Sri Aurobindo Digital Edition
  • Home
  • SRI AUROBINDO
  • DIE MUTTER
  • KOMPILATIONEN
  • ALLES LEBEN IST YOGA
  • ALL LIFE IS YOGA
  • ANDERE AUTOREN
  • SUCHEN
  • IMPRESSUM
  1. SRI AUROBINDO
  2. Briefe über den Yoga – Gesamtausgabe

8. Kapitel

Wiedergeburt

Jedes Mal wenn die Seele in eine Geburt eintritt, wird ein Mental, Leben und Körper aus den Substanzen der universalen Natur geformt, die der vergangenen Evolution der Seele sowie ihrem Erfordernis für die Zukunft entsprechen.

Sobald der Körper sich auflöst, wandert das Vital zur vitalen Ebene, um dort eine Zeitlang zu bleiben, dann fällt die vitale Hülle ab. Schließlich zieht sich die Seele oder das seelische Wesen in die seelische Welt zurück, um dort zu ruhen, bis eine neue Geburt naht.

Das ist der allgemeine Verlauf für ein normal entwickeltes menschliches Wesen. Es gibt jedoch Abweichungen, die der individuellen Natur und ihrer Entwicklungsstufe entsprechen. So kann zum Beispiel das mentale Wesen, wenn das Mental stark entwickelt ist, [bei der Seele] bleiben und ebenso das Vital, vorausgesetzt sie sind um das wahre seelische Wesen geordnet und um dieses zentriert – sie teilen dann die Unsterblichkeit der Seele.

Die Seele sammelt die essentiellen Elemente ihrer Erfahrungen im Leben und macht sie zur Grundlage ihres Wachsens in der Evolution; sobald sie in das Leben zurückkehrt, nimmt sie mit ihren mentalen, vitalen und physischen Hüllen so viel karma auf, wie sie im neuen Leben zur weiteren Erfahrung braucht.

Es ist eigentlich der vitale Teil des Wesens, für den sraddha und Riten abgehalten werden, und dies geschieht, um dem Wesen zu helfen, sich von den vitalen Schwingungen zu befreien, die es noch an die Erde oder die vitalen Welten binden, so dass es rasch zu seiner Ruhe im seelischen Frieden gelangen kann.

Was ich sagte, bezog sich lediglich auf die Zeremonien – auf die Riten. Ich meinte nicht, Kastenangehörige oder Brahmanen zu speisen, was weder ein Ritus noch eine Zeremonie ist. Ob sraddha, so wie es abgehalten wird, tatsächlich wirksam ist, ist eine andere Frage, denn diejenigen, die es abhalten, haben weder Wissen noch okkulte Macht.

Die Seele, nachdem sie den Körper verlassen und bestimmte Erfahrungen in anderen Welten gesammelt hat, wirft ihre vitalen und mentalen Persönlichkeiten ab und tritt in einen Ruhezustand ein, um die Essenz ihrer Vergangenheit zu assimilieren und sich für ein neues Leben vorzubereiten. Diese Vorbereitung bestimmt die Umstände der neuen Geburt und leitet die Seele bei ihrer Wiederherstellung einer neuen Persönlichkeit und der Wahl ihrer Substanzen.

Die abgeschiedene Seele bewahrt die Erinnerung ihrer vergangenen Erfahrungen nur in der Essenz, nicht aber in Form von Einzelheiten. Nur wenn die Seele eine vergangene Persönlichkeit oder verschiedene vergangene Persönlichkeiten zurückbringt und als einen Teil in ihre gegenwärtige Manifestation mit einbezieht, ist es wahrscheinlich, dass man sich der Einzelheiten des vergangenen Lebens erinnert. Andernfalls kann man allein durch yogadrsti [die yogische Schau] zu einer Erinnerung kommen.

Der Karana-Purusha ist das, was von uns das zentrale Wesen genannt wird, der Jiva. Er steht über dem Spiel und erhält es immer aufrecht.

Es kann scheinbar rückläufige Bewegungen geben, doch sind dies nur Zick-Zack-Bewegungen, kein wirkliches Zurückfallen; es ist eine Rückkehr zu etwas, das noch nicht verarbeitet ist, damit man dann umso leichter vorwärtsschreiten kann. Nicht die Seele ist es, die zum Tierzustand zurückkehrt, es ist vielmehr ein Teil der vitalen Persönlichkeit, der sich ablösen und in eine Tiergeburt eintreten kann, um dort seine Tierneigungen auszuarbeiten.

An dem allgemeinen Glauben, dass ein habgieriger Mensch zu einer Schlange wird, ist nichts Wahres. Das ist volkstümlich romantischer Aberglaube.

Die Seele durchwandert nach dem Verlassen des Körpers verschiedene Zustände oder Ebenen, bis das seelische Wesen seine zeitweiligen Hüllen abgeworfen hat; darauf erreicht sie die seelische Welt, wo sie in einer Art Schlaf ruht, bis sie für die Wiedergeburt bereit ist. Das, was sie von der menschlichen Erfahrung bewahrt, ist letzten Endes nichts als die Essenz all dessen, was sie erlebte und für ihre Entwicklung braucht. Dies ist die allgemeine Regel, die aber nicht für Ausnahmefälle oder für sehr entwickelte Wesen gilt, die ein größeres Bewusstsein als das der gewöhnlichen menschlichen Ebene erreicht haben.

Nicht die Seele nimmt eine geringere Form an, sondern ein Teil des manifestierten Wesens, meist ein Teil des Vitals, und zwar aufgrund eines Begehrens, einer gegenseitigen Anziehung oder dem Erfordernis einer bestimmten Erfahrung. So etwas widerfährt durchschnittlichen Menschen ziemlich häufig.

Beim Tod verlässt das Wesen den Körper durch den Kopf; es tritt in den feinstofflichen Körper ein und begibt sich für kurze Zeit zu verschiedenen Daseinsebenen, um bestimmte Erfahrungen zu durchlaufen, die das Ergebnis seines Erdendaseins sind. Dann erreicht es die seelische Welt, wo es in einer Art Schlaf ruht, bis es Zeit ist, ein neues Leben auf Erden zu beginnen. Das ist der gewöhnliche Ablauf, den jedoch entwickeltere Wesen nicht einzuhalten brauchen.

Die Seele begibt sich nach dem Tod des Körpers in einen feinstofflichen Leib.

Erinnerungen währen nur kurze Zeit, nicht bis zur Wiedergeburt – andernfalls wären sie so deutlich ausgeprägt, dass das Erinnern vergangener Leben, selbst in einem neuen Körper, eher die Regel und nicht die Ausnahme wäre.

Du sagst „menschliche Beziehungen in einem Leben bestünden im darauffolgenden Leben fort, und die Aussichten hierfür hingen von der Intensität der Bindung ab“. Das mag stimmen, es ist jedoch kein Gesetz – in der Regel wird die gleiche Beziehung nicht ständig wiederholt. Oft treffen sich die gleichen Menschen in verschiedenen Leben immer wieder auf Erden, ihr Verhältnis zueinander ist jedoch ein anderes. Dem Zweck der Wiedergeburt wäre nicht gedient, wenn sich die gleiche Persönlichkeit mit den gleichen Beziehungen und Erfahrungen unaufhörlich wiederholen würde.

Es stimmt nicht, dass nach dem Tod eine vollständige Auflösung des Egos in Lebensformen, die niedriger als die des Menschen sind, stattfindet.

Gemeint war, dass das seelische Wesen – nicht das Ego sich in einem statischen Zustand vollkommener Ruhe befindet, und zwar nachdem es seine vitalen und anderen Hüllen abgestreift hat und in der seelischen Welt ruht. Vorher durchwandert es auf seinem Weg zur seelischen Ebene die vitalen und andere Welten.

Es ist möglich, mit den Verstorbenen, solange sie der Erde noch genügend nahe sind, in direkten Kontakt zu kommen – Menschen mit okkulter Erfahrung nehmen an, dass dies etwa drei Jahre lang der Fall ist – oder wenn sie an die Erde gebunden sind oder zu jenen gehören, die nicht zur seelischen Ebene fortschreiten, sondern der Erde nahe bleiben, um bald wiedergeboren zu werden.

Allgemeine Äußerungen können über diese Dinge nicht ohne weiteres gemacht werden – es gibt zwar eine allgemeine Richtlinie, doch die einzelnen Fälle unterscheiden sich in fast unbegrenztem Ausmaß.

Nach dem Tode durchwandert man die vitale Welt und lebt dort eine gewisse Zeit. Nur der erste Teil dieses Durchgangs ist möglicherweise gefährlich oder schmerzhaft; im übrigen Teil arbeitet man in einer bestimmten Umgebung die Reste vitaler Wünsche und Instinkte des Körpers aus. Sobald man ihrer überdrüssig und fähig ist weiterzugehen, wird die vitale Hülle abgestreift und die Seele tritt nach einer bestimmten Zeit, die nötig ist, sich von einigen mentalen Überresten zu befreien, in einen Zustand der Ruhe in der seelischen Welt ein, wo sie bis zum nächsten Erdenleben bleibt.

