welche die verborgene Wirklichkeit dessen ist, was wir Natur nennen.
Zu all diesen Rückschlüssen kann man selbst gelangen, indem man die äußeren Phänomene der Weiterentwicklung in der Natur beobachtet, ihre Oberflächen-Evolution des Wesens und Bewusstseins in der physischen Geburt und dem Körper. Doch da ist der andere, der unsichtbare Faktor, da ist die Wiedergeburt, der Fortschritt der Seele durch das stufenweise Aufsteigen des sich entwickelnden Daseins, und in den Stufen zu höheren und höheren Typen körperlicher und mentaler Instrumentation. In dieser Entwicklung ist die seelische Wesenheit noch verhüllt, selbst im Menschen, dem bewussten, mentalen Wesen, durch ihre Instrumente, durch Mental und Leben und Körper; sie ist unfähig, sich voll zu offenbaren, sie wird daran gehindert in den Vordergrund zu treten, wo sie deutlich als Meister ihrer Natur auftreten kann, und ist genötigt, sich einer Art Entscheidung durch die Instrumente zu unterwerfen, einer Unterwerfung des Purushas durch die Prakriti. Doch kann sich im Menschen der seelische Teil der Persönlichkeit mit viel größerer Schnelligkeit entwickeln als in der niederen Schöpfung, und eine Zeit mag kommen, wo die seelische Wesenheit nahe daran ist, hinter dem Schleier hervorzutreten und Meister ihrer Instrumente in der Natur zu werden. Dies aber bedeutet, dass der geheime, innewohnende Spirit, der Dämon, die innere Gottheit, im Begriff ist aufzutauchen; und sobald sie auftaucht, kann kaum bezweifelt werden, dass sie – wie es tatsächlich bereits im Mental der Fall ist, wenn es sich der inneren seelischen Einflussnahme unterwirft – eine göttlichere, eine spirituellere Existenz fordern wird. In der Natur des Erdenlebens, wo das Mental ein Instrument der Unwissenheit ist, kann dies allein durch eine Wandlung des Bewusstseins bewirkt werden, durch einen Übergang von einer Grundlage in Unwissenheit zu einer Grundlage im Wissen, von dem mentalen zu einem supramentalen Bewusstsein, einer supramentalen Instrumentation der Natur.
SRI AUROBINDO (19:843)

Hinsichtlich der aufwärtsgerichteten Evolution ist es richtiger von der seelischen Gegenwart als dem seelischen Wesen zu sprechen. Denn die seelische Gegenwart wird nach und nach zum seelischen Wesen. In jeder sich entwickelnden Form gibt es diese Gegenwart, sie ist aber nicht individualisiert. Sie ist etwas, das fähig ist, zu wachsen und der Bewegung der Evolution zu folgen. Sie ist nicht eine Herabkunft der Involution von oben. Sie wird fortschreitend um den Funken Göttlichen Bewusstseins geformt, welcher ausersehen ist, das Zentrum eines wachsenden Wesens zu werden, das, wenn es schließlich individualisiert ist, zum seelischen Wesen wird. Es ist dieser Funke, der fortdauert, und der alle Arten von Elementen für die Formung jener Individualität um sich sammelt; das wahre seelische Wesen wird erst dann geformt, wenn die seelische Personalität voll ausgewachsen und voll um den ewigen göttlichen Funken aufgebaut ist; es erreicht seinen Höhepunkt, seine gänzliche Erfüllung, wenn es sich mit einem Wesen oder einer Personalität von oben eint.
Unterhalb der menschlichen Ebene besteht im Allgemeinen kaum irgendeine individuelle Formierung – da ist nur diese Gegenwart, mehr oder weniger …
Natürlich kann man nicht sagen, dass jeder Mensch ein seelisches Wesen hat, genausowenig wie man es zurückweisen kann, es jedem Tier zuzugestehen. Viele Tiere, die einem Menschen nahe waren, haben einen Ansatz davon, während man häufig Menschen begegnet, die nichts als Scheusale zu sein scheinen … Doch im Großen und Ganzen beginnt die Seele im eigentlichen Sinn auf der menschlichen Stufe. Im Menschen allein besteht die Möglichkeit, dass das seelische Wesen zu seiner vollen Statur heranwächst, sogar so sehr, dass es sich schließlich mit einem herabkommenden Wesen verbinden und vereinen kann, einer Gottheit von oben.
DIE MUTTER (3:150)

Kapitel 2
Seelisches Wachsen und seelische Entwicklung
Es ist die Seele in uns, die sich immer der Wahrheit zuwendet, dem Guten und dem Schönen, denn durch diese Dinge wächst sie selbst an Statur; das Übrige, ihre Gegensätze, sind ein notwendiger Teil der Erfahrung, aus dem man aber in der spirituellen Mehrung des Wesens herauswachsen muss. Die zugrundeliegende seelische Wesenheit in uns hat Anteil an der Freude des Lebens und aller Erfahrung, welche die fortschreitende Offenbarung des Spirits ausdrücken, doch die eigentliche Grundlage ihrer Lebensfreude besteht darin, aus allen Kontakten und Geschehnissen deren geheimen göttlichen Sinn und Kern, einen göttlichen Nutzen und Zweck zu sammeln, sodass unser Mental und Leben aus der Unbewusstheit einem höchsten Bewusstsein, aus den Trennungen der Unwissenheit einem umfassenden Bewusstsein und Wissen entgegenwachsen mögen. Hierfür existiert sie [die seelische Wesenheit] und verfolgt von Leben zu Leben ihre stets wachsende, aufwärtige Tendenz und Beharrlichkeit; das Wachstum der Seele ist ein Wachsen aus der Dunkelheit ins Licht, aus der Falschheit in die Wahrheit, aus dem Leiden in ihren eigenen höchsten und universalen Ananda.
SRI AUROBINDO (18:610)

Angenommen ein göttlicher Funke sammelt durch Anziehung, durch Wesensverwandtschaft und Auswahl den Beginn eines seelischen Bewusstseins um sich (dieser Vorgang ist bereits in Tieren durchaus wahrnehmbar – glaubt nicht, dass ihr außergewöhnliche Wesen seid, dass ihr allein ein seelisches Wesen habt, und die übrige Schöpfung hat keines. Es beginnt im Mineral, ist etwas mehr in der Pflanze entwickelt, und im Tier dann findet man den ersten Schimmer einer seelischen Gegenwart). Dann kommt ein Augenblick, wo dieses seelische Wesen so ausreichend entwickelt ist, dass es ein unabhängiges Bewusstsein und einen persönlichen Willen hat. Und dann, nach unzähligen, mehr oder weniger individualisierten Leben, wird es sich seiner bewusst, seiner Regungen und der Umgebung, die es für sein Wachsen gewählt hat. An einem bestimmten Punkt der Wahrnehmung angelangt, entscheidet es – meist in der letzten Minute des Lebens, das es soeben auf Erden beendet hat – die Voraussetzungen, unter denen sein nächstes Leben stattfinden wird. Hier muss ich euch etwas sehr Wichtiges sagen: das seelische Wesen kann sich nur im physischen Leben und auf Erden weiterentwickeln und formen. Sobald es einen Körper verlässt, tritt es in eine Ruhe ein, die mehr oder weniger lang anhält, seiner eigenen Wahl und Entwicklungsstufe entsprechend – eine Ruhepause zur Assimilation, gleichsam für einen passiven Fortschritt, eine Ruhepause für ein passives Wachsen, die es eben diesem seelischen Wesen erlaubt, zu neuen Erfahrungen überzugehen und einen aktiveren Fortschritt zu machen. Doch nachdem es ein Leben beendet hat (das meist erst dann endet, wenn es getan hat, was es tun wollte), wird es das Milieu wählen, in dem es [wieder] geboren werden wird, den ungefähren Ort, wo es geboren werden wird, die Voraussetzungen, unter denen es geboren werden wird, und die Umstände und die Art von Leben, in denen es geboren werden wird, sowie eine sehr genaues Programm der Erfahrungen, durch die es gehen muss, um den Fortschritt zu machen, den es machen will.
Ich werde euch ein ganz konkretes Beispiel geben. Angenommen ein seelisches Wesen hat aus dem einen oder anderen Grund beschlossen in den Körper eines Menschen einzugehen, dem es bestimmt ist, ein König zu werden, da dort eine ganze Reihe von Erfahrungen möglich sind, die es allein unter diesen Voraussetzungen haben kann. Nachdem es diese Erfahrungen eines Königs hatte, erkennt es, dass es einen ganzen Bereich gibt, in dem es, aufgrund eben jener Lebensumstände, in denen es sich befindet, keinen Fortschritt machen kann. Wenn es also seine Zeit auf Erden beendet hat und zu gehen beschließt, entscheidet es im nächsten Leben in einem durchschnittlichen Milieu und unter durchschnittlichen Umständen, weder hoch noch niedrig, zur Welt zu kommen, doch auf eine Weise, dass der Körper, in den es eintritt, frei ist zu tun, was er will. Denn es ist ja nicht Neues, wenn ich sage, dass das Leben eines Königs dem eines Sklaven gleicht; ein König ist verpflichtet, sich einem Protokoll und allen möglichen Zeremonien zu unterwerfen, um sein Prestige aufrechtzuerhalten (das mag vielleicht für eitle Menschen sehr angenehm sein, doch für das seelische Wesen ist es das nicht, denn auf diese Weise wird es der Möglichkeit einer großen Anzahl von Erfahrungen beraubt). Es fasst also diesen Entschluss, in sich alle Erinnerungen bergend, die ein königliches Leben zu geben vermag, und tritt in eine Ruhepause ein, solange es diese für notwendig erachtet (hier muss ich einfügen, dass ich von einem seelischen Wesen spreche, das ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist, und nicht von einem, das sich einem Werk gewidmet hat, da dann dieses Werk die künftigen Leben und ihre Voraussetzungen bestimmt). In einem bestimmten Augenblick entscheidet es dann, in einen Körper einzutreten. Da es bereits eine Anzahl von Erfahrungen hatte, weiß es, dass sich in einem bestimmten Land ein bestimmter Teil des Bewusstseins entwickelt hat; in einem anderen Land ein anderer Teil, usw. Daher wählt es den Ort, der ihm leichte Entwicklungsmöglichkeiten bietet: das Land, die Lebensbedingungen, die ungefähre Natur der Eltern, und auch den Zustand des Körpers selbst, seine physische Struktur und die Eigenschaften, die es für seine Erfahrungen braucht. Es begibt sich zur Ruhe und dann, im erforderlichen Augenblick, erwacht es und projiziert sein Bewusstsein auf die Erde, zentralisiert es in dem gewählten Bereich und den gewählten Voraussetzungen – oder so ungefähr; es besteht ein kleiner Spielraum, wisst ihr, denn im seelischen Bewusstsein ist man zu weit vom stofflichen physischen Bewusstsein entfernt, um mit einer klaren Schau sehen zu können; es ist ungefähr so. Hinsichtlich des Landes oder der Umgebung macht es keinen Fehler, es sieht den inneren Schwingungsbereich der Menschen ziemlich klar, es ist jedoch möglicherweise eine leichte Unschlüssigkeit vorhanden. Wenn aber, gerade zu diesem Zeitpunkt, ein Paar auf Erden ist oder besser eine Frau, die selbst eine seelische Aspiration hat, und die gerne aus irgendeinem Grund, ohne zu wissen warum, ein außergewöhnliches Kind hätte, das gewissen außergewöhnlichen Voraussetzungen entspricht: wenn in diesem Augenblick diese Aspiration auf Erden besteht, schafft das eine Vibration, ein seelisches Licht, welches das seelische Wesen sofort wahrnimmt und, ohne zu zögern, darauf zueilt. Von diesem Augenblick an (welches der Augenblick der Empfängnis ist), wacht es über der Formung des Kindes, damit diese für seine Pläne so günstig wie möglich sei; es übt daher einen Einfluss auf das Kind aus, noch bevor dieses in der stofflichen Welt erscheint.
Wenn alles gut geht und kein Missgeschick passiert (Missgeschicke kann es durchaus geben), wenn alles gut geht im Augenblick der Geburt des Kindes, eilt die seelische Kraft (vielleicht nicht in ihrer Totalität, sondern als Teil des seelischen Bewusstseins) in das Wesen und von seinem allerersten Schrei an, drängt sie das Kind zu den Erfahrungen, die es sich nach ihrem Willen aneignen soll. Das Ergebnis ist, dass selbst wenn die Eltern nicht bewusst sind, selbst wenn das Kind in seinem äußeren Bewusstsein nicht ganz bewusst ist (ein kleines Kind hat hierfür nicht das nötige Gehirn, das sich langsam formt, nach und nach), es dennoch für den seelischen Einfluss möglich sein wird, alle Ereignisse zu lenken, sowie alle Lebensumstände dieses Kindes bis zu dem Augenblick, da es fähig wird, in bewussten Kontakt mit seinem seelischen Wesen zu treten (physisch gesehen ist das meist im Alter zwischen vier und sieben Jahren, manchmal früher, manchmal beinahe sofort, doch in solchem Fall haben wir es mit Kindern zu tun, die keine „Kinder“ sind, die, wie es heißt, übernatürliche Eigenschaften haben – diese sind aber nicht „übernatürlich“, sondern einfach Ausdruck der Gegenwart des seelischen Wesens). Es gibt aber Menschen, die nicht die Gelegenheit hatten oder, besser gesagt, das Glück, wenn man es so nennen darf, jemanden auf der physischen Ebene zu treffen, der sie hätte unterweisen können. Und dennoch haben sie das Gefühl, dass jeder Schritt ihres Daseins, jeder Umstand ihres Lebens von jemand Bewussten festgelegt ist, damit sie den größtmöglichen Fortschritt machen können. Wenn sie ein bestimmtes Geschehnis brauchen, tritt es ein; wenn sie bestimmte Menschen treffen müssen, werden sie sie treffen; wenn sie bestimmte Bücher lesen sollten, finden sie diese innerhalb ihrer Reichweite. Alles ist auf diese Weise arrangiert, so als würde jemand über sie wachen, damit ihr Leben die maximalen Entwicklungsmöglichkeiten habe. Diese Menschen könnten durchaus sagen: „Was ist eigentlich ein seelisches Wesen?“, denn niemand, den sie kennen, hat je diesen Ausdruck gebraucht, oder sie sind niemanden begegnet, der ihnen all das hätte erklären können; oft aber ist für sie nur eine Begegnung, ein Blick notwendig, um zu erwachen; ein Wort genügt, damit sie sich erinnern: „Aber all das habe ich doch gewusst.“
Genau das ist es, was einem seelischen Wesen geschieht, welches das letzte Stadium seiner Entwicklung erreicht hat. Danach ist es nicht länger durch die Notwendigkeit gebunden, zur Erde zu kommen, es wird seine Entwicklung vollendet haben und kann frei wählen, sich entweder dem göttlichen Werk zu weihen, oder sich woanders hinzuwenden, das heißt in die höheren Welten. Im Allgemeinen aber, wenn es dieses Stadium erreicht hat, erinnert es alles, was ihm geschehen ist, und versteht die große Notwendigkeit, jenen zu Hilfe zu kommen, die noch inmitten von Schwierigkeiten stecken. Diese seelischen Wesen geben ihr ganzes Dasein dem göttlichen Werk – das ist nichts Absolutes, Unvermeidliches, sie wählen frei, doch in neunzig von hundert Fällen geschieht es so.
DIE MUTTER (4:143)

Jedes Mal, wenn die Seele in einem neuen Körper geboren wird, kommt sie mit der Absicht, eine neue Erfahrung zu haben, die ihr dazu verhelfen wird, sich zu entwickeln und ihre Personalität zu vervollkommnen. Auf diese Weise wird die Seele von Leben zu Leben geformt, sie wird eine vollständig bewusste und unabhängige Persönlichkeit, die, wenn sie einmal den Gipfel ihrer Entwicklung erreicht hat, frei wählen kann, nicht nur die Zeit ihrer Wiederverkörperung, sondern auch den Ort, den Zweck und die zu verrichtende Arbeit.
Ihr Abstieg in den physischen Körper ist notwendigerweise ein Abstieg in die Finsternis, Unwissenheit, Unbewusstheit; und eine sehr lange Zeit muss sie einfach darauf hinwirken, ein wenig Bewusstsein in die stoffliche Substanz des Körpers zu bringen, bevor sie ihn für die Erfahrung, deretwegen sie gekommen ist, benützen kann. Wenn wir also den Körper durch eine kluge und rationale Methode kultivieren, helfen wir gleichzeitig dem Wachstum der Seele, ihrem Fortschritt und ihrer Erleuchtung.
DIE MUTTER (10:29)

Mutter, in jedem neuen Leben sind sowohl das Mental und Vital als auch der Körper neu; wie können dann die Erfahrungen der vergangenen Leben für sie nützlich sein? Müssen wir durch alle Erfahrungen noch einmal hindurch?
Das hängt von den Menschen ab!
Es ist nicht das Mental und Vital, das sich von Leben zu Leben entwickelt und Fortschritte macht, außer in ganz außergewöhnlichen Fällen und bei einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Evolution – es ist die Seele. Es geschieht also folgendermaßen: die Seele hat alternierende Zeitspannen von Tätigkeit und Ruhe; sie hat ein Leben des Fortschritts, das aus den Erfahrungen des physischen Lebens resultiert, eines aktiven Lebens in einem physischen Körper, mit all den Erfahrungen des Körpers, des Vitals und Mentals; dann begibt sich die Seele normalerweise in eine Art Ruhezustand zur Assimilation, in welchem das Ergebnis des Fortschritts, der während ihres aktiven Daseins erzielt wurde, ausgearbeitet wird; nun, wenn diese Assimilation beendet ist, wenn sie den Fortschritt absorbiert hat, den sie in ihrem aktiven Leben auf Erden vorbereitete, kommt sie wiederum in einen neuen Körper herab und bringt das Ergebnis all ihres Fortschritts mir; und in einem fortgeschrittenen Stadium, wählt sie sogar die Umgebung, die Art des Körpers und die Art des Daseins, in denen sie leben wird, um ihre Erfahrung hinsichtlich des einen oder anderen Punktes vollständig zu machen. In einigen sehr fortgeschrittenen Fällen kann die Seele, bevor sie den Körper verlässt, entscheiden, welche Art von Leben sie in ihrer nächsten Inkarnation haben will.
Wenn sie ein beinahe vollkommen geformtes und bereits sehr bewusstes Wesen geworden ist, wacht sie über der Gestaltung des neuen Körpers und wählt, meist durch innere Beeinflussung, die Elemente und die Substanz, aus denen der Körper gebildet wird, damit er den Erfordernissen ihrer neuen Erfahrung angepasst ist. Dies ist jedoch ein ziemlich fortgeschrittenes Stadium. Und später, wenn sie voll geformt ist, und zur Erde mit der Idee des Dienens zurückkehrt, der kollektiven Hilfe und Teilnahme an der göttlichen Arbeit, dann ist sie fähig, dem sich formenden Körper gewisse Elemente des Mentals und Vitals von vorhergehenden Leben zuzuführen, die mit psychischen Kräften in früheren Leben gestaltet und durchtränkt wurden, und die bewahrt werden konnten und infolgedessen am allgemeinen Fortschritt teilnehmen können. Dies jedoch findet in einem sehr, sehr fortgeschrittenen Stadium statt. Wenn die Seele voll entwickelt und sehr bewusst ist, wenn sie ein bewusstes Instrument des Göttlichen Willens wird, ordnet sie Vital und Mental auf solche Weise, dass auch diese an der allgemeinen Harmonie teilhaben und bewahrt werden können.
Bei einem hohen Grad von Entwicklung können zumindest einige Teile der mentalen und vitalen Wesen, trotz der Auflösung des Körpers, bewahrt werden. Wenn zum Beispiel einige Teile – mentale oder vitale – der menschlichen Tätigkeit besonders entwickelt wurden, werden diese Elemente des Mentals und Vitals aufrechterhalten, sogar „in ihrer Form“, in der Form der Tätigkeit, die voll organisiert wurde –, zum Beispiel in hochintellektuellen Menschen, die besonders ihr Gehirn entwickelt haben, bewahrt der mentale Teil ihres Wesens diese Struktur und wird in der Form eines gestalteten Gehirns erhalten, das sein eigenes Leben besitzt, und unverändert bis zu einem künftigen Leben bewahrt werden kann, um dann mit allem Gewinn daran teilzunehmen.
In Künstlern zum Beispiel, in gewissen Musikern, die ihre Hände in besonders bewusster Weise gebraucht haben, wird die mentale und vitale Substanz in Form von Händen bewahrt, und diese Hände bleiben voll bewusst, sie können sogar die Körper lebender Menschen benutzen, wenn eine spezifische Affinität vorhanden ist – und so weiter.
Im anderen Fall, in gewöhnlichen Menschen, in denen die seelische Form nicht voll entwickelt und gestaltet ist, mögen die mentalen und vitalen Formen eine gewisse Zeit fortbestehen, wenn die Seele den Körper verlässt, vorausgesetzt ihr Tod war besonders friedvoll und konzentriert; doch wenn ein Mensch plötzlich stirbt, im Zustand der Leidenschaft, mit zahlreichen Verhaftungen, nun, dann werden die verschiedenen Teile des Wesens verstreut, und leben eine kürzere oder längere Zeit ihr eigenes Leben in ihrem Bereich – dann verschwinden sie.
Das Zentrum der Gestaltung ist immer die Gegenwart der Seele im Körper. Daher ist es ein sehr großer Fehler, zu glauben, dass der Vorgang fortdauert oder selbst, wie einige meinen, dass er vollständiger und schneller in der Zeitspanne des Übergangs zwischen zwei physischen Leben vor sich geht; im Allgemeinen gibt es dort überhaupt keinen Fortschritt, denn die Seele tritt in einen Zustand der Ruhe ein, während die anderen Teile nach einem mehr oder weniger kurzlebigen Dasein in ihrem eigenen Bereich aufgelöst werden.
Das Erdenleben ist der Ort für den Fortschritt. Es ist hier, auf Erden, wo Fortschritt möglich ist, während der Zeitspanne des Erdendaseins. Und es ist die Seele, die den Fortschritt von einem Leben zum anderen hinüberträgt, indem sie ihre eigene Evolution und Entwicklung selbst gestaltet.
DIE MUTTER (9:268)

Wenn es nicht das Mental, Vital oder das Physische ist, sondern nur das seelische Wesen, das wiedergeboren wird, ist dann der mentale oder vitale Fortschritt, den man gemacht hat, ohne Wert in einem anderen Leben?
Nur in dem Ausmaß wie der Fortschritt dieser Teile sie der Seele nahegebracht hat, das heißt, in dem Ausmaß wie der Fortschritt darin besteht, alle Teile des Wesens nacheinander unter den seelischen Einfluss zu stellen. Denn alles, was unter dem seelischen Einfluss steht und mit der Seele identifiziert ist, dauert fort, und allein das dauert fort. Doch wenn die Seele zum Zentrum des Lebens und Bewusstseins gemacht wird, und wenn das ganze Wesen um sie herum geordnet ist, gerät das ganze Wesen unter den seelischen Einfluss, vereinigt sich damit und kann fortbestehen – wenn es erforderlich ist, dass es fortbesteht. Wenn dem physischen Körper tatsächlich die gleiche Bewegung gegeben werden könnte – die gleichen Bewegungen von Fortschritt und die Fähigkeit aufzusteigen, die das seelische Wesen hat – nun, dann bräuchte er sich nicht zu zersetzen. Hierin liegt aber tatsächlich die Schwierigkeit.
Und nur das, was sich in Kontakt mit der Seele befindet, dauert, an, und nur das, was andauert, kann sich erinnern, denn das übrige verschwindet, wird wieder in kleine Teile aufgelöst und anderweitig verwendet, so wie der Körper sich wieder in Staub auflöst und anderweitig verwendet wird. Er kehrt zur Erde zurück, die Pflanzen verwenden die Erde, die Menschen essen die Pflanzen. Auf diese Weise geht es vor sich. Und dann kehrt er zur Erde zurück, und es beginnt von vorne. So macht die Natur Fortschritte. Um einen Fortschritt zu erzielen, schafft sie eine Menge Formen, und wenn ihr dies nicht länger wichtig oder notwendig erscheint, zerstört sie diese, nimmt wiederum alle Elemente auf, chemische und andere, und formt etwas anderes, und so geht das fort und verändert sich die ganze Zeit, kommend und gehend. Und sie findet das sehr gut, denn sie sieht sehr weit, ihr Werk dehnt sich über Jahrhunderte aus, und ein kleines menschliches Leben ist nichts, nur ein Atemzug in der Ewigkeit. So nimmt sie ihr Werk auf und gestaltet es; sie braucht eine gewisse Zeit, es macht ihr Spaß, sie findet es sehr gut; und dann, wenn es nicht länger gut genug ist, zerstört sie es – sie beginnt wiederum, mischt alles durcheinander, fängt eine andere Form an, macht etwas anderes. Und vielleicht im Laufe dieses Prozesses, der offensichtlich ein sehr langsamer ist, macht schließlich die Gesamtheit der Materie einen Fortschritt. Es ist möglich – immer auf diese Weise, mischend, aufbrechend, wieder mischend, wieder aufbrechend. Im Grunde ist es so, als würde man einen Haufen kleiner Gegenstände machen, und sie dann zerstören, um aus dem Staub etwas Neues zu formen, andere Spielzeuge, und sie wiederum zu zerbrechen, um andere daraus zu erschaffen. Jedes Mal wird etwas hinzugefügt, sodass es sich gut vermischt. Und dann, eines Tages, wird all das vielleicht etwas hervorbringen. Jedenfalls hat sie es nicht eilig. Und wenn wir es eilig haben, sagt sie: „Warum diese Hast? Es wird mit Sicherheit eines Tages geschehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, es wird bestimmt geschehen. Warte ruhig.“ Dann sagen wir zu ihr: „Nicht ich bin es, der wartet.“ Ah! Weil du „Ich“ das Ding nennst, das kommt und wieder geht. Wenn du es Bewusstsein nennen würdest – das eine, ewige und göttliche Bewusstsein – wenn du das „Ich“ nennen würdest, dann würdest du alles erkennen, wärst bei allem gegenwärtig. Niemand hindert dich daran, es zu tun! Es ist nur, weil du dich damit identifizierst (auf den Körper hinweisend). Du darfst dich nicht länger damit identifizieren.
DIE MUTTER (5:359)

Entwickelt sich das seelische Wesen immer weiter?
Es gibt im seelischen Wesen zwei verschiedene Arten von Fortschritt: einer besteht aus seiner Formung, seinem Aufbau und seiner Gestaltung. Denn die Seele beginnt als eine Art winziger, göttlicher Funken im Inneren des Wesens, und aus diesem Funken wird fortschreitend ein unabhängiges, bewusstes Wesen mit eigener Tätigkeit und eigenem Willen. Ursprünglich ist das seelische Wesen nur ein Funken göttlichen Bewusstseins, und in den einander folgenden Leben baut es eine bewusste Individualität auf. Es ist ein Fortschritt, der dem eines wachsenden Kindes gleicht. Es ist ein im Werden begriffenes Ding. Auf lange Zeit hin ist die Seele in den meisten Menschen ein im Werden begriffenes Wesen. Sie ist kein voll individualisiertes, voll bewusstes Wesen, sie ist nicht Herr ihrer selbst, und sie bedarf all ihrer Wiedergeburten, einer nach der anderen, um sich zu formen und voll bewusst zu werden.
Diese Art von Fortschritt aber hat ein Ende. Es kommt eine Zeit, in der das [seelische] Wesen voll entwickelt ist, voll individualisiert, ganz und gar Meister seiner selbst und seines Geschicks. Wenn dieses Wesen oder eines dieser seelischen Wesen in diesem Stadium in einem Menschen geboren wird, so macht das einen gewaltigen Unterschied aus: das menschliche Wesen wird sozusagen frei geboren. Es ist nicht wie gewöhnliche Menschen an Umstände, die Umgebung, seinen Ursprung und an Atavismus gebunden. Es wird mit dem Zweck geboren, etwas zu schaffen, eine Arbeit zu verrichten, eine Aufgabe zu erfüllen. In dieser Hinsicht ist seine Wachstumsentfaltung beendet, das heißt, es braucht nicht wiederum in einem Körper geboren zu werden. Bis zu diesem Punkt ist Wiedergeburt ein Erfordernis, denn durch Wiedergeburt wächst es; im physischen Leben und in einem physischen Körper entwickelt es sich allmählich und wird ein voll bewusstes Wesen. Ist es aber einmal gänzlich geformt, dann ist es frei, in dem Sinne, dass es nach Wunsch geboren werden kann oder nicht. Hier also hört eine Art von Fortschritt auf.
Wenn aber dieses voll geformte Wesen ein Instrument der Arbeit für das Göttliche werden will, wenn es wählt, statt sich in eine seelische Glückseligkeit in seinem eigenen Bereich zurückzuziehen, ein tätiges Wesen auf Erden zu sein, um bei der Vollendung des Göttlichen Werkes zu helfen, dann muss es neuen Fortschritt machen; Fortschritt in der Befähigung zur Arbeit, in der Gestaltung der Arbeit, im Ausdruck des Göttlichen Willens. Es ist also eine Zeit der Veränderung. Solange es in der Welt bleibt, solange es wählt für das Göttliche zu arbeiten, wird es einen Fortschritt machen. Wenn es sich aber in die seelische Welt zurückzieht und die Göttliche Arbeit nicht länger fortsetzen will oder sich davon lossagt, kann es in einem statischen Zustand außerhalb allen Fortschritts bleiben, da es, wie ich dir sagte, nur auf Erden Fortschritt gibt, nur in der physischen Welt; er wird nicht überall erlangt. In der seelischen Welt besteht eine Art glückselige Ruhe. Man bleibt, was man ist, ohne jede Dynamik.
Doch für jene, die sich ihrer Seele nicht bewusst sind?
Sie werden zum Fortschritt gezwungen, ob sie ihn wollen oder nicht.
Das seelische Wesen entwickelt sich weiter in ihnen, und sie sind sich dessen nicht bewusst. Sie selbst aber sind zum Fortschritt gezwungen. Das heißt, sie folgen einer Kurve. Sie folgen einem Aufstieg im Leben. Es ist der gleiche Fortschritt wie der des wachsenden Kindes; es kommt eine Zeit, da es an dem Gipfel seines Wachstums angelangt ist und dann – es sei denn es verändert die Ebene des Fortschritts, außer der rein physische Fortschritt wandelt sich in einen mentalen Fortschritt, einen seelischen Fortschritt, einen spirituellen Fortschritt – folgt es der absteigenden Kurve; und dann wird ein Zerfall einsetzen und es wird nicht länger existieren.
Genau deshalb, weil der Fortschritt in der physischen Welt nicht beständig und andauernd ist, gibt es ein Wachsen, einen Höhepunkt, einen Abstieg und Zerfall. Denn alles, was nicht vorwärts geht, fällt zurück.
Genau das ist es, was auf der physischen Ebene stattfindet. Die physische Welt hat nicht gelernt, sich unbegrenzt weiter zu entwickeln; sie langt an einem bestimmten Punkt an und ist dann entweder des Fortschritts müde oder ist in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit eines Fortschritts nicht fähig – aber in jedem Fall hört sie auf, sich weiter zu entwickeln und zerfällt nach einer gewissen Zeit. Jene, die ein rein physisches Leben führen, erreichen eine Art Höhepunkt, und gleiten dann sehr rasch abwärts. Doch jetzt, mit dem allgemeinen kollektiven, menschlichen Fortschritt, steht hinter dem physischen Fortschritt ein vitaler und ein mentaler Fortschritt, und der mentale Fortschritt kann sehr lange andauern, selbst nachdem der physische Fortschritt bei einem Ende angelangt ist; und durch diesen mentalen Fortschritt erhält man eine Art Aufstieg aufrecht, lange nachdem das Physische aufgehört hat, sich weiter zu entwickeln. Und dann gibt es jene, die den Yoga ausüben, die sich ihres seelischen Wesens bewusst werden, die damit geeint sind, die an seinem Leben teilhaben; diese machen tatsächlich bis zum letzten Atemzug ihres Lebens einen Fortschritt. Und selbst nach dem Tod, wenn sie ihren Körper unter dem Vorwand verlassen haben, dass er nicht länger andauern kann: sie entwickeln sich weiterhin.
Es liegt an der Unfähigkeit des Körpers, sich umzuwandeln, weiterhin einen Fortschritt zu machen, die seinen Rückschritt verursacht, und die ihn am Ende immer offener für die innere Labilität werden lässt, bis diese eines Tages stark genug wird, um eine totale Instabilität herbeizuführen, und er sein Gleichgewicht und seine Gesundheit nicht mehr zurückgewinnen kann … Allein im rein spirituellen Leben – jenem, das sich außerhalb von allem physischen und erdhaften Daseins befindet, einschließlich des mentalen – gibt es keinen Fortschritt. Du erreichst einen statischen Zustand und befindest dich außerhalb aller Dynamik des Fortschritts. Doch bist du gleichzeitig außerhalb der Schöpfung. Wenn du jenen Zustand erreicht hast, gehörst du nicht länger der Schöpfung an, du verlässt die Manifestation. Man muss die manifestierte Welt verlassen, um allen Fortschritt hinter sich zu lassen, denn die beiden sind identisch: Manifestation bedeutet Fortschritt und Fortschritt bedeutet Manifestation.
DIE MUTTER (5:205)

Worin besteht der Fortschritt eines seelischen Wesens?
In der Individualisierung; in der Fähigkeit, alle Erfahrungen zu absorbieren, und sie um ein göttliches Zentrum zu ordnen.
Das Ziel des seelischen Wesen ist es, ein individuelles Wesen zu formen, individualisiert, „personifiziert“, um das göttliche Zentrum. Normalerweise ziehen alle Erfahrungen des äußeren Lebens vorüber (es sei denn, man übt den Yoga aus und wird bewusst), ohne das innere Wesen zu ordnen, während das seelische Wesen diese Erfahrungen fortlaufend ordnet. Es will eine bestimmte Haltung dem Göttlichen gegenüber verwirklichen. Daher hält es nach allen geeigneten Erfahrungen Ausschau, gleichsam um jede Gelegenheit zu haben, die ihm erlaubt, diese Haltung dem Göttlichen gegenüber zu verwirklichen. Angenommen, jemand will die Erfahrung der Hochherzigkeit haben – eine Hochherzigkeit, die es dir unmöglich macht wie eine gewöhnliche Person zu handeln, die dir eine Tapferkeit, einen Mut einflößt, die man beinahe für Unbesonnenheit halten könnte, denn die Erfahrung erfordert eine Haltung, in der du der Gefahr ohne die geringste Furcht begegnest. Vor einiger Zeit versprach ich euch, zu erklären, was man erlangen könne, wenn man in den Körper eines Königs eingeht. Ein König ist ein gewöhnlicher Mensch, nicht wahr, wie alle anderen, er hat kein besonderes Bewusstsein, doch aufgrund der Erfordernisse seines Lebens, da er eine Art Symbol für sein Volk ist, gibt es Dinge, die er tun muss, aber niemals tun würde, wenn er ein gewöhnlicher Mensch wäre. Ich weiß das aus Erfahrung, aber ich habe es auch gesehen, als ich Bilder betrachtete, die einen König in einer tatsächlichen Lebenssituation darstellten: etwas hatte sich ereignet, vielleicht ein Attentatsversuch, doch wurde dieser abgewendet. Die Fotografien zeigen einen König, der ein Regiment inspiziert; plötzlich war jemand nach vorne gestürzt, vielleicht in böser Absicht, vielleicht auch nicht, denn nichts war passiert; auf jeden Fall, der König war völlig ungerührt geblieben, absolut ruhig, mit dem gleichen Lächeln auf seinen Lippen, ohne sich im geringsten von der Stelle zu rühren; und er wäre durchaus in Reichweite gewesen, ein leichtes Ziel für jemanden, der hätte hervorstürzen und ihn verletzen wollen. Soweit mir bekannt ist, war dieser König kein Held, doch weil er ein König war, konnte er nicht die Flucht er greifen. Das wäre schmachvoll gewesen. Daher blieb er ruhig, ohne sich zu rühren, ohne eine äußere Furcht zu zeigen. Dies ist ein Beispiel, was man im Leben eines Königs lernen kann.
Hier ist auch eine wahre Geschichte über die Königin Elisabeth. Es waren die letzten Tage ihres Lebens und sie war sehr, sehr krank. Aber im Land waren Unruhen ausgebrochen – es handelte sich um Steuern – und eine Gruppe von Leuten (Kaufleute vermutlich) hatte eine Delegation gesandt, um ihr eine Bittschrift im Namen einer Volkspartei zu überreichen. Sie lag sehr krank in ihrem Zimmer, so krank, dass sie kaum aufstehen konnte. Aber sie stand auf und kleidete sich an, um sie empfangen. Die diensthabende Dame rief aus: „Das ist doch unmöglich, Sie werden daran sterben!“ Die Königin antwortete ruhig: „Wir werden nachher sterben.“ … Das ist ein Beispiel einer ganzen Reihe von Erfahrungen, die man im Leben eines Königs haben kann; und das ist es, was die Wahl eines seelischen Wesens rechtfertigt, wenn es diese Art Leben annimmt.
Erinnerungen dieser Art sind es, die die Echtheit der Erfahrung beweisen; denn wenn die Menschen über ihre vergangenen Leben sprechen, sagen sie im Allgemeinen, dass es immer einen Fortschritt gegeben habe, ganz selbstverständlich, und sie sind immer großartigere Menschen in immer wunderbareren Leben geworden. Das ist falsch! Die Dinge ereignen sich niemals so! Das seelische Wesen folgt einer gewissen Daseinslinie, die gewisse Eigenschaften, gewisse Kräfte usw. entwickelt, es erkennt aber immer, was ihm fehlt, und kann die entgegengesetzte Richtung in einem künftigen Leben einschlagen, gleichsam die Annullierung der [stattgefundenen] Erfahrung, damit es ergänzende, andere Erfahrungen habe.
DIE MUTTER (4:149)

„Die Pforte, durch die das Mental zur Erkenntnis des Göttlichen eintritt, muss notwendigerweise verschieden sein, und entspricht der vergangenen Evolution und der gegenwärtigen Natur [des Einzelnen].“ – SRI AUROBINDO (The Synthesis of Yoga)
Das bedeutet, die Evolution in vergangenen Leben sowie die gegenwärtige [menschliche] Natur, das heißt die Natur des gegenwärtigen Körpers, bestimmen die Annäherung an das Göttliche.
Wir können ein sehr … ein überaus einfaches Beispiel nehmen. Wenn man in einer bestimmten Religion geboren ist, findet ganz natürlich die erste Bemühung, sich dem Göttlichen zu nähern, innerhalb dieser Religion statt; oder aber, wenn man in vergangenen Leben durch eine gewisse Anzahl von Erfahrungen gegangen ist, welche eine andere Art von Erfahrungen notwendig machte, wird man selbstverständlich dem Pfad folgen, der zu jenen Erfahrungen führt.
Siehst du, das Leben des seelischen Wesens besteht aus aufeinanderfolgenden physischen Existenzen. Man könnte es also etwas kindlich oder romantisch so ausdrücken: du hast eine Seele, die aus dem einen oder anderen Grund sich derart inkarniert hat, dass sie fähig ist, alle Erfahrungen zu haben, die eine königliche Abkunft verschafft – beispielsweise höchste Macht. Nachdem sie ihre Erfahrung gehabt hat, nachdem sie hatte, was sie wollte, kann sie vor dem Verlassen des Körpers beschließen, dass sie im nächsten Leben unter obskuren Umständen geboren werde, da sie Erfahrungen braucht, die man nur in bescheidenen Lebensumständen haben kann, und mit der Freiheit, die man hat, wenn man ohne Verpflichtungen ist – siehst du, Verpflichtungen wie jene, die zum Beispiel Staatsoberhäupter haben. Daher wird sie selbstverständlich in ihrem nächsten Leben in solchen Verhältnissen geboren werden, die dieses Erfordernis erfüllen. Und in Übereinstimmung mit dieser Erfahrung wird sie sich dem Göttlichen nähern.
Sie ist zusätzlich das Produkt der Vereinigung von zwei physischen Naturen, und manchmal von zwei vitalen Naturen. Das Ergebnis hiervon ist mehr oder weniger eine Art Vermischung dieser Naturen; es ruft aber eine Tendenz hervor, die Charakter genannt wird. Und dieser Charakter wird sie für einen bestimmten Bereich, eine bestimmte Kategorie von Erfahrungen tauglich machen.
Daher wird entsprechend dem, was bestimmt wurde, was in früheren Leben oder einem vergangenen Leben entschieden wurde, entsprechend dem Milieu, in welchem sie geboren wird – also entsprechend den Voraussetzungen, unter denen ihr gegenwärtiger Körper geformt wurde – daher wird ihre Annäherung an das Göttliche und ihr Suchen danach, mit einer ganz bestimmten Linie übereinstimmen, die ihre eigene ist, und die natürlich ganz und gar nicht dieselbe wie die ihres Nachbarn oder irgendeines anderen Wesens ist.
Ich sagte vor einiger Zeit: jedes Individuum ist eine besondere Manifestation im Universum, daher muss sein wahrer Pfad ein absolut einzigartiger Pfad sein. Es gibt Gleichartigkeiten, es gibt Ähnlichkeiten, es gibt auch Kategorien, Familien, Kirchen, Ideale, das heißt, einen gewissen kollektiven Weg, sich dem Göttlichen zu nähern, der eine Art Kirche schafft, nicht in der stofflichen, sondern in einer subtilen Welt – dort sind alle diese Dinge –, doch was die Einzelheiten des Pfades anbelangt, so werden sie notwendigerweise für jedes Individuum verschieden sein, physisch bedingt durch seine gegenwärtige körperliche Struktur, und mental, vital und seelisch bedingt natürlich durch seine vergangenen Leben.
DIE MUTTER (7:374)

Wie kann man seine seelische Personalität wachsen lassen?
Durch alle Erfahrungen des Lebens formt sich die seelische Personalität, sie wächst, entwickelt sich und wird schließlich ein vollständiges, bewusstes und freies Wesen.
Dieser Entwicklungsprozess setzt sich unermüdlich durch unzählige Leben fort, und wenn man sich dessen nicht bewusst ist, so deshalb, weil man sich seines seelischen Wesens nicht bewusst ist denn das ist der unerlässliche Ausgangspunkt. Durch Verinnerlichung und Konzentration muss man in bewussten Kontakt mit seinem seelischen Wesen treten. Dieses seelische Wesen hat stets einen Einfluss auf das äußere Wesen, doch ist dieser Einfluss beinahe immer verborgen, er wird weder gesehen noch gefühlt, es sei denn bei wahrhaft außergewöhnlichen Gelegenheiten.
Um den Kontakt zu stärken und, wenn möglich, die Entwicklung der bewussten seelischen Personalität zu fördern, sollte man sich während der Konzentration ihr zuwenden und danach streben, sie zu erkennen und zu fühlen, man sollte sich öffnen, um ihren Einfluss zu empfangen, und große Sorge tragen, dass man jedes Mal, wenn man einen Hinweis von ihr empfängt, ihm sehr genau und gewissenhaft folgt. In großer Aspiration zu leben, dafür zu sorgen, dass man innerlich möglichst ruhig wird und bleibt, eine vollkommene Aufrichtigkeit in allen Tätigkeiten seines Wesens zu kultivieren – dies sind die essentiellen Voraussetzungen für das Wachsen des seelischen Wesens.
DIE MUTTER (16:223)

Teil 4
DAS SEELISCHE WESEN UND DIE SADHANA
Die Erde muss sich wandeln und gleich werden dem Himmel
Oder der Himmel herabkommen in der Erde sterblichen Stand.
Doch, dass solch weiter spiritueller Wandel sei,
Muss aus der mystischen Höhle im Menschenherz
Die himmlische Seele, ihres Schleiers ledig,
Die vollen Räume der Natur betreten,
Und vor ihr stehen, unverhüllt,
Ihr Denken leitend, und ihren Körper, ihr Leben füllend.
SRI AUROBINDO SAVITRI: BUCH II CANTO 14