6. Kapitel
Der Yoga der Kontemplation (Dhyana Yoga)
1. Der Erhabene sprach:
Wer das Werk tut, das vollbracht werden muss, ohne Hinsicht auf dessen Frucht, ist der Sannyasin und der Yogin; nicht jener, der keine Opferfeuer entzündet und keine Werke verrichtet.
2. Was man Entsagung (Sannyasa) nennt, wisse, O Pandava, ist in Wahrheit Yoga. Denn niemand wird ein Yogin, der nicht in seinem Mental dem Willen seines Begehrens entsagt hat.
3. Für den Weisen, der den Berg des Yoga emporsteigt, liegt die Ursache im Handeln. Für denselben Weisen, der den Gipfel des Yoga erreicht hat, liegt die Ursache in der Selbstbemeisterung.
4. Wenn ein Mensch nicht mehr an den Gegenständen der Sinne oder am Wirken hängt und in seinem Mental jeglichem Willen des Begehrens entsagt hat, dann sagt man von ihm, er sei bis zum Gipfel des Yoga emporgestiegen.
5. Durch das Selbst sollst du das Selbst befreien. Du solltest das [niedere] Selbst nicht entmutigen und nicht erniedrigen (weder indem du ihm nachgibst, noch indem du es unterdrückst). Denn das [höhere] Selbst ist der Freund des [niederen] Selbstes, und das [niedere] Selbst ist auch der Feind.
6. Sein Selbst ist für den Menschen sein Freund, in dem das (niedere) Selbst durch das (höhere) Selbst bezwungen worden ist. Wenn aber jemand nicht im Besitz seines (höheren) Selbstes ist, dann ist das (niedere) Selbst gleichsam ein Feind und handelt wie dieser.
7. Hat einer sein [niederes] Selbst bezwungen und hat die Stille einer vollkommenen Selbst-Herrschaft und eines völligen Selbst-Besitzes erlangt, dann ist das höchste Selbst in ihm zum Fundament geworden und ausgeglichen (sogar in seinem äußeren bewussten menschlichen Wesen) in Kälte und Hitze, Freude und Schmerz, wie auch in Ehre und Unehre.
8. Hat ein Yogin Genüge in der Selbst-Erkenntnis gefunden, ist er ruhig und ausgeglichen in seinem Selbst, Meister seiner Sinne und schätzt den Erdklumpen gleich dem Stein und dem Gold, dann sagt man von ihm, er sei im Yoga [gegründet].
9. Wer in seiner Seele von gleicher Gesinnung zu Freund und Feind, zum Neutralen und Gleichgültigen und ebenso zum Sünder und zum Heiligen ist, ragt hervor.
10. Der Yogin soll ständig das Einswerden mit dem Selbst üben (so dass dies zu seinem normalen Bewusstsein wird), indem er abgesondert und allein sitzt, alles Verlangen und jeden Gedanken an Besitz aus seinem Mental verbannt und in seinem ganzen Wesen und Bewusstsein selbstbeherrscht ist.
11.-12. An einem sauberen Ort soll er seinen festen Sitz errichten, der weder zu hoch, noch zu niedrig ist, mit einem Tuch bedeckt, einem Rehfell und mit heiligem Gras; dort soll er mit einem konzentrierten Mental sitzen und in voller Beherrschung der Wirkensweisen des mentalen Bewusstseins und der Sinne. So soll er zur Selbst-Läuterung den Yoga üben.
13.-14. Seinen Körper, sein Haupt und seinen Nacken soll er dabei aufrecht und bewegungslos halten (in der Stellung, die zur Ausübung des Raja-Yoga üblich ist), die Schau soll nach innen gerichtet und zwischen den Augenbrauen fixiert sein, er soll nicht in der Gegend herumschauen, das mentale Wesen soll still gehalten werden und frei von Furcht, das Gelübde des Brahmacharya soll eingehalten und das ganze beherrschte innere Wesen Mir (dem Göttlichen) zugewandt sein. So muss er fest im Yoga sitzen und Mir gänzlich hingegeben sein (so dass die niedere Wirkensweise des Bewusstseins eingetaucht ist in den höheren Frieden).
15. Versetzt sich der Yogin so beständig durch Beherrschung seiner mentalen Kräfte in Yoga, erlangt er den erhabenen Frieden des Nirvana, der in Mir gegründet ist.
16. Dieser Yoga ist wahrlich nichts für jemanden, der zu viel isst oder zu viel schläft; und ebenso, O Arjuna, ist er auch nichts für jemanden, der auf Schlafen und Essen verzichtet.
17. Yoga hebt alle Sorge auf für jenen, dem all sein Schlafen und Wachen, Essen, Spielen, sein mühevoller Einsatz im Wirken yukta (= im Yoga, d.Ü.) sind.
18. Wenn das ganze mentale Bewusstsein vollkommen beherrscht wird und befreit ist vom Verlangen und still im Selbst verharrt, dann sagt man von einem solchen Menschen, „er ist im Yoga gegründet“.
19. Regungslos wie das Licht einer Lampe an einem windstillen Ort ist das unter Kontrolle gehaltene Bewusstsein des Yogins, der das Einswerden mit dem Selbst übt (es ist frei von seiner ruhelosen Betätigung, abgeschlossen von seiner äußeren Bewegung).
20. (Yoga ist) das, worin das Mental durch die Praxis des Yoga still wird; das, worin das Selbst im Selbst vom Selbst geschaut wird (geschaut, dass heißt selbst-erkannt durch das Selbst, svaprakāśa, und nicht so, wie es uns fehlerhaft oder unvollständig vom Mental durch das Ego dargestellt wird), und worin die Seele zu ihrer Erfüllung kommt.
21. (Yoga ist) das, worin die Seele ihre eigene wahre und höchste Seligkeit erkennt; was von der Intelligenz wahrgenommen wird und jenseits der Sinne liegt; worin die Seele gegründet ist und darum nicht mehr aus der spirituellen Wahrheit ihres Seins herausfallen kann.
22. (Yoga ist) das Größte, das ein Mensch gewinnen kann, und der Schatz, neben dem alles andere seinen Wert verliert. Ist einer sicher darin gegründet, wird er auch durch den heftigsten Ansturm mentalen Kummers nicht überwältigt.
23. (Yoga ist) das, was die Berührung mit dem Schmerz beseitigt, die Trennung jener innigen Verbindung des Mentals mit dem Kummer. Das feste Erlangen dieser unveräußerlichen spirituellen Seligkeit ist Yoga; es ist die göttliche Vereinigung. Diesen Yoga muss man mit aller Entschlossenheit praktizieren, ohne sich durch Schwierigkeiten oder Fehlschläge entmutigen zu lassen (bis die Befreiung, bis die Seligkeit des Nirvana als sicherer Besitz für immer gewonnen ist).
24.-25. Man soll ohne Ausnahme und Vorbehalt alle Begehrlichkeiten aufgeben, die im Begehrens-Willen ihren Ursprung haben, und die Sinne durch das Mental so binden, dass sie nicht nach allen Seiten ausschweifen (wie es ihre übliche, Ärgernis erregende und ruhelose Gewohnheit ist). So wird man allmählich jede mentale Betätigung mittels Buddhi beenden, das fest im Griff gehalten wird. Und wenn das Mental im höheren Selbst fest verankert ist, sollte man an gar nichts mehr denken.
26. Wenn immer das rastlose und unruhige Mental nach außen schweift, sollte es kontrolliert und im Selbst zum dienenden Untertanen gemacht werden.
27. Wenn das Mental vollkommen zur Ruhe gebracht worden ist, dann kommt über den Yogin makellos und leidenschaftslos die höchste Seligkeit der Seele, die zum Brahman geworden ist.
28. Dergestalt vom Makel der Leidenschaft befreit, versetzt sich der Yogin beständig in den Yoga und erfreut sich leicht und froh der Berührung mit dem Brahman, was eine außerordentliche Seligkeit bedeutet.
29. Der Mensch, dessen Selbst im Yoga gegründet ist, sieht das Selbst in allen Wesen und alle Wesen im Selbst. Er sieht überall mit gleichwertigem Blick.
30. Der Mensch, der Mich überall sieht und alles in Mir schaut, für den gehe Ich nicht verloren, noch geht er Mir verloren.
31. Der Yogin, der seinen Stand im Einssein eingenommen hat und Mich in allen Wesen liebt, lebt und handelt in Mir, auf welche Weise er auch immer leben und handeln mag.
32. Jener, O Arjuna, der mit Gleichmut alles in der Ebenbildlichkeit des Selbstes sieht, sei es Kummer oder sei es Glück, ist in Meinen Augen der höchste Yogin.
33. Arjuna sprach:
Für einen solchen Yoga von der Art des Gleichmuts, wie Du ihn mir beschrieben hast, O Madhusudana, erkenne ich keine stabile Grundlage aufgrund der Ruhelosigkeit.
34. Wie rastlos ist doch das Denken, O Krishna! Heftig ist es, stark und unbesiegbar. Ich glaube, es ist ebenso schwer zu beherrschen wie der Wind.
35. Der Erhabene sprach:
Ohne Zweifel, O Starkarmiger, sind die mentalen Kräfte ruhelos und sehr schwer zu zügeln. Und doch, O Kaunteya, können sie durch ständige Praxis und Nicht-Bindung beherrscht werden.
36. Wer nicht selbstbeherrscht ist, kann diesen Yoga schwerlich erlangen. Durch Selbstbeherrschung ist er aber zu gewinnen, wenn die Bemühungen richtig gelenkt werden.
37. Arjuna sprach:
Wenn nun jemand den Yoga mit Glauben beginnt, aber die Selbstbeherrschung nicht durchhalten kann, weil die mentalen Kräfte im Yoga abschweifen, was ihn hindert, zur Vollkommenheit im Yoga zu gelangen –, was ist sein Ende, O Krishna?
38. Verliert er, O Starkarmiger, nicht beides: dieses Leben (des menschlichen Handelns, Denkens und Empfindens, die er hinter sich gelassen hat) und ebenso das Bewusstsein Brahmans, nach dem er trachtet? Muss er nicht, wenn er aus beidem herausfällt, zugrunde gehen wie eine sich auflösende Wolke?
39. Ich bitte Dich, O Krishna, zerstreue diesen meinen Zweifel völlig und lasse keinen Rest davon übrig. Denn es gibt niemanden als Dich, der diesen Zweifel zerstören kann.
40. Der Erhabene sprach:
O Sohn Prithas, weder in diesem Leben noch danach gibt es für ihn eine Vernichtung. Niemals gerät ein Mensch, der Gutes vollbringt, O Geliebter, ins Elend.
41. Ist er in der Welt der Gerechten angelangt und hat dort undenkliche Jahre gelebt, wird er, der vom Yoga abwich, wiedergeboren im Hause der Reinen und Ruhmreichen.
42. Oder er kann im Hause des weisen Yogin wieder zur Welt kommen. Gewiss ist solche Geburt selten in dieser Welt zu erlangen.
43. Dort gewinnt er den mentalen Zustand des Einsseins (mit dem Göttlichen) wieder, den er in seinem vorherigen Leben gestaltet hat. Und damit ringt er erneut um die Vollkommenheit, O Freude der Kurus.
44. Durch jene frühere Praxis des Yoga wird er unaufhaltsam vorwärtsgetrieben. Gerade der nach der Erkenntnis des Yoga Suchende gelangt über die Bereiche der Veden und der Upanishaden hinaus.
45. Der Yogin jedoch, der sich unablässig weiterbemüht, der geläutert ist von der Sünde, der sich durch viele Leben hindurch vervollkommnet, der erreicht das höchste Ziel.
46. Der Yogin ist größer als die, die Askese betreiben; größer als die Menschen des Wissens; größer als die Menschen des Wirkens. Darum werde du, O Arjuna, ein Yogin!
47. In Meinen Augen gilt von allen Yogins der als zutiefst geeint mit Mir im Yoga, der sein inneres Selbst völlig an Mich hingegeben hat und seinen Glauben und seine Liebe auf Mich richtet.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das sechste Kapitel mit dem Titel „Der Yoga der Kontemplation“.

7. Kapitel
Der Yoga des Wissens und der Weisheit
1. Der Erhabene sprach:
Höre, O Partha, wie du Mich durch die Praxis des Yoga, das Mental fest an Mich gebunden und mit Mir als āśraya (der alleinigen Grundlage, Stütze und Zuflucht für dein bewusstes Wesen und Wirken), vollständig und ohne eine Spur von Zweifel erkennen wirst.
2. Nennen will ich dir – und nichts dabei auslassen oder offenlassen – das essentielle Wissen, das gestützt ist auf allumfassende Erkenntnis. Wenn du es weißt, bleibt nichts Wissenswertes mehr übrig.
3. Unter Tausenden von Menschen ringt nur hier und da einer nach Vollkommenheit. Und von denen, die ringen und zur Vollkommenheit gelangen, erkennt nur hier und da einer Mich in all den Prinzipien Meines Daseins.
4.-5. Die fünf Elemente (Zustandsformen des materiellen Daseins), das Mental, die Vernunft und das Ego, dies ist Meine achtfach geteilte Natur. Doch ist dies nur die niedere Natur. Erkenne nun, O Starkarmiger, auch Meine andere Natur, die von dieser verschieden ist, Mein Erhabenes Wesen. Dieses wird zum Jiva, durch den diese Welt getragen und erhalten wird.
6. Erkenne diese höhere Natur als den Schoß aller Wesen. Ich bin die Geburt der gesamten Welt und ebenso ihre Auflösung.
7. Es gibt nichts Erhabenes jenseits von Mir, O Dhananjaya. Auf Mir ist alles, was es gibt, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur.
8. Ich bin der Geschmack in den Wassern, O Sohn der Kunti, Ich bin das Licht von Sonne und Mond, Ich bin Pranava (die Silbe OM) in allen Veden, der Klang im Äther und die Männlichkeit in den Männern.
9. Ich bin der reine Wohlgeruch der Erde, die Leuchtkraft im Feuer. Ich bin das Leben in jeglichem Sein. Ich bin die asketische Kraft in denen, die Askese üben.
10. Erkenne Mich als den ewigen Keim von allem Seienden, O Sohn Prithas. Ich bin die Intelligenz des Intelligenten, die Energie des Energetischen.
11. Ich bin die Stärke des Starken, der frei ist von Begehren und Neigung. Ich bin, O Herr der Bharatas, in den Wesen jenes Begehren, das nicht im Gegensatz zum Dharma steht.
12. Und auch die zweitrangigen subjektiven Werdeformen der Natur, bhāvāḥ, (die mentalen Zustandsformen, die Gefühle des Verlangens, die Regungen der Leidenschaft, die Reaktionen der Sinne, das begrenzte, in Gegensätzen verlaufende Spiel der Vernunft und die Wandlungen der Gefühle und des moralischen Sinnes), die sattwisch, rajasisch und tamasisch sind, rühren in Wahrheit von Mir her. Aber Ich bin nicht in ihnen; sie sind es, die in Mir sind.
13. Durch diese drei Formen des Werdens, die von der Art der Gunas sind, wird diese ganze Welt verwirrt. Sie erkennt Mich nicht, der Ich erhaben jenseits von ihnen bin und unvergänglich.
14. Dies ist Meine göttliche Maya der Gunas, und sie ist kaum zu überwinden. Über sie hinaus gelangen nur jene, die Meine Nähe suchen.
15. Die Übeltäter gelangen nicht zu Mir, jene verwirrten Seelen auf niederer menschlicher Stufe. Denn ihr Wissen wird ihnen weggerissen von Maya, und sie nehmen ihre Zuflucht in der Wesensart des Asura.
16. Unter den Tugendhaften, die sich Mir mit Hingabe zuwenden, O Arjuna, gibt es vier Arten von Bhaktas: die Zuflucht suchenden Verzweifelten, die nach dem Guten in der Welt Strebenden, die Erkenntnis Suchenden, und, O Herrscher der Bharatas, die Mich mit Wissen anbeten.
17. Der Beste von ihnen ist der Wissende, der in stetem Einssein mit Gott und dessen Bhakti ganz auf Ihn konzentriert ist. Denn er liebt Mich in vollkommener Weise und wird von Mir geliebt.
18. Edel sind all diese Bhaktas, ohne Ausnahme. Aber der Wissende ist wahrlich Mein Selbst. Denn als sein oberstes Ziel hat er Mich angenommen, den Purushottama, mit dem er eins ist.
19. Am Ende von vielen Geburten gelangt der Wissende zu Mir. Wie wirklich selten ist doch die große Seele, die weiß, dass Vasudeva, das allgegenwärtige Wesen, all das ist, was ist!
20. Irregeleitet werden die Menschen durch verschiedene äußere Begehren, die sie der Wirkung der inneren Erkenntnis berauben. Sie halten sich dann an andere Gottheiten und stellen diese oder jene Regel auf, die das Bedürfnis ihrer Natur befriedigt.
21. Den Glauben, mit dem ein hingebungsvoller Verehrer Mich in irgendeiner Gestalt anzubeten wünscht, diesen seinen Glauben mache Ich stark und behüte ihn vor dem Abirren.
22. Mit solchem Glauben begabt, betet er diese Gestalt an; und durch die Kraft eines solchen Glaubens in Kult und Anbetung erlangt er die Erfüllung seiner Begehren. Denn Ich selbst bin es, der (in jener Gestalt) ihm diese Früchte zuteil werden lässt.
23. Aber die Früchte sind vorübergehender Natur, nach ihnen streben jene von geringer Intelligenz und ungebildeter Vernunft. Zu den Göttern kommen die, die die Götter verehren. Doch zu Mir gelangen jene, die Mir hingegeben sind.
24. Die mit kleinem Verstand denken von Mir, dem Ungeoffenbarten, Ich sei durch Meine Offenbarung beschränkt; denn sie kennen nicht Meine erhabene Wesensart, die unvergängliche, höchst vollkommene.
25. Auch bin Ich nicht allen offenbar, da Ich in Meine Yoga-Maya eingehüllt bin. Die verwirrte Welt kennt Mich, den Ungeborenen, den Unvergänglichen, nicht.
26. Ich weiß um alles vergangene, alles gegenwärtige und alles zukünftige Seiende, O Arjuna, aber Mich kennt noch keiner.
27. Durch die Täuschung der Gegensätze, die ihren Ursprung in Wunsch und Abneigung haben, O Bharata, werden alle Wesen der Schöpfung in die Verwirrung geführt.
28. Doch standhaft in ihrem Gelübde, sich Mir zu weihen, verehren Mich die Menschen edlen Handelns, in denen die Sünde zu Ende gekommen ist und die frei geworden sind von der Täuschung der Gegensätze.
29.-30. Jene, die ihre Zuflucht ganz zu Mir nehmen, jene, die sich Mir zuwenden in ihrem spirituellen Bemühen um Befreiung von Alter und Tod (vom sterblichen Wesen und dessen Beschränkungen), gelangen dahin, jenen Brahman zu erkennen und die Vollständigkeit der spirituellen Natur und die Ganzheit des Karma. Weil sie Mich erkennen, gleichzeitig um die materielle und die göttliche Natur des Seins wissen und die Wahrheit über den Herrn des Opfers kennen, darum behalten sie das Wissen über Mich auch im kritischen Augenblick ihres Abscheidens aus dem körperlichen Sein und in jenem Augenblick ihr ganzes Bewusstsein fest mit Mir geeint.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das siebte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga des Wissens und der Weisheit“.

8. Kapitel
Der Yoga des unzerstörbaren Brahman
1. Arjuna sprach:
Was bedeutet tad brahma (das Absolute), was ist adhyātma (das Selbst), und was ist karma (das Handeln), O Purushottama? Und was wird als adhibhūta bezeichnet und was als adhidaiva (als erschaffener und als göttlicher Bereich)?
2. Was bedeutet adhiyajña in diesem Körper, O Madhusudana? Und wie kannst Du im entscheidenden Augenblick des Hinscheidens vom körperlichen Sein von dem erkannt werden, der selbstbeherrscht ist?
3. Der Erhabene sprach:
Akshara ist der erhabene Brahman: svabhāva (Wesensart) wird adhyātma genannt; Karma ist der Name, der dem Schöpfungsablauf, visargaḥ, gegeben wird, der alle Wesen und ihre subjektiven und objektiven Zustandsformen ins Dasein ruft.
4. Adhibhūta ist kṣaro bhāva (die veränderliche Natur), adhidaiva ist der Purusha. Ich selbst bin der Herr des Opfers, adhiyajña, hier in diesem Körper, O Bester der verkörperten Wesen.
5. Wer seinen Körper verlässt und zur Zeit seines Endes im Gedenken an Mich weitergeht, erlangt Mein bhāva (das des Purushottama, Meinen Wesenszustand). Daran gibt es keinen Zweifel.
6. Wer jedoch am Ende den Körper aufgibt und dabei an irgendeine Gestaltung des Seins denkt, der erlangt jene Gestalt, O Kaunteya, zu dem die Seele während ihres körperlichen Lebens innerlich herangewachsen war.
7. Darum gedenke Meiner zu allen Zeiten und kämpfe! Denn wenn dein Gemüt und dein Verstand immer fest auf Mich gerichtet und an Mich hingegeben sind, wirst du sicher zu Mir gelangen.
8. Denn wenn man immer seiner gedenkt mit einem Bewusstsein, das in einem unentwegten Yoga von ständiger Praxis mit ihm vereint ist, dann, O Partha, gelangt man zum göttlichen und erhabenen Purusha.
9.-10. Dies erhabene Selbst ist der Seher, der Uralte der Tage, feiner als das Feinst-Stoffliche und (in der Schau und Weisheit seines ewigen Selbsts) der Meister und Gebieter allen Seins. Alle Dinge, die sind, setzt er in seinem Wesen an ihren rechten Ort. Unvorstellbar ist seine Gestalt. Er ist strahlend wie die Sonne jenseits von Dunkelheit. Wer zur Zeit seines Abscheidens an diesen Purusha mit unbewegtem Mental denkt, in seiner Seele gewappnet mit der Kraft des Yoga, in Bhakti eins geworden ist mit Gott und die Lebenskraft völlig emporgezogen hat und zwischen den Augenbrauen, dem Ort der mystischen Schau, konzentriert, er gelangt zu diesem höchsten, göttlichen Purusha.
11. Diese erhabene Seele ist der unwandelbare, selbst-seiende Brahman, von dem die Veda-Kenner sprechen. Und er ist es, zu dem die Asketen eingehen, wenn sie die Neigungen ihres sterblichen Mentals hinter sich gelassen haben. Aus Verlangen nach ihm praktizieren sie die Kontrolle über die körperlichen Leidenschaften. Diesen Zustand will Ich dir jetzt in Kürze beschreiben.
12.-13. Wer alle Tore der Sinne verschlossen, das mentale Bewusstsein ganz in das Herz zurückgezogen, die Lebenskraft aus ihren diffusen Abläufen emporgenommen hat in das Haupt, die Intelligenz im Aussprechen der heiligen Silbe OM konzentriert und sein begreifendes Denken in der Erinnerung an die erhabene Gottheit, wer so seinen Körper aufgibt und weitergeht, gelangt zum höchsten Zustand.
14. Der Yogin, O Partha, der sich Meiner ständig erinnert, der an niemand anderen denkt, der mit Mir im andauernden Einssein ist, findet es leichter, zu Mir zu gelangen.
15. Wenn diese großen Seelen zu Mir gekommen sind, kehren sie nicht wieder in die Geburt zurück, in den vergänglichen, leidvollen Zustand unseres sterblichen Wesens. Sie erreichen die höchste Vollkommenheit.
16. Die höchsten Himmel des kosmischen Plans sind noch der Rückkehr zur Wiedergeburt unterworfen. Jedoch wird keine Wiedergeburt jener Seele auferlegt, O Kaunteya, die zu Mir (dem Purushottama) kommt.
17. Jene, die einen Tag des Brahman, der eine Dauer von tausend Zeitaltern (Yugas) hat, und die Nacht, die tausend Zeitalter umschließt, kennen, sind die Kenner von Tag und Nacht.
18. Beim Anbruch des Tages werden alle Manifestationen aus dem Nicht-Manifestierten heraus ins Dasein geboren. Beim Anbruch der Nacht vergehen sie alle oder werden in sie aufgelöst.
19. Diese Vielzahl von Daseinsformen tritt wieder und wieder hilflos in das Werden ein, wird zunichte gemacht mit dem Anbruch der Nacht, O Partha, und wird wieder ins Dasein geboren mit dem Beginn des Tages.
20. Aber dies Nicht-Manifestierte ist nicht die ursprüngliche Göttlichkeit des Seins. Es gibt noch einen anderen Zustand seines Daseins, einen supra-kosmisch Unmanifestierten, jenseits dieser kosmischen Nicht-Manifestation (der ewig in sich selbst ruht, kein Gegensatz zu diesem kosmischen Zustand der Offenbarung ist, aber weit darüber steht und, ihm ungleich, unveränderlich ist und ewig), der nicht gezwungen ist, zugrunde zu gehen mit dem Untergang all dieser Daseinsformen.
21. Dieser Zustand wird der Ungeoffenbarte, Unwandelbare genannt. Von ihm sprechen sie als von der erhabenen Seele und vom höchsten Zustand. Wer diesen erlangt, kehrt nicht zurück. Er ist Mein erhabener Ort im Sein.
22. Aber jener erhabene Purusha kann nur durch ein Bhakti gewonnen werden, das sich allein ihm zuwendet, in dem alle Wesen sind und durch den diese ganze Welt im Raum ausgebreitet wurde.
23. Jene Zeit will Ich dir noch erklären, O Bester der Bharatas, in der abscheidende Yogins nicht mehr zurückkehren, und auch jene, in der Yogins, die darin scheiden, wieder zurückkommen.
24.-25. Diese Zeiten entsprechen den Gegensätzen von Feuer und Licht, Rauch und Nebel, Tag und Nacht, der hellen Hälfte des Mond-Monats und der dunklen, dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis. Während des ersten von den Gegensatz-Paaren gehen die Kenner Brahmans in Brahman ein. Aber während des zweiten gelangt der Yogin in das „Mond-Licht“ und kehrt darum wieder in die menschliche Geburt zurück.
26. Es sind die hellen und die dunklen Pfade (in den Upanishaden werden sie der „Pfad der Götter“ und der „Pfad der Väter“ genannt). Den einen nimmt jener, der nicht mehr zurückkehrt; den anderen der, der wiederkehrt.
27. Der Yogin, der sie kennt, wird nicht in die Irre geführt. Darum, O Arjuna, sei zu allen Zeiten im Yoga.
28. Wenn der Yogin dies weiß, lässt er die Frucht aller verdienstlichen Werke, die in den Veden genannt werden, der Opfer, der Verzichtleistungen und wohltätigen Gaben, weit hinter sich und gelangt zum höchsten und ewigen Zustand.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das achte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga des unzerstörbaren Brahman“.

9. Kapitel
Der Yoga des Königs-Wissens und des Königs-Geheimnisses
1. Der Erhabene sprach:
Was Ich dir nun mitteilen will, da du kein Nörgler bist, ist das Geheimste, das essentielle Wissen, das mit allumfassender Erkenntnis verbunden ist. Wenn du dies weißt, wirst du vom Übel befreit werden.
2. Dies ist das Königs-Wissen, das Königs-Geheimnis (die Weisheit aller Weisheiten, das Geheimnis aller Geheimnisse). Es ist ein reines und erhabenes Licht, das man durch unmittelbare spirituelle Erfahrung nachprüfen kann. Es ist das rechte und wahrhaftige Wissen, das wirkliche Gesetz des Seins. Es ist leicht zu verwirklichen und unvergänglich.
3. (Aber Glaube ist nötig.) Die Seele, die es nicht fertigbringt, Glauben an die höhere Wahrheit und an das höhere Gesetz aufzubringen, O Parantapa, und nicht zu Mir gelangt, diese Seele muss wieder auf den Pfad des gewöhnlichen sterblichen Lebens zurückkehren (dem Tod, dem Irrtum und dem Übel unterworfen).
4. Durch Mich ist dieses ganze Universum in dem unbeschreiblichen Mysterium Meines Wesens ausgebreitet worden. Alle Daseinsformen haben ihren Stand in Mir, nicht Ich in ihnen.
5. Und doch haben alle Daseinsformen ihren Stand auch wieder nicht in Mir – verstehe Meinen göttlichen Yoga richtig! Es ist Mein Selbst, das alle Wesen trägt und deren Dasein begründet.
6. Ebenso wie das weite, überall eindringende Prinzip der Luft im Prinzip des Äthers wohnt, so wohnen alle Daseinsformen in Mir. So musst du dies verstehen!
7. Alle Daseinsformen, O Kaunteya, kehren am Ende eines Zyklus in Meine göttliche Natur zurück (aus den Aktivitäten der Natur in deren Unbeweglichkeit und Schweigen). Mit Beginn eines neuen Zyklus lasse Ich sie wieder aus Mir hervorgehen.
8. Indem Ich Mich mit allem Nachdruck auf Meine eigene Natur (Prakriti) stütze, erschaffe Ich diese Vielfalt von Daseinsformen (lasse Ich sie in ein unterschiedliches Dasein hervorgehen), die hilflos der Herrschaft der Natur unterworfen sind.
9. Aber dies Wirken bindet Mich nicht, O Dhananjaya, denn Ich sitze wie unbeteiligt darüber, ohne dass Ich an diese Aktionen gebunden wäre.
10. Ich bin der führende Herrscher über das eigene Wirken Meiner Natur, (nicht ein Geist, der in ihr geboren wurde, sondern) der schöpferische Geist, der sie veranlasst, all das hervorzubringen, was in der Manifestation erscheint. Aus diesem Grund, O Kaunteya, schreitet die Welt in Zyklen fort.
11. Irregeführte Gemüter missachten Mich, der Ich im menschlichen Körper wohne, denn sie erkennen Meine erhabene Wesens-Natur nicht, den Herrn aller Daseinsformen.
12. All ihr Hoffen, Handeln und Wissen sind eitle Dinge. Sie sind in der Natur der Rakshasa und Asura daheim, die den Willen und die Intelligenz irreleiten.
13. Aber die großen Seelen, O Partha, die in der göttlichen Natur daheim sind, erkennen Mich (die Gottheit, die im menschlichen Körper ihren Sitz hat) als den Unvergänglichen, in dem alle Daseinsformen ihren Ursprung haben. So wissend, wenden sie sich zu Mir mit ganzer und vollkommener Liebe.
14. Sie verehren Mich ewig im Yoga, indem sie Mich stets anbeten, in ihrem spirituellen Bemühen standfest verharren und sich vor Mir mit Hingabe verneigen.
15. Auch andere Menschen spüren Mich auf durch das Opfer des Wissens. Sie verehren Mich in Meinem Einssein, in jedem gesonderten Wesen und in all Meinen Millionen universalen Gesichtern (mit denen Ich ihnen in der Welt und in deren Geschöpfen gegenübertrete).
16. Ich bin die Opferhandlung. Ich bin das Opfer. Ich bin die Opferspeise. Ich bin das Feuer spendende Kraut. Ich bin das Mantra und Ich bin die Butter. Ich bin die Flamme und die Opfergabe bin Ich.
17.-18. Ich bin der Vater dieser Welt und auch die Mutter. Ich bin ihr Ordner und ihr erster Schöpfer. Ich bin der Gegenstand des Wissens, die heilige Silbe OM und ebenso die drei Veden Rik, Sama und Yajur. Ich bin der Weg und das Ziel, der Erhalter, der Meister und der Zeuge, Haus und Land, Zuflucht und gütiger Freund. Ich bin Geburt, Bestand und Vernichtung des sichtbar gewordenen Seins. Ich bin der unzerstörbare Samen aller und ihr ewiger Ruheort.
19. Ich spende die Wärme. Ich halte den Regen zurück und schicke ihn wieder. Ich bin die Unsterblichkeit und auch der Tod, seiend und nicht-seiend, O Arjuna.
20. Von Mir erbeten jene den Weg zum Himmel, die den dreifachen Veda kennen, den Soma-Wein trinken, sich von der Sünde reinigen und Mich durch Opfer verehren. Wenn sie durch ihre Rechtschaffenheit zu den himmlischen Welten emporgestiegen sind, erfreuen sie sich im Paradies der heiligen Feste der Götter.
21. Nachdem sie die himmlischen Welten der Glückseligkeit genossen haben und der Lohn für ihre guten Werke aufgezehrt ist, kehren sie wieder in das sterbliche Dasein zurück. Da sie sich an die Tugenden halten, die durch die drei Veden eingeschärft werden, und die Befriedigung ihres Begehrens suchen, folgen sie dem Zyklus von Geburt und Tod.
22. Zu jenen Menschen, die Mich anbeten und dabei zum einzigen Gegenstand ihres Denkens machen, zu ihnen, die beständig im Yoga mit Mir geeint sind, bringe Ich von selbst jegliches Gute.
23. Selbst jene, die anderen Gottheiten hingebungsvoll und gläubig opfern, auch sie opfern Mir, O Sohn der Kunti, wenn auch nicht im Einklang mit dem wahren Gesetz.
24. Ich selbst bin es, der sich aller Opfer erfreut, und bin der Herr aller Opfer. Aber sie erkennen Mich nicht wahrheitsgemäß und fallen darum (zurück in den Zyklus von Geburt und Tod, d.Ü.).
25. Jene, die die Götter verehren, gehen hin zu den Göttern. Zu den (vergöttlichten) Ahnen gehen die Ahnen-Verehrer. Zu den Elementargeistern gehen jene, die den Elementargeistern opfern. Aber die Mich verehren, kommen zu Mir.
26. Wer Mir mit Hingabe ein Blatt darbringt, eine Blume, eine Frucht oder einen Becher Wasser –, willkommen ist Mir das mit Liebe gegebene Opfer der strebenden Seele.
27. Was du auch immer tust, woran du auch immer Freude hast, was du auch immer opferst, was du auch immer gibst, welche Energie der tapasyā, welches Wollen und Bemühen der Seele du auch aufbringst –, mache es zu einer Darbringung an Mich.
28. Auf diese Weise sollst du befreit werden von guten und bösen Ergebnissen, die die Fesseln des Wirkens begründen. Wenn deine Seele durch solche Entsagung im Einssein mit dem Göttlichen ist, wirst du frei werden und zu Mir gelangen.
29. Ich (der Ewige Innewohnende) bin der Gleiche in allen Daseinsformen. Keine ist Mir lieb und keine verhasst. Jene aber, die sich mit Liebe und Hingabe Mir zuwenden, die sind in Mir, und Ich bin auch in ihnen.
30. Und selbst ein Mensch mit schlechter Lebensführung, der sich mit einziger und ganzer Liebe Mir zuwendet, muss nun als Heiliger gelten. Denn sein entschlossener Wille zur Bemühung ist der rechte und vollkommene Wille.
31. Rasch wird er zu einer Seele der Rechtschaffenheit und erlangt den ewigen Frieden. Dies ist Mein Wort der Verheißung, O Arjuna: Wer Mich liebt, wird nicht zugrunde gehen.
32. Die ihre Zuflucht zu Mir nehmen, O Partha, auch wenn sie Kastenlose sind, aus sündigem Schoß geboren, Frauen, Vaishyas, selbst Shudras –, auch sie gelangen zum höchsten Ziel.
33. Um wie viel eher dann die heiligen Brahmanen, die Frommen und Königs-Weisen! Du nun, der du in diese vergängliche und unglückliche Welt gekommen bist, liebe Mich und wende dich Mir zu!
34. Werde Mir zugeneigt, Mein Liebender und Verehrender, ein Mir Opfernder, unterwerfe dich Mir. So im Selbst mit Mir geeint, wirst du zu Mir gelangen, da du Mich als dein höchstes Ziel hast.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das neunte Kapitel mit dem Titel „Der Yoga des Königs-Wissens und des Königs-Geheimnisses“.

10. Kapitel
Vibhuti Yoga
1. Der Erhabene sprach:
Vernimm noch einmal, O Starkarmiger, Mein höchstes Wort, das Ich zu dir sprechen will, da Mir das Wohl deiner Seele am Herzen liegt, wie nun dein Herz seine Freude in Mir findet.
2. Keiner der Götter und keiner der großen Rishis kennt eine Geburt von Mir. Denn Ich bin in jeder Beziehung und auf jede Weise der Ursprung der Götter und der großen Rishis.
3. Wer Mich jedoch erkennt und von Mir weiß als dem Ungeborenen, ohne Ursprung, dem mächtigen Herrn der Welten und der Völker, lebt ohne Verwirrung unter den Sterblichen und wird befreit von aller Sünde und allem Übel.
4.-5. Verstehen und Wissen und Freiheit von Verwirrung durch Unwissenheit, Vergebung und Wahrheit und Selbstbeherrschung und die Ruhe innerer Kontrolle, Kummer und Freude, das Eintreten in das Dasein und dessen Vernichtung, Furcht und Furchtlosigkeit, Ehre und Unehre, Nichtverletzen und Gleichmut, Zufriedenheit, Genügsamkeit und Geben –, sie alle hier in ihrer getrennten Mannigfaltigkeit sind subjektive Werdeformen des Seienden und sie alle gehen aus Mir hervor.
6. Die großen Rishis, die sieben Ahnen der Welt und auch die vier Manus sind Meine mentalen Werdeformen. Von ihnen stammen alle lebendigen Geschöpfe in der Welt.
7. Wer diese Meine alles durchwaltende Herrschaft und diesen Meinen Yoga erkennt, der eint sich ohne Zweifel selbst mit Mir durch den einen unerschütterlichen Yoga.
8. Ich bin die Geburt aller Dinge, und aus Mir geht alles weiter in die Entfaltung von Handeln und Bewegung. Die Weisen, die so verstehen, verehren Mich mit dem Gefühl des Entzückens.
9. Ihr Bewusstsein von Mir erfüllt, ihr Leben völlig an Mich hingegeben, einander erleuchtend, wenn sie von Mir miteinander reden, so sind sie stets zufrieden und freudvoll.
10. Denen, die so in ständigem Einssein mit Mir sind und Mich mit dem innigen Entzücken der Liebe anbeten, verleihe Ich den Yoga des wahren Verstehens, durch den sie zu Mir gelangen.
11. Ich wohne in ihrem Selbst und vertreibe aus Mitleid mit ihnen die Finsternis, die in Unwissenheit ihren Ursprung hat, durch das strahlende Licht des Wissens.
12.-13. Arjuna sprach:
Du bist der erhabene Brahman, die höchste Zuflucht, die äußerste Reinheit, das eine Bleibende, der göttliche Purusha, die ursprüngliche Gottheit, der Ungeborene, der alles durchwaltende Herr. Alle Rishis sagen dies von Dir und die göttlichen Seher Narada, Asita, Devala und Vyasa. Und Du selbst tust es mir kund.
14. Dies alles, was Du mir kundtust, O Keshava, hält mein Verstand für die Wahrheit. Weder die Götter noch die Titanen, O hochgepriesener Herr, erkennen Deine Manifestation.
15. Du allein erkennst Dich selbst durch Dein Selbst, O Purushottama, Du Ursprung aller Wesen, Herr aller Geschöpfe, Gott aller Götter, Meister der Welt.
16. All Deine göttlichen Selbst-Offenbarungen solltest Du mir ohne Ausnahme mitteilen, Deine Vibhutis, durch die Du diese Welten und Völker durchdringst.
17. Wie werde ich Dich erkennen, O Yogin, wenn ich überall und immer an Dich denke, und in welchen hervorragenden Gestalten Deines Werdens soll ich Dich mir vergegenwärtigen, O Erhabener Herr?
18. Sprich zu mir in Einzelheiten über Deinen Yoga und von Deinen Vibhutis, O Janardana, und teile mir mehr davon mit! Nektar der Unsterblichkeit ist dies für mich. Und wenn ich auch noch so viel davon zu hören bekomme, so werde ich doch nicht übersättigt werden.
19. Der Erhabene sprach:
Ja, Ich will dir Meine göttlichen Vibhutis kundtun, O Bester der Kurus, jedoch nur in Gestalt einiger Meiner wichtigsten und hervorragendsten. Denn es gibt kein Ende der Einzelheiten Meiner Selbst-Entfaltung im Universum.
20. Ich, O Gudakesha, bin das Selbst, das allen Wesen innewohnt. Ich bin Anfang, Mitte und Ende aller Wesen.
21. Unter den Adityas [den vedischen Göttern] bin Ich Vishnu. Unter den Lichtern und allem Strahlenden bin Ich die leuchtende Sonne. Ich bin Marichi [der Regenwind] unter den Maruts [Winden]. Unter den Gestirnen bin Ich der Mond.
22. Unter den Veden bin Ich der Sama-Veda. Unter den Göttern bin Ich Vasava. Das Mental bin Ich unter den Sinnen. In den lebenden Wesen bin Ich das Bewusstsein.
23. Ich bin Shiva unter den Rudras. Der Herr des Reichtums bin Ich unter den Yakshas und den Rakshasas [den Unholden]. Agni bin Ich unter den Vasus [Feuergöttern]. Und Meru bin Ich unter den Berggipfeln der Welt.
24. Und erkenne, O Partha, Mich auch als Brihaspati, das Haupt der Hohepriester der Welt. Ich bin Skanda, der Kriegsgott, Führer aller Befehlshaber in der Schlacht. Unter den fließenden Gewässern bin Ich der Ozean.
25. Ich bin Bhrigu unter den großen Rishis. Ich bin die heilige Silbe OM unter den Wörtern. Unter den Handlungen des Gottesdienstes bin Ich die Verehrung, die Japa genannt wird (die schweigende Wiederholung der heiligen Namen usw.). Unter den Gebirgszügen bin Ich der Himalaya.
26. Ich bin der Aswattha[-Baum] unter allen Bäumen. Und Ich bin Narada unter den göttlichen Weisen, Chitraratha unter den Gandharvas [den Göttern des Tanzes], Muni Kapila unter den Siddhas [Vollkommenen].
27. Erkenne Mich, Nektar-Geboren, als Uchchaishravas unter den Pferden, als Airavata unter den herrschaftlichen Elefanten und als den König der Menschen unter den Menschen.
28. Ich bin der göttliche Donnerkeil unter den Waffen. Ich bin Kamadhuk, die Kuh der Fülle des Wohlstands, unter den Kühen. Kandarpa, der Liebesgott, bin Ich unter den Stammvätern. Unter den Schlangen bin Ich Vasuki.
29. Und Ich bin Ananta unter den Nagas (Kobras), Varuna unter den Völkern des Meeres, Aryaman unter den Vätern [vergöttlichte Vorfahren], Yama (Herr des Gesetzes) unter denen, die über Recht und Gesetz wachen.
30. Und Ich bin Prahlada unter den Titanen. Ich bin die Zeit unter denen, die rechnen und messen. Unter den Tieren bin Ich der König der Tiere, der Löwe, und Vainateya (Garuda) unter den Vögeln.
31. Ich bin der Wind unter den Reinigern. Ich bin Rama unter den Kriegern. Ich bin der Alligator unter den Fischen. Unter den Strömen bin Ich der Ganges.
32. Von den Schöpfungen bin Ich der Anfang und das Ende sowie die Mitte, O Arjuna. Ich bin das spirituelle Wissen unter den vielen Philosophien, Künsten und Wissenschaften. Ich bin der Logiker unter den Diskutierenden.
33. Ich bin der Buchstabe A unter den Buchstaben, die Dualität unter den Verbindungen. Ich bin die unvergängliche Zeit. Ich bin der Meister und Herrscher über alle Daseinsformen, deren Antlitz überall sichtbar wird.
34. Und Ich bin der alles dahinraffende Tod. Ebenso bin Ich die Geburt von allem, das ins Dasein tritt. Unter den weiblichen Eigenschaften bin Ich Glorie und Schönheit, Redekunst, Gedächtnis, Einsicht, Standhaftigkeit und Vergebung.
35. Ich bin auch das große Sama unter den Mantras, das Gayatri unter den Versmaßen. Unter den Monaten bin Ich Margasirsha, der erste der Monate. Ich bin der Frühling, die lieblichste Jahreszeit.
36. Ich bin beim Spiel die Raffinesse und die Stärke der Mächtigen. Ich bin Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Sieg. Ich bin die sattwische Eigenschaft der Guten.
37. Ich bin Vasudeva (Krishna ) unter den Vrishnis, Dhananjaya (Arjuna) unter den Pandavas. Ich bin Vyasa unter den Weisen. Ich bin Ushanas unter den Seher-Dichtern.
38. Ich bin Herrschaft und Macht all derer, die regieren, bändigen und überwinden, und die Politik aller, die Erfolg haben und erobern. Ich bin das Schweigen der geheimen Dinge und das Wissen der Wissenden.
39. Und was auch immer der Keim von allen Daseinsformen ist, O Arjuna, Ich bin der Keim. Nichts in der Welt, was sich regt oder regungslos ist, Belebtes oder Unbelebtes, kann ohne Mich existieren.
40. Es gibt für Meine göttlichen Vibhutis kein Aufzählen und keine Grenze, O Parantapa. Was Ich hier nannte, ist nicht mehr als eine knappe Darlegung, und Ich habe nur das Licht von ein paar grundlegenden Andeutungen gegeben.
41. Wenn immer du ein schönes und herrliches Geschöpf in der Welt erblickst, ein Wesen voll Macht und Stärke (bei den Menschen und in den Bereichen oberhalb des Menschen oder unter ihm), dann wisse: Gerade dies ist Herrlichkeit, Licht und Energie aus Mir, aus einem machtvollen Wesensteil und einer intensiven Kraft Meines Seins geboren.
42. Doch wozu bedarf es noch einer Fülle von Einzelheiten, O Arjuna, damit du dies erkennst! Verstehe es also: Ich bin hier in dieser Welt und überall. Mit einem unendlich kleinen Teil Meines Selbsts trage und erhalte Ich dieses ganze Universum.

Om tat sat. So endet in der vom Herrn gesungenen Upanishad, der Wissenschaft von Brahman, der Schrift vom Yoga und dem Dialog zwischen Sri Krishna und Arjuna das zehnte Kapitel mit dem Titel „Vibhuti Yoga“.