Man kann der dahingegangenen Seele durch seinen guten Willen helfen oder durch okkulte Mittel, sofern man über das Wissen verfügt. Das einzige, was man nicht tun sollte, ist, sie durch Kummer oder Sehnsucht zurückzuhalten oder durch irgendetwas, das sie näher an die Erde ziehen oder die Reise zu ihrem Ruheort verzögern würde.

Es kann vorkommen, für kurze Zeit nicht zu begreifen, dass man tot ist, besonders wenn es ein unvorhergesehener und plötzlicher Tod war; man kann aber nicht sagen, dass dies für alle oder die meisten zutrifft. Einige mögen in ein Stadium von halber Unbewusstheit eintreten oder von einem dunklen inneren Zustand besessen sein, der durch ihre mentale Verfassung beim Tod geschaffen wurde und in dem sie nicht erkennen, wo sie sich befinden usw.; andere aber sind sich dieses Durchgangs voll bewusst. Es stimmt, dass das vitale Wesen eine Zeitlang nahe dem [physischen] Körper oder Lebensschauplatz weilt, meist acht Tage lang; in den alten Religionen wurden mantras und andere Mittel für die Ablösung angewendet. Selbst nach der Ablösung vom Körper kann eine sehr erdgebundene Natur oder eine mit starken physischen Wünschen noch lange Zeit in der Erdatmosphäre weilen – bis zu einer Zeitdauer von drei Jahren. Dann durchwandert sie, ihre Reise fortsetzend, die vitalen Welten und gelangt früher oder später bei ihrem seelischen Ruheort bis zum nächsten Leben an. Es stimmt durchaus, dass Kummer und Trauer um die Toten ihr Fortschreiten behindern, da sie hierdurch an die Erdatmosphäre gebunden und vom Weiterwandern abgehalten werden.

Der normale Verlauf ist, dass das seelische Wesen die äußeren Hüllen auf seinem Weg zur seelischen Ebene abstreift. Es gibt aber jede Menge von Abweichungen; man kann von der vitalen Ebene zurückkehren und es gibt viele Fälle einer nahezu unmittelbar darauffolgenden [Wieder-] Geburt, die zuweilen sogar von einer fast vollständigen Erinnerung an die Ereignisse des vergangenen Lebens begleitet ist.

Hölle und Himmel sind meist Phantasiegebilde der Seele oder vielmehr des Vitals, die es nach seinem Abscheiden um sich aufbaut. Mit Hölle ist ein schmerzhafter Durchgang durch die vitale Ebene gemeint oder ein Verweilen dort, wie zum Beispiel in vielen Fällen von Selbstmord, wo einen die Kräfte des Leidens und Aufruhrs, die durch diesen unnatürlichen und gewaltsamen Abgang geschaffen wurden, weiterhin umgeben. Natürlich sind auch die Welten des Mentals und die vitalen Welten mit freudigen oder dunklen Erfahrungen durchsetzt. Man kann diese als das Ergebnis von Dingen betrachten, die in der menschlichen Natur geformt wurden und die eine zwangsläufige Anziehung schaffen – die Idee einer Belohnung oder Vergeltung hingegen ist eine unreife und gewöhnliche Vorstellung, die auf einem weit verbreiteten Irrtum beruht.

Es gibt kein Gesetz eines vollständigen Vergessens bei der Rückkehr der Seele zur Wiedergeburt. Besonders in der Kindheit tauchen viele Ahnungen eines vergangenen Lebens auf, die durchaus stark und lebendig sein können, doch verhindern die materialistische Erziehung und die Beeinflussung durch die Umgebung, dass ihre wahre Natur erkannt wird. Es gibt sogar eine große Anzahl von [erwachsenen] Menschen, die deutliche Erinnerungen an ein vergangenes Leben haben. Diese Dinge werden jedoch durch Erziehung und Atmosphäre nicht begünstigt, sie können nicht anhalten oder sich entwickeln und werden in den meisten Fällen erstickt. Darüber hinaus muss man natürlich wissen, dass das, was das seelische Wesen mit sich nimmt und was es zurückbringt, meist die Essenz der Erfahrung ist, die es in einem früheren Leben hatte, und keine Einzelheiten – du kannst also nicht eine gleiche Art von Erinnerung erwarten wie die, die du vom gegenwärtigen Dasein hast.

Eine Seele kann sich unmittelbar zur seelischen Welt begeben, jedoch hängt dies von dem Bewusstseinszustand zur Zeit des Abscheidens ab. Wenn die Seele sich zu diesem Zeitpunkt im Vordergrund befindet, ist ein direkter Durchgang absolut möglich. Er hängt nicht von der Erlangung einer mentalen, vitalen oder seelischen Unsterblichkeit ab – diejenigen, die diese erlangt haben, würden eher die Macht besitzen, sich in verschiedenen Welten zu bewegen und sogar auf die physische Welt einzuwirken, ohne an sie gebunden zu sein. Im Ganzen betrachtet kann man sagen, dass es keine starre Regel für diese Dinge gibt und mannigfache Abweichungen möglich sind, die von dem jeweiligen Bewusstsein sowie von seinen Energien, Neigungen und Gestaltungen abhängen – es besteht jedoch ein allgemeines Gefüge, ein allgemeiner Rahmen, in den alles passt und sich einordnet.

Es ist notwendig, den Unterschied zwischen der sich entfaltenden Seele (dem seelischen Wesen) und dem reinen Atman, dem Selbst oder Spirit klar zu verstehen. Das reine Selbst ist ungeboren, es durchläuft weder Tod noch Geburt und ist unabhängig von Geburt oder Körper, von Mental, Leben oder dieser manifestierten Natur. Es wird durch diese Dinge weder gebunden noch eingeschränkt, noch beeinträchtigt, obwohl es sie annimmt und stützt. Im Gegensatz hierzu ist die Seele etwas, das in die Geburt herabkommt und den Tod durchläuft – obwohl sie selbst nicht stirbt, da sie unsterblich ist – und von einem Zustand zum anderen, von der Erdebene zu anderen Ebenen und wieder zurück zum Erdendasein wandert. Sie schreitet von Leben zu Leben durch eine Evolution fort, die sie zum menschlichen Zustand emporführt und entfaltet in all dem ein Wesen ihrer selbst, das wir das seelische Wesen nennen, welches die Evolution stützt; sie entwickelt ein physisches, vitales und mentales menschliches Bewusstsein als ihre Instrumente der Welterfahrung und eines verhüllten, unvollständigen, doch wachsenden Selbstausdrucks. All dies tut sie hinter dem Schleier und offenbart von ihrem göttlichen Selbst nur soviel, wie es die Unzulänglichkeit des instrumentalen Wesens zulässt. Es kommt jedoch eine Zeit, in der sie sich darauf vorbereiten kann, hinter dem Schleier hervorzutreten, die Führung zu übernehmen und die gesamte instrumentale Natur einer göttlichen Erfüllung zuzuwenden. Dies ist der Beginn des wahren spirituellen Lebens. Die Seele ist nunmehr fähig, sich für eine höhere Evolution des verkörperten Bewusstseins als die des mentalen menschlichen bereitzumachen – sie kann vom mentalen zum spirituellen und über Abstufungen des spirituellen zum supramentalen Zustand fortschreiten. Bis dahin aber gibt es keinen Grund, warum sie sich vom Geboren-werden abkehren sollte, und tatsächlich ist sie hierzu gar nicht in der Lage. Erst nach der Erreichung des spirituellen Zustandes kann sie die Erdmanifestation verlassen; es ist aber auch eine höhere Manifestation möglich – im Wissen und nicht in der Unwissenheit.

Daher erhebt sich deine Frage gar nicht. Nicht der nackte Spirit, sondern das seelische Wesen wandert zur seelischen Ebene, bis es in ein neues Leben gerufen wird. Eine Kraft, die es zwingen würde, ein neues Leben anzunehmen, ist daher nicht notwendig. Es [das seelische Wesen] ist seiner Natur nach etwas, das vom Göttlichen hervorgebracht wurde, um die Evolution zu stützen – und dies muss es tun, bis das Göttliche Ziel in seiner Evolution erreicht ist. Karma ist nur ein Mechanismus, nicht die grundlegende Ursache des Erdendaseins – und das kann auch nicht sein, denn als die Seele erstmals in dieses Dasein trat, hatte sie kein karma.

Und was wiederum meinst du mit der „alles verhüllenden Maya“ oder mit „alles Bewusstsein zu verlieren“? Die Seele kann nicht alles Bewusstsein verlieren, denn ihre eigentliche Natur ist Bewusstsein, wenn auch nicht das der mentalen Art, der wir diesen Namen geben. Dieses Bewusstsein ist durch das sogenannte Unbewusste der stofflichen Natur sowie durch die halbbewusste Unwissenheit von Mental, Leben und Körper zwar verdeckt, doch nicht ausgelöscht. Die Seele manifestiert in dem Maße, wie das individuelle Mental, Leben und der individuelle Körper wachsen, möglichst viel des Bewusstseins, das sie potentiell enthält; sie manifestiert es im gegenwärtigen Leben und in der äußeren instrumentalen Natur in dem Umfang und auf die Weise, wie es diese Instrumente und diese äußere Persönlichkeit, die für sie [die Seele] und durch sie vorbereitet wurden, zulassen.

Von einem furchtbaren Leiden, das die Seele im Verlauf der Wiedergeburt erdulden soll, ist mir nichts bekannt; volkstümliche Anschauungen, selbst wenn sie einer gewissen Grundlage nicht entbehren, sind selten vorurteilsfrei und genau.

1. Das seelische Wesen steht hinter dem Mental, Leben und Körper und stützt sie; die seelische Welt ist nicht eine Welt in der Rangordnung der mentalen, vitalen oder physischen Welten, sondern steht hinter diesen allen, und die sich hier entwickelnde Seele kehrt dorthin für die Zeit zwischen zwei Leben zurück. Wenn die Seele in der aufsteigenden Ordnung von Körper, Leben und Mental nur ein Prinzip wäre, den anderen ebenbürtig und in der Rangordnung auf gleicher Grundlage mit diesen, könnte sie nicht die Seele von allem Übrigen sein, das göttliche Element, das die Evolution der anderen ermöglicht und diese als Instrumente für das Wachsen zum Göttlichen hin durch kosmische Erfahrung benützt. Ebenso wenig kann die seelische Welt eine unter den übrigen Welten sein, zu denen das evolutionäre Wesen sich um der über-physischen Erfahrung willen begibt; es ist eine Ebene, zu der es sich zur spirituellen Assimilation seiner Erfahrungen in sich selbst zurückzieht, eine Ebene für ein Wiedereintauchen in sein eigenes ursprüngliches Bewusstsein und in seine seelische Natur.

2. Für die wenigen, die die Unwissenheit zurücklassen und in das nirvana eintreten, besteht das Problem nicht, unmittelbar in die höheren Welten der Manifestation aufzusteigen. Nirvana oder moksha ist ein befreiter Daseinszustand und nicht eine Welt – es ist eine Abkehr von den Welten und der Manifestation.

3. Der Zustand der Seele, die sich in die seelische Welt zurückzieht, ist ein vollkommen statischer; jede [der Seelen] zieht sich in sich selbst zurück und hat keine Beziehung zu anderen. Wenn sie aus ihrem Trancezustand auftaucht, ist sie für ein neues Leben bereit, doch wirkt sie zwischenzeitlich nicht auf das Erdenleben ein. Es gibt andere Wesen, Wächter der seelischen Welt, doch kümmern sich diese nicht um die Erde, sondern nur um die seelische Welt sowie um die Rückkehr der Seelen zur Reinkarnation.

4. Ein Wesen der seelischen Welt kann nicht mit der Seele eines Menschen auf Erden verschmelzen. Was manchmal vorkommt, ist, dass ein sehr fortgeschrittenes seelisches Wesen eine Emanation herab sendet, die in ein menschliches Wesen eingeht und dieses auf das seelische Wesen selbst vorbereitet, damit es in dessen Leben eintreten kann. Dies geschieht, wenn eine besondere Arbeit verrichtet und das menschliche Gefäß hierfür vorbereitet werden muss. Eine derartige Herabkunft zeitigt eine erstaunliche und plötzliche Veränderung in der menschlichen Persönlichkeit und Natur.

5. Meist bewahrt die Seele die gleiche Linie des Geschlechtes. Eine Veränderung des Geschlechtes geht in der Regel von den nicht-zentralen Teilen der Persönlichkeit aus.

6. Es gibt keine feststehende Regel dafür, in welchem Stadium die Seele zur Wiedergeburt in einen neuen Körper eintritt, denn die Umstände ändern sich mit dem einzelnen Individuum. Es gibt seelische Wesen, die vorn Zeitpunkt der Empfängnis an Beziehung mit der Umgebung bei der Geburt und den Eltern aufnehmen und die Entwicklung der Persönlichkeit und Zukunft bereits im Embryo vorbereiten; andere treten [in den Körper] erst zum Zeitpunkt der Geburt ein, andere noch später im Leben – in diesen Fällen hält eine Emanation des seelischen Wesens das Leben aufrecht. Man sollte wissen, dass die Voraussetzungen des künftigen Lebens grundsätzlich nicht während des Aufenthaltes in der seelischen Welt determiniert werden, sondern zum Zeitpunkt des Todes; das seelische Wesen wählt dann, was es im nächsten Erdenleben ausarbeiten wird, und dementsprechend gestalten sich die Voraussetzungen.

Du darfst nicht vergessen, dass die Vorstellung einer Wiedergeburt und bestimmter Umstände des neuen Lebens als Belohnung oder Bestrafung von punya [Tugend] oder papa [Sünde] eine unreife, menschliche Vorstellung von Gerechtigkeit ist, ziemlich unphilosophisch, unspirituell und das wahre Ziel des Lebens entstellend. Das Leben auf Erden ist eine Evolution, und die Seele wächst durch Erfahrung, durch ein Ausarbeiten von diesem oder jenem in der menschlichen Natur; wenn Leiden sich einstellen, dann hat man sie zum Zwecke dieses Ausarbeitens zu erdulden und nicht als ein Urteil, das von Gott oder dem Kosmischen Gesetz verhängt ist über unser Fehlen und Irren, die unvermeidbar sind in der [Welt der] Unwissenheit.

Es ist schwierig, eine positive Antwort auf diese Fragen zu geben, da keine allgemeine, für alle anwendbare Regel aufgestellt werden kann. Das Mental formt starre Gesetze oder ein starres Gesetz, doch die tatsächliche Manifestation ist durchaus plastisch, vielfältig und vielseitig. Meine Antworten dürfen daher nicht als etwas das Gebiet Erschöpfendes oder in sich Vollständiges aufgefasst werden.

1. Er (der Jivanmukta, der befreite Mensch) kann sich zu dem Ziel begeben, das für ihn festgelegt wurde – entweder in einen Zustand von nirvana oder in eine der göttlichen Welten, um dort zu bleiben; er kann ebenso, wohin auch immer er sich begibt, in Verbindung mit der Erdbewegung bleiben und zu ihr zurückkehren, wenn es sein Wille ist, sie zu stützen.

Es ist zweifelhaft, ob er sich von der Welt der gegenwärtig höchsten seelischen Vollendung direkt zu einer noch höheren Welt begeben kann. Wenn er ursprünglich kein evolutionäres Wesen ist, sondern einer höheren Welt angehört, würde er zu dieser Welt zurückkehren. Wenn er weiter aufsteigen will, ist es logisch, dass er zum Bereich der Evolution zurückkehren muss, solange er das Bewusstsein, das jener höheren Ebene eigen ist, noch nicht entwickelt hat. Die orthodoxe Vorstellung, dass selbst die Götter auf die Erde kommen müssen, wenn sie erlöst werden wollen, könnte auf diesen Anstieg angewendet werden. Wenn er jedoch ursprünglich ein evolutionäres Wesen ist (siehe Ramakrishnas Unterscheidung von Jivakoti und Ishvarakoti), muss er auf dem evolutionären Pfad weitergehen, entweder zu einer negativen Abkehr durch nirvana oder einer absoluten göttlichen Vollendung in der sich mehrenden Manifestation von Sachchidananda.

Was die Unmöglichkeit einer Wiederkehr anbelangt, so ist dies eine schwierige Frage. Ein göttliches Wesen kann immer zurückkehren – Ramakrishna sagt, dass der lshvarakoti nach Wunsch die Leiter zwischen Geburt und Unsterblichkeit hinauf- oder herabsteigen kann. Die anderen ruhen wahrscheinlich eine relativ unendliche Zeit, sasvatih samah, wenn das ihr Wille ist, doch kann eine Rückkehr nicht ausgeschlossen werden, außer sie haben ihren höchstmöglichen Zustand erreicht.

Nein, diese Rückkehr zur seelischen Welt vor einer neuen Geburt findet nur auf der evolutionären Linie statt, sie ist nicht zwingend für eine göttliche Rückkehr.

2. Unter einem fortgeschrittenen seelischen Wesen ist hier wohl eines zu verstehen, das die Freiheit der Seele erreicht hat und im Göttlichen eingetaucht ist – eingetaucht heißt aber nicht aufgelöst. Ein derartiges Wesen schläft nicht in der seelischen Welt, sondern kann in seinem Zustand seligen Eintauchens verharren oder für einen bestimmten Zweck zurückkehren.

Das Wort „herabkommen“ hat verschiedene Bedeutungen, je nach dem Zusammenhang – ich gebrauchte es hier in dem Sinn, dass das seelische Wesen in das menschliche Bewusstsein und den menschlichen Körper, die hierfür bereit sind, herabkommt; dieses Herabkommen kann zur Zeit der Geburt oder vorher stattfinden, es [das seelische Wesen] kann aber auch später herabkommen und die Persönlichkeit einnehmen, die es für sich vorbereitet hat. Ich verstehe nicht ganz, wer diese Persönlichkeiten von oben sein sollen – es ist das seelische Wesen selbst, das einen Körper annimmt.

3. Nein, das seelische Wesen kann nur in einem Körper wohnen. Jeder Mensch hat nur ein seelisches Wesen, doch die Wesen der höheren Ebenen, zum Beispiel die Götter der Obermental-Ebene, können sich gleichzeitig in mehr als einem menschlichen Körper manifestieren, indem sie verschiedene Emanationen in verschiedene Körper senden. Diese würden dann die vibhutis jener devatas genannt werden.

4. Die Wächter der seelischen Welt sind weder menschliche Seelen noch ist dies ein Amt, zu dem sie verpflichtet wurden, noch sind sie Funktionäre – es sind Wesen der seelischen Ebene, die ihrer natürlichen Tätigkeit auf dieser Ebene nachgehen. Mein Ausdruck „Wächter“ war lediglich eine Formulierung, die durch ein Bild oder eine Metapher die Art ihrer Tätigkeit andeuten sollte.

Dem Geboren-werden zu entrinnen, war ein universales Ziel jener Zeit – abgesehen von ein oder zwei Shiva-Sekten, soviel ich weiß. Es ist etwas ganz anderes als das Göttliche, das viele Leben annimmt, und auch die Gita spricht vom höchsten Zustand nicht als laya [der Auslöschung der individuellen Seele im Unendlichen], sondern als ein Wohnen im Göttlichen [Bewusstsein auf Erden]. Es scheint also keinen Grund zu geben, warum der mukta und siddha, der jenes Wohnen im Göttlichen Bewusstsein erreicht hat, die Wiedergeburt und ihre Leiden mehr fürchten sollte als es das Göttliche tut.

Der pitriyana, der Weg der Väter, soll zu den unteren Welten führen, die von den Vätern erreicht wurden, welche noch der Evolution in der [Welt der] Unwissenheit angehören. Durch devayana, die Reise zu den Göttern, gelangt man über die Unwissenheit hinaus ins Licht. Das Problem mit dem Vätern ist, dass sie in den Puranas als die Vorfahren angesehen werden, denen der tarpan gereicht wird – es ist ein alter Ahnenkult, wie er noch in Japan existiert; im Veda hingegen scheinen die Väter diejenigen zu sein, die vorangingen, um die über-physischen Welten zu entdecken.

Das seelische Wesen wählt im Augenblick des Todes, was es im nächsten Leben ausarbeiten will, und bestimmt den Charakter und die Voraussetzungen der neuen Persönlichkeit. Der Sinn des Lebens besteht in dem evolutionären Wachsen durch Erfahrung unter den Bedingungen der Unwissenheit, bis man für das höhere Licht bereit ist.

Der Wunsch eines sterbenden Menschen ist nur etwas Oberflächliches – er kann zwar von der Seele ausgelöst werden und auf diese Weise dazu beitragen, die Zukunft zu gestalten, er bestimmt aber nicht die Wahl der Seele [für das künftige Leben]. Das ist etwas hinter dem Schleier. Nicht die Tätigkeit des äußeren Bewusstseins bestimmt den inneren Vorgang, sondern umgekehrt. Manchmal jedoch gelangen Zeichen oder Fragmente dieser inneren Tätigkeit an die Oberfläche – Menschen haben zum Beispiel eine Vision oder erinnern sich der Umstände ihrer Vergangenheit in einem blitzartigen Überblick zur Zeit des Todes – das ist die Rückschau der Seele, bevor sie den Körper verlässt.

Die Wahl des seelischen Wesens zur Zeit des Todes arbeitet die nächste Gestaltung der Persönlichkeit nicht aus, sondern fixiert sie. Sobald es die seelische Welt betritt, beginnt es, die Essenz seiner Erfahrungen zu assimilieren, und mit Hilfe dieser Assimilierung wird dann die künftige seelische Persönlichkeit in Übereinstimmung mit der bereits vollzogenen Fixierung geformt. Wenn dieser Vorgang beendet ist, ist das seelische Wesen für eine neue Geburt bereit; weniger entwickelte [seelische] Wesen arbeiten die ganze Sache nicht für sich selbst aus, sondern diese Arbeit fällt den Wesen und Kräften der höheren Welt zu. Es ist aber nicht gesagt, dass die Kräfte der physischen Welt, sobald es zur Geburt kommt, die Ausarbeitung des Geplanten nicht durchkreuzen, da möglicherweise die neue Instrumentierung [des seelischen Wesens] für diesen Zweck nicht stark genug ist hier [auf Erden] besteht die Wechselwirkung von eigenen Energien und kosmischen Kräften. Vereitlung, Ablenkung, ein nur teilweises Ausarbeiten sind möglich – viele Dinge können geschehen. All dies ist kein starrer Mechanismus, sondern ein Verarbeiten von komplizierten Kräften. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass ein entwickeltes seelisches Wesen in diesem Übergang viel bewusster ist und viel selbst ausarbeitet. Auch die Zeitdauer hängt von der Entwicklungsstufe und einem gewissen Rhythmus des Wesens ab – bei einigen findet praktisch unmittelbar darauf eine Wiedergeburt statt, andere brauchen länger, bei manchen kann es Jahrhunderte dauern; doch auch hier gilt, dass das seelische Wesen, wenn es einmal genügend entwickelt ist, seinen eigenen Rhythmus und seine Ruhepausen zu bestimmen vermag. Die üblichen Theorien sind zu mechanisch, ebenso wie die Vorstellung von punya und papa mit ihren jeweiligen Ergebnissen im nächsten Leben. Die Energien eines vergangenen Lebens zeitigen zwar mit Sicherheit Folgen, doch nicht auf der Grundlage dieses ziemlich kindischen Prinzips. Eines guten Menschen Leiden wären der orthodoxen Theorie zufolge der Beweis, dass er ein großer Schurke in einem vergangenen Leben war, und eines schlechten Menschen Gedeihen wäre der Beweis, dass er ziemlich engelhaft bei seinem letzten Erdenbesuch gewesen sein muss und eine große Saat von Tugenden und verdienstvollen Taten säte, um diese Rekordernte von Glück zu erzielen. Zu symmetrisch, um wahr zu sein! Das Ziel des Geborenwerdens ist Wachstum durch Erfahrung, und die Rückwirkungen vergangener Taten finden deshalb statt, damit das Wesen lerne und wachse, und sind nicht als Lutschbonbons für die braven oder als eine Tracht Prügel für die bösen Kinder der Klasse in der Vergangenheit gedacht. Die tatsächliche Billigung für Gut und Böse ist nicht Glück für den einen und Unglück für den anderen, sondern dass uns das Gute einer höheren Natur entgegenführt, die letztlich über das Leiden erhaben ist, und das Schlechte uns zur niederen Natur hinabzieht, die sich immer im Kreis des Leidens und Bösen bewegt.

Es gibt nichts Derartiges wie eine unüberwindliche Schwierigkeit aus den vergangenen Leben. Es gibt hilfreiche Gestaltungen und hemmende Gestaltungen; letztere müssen ausgestoßen und aufgelöst werden, man darf ihnen nicht erlauben, sich zu wiederholen. Die Mutter sagte dir das, um den Ursprung dieser Neigung zu erklären sowie die Notwendigkeit, sich von ihr zu befreien – in dem Gesagten war keine Andeutung einer unüberwindbaren Schwierigkeit enthalten – ganz im Gegenteil.

Diese Worte beziehen sich nicht notwendigerweise auf die Tiergeburt; es stimmt aber, dass es einen allgemeinen Glauben dieser Art nicht nur in Indien gab, sondern auch überall dort, wo man an eine Übertragung oder Seelenwanderung glaubte. Shakespeare bezieht sich auf Pythagoras Glauben an die Seelenwanderung, wenn er davon spricht, dass jemand in ein Tier eingegangen sei. Doch die Seele – das seelische Wesen –, wenn sie einmal das menschliche Bewusstsein erreicht hat, kann sich ebenso wenig in ein niedrigeres Tierbewusstsein zurückwenden, wie sie in einen Baum oder ein kurzlebiges Insekt zurückkehren kann. Es ist jedoch richtig, dass ein Teil der vitalen Energie oder des geformten instrumentalen Bewusstseins der menschlichen Natur dies kann und auch sehr häufig tut, wenn es von etwas im Erdenleben stark angezogen wird. Dies mag auch einzelne Fälle einer unmittelbaren Wiedergeburt in menschlicher Form mit voller Erinnerung erklären. Im Allgemeinen aber kann man sich nur durch yogische Entwicklung oder durch Hellsehen des vergangenen Lebens genau erinnern.

Wenn das Vital sich auflöst, können einige seiner starken Bewegungen, Wünsche oder Begierden in Tierformen eindringen, zum Beispiel kann sexuelles Begehren jenen Teil des vitalen Bewusstseins, den es kontrolliert, veranlassen, in einen Hund einzutreten, oder es kann eine gewohnheitsmäßige Regung von unersättlichem Begehren den betreffenden Teil des Bewusstseins in ein Schwein eingehen lassen. Das Tier verkörpert das vitale Bewusstsein, dessen Mental im Vital involviert ist; daher ist es natürlich, dass solche Dinge zur Befriedigung nach dort absinken.

Die vitalen Überreste eines Toten gehören nicht dem inneren Wesen an (das sich auf seinen Weg zur seelischen Welt begibt), sondern seiner vitalen Hülle, die nach dem Tode abfällt. Sie können sich dem Vital eines anderen Jiva, der geboren wird, anschließen oder von einem vitalen Wesen benutzt werden, um bei der Geburt in einen Körper einzutreten und zur Befriedigung seiner Neigungen teilweise von ihm Besitz ergreifen. Die Verbindung kann auch nach der Geburt stattfinden.

Alle menschlichen Inkarnationen oder Geburten haben natürlich ein seelisches Wesen. Nur andere Arten, wie die vitalen Wesen, haben es nicht, und genau das ist der Grund, warum sie von den Menschen Besitz ergreifen und das physische Leben genießen wollen, ohne selbst hier geboren zu werden; denn auf diese Weise entkommen sie dem seelischen Gesetz der Evolution, dem spirituellen Fortschritt und der spirituellen Wandlung. Doch diese Formungen (die vitalen Überreste einer toten Person) sind etwas anderes; es sind Dinge, die die Erde nicht verlassen und von einer menschlichen Wiedergeburt (die natürlich eine Seele enthält) – die eine gewisse Anziehung auf sie ausübt und sich daher gegen ihr Eindringen weder wehrt noch ihm widersteht – zwar nicht Besitz ergreifen, sondern sich einfach an sie hängen.

Asurisu1 kann unmöglich „Tier“ bedeuten. Die Gita verwendet genaue Ausdrücke, und wenn sie Tier meint, würde sie Tier sagen und nicht asurisch. Die Bestrafung bedeutet, dass ihre Natur immer tiefer in das Asurische absinkt, bis sie gleichsam den Grund erreicht. Dies ist das natürliche Ergebnis ihrer unkontrollierten Neigungen, denen sie ohne jede Bemühung der Überwindung ungehemmt frönen; indem man dagegen die höhere Seite der Persönlichkeit fördert, steigt man in natürlicher Weise auf und entwickelt sich auf die Gottheit oder das Göttliche hin. In der Gita wird das Göttliche als der Überwacher des gesamten kosmischen Wirkens aufgefasst – daher stimmt dieses „Ich stürze sie“ mit ihren Ideen überein. Die Welt ist ein Mechanismus der Natur, ein Mechanismus jedoch, der durch die Gegenwart des Göttlichen gelenkt wird.

Soviel ich weiß, bleiben die Leben gewöhnlich auf einer Linie [des Geschlechtes] und wechseln nicht ab – ich glaube auch, dass dies der indischen Überlieferung entspricht, obwohl es zweckgebundene Ausnahmen geben mag, wie die von Shikandi. Wenn ein Wechsel stattfindet, betrifft er nur einen bestimmten Teil des Wesens, nicht das zentrale Wesen.

Was meinst du mit allgemeiner Vorstellung? Alle Beispiele, von denen ich in volkstümlichen Berichten gehört habe, sind die eines Mannes, der im nächsten Leben ein Mann wird, und einer Frau, die eine Frau wird – außer sie werden zum Tier, doch selbst dann wird vermutlich der Mann ein männliches Tier und die Frau ein weibliches Tier. Es werden nur einzelne Fälle einer Geschlechtsveränderung erwähnt, wie die von Shikandi im Mahabharata. Die theosophische Auffassung ist voller unreifer Vorstellungen – ein Theosoph geht sogar soweit zu behaupten: „Wenn du ein Mann in diesem Leben bist, musst du eine Frau im nächsten werden!“

Es gibt keinen eigentlichen Sex im seelischen Wesen, aber etwas, das man als das männliche und weibliche Prinzip bezeichnen könnte. Das ist eine schwierige Frage (ob sich das Geschlecht bei der Wiedergeburt ändert). Es gibt bestimmte Linien, denen die Reinkarnation folgt, und soweit meine und die allgemeinen Erfahrungen reichen, wird meist eine Linie eingehalten. Eine Veränderung des Geschlechtes kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Es kann Änderungen geben. Weibliche Züge bei einem Mann zeigen aber nicht notwendigerweise ein vergangenes Leben als Frau an – sie können durch das allgemeine Spiel der Kräfte und ihrer Gestaltungen in Erscheinung treten. Es gibt Eigenschaften, die beiden Geschlechtern gemein sind. Auch besteht die Möglichkeit, dass sich ein Fragment der seelischen Persönlichkeit mit einer fremden Geburt assoziiert hat. Man kann von einer bestimmten Person, die der Vergangenheit angehört, sagen, „das war nicht ich, doch ein Fragment meiner seelischen Vergangenheit war in ihm gegenwärtig“. Wiedergeburt ist eine komplizierte Angelegenheit und kein so einfacher Mechanismus, wie die volkstümliche Vorstellung es wahr haben will.

Die Frage in deinem Brief scheint mir zu starr formuliert zu sein und den Tatsachen und Kräften des Daseins nicht genügend Rechnung zu tragen. Sie klingt eher nach einem Problem, das sich aufgrund der jüngsten wissenschaftlichen Theorien erheben könnte, nämlich wenn alles aus einander sich völlig gleichenden Protonen und Elektronen besteht (die Anzahl der Gruppen ausgenommen, doch warum sollte ein Unterschied in der Quantität einen derart großen Unterschied in der Qualität ausmachen?), wie kommt es dann, dass die Auswirkung davon in solch überwältigenden Unterschieden der Abstufung, der Art, der Macht, in Unterschieden von allen zum Ausdruck kommt? Aber warum sollten wir davon ausgehen, dass die seelischen Keime oder Funken wie in einem Wettlauf alle im gleichen Augenblick starteten, alle unter gleichen Voraussetzungen und gleichartig in ihrer Kraft und Natur? Gehen wir von der Annahme aus, dass das Eine Göttliche der Ursprung von allem und das Selbst das gleiche in allen ist; warum sollte sich jedoch in der Schöpfung der Unendliche nicht in unendlicher Verschiedenheit verkörpern, warum muss es eine unzählbare Gleichheit sein? Wie viele dieser seelischen Keime starteten lange vor den anderen und haben eine große Vergangenheit der Entwicklung hinter sich, und wie viele sind noch jung und roh und erst halb erwachsen? Und warum sollte es selbst unter denen, die gemeinsam starteten, nicht einige geben, die sich mit großer Schnelligkeit vorwärtsbewegten, und andere, die säumig waren und nur mit Mühe wuchsen oder in Kreisen umherwanderten? Und außerdem gibt es eine Evolution, und erst in einem bestimmten Stadium der Evolution wird die Grenze des Tierreichs überschritten und ein menschlicher Anfang gemacht; was löst diesen menschlichen Anfang, der eine sehr beträchtliche Revolution oder Umwälzung darstellt, aus? Bis zur Grenzlinie des Tierreichs entwickelten sich das Vital und das Physische – ist es für den menschlichen Beginn nicht notwendig, dass die Herabkunft eines mentalen Wesens stattfindet, welches die vitale und physische Evolution weiterführt? Und kann es nicht auch durchaus sein, dass die herabkommenden mentalen Wesen nicht alle die gleiche Macht, das gleiche Format haben und außerdem ein nicht gleichartig entwickeltes vitales und physisches Bewusstseins-Material aufnehmen? Wir dürfen die okkulte Tradition einer Hierarchie von Wesen nicht übersehen, die über der gegenwärtigen Manifestation stehen und in diese eintreten, woraus sich offensichtlich ein so ungeheurer Unterschied an Ordnungen ergibt, und die sich sogar in das „Spiel“ einmischen, indem sie durch die Pforten der Geburt in die Natur herabkommen. Es ist ein kompliziertes Problem, das nicht mit der Starrheit einer mathematischen Formel ausgedrückt werden darf.

Ein großer Teil der Schwierigkeiten in dieser Hinsicht, besonders das zutage treten unerklärlicher Widersprüchlichkeit, erhebt sich, weil das Problem selbst nicht richtig erkannt wurde. Nimm die volkstümliche Vorstellung von Reinkarnation und karma – sie gründet sich auf der rein mentalen Annahme, das Wirken der Natur hätte moralisch zu sein und müsse der strengen Moral einer für alle gleichen Gerechtigkeit folgen – ein gewissenhaftes, ja mathematisches Gesetz von Belohnung und Bestrafung oder jedenfalls von Konsequenzen, die mit der menschlichen Vorstellung der richtigen Entsprechung übereinstimmen. Doch die Natur ist nicht moralisch – sie gebraucht Kräfte und Vorgänge in moralischem, amoralischem und nicht-moralischem Durcheinander, um ihre Ziele zu verwirklichen. Die Natur in ihrem äußeren Aspekt scheint sich um nichts anderes zu kümmern, als dass die Dinge geschehen, oder aber die Voraussetzungen für eine kunstvolle Vielfalt des Lebens-Spiels zu schaffen. Die Natur in ihrem tieferen Aspekt, als bewusste spirituelle Macht, strebt nach Wachstum durch Erfahrung, nach spiritueller Entwicklung der Seele in ihrer Obhut – und diese Seelen haben dabei selbst ein Wort mitzureden. All diese guten Leute jammern und wundern sich, dass sie und andere gute Leute unausgesetzt von derart sinnlosem Leid und Unglück heimgesucht werden. Ist es aber wirklich eine äußere Macht, die sie heimsucht, oder ist es ein mechanisch-karmisches Gesetz? Ist es nicht möglich, dass die Seele selbst – nicht das äußere Mental, sondern der innere Spirit – diese Dinge als Teil ihrer Entwicklung gewählt und angenommen hat, um rasch durch die notwendige Erfahrung zu gehen, sich durchzuhauen2, selbst auf die Gefahr hin, dass das äußere Leben und der Körper großen Schaden erleiden? Ist es nicht möglich, dass für die wachsende Seele, den Spirit in uns, die Schwierigkeiten, Hindernisse und Angriffe ein Mittel des Wachstums, der vermehrten Kraft, der größeren Erfahrung sein könnten – ein Training für den spirituellen Sieg? Es könnte immerhin sein, dass sich die Dinge so verhalten und dass es nicht eine reine Frage von Pfunden, Schillingen und Pence ist, eine Frage der Austeilung von Belohnung und vergeltender Strafe.

Das gleiche gilt für das Problem, ein Tier unter den Umständen zu töten, wie sie dein Freund in dem Brief schildert. Dieses Problem erhebt sich auf der Grundlage eines unveränderlichen ethischen „richtig oder falsch“, das in allen Fällen angewendet werden soll: Ist es grundsätzlich unter irgendwelchen Umständen erlaubt, ein Tier zu töten, oder ist es richtig, ein Tier unter deinen Augen leiden zu lassen, wenn du es durch Euthanasie erlösen kannst? Auf eine derart formulierte Frage kann es keine unanfechtbare Antwort geben, da die Antwort von Daten abhängt, die dem Mental nicht zur Verfügung stehen. Tatsächlich gibt es noch viele andere Gründe, welche die Menschen diesen kurzen und gnädigen Weg aus der Schwierigkeit wählen lassen – die nervliche Unfähigkeit, den Anblick und das Anhören von so viel Leiden zu ertragen, der sinnlose Kummer, der Abscheu und die Unbequemlichkeit, alles scheint dafür zu sprechen, dass das Tier selbst von all dem erlöst sein will. Was aber fühlt das Tier wirklich? Klammert es sich trotz des Schmerzes nicht doch an das Leben? Oder hat die Seele diese Dinge vielleicht auf sich genommen, um der rascheren Entwicklung in ein höheres Lebens-Stadium willen? Sollte dies der Fall sein, dann kann die angewandte Barmherzigkeit das karma des Tieres durchaus beeinträchtigen. Tatsächlich fällt die rechte Entscheidung von Fall zu Fall verschieden aus und hängt von einem Wissen ab, über welches das menschliche Mental nicht verfügt – und es kann durchaus gesagt werden, dass, solange es dieses Wissen nicht besitzt, man kein Recht hat zu töten. Ein dunkles Erkennen dieser Wahrheit ließ Religionen und Ethik das Gesetz von ahimsa [Nicht-Gewalt] entwickeln – und dennoch wird auch dies zu einer mentalen Regel, die, in der Praxis anzuwenden, nicht möglich ist. Und vielleicht ist die Moral hiervon, dass wir in jedem Fall, so wie die Dinge liegen, entsprechend unserer besten Einsicht handeln müssen, dass die Lösung dieser Probleme jedoch erst dann erfolgen kann, wenn man nach einem größeren Licht, einem größeren Bewusstsein strebt, in dem die Probleme als solche, wie sie derzeit vom menschlichen Mental erfahren werden, nicht mehr entstehen, da wir eine Schau haben werden, die die Welt auf andere Weise sieht, und eine Führung, über die wir gegenwärtig noch nicht verfügen. Das mentale oder moralische Gesetz ist ein Notbehelf, den die Menschen auf sehr unsichere und fehlerhafte Weise anwenden müssen, bis sie die Dinge in ihrer Ganzheit im Licht des Spirits zu erkennen vermögen.

Du solltest einen weit verbreiteten Irrtum hinsichtlich der Reinkarnation vermeiden. Die allgemeine Vorstellung ist, dass Titus Balbus als John Smith wiedergeboren wird, als ein Mensch mit der gleichen Persönlichkeit, dem gleichen Charakter und den gleichen Fähigkeiten, die er in einem früheren Leben besaß, mit dem einzigen Unterschied, dass er Mantel und Hosen trägt statt einer Toga und dass er Cockney-Englisch spricht statt des volkstümlichen Lateins. Das ist nicht der Fall. Es hätte nicht den geringsten Sinn, die gleiche Persönlichkeit oder den gleichen Charakter Millionen Male vom Anbeginn der Zeit bis an ihr Ende zu wiederholen. Die Seele tritt um der Erfahrung willen in die Geburt ein, um des Wachstums und der Entwicklung willen, bis sie das Göttliche in die Materie bringen kann. Es ist das zentrale Wesen, das sich inkarniert, nicht die äußere Persönlichkeit – die Persönlichkeit ist lediglich eine Form, die sich das zentrale Wesen in diesem einen Leben für seine Erfahrungen schafft. In einer anderen Geburt wird es sich eine andere Persönlichkeit schaffen, andere Fähigkeiten, ein Leben, das anders verläuft. Angenommen, Virgil würde wiedergeboren, dann könnte er sich durchaus in einem oder zwei weiteren Leben wieder der Poesie zuwenden, doch würde er vermutlich nicht wieder ein Epos schreiben, sondern eher eine leichte, doch elegante und schöne Lyrik, derart, wie er sie in Rom schreiben wollte, aber nicht dazu kam. In einem weiteren Leben würde er vielleicht überhaupt kein Dichter sein, sondern ein Philosoph und Yogi, der die höchste Wahrheit zu erreichen und auszudrücken sucht, denn auch dies war ein unverwirklichter Zug seines Bewusstseins in jenem Leben. Und vielleicht ist er zuvor ein Krieger oder Herrscher gewesen und hatte Taten wie Aeneas oder Augustus vollbracht, die er später dann besungen hat. Und so weiter – auf die eine oder andere Weise entfaltet das zentrale Wesen einen neuen Charakter, eine neue Persönlichkeit, es wächst und entwickelt sich und geht durch alle Arten der Erderfahrung.

In dem Maße, wie das sich entfaltende Wesen weiter geformt und reicher und komplizierter wird, sammelt es gleichsam Persönlichkeiten an. Manchmal verbergen sie sich hinter den aktiven Elementen und bringen etwas Farbe in diese, einen charakteristischen Zug, hie und da eine Fähigkeit –, oder aber sie befinden sich im Vordergrund, und es entsteht eine vielschichtige Persönlichkeit, ein vielseitiger Charakter oder ein vielseitiges, ja gleichsam universales Talent. Wenn aber eine frühere Persönlichkeit, eine frühere Fähigkeit voll in Erscheinung tritt, dann nicht deshalb, um das zu wiederholen, was bereits getan wurde, sondern um die gleiche Fähigkeit in neue Formen und Umrisse zu gießen und zu einer neuen Harmonie des Wesens zu verschmelzen, die nicht die Wiederholung dessen sein wird, was vor her war. Daher darfst du nicht erwarten, das zu sein, was der Krieger und Dichter waren. Einige der äußeren kennzeichnenden Eigenschaften mögen wiederkehren, jedoch in sehr veränderter Form und neuer Zusammenstellung. Die Energien werden in eine andere Richtung gelenkt, um das zu vollbringen, was vorher nicht vollbracht wurde.

Noch etwas anderes. Nicht die Persönlichkeit, sondern der Charakter ist bei der Wiedergeburt von vordringlicher Wichtigkeit – das seelische Wesen ist es, das hinter der Evolution der menschlichen Natur steht und sich mit ihr entfaltet. Die Seele, sobald sie sich vom Körper löst und das Mental und Vital auf dem Weg zu ihrem Ruheplatz zurücklässt, bewahrt den Kern der Erfahrungen – nicht die physischen Ereignisse, nicht die vitalen Bewegungen, nicht den mentalen Aufbau, nicht die Fähigkeiten oder Charaktere, sondern etwas Wesentliches, das sie aus ihnen bezieht, etwas, das man das göttliche Element nennen könnte, um dessentwillen das Übrige bestand. Und das ist die immerwährende Hinzufügung, durch die man dem Göttlichen entgegenwächst Daher hat man auch meist keine Erinnerung an die äußeren Ereignisse und Umstände des vergangenen Lebens, die zwar in einer Art keimhafter Erinnerung vorhanden sind, gewöhnlich aber nicht in Erscheinung treten – für eine derartige Erinnerung hätte eine kraftvolle Entwicklung auf ein ununterbrochenes Fortbestehen des Mentals, Vitals und selbst des feinen Physischen stattfinden müssen. Das, was das göttliche Element im Großmut des Kriegers war, das, was sich in seiner Treue, in seinem Adel, seinem Edelmut zeigte, das, was das göttliche Element in der harmonischen Geistigkeit und weitherzigen Vitalität des Dichters war, und das sich in ihnen ausdrückte, wird erhalten bleiben und in einer neuen Harmonie des Charakters einen neuen Ausdruck finden; oder aber es wird, wenn sich das Leben dem Göttlichen zuwendet, als eine Fähigkeit für die Verwirklichung oder die Arbeit, die für das Göttliche zu geschehen hat, in Erscheinung treten.

Die nicht-materialistische europäische Vorstellung unterscheidet zwischen Seele und Körper: der Körper ist vergänglich, die Seele – das mental-vitale Bewusstsein – ist unsterblich, sie bleibt immer die gleiche (schreckliche Vorstellung!), ob im Himmel oder auf Erden, und wenn es eine Wiedergeburt gibt, dann ist es die gleiche verdammte Persönlichkeit, die zurückkehrt und sich auf ähnliche Weise lächerlich macht. Das Wesen nimmt im Verlauf seiner Leben verschiedene Persönlichkeiten an und durchläuft verschiedenartige Erfahrungen, doch bringt es diese in der Regel nicht in das nächste Leben mit. Es übernimmt ein neues Mental, Vital und einen neuen Körper. Die mentalen Fähigkeiten, Neigungen, Interessen und Eigenheiten des vergangenen Mentals und Vitals werden jedoch von dem neuen Mental und Vital nicht übernommen, außer in dem Umfang, der für das nächste Leben nützlich ist. Man kann in einem Leben die Fähigkeit dichterischen Ausdrucks besitzen, im nächsten aber kein derartiges Talent zur Dichtung oder nicht einmal Interesse an ihr haben. Auf der anderen Seite können unterdrückte, fehlende oder unvollkommen entwickelte Neigungen eines Lebens in einem nächsten in Erscheinung treten. Der Gegensatz, den du bemerkt hast, wäre demnach nicht überraschend. Die Essenz vergangener Erfahrungen wird bewahrt, nicht aber die Form der Erfahrung oder der Persönlichkeit, ausgenommen jene, die für das nächste Stadium des Fortschritts der Seele gebraucht werden.

Das Wesen kann sich in dem langen Verlauf seiner Erfahrung eine Zeitlang dem Suchen nach sinnlichen Vergnügungen hingeben, dies aber später aufgeben und sich höheren Dingen zuwenden. Dies ist sogar im Laufe einer einzigen Lebenszeit möglich, a fortiori in einem zweiten Leben, in das die alten Persönlichkeiten nicht übernommen werden.

Ich erinnere mich nicht des Zusammenhangs, in dem der Ausdruck „andere Kräfte“ gebraucht wurde. Doch was du sagst, ist richtig, das heißt unter der Voraussetzung, dass eine vergangene Persönlichkeit oder ein Teil von ihr bewusst in das gegenwärtige Leben übernommen wird. Es stimmt vermutlich, dass du in einem vergangenen Leben ein Revolutionär warst, und wenn kein Revolutionär, so doch in eine gewaltsame politische Tätigkeit verwickelt. Ich kann es nicht genauer bezeichnen oder umreißen. Doch nicht nur die plötzlichen Ausbrüche von Ärger und Gewaltsamkeit, sondern wahrscheinlich auch der Wunsch zu helfen, zu erneuern, zu läutern, und andere Gefühlskräfte und Leidenschaften stammen von dorther. Wenn eine Persönlichkeit derart ins nächste Leben übertragen wird, werden nicht nur die unerwünschten Seiten, sondern auch die geläuterten und gebändigten Dinge übernommen.

Das Unterbewusste wird für dieses eine Leben geformt und wird von der Seele nicht von einem Leben zum anderen mitgenommen. Die Erinnerung an vergangene Leben ist nirgendwo im Wesen aktiv – wenn du damit die Erinnerung an Einzelheiten meinst. Sie ruht vielmehr und ist unauffindbar, es sei denn, dass bestimmte wesentliche, aus der Vergangenheit übernommene Persönlichkeiten die Erinnerung aus dem jeweiligen Leben bewahrt haben, in welchem sie verkörpert waren; so zum Beispiel, wenn sich eine Persönlichkeit, die in Venedig oder Rom lebte, von Zeit zu Zeit einer oder mehrerer Einzelheiten der damaligen Geschehnisse erinnert. Meist jedoch wird nur die Essenz der vergangenen Leben im Wesen aktiviert, nicht aber bestimmte Erinnerungen. Daher kann man keinesfalls sagen, dass die Erinnerung in einem besonderen Teil des Bewusstseins oder auf einer besonderen Ebene lokalisiert sei.

Nein, das Unterbewusste ist das Instrument des physischen Lebens und verschwindet nach dem Tod. Es fehlt ihm der nötige Zusammenhang, um ein geordnetes, anhaltendes Dasein zu besitzen.

Bei den meisten Menschen löst sich das Vital nach einer gewissen Zeit auf, da es, um unsterblich zu sein, nicht genügend geformt ist. Die herabkommende Seele schafft sich eine neue vitale Formung, die für das neue Leben geeignet ist.

Wenn man eine kraftvolle spirituelle Entwicklung durchlaufen hat, ist es leichter, das geformte Mental oder Vital nach dem Tod zurückzubehalten. Die betreffende Person muss jedoch nicht unbedingt ein bhakta oder jnani gewesen sein. Man könnte zum Beispiel von Shelley oder Plato sagen, dass sie ein entwickeltes Mental besaßen, das um die Seele zentriert war – von ihrem Vital kann man das schwerlich behaupten. Napoleon besaß ein kraftvolles Vital, das aber nicht um das seelische Wesen angeordnet war.

(Das Überleben der Zentren nach dem Tod:) Nicht so wie sie sind. Was übrigbleibt und in welchem Ausmaß hängt von der Entwicklung in jedem einzelnen Fall ab. Natürlich überdauern die Zentren als solche, denn sie befinden sich im feinstofflichen Leib, von wo sie auf die entsprechenden physischen Zentren einwirken können.

So wie ein Mensch auf seinen gewöhnlichen Bewusstseinsebenen verschiedene Persönlichkeiten hat – ebenso können sich verschiedene Wesen mit seinem Bewusstsein in einem späteren Entwicklungsstadium assoziieren – sie können in sein höheres Mental oder andere höhere Seins-Ebenen herabkommen und sich mit seiner Persönlichkeit verbinden. Das gilt für das Prinzipielle. Für eine spezielle Aussage jedoch ist es ungenau. Es bezieht sich vermutlich auf jene Zeit, in der die Mutter Wesen herabbrachte, die die Arbeit stützen sollten.

Es ist für ein Wesen der höheren Ebenen immer möglich, eine Erdgeburt auf sich zu nehmen – es schafft sich dann ein Mental oder Vital oder verbindet sich mit einem Mental, Vital und einem Körper, die bereits unter seinem Einfluss entwickelt wurden – es gibt in der Tat viele Möglichkeiten für seine Manifestation hier, nicht nur eine.

Den vergangenen Leben sollte man keine zu große Bedeutung beimessen. Für den Zweck dieses Yoga ist man das, was man ist und darüber hinaus, was man sein will. Was man war, ist Nebensache.

Im Ernst, diese historischen Identifikationen sind ein gefährlicher Zeitvertreib und öffnen dem Spiel der Phantasie hundert Türen und Tore. Einige mögen und müssen der Natur der Dinge nach wahr sein; wenn die Menschen jedoch einmal damit anfangen, wissen sie nicht mehr, wo sie aufhören sollen. Wichtiger als die vergangenen Leben sind die [allgemeinen] Linien, ist die Inkarnation der Kräfte, die erklärt, was man jetzt ist. Was die bestimmten Leben oder vielmehr Persönlichkeiten anbelangt, so zählen allein diejenigen, die entscheidend [in einem Menschen] geformt sind und machtvoll zu der jetzigen Entwicklung beigetragen haben. Es ist jedoch nicht immer möglich, sie zu benennen; denn nicht von einem Hunderttausendstel dessen, was gewesen ist, wurde in menschlicher Zeit ein Name bewahrt.

Es ist ein wenig schwierig zu erklären. Wenn man einen neuen Körper erhält, setzt sich die ihn bewohnende Natur – die Mental-Natur, die Vital-Natur, die physische Natur – aus vielen Persönlichkeiten zusammen und nicht nur aus einer, wie vielfach angenommen wird; es gibt hingegen nur ein zentrales Wesen. Diese komplexe Persönlichkeit wird zum Teil geformt, indem Persönlichkeiten aus vergangenen Leben zusammengebracht werden, aber auch indem Erfahrungen, Neigungen, Einflüsse aus der Erdatmosphäre gesammelt und von einer der entscheidenden Persönlichkeiten als passend für die eigene Natur angenommen werden. Solch ein Einfluss, der von X oder einem seiner Jünger zurückgelassen wurde, kann von dir aufgenommen worden sein, deshalb aber bist du noch keine Inkarnation von ihm.

Diese Dinge (Buddha, Ramakrishna, Vivekananda oder Shankara häufig in einer Vision zu sehen) sind das Ergebnis vergangener Gedanken und Einflüsse. Es gibt verschiedene Arten, manchmal nur Gedankenformen, die von der eigenen Gedankenkraft geschaffen wurden, um als Gefäß für eine mentale Verwirklichung zu dienen; manchmal sind es Mächte verschiedener Ebenen, die diese Gestalten zur Förderung ihrer Arbeit durch das Individuum annehmen – manchmal jedoch ist man tatsächlich in Verbindung mit demjenigen, der den Namen, die Gestalt und die Persönlichkeit von Buddha, Ramakrishna, Vivekananda oder Shankara hatte.

Man braucht kein Wesenselement in sich zu haben, das diesen Persönlichkeiten gleicht – ein Gedanke, ein Streben, eine Formung des Mentals oder Vitals reichen aus, um die Verbindung herzustellen, sie reichen für eine respondierende Vibration dessen aus, was diese Mächte darstellen.

Die Mutter spricht zu Menschen über deren vergangene Leben nur dann, wenn sie in ihrer Konzentration deutlich ein Bild oder eine Erinnerung ihrer Vergangenheit sieht; doch dies geschieht jetzt selten.

Aus vergangenen Leben werden hauptsächlich die Natur der Persönlichkeit und die Ergebnisse der Lebenserfahrung bewahrt. Namen, Ereignisse, physische Einzelheiten werden nur unter außergewöhnlichen Umständen erinnert und sind von durchaus untergeordneter Bedeutung. Wenn die Menschen versuchen, sich solcher äußeren Dinge zu erinnern, geschieht es meist, indem sie viele romantische Vorstellungen in sich erstehen lassen, die nicht stimmen.

Ich glaube, du solltest diese Idee der vergangenen Leben fallenlassen. Eine Erinnerung an vergangene Persönlichkeiten, die von selbst entsteht (ohne Namen oder rein äußerliche Einzelheiten), ist manchmal wichtig, um etwas in der gegenwärtigen Entwicklung deutlich zu machen; es reicht jedoch völlig aus, das Wesen dieser Persönlichkeit zu kennen und den Anteil, den sie an der gegenwärtigen Charakterbeschaffenheit hat. Das Übrige hat nur geringen Wert.

Es ist überflüssig, diesen Vorstellungen der vergangenen Leben irgendwelchen Glauben zu schenken. Xs Vorstellung von Ys Wiedergeburt ist ganz offensichtlich ein reines Hirngespinst und nichts sonst.

Das einzig Wahre an diesen Dingen ist meist die Erkenntnis, dass man eine Kraft, die einmal in einer bestimmten Person gegenwärtig war, nun als einen Teil der eigenen Natur besitzt – aber nicht, dass die gleiche Persönlichkeit vorhanden ist.

Natürlich gibt es eine Wiedergeburt; um jedoch festzustellen, dass man dieser oder jener Wiedergeborene ist, bedarf es einer tieferen Erfahrung, nicht einer rein mentalen Intuition, die leicht ein Irrtum sein kann.

Ideen dieser Art über X oder Y sind mentale Ideen, von denen das Vital sich stark angezogen fühlt – die Wahrheit vergangener Leben kann aber nicht auf diese Weise entdeckt werden. Diese mentalen Ideen sind falsch. Du musst auf das direkte Wissen einer befreiten Natur warten, bevor du zu erkennen vermagst, wer du in deinem vergangenen Leben warst.

Die Seele gibt die mentalen und anderen Hüllen (außer der physischen) nicht unmittelbar beim Tod auf. Man sagt, dass es im ganzen drei Jahre dauert, sich von der Verbindungszone mit der Erde zu lösen – es kann aber Fälle eines langsameren oder schnelleren Durchganges geben. Die seelische Welt ist nicht mit der Erde verbunden – jedenfalls nicht auf diese Weise. Und der Geist, der bei Séancen auftaucht, ist nicht das seelische Wesen. Was durch das Medium in Erscheinung tritt, ist ein Gemisch, das aus dem Unterbewusstsein des Mediums und dem der Séance-Teilnehmer stammt (ich gebrauche „unterbewusst“ hier im gewöhnlichen, nicht im yogischen Sinn) – es können vitale Hüllen sein, die von den Verstorbenen zurückgelassen und unter Umständen von einem Geist oder vitalen Wesen benutzt werden; es kann auch der Verstorbene selbst in seiner vitalen Hülle sein, oder aber etwas, das für diese Gelegenheit übernommen wurde (es ist jedoch der vitale Teil, der die Verbindung herstellt), es können Elementargeister, also Geister der niedrigsten vital-physischen Welt nahe der Erde sein usw. usw. Meist ein furchtbares Durcheinander – ein Mischmasch aller Arten von Dingen, die durch eine Vermittlungszone aus „astralem“ Graulicht und Schatten kommen. Viele dieser „Vermittler“ scheinen Menschen zu sein, die gerade in die feinstoffliche Welt eingetreten sind, wo sie sich von einer verbesserten Ausgabe des Erdenlebens umgeben fühlen und glauben, dass dies die wirkliche und endgültige andere Welt nach der Erde sei – tatsächlich jedoch ist es nur eine Verlängerung der Ideen, Bilder und Assoziationen der menschlichen Ebene. Es ist die nächste Welt, wie sie von spiritistischen „Führern“ und anderen Séance-Vermittlern dargestellt wird.

Das alles besitzt keine allzu große Glaubwürdigkeit (Mitteilungen von spiritistischen Führern). Wenn man es näher betrachtet, sieht man, dass diese ihren Anhängern nur das vorschlagen, was bereits im Mental der Séance-Teilnehmer vorhanden ist, und sehr wenig kommt dabei heraus. Natürlich gibt es Einflüsse aus anderen Welten, und zwar jede Menge, die innere Führung jedoch ist nicht von dieser Art – außer in sehr seltenen Fällen.

Automatisches Schreiben und spiritistische Séancen sind eine sehr fragwürdige Angelegenheit. Ein Teil stammt aus dem unterbewussten Mental des Mediums, ein anderer Teil aus dem der Séance-Teilnehmer. Man darf jedoch nicht alles einer aufgebauschten Phantasie und Erinnerung zuschreiben. Manchmal gibt es Dinge, die keiner der Anwesenden wissen oder erinnern kann, manchmal sogar, obwohl selten, flüchtige Ausblicke in die Zukunft. Meist jedoch bringen einen diese Sitzungen mit einer sehr niedrigen Welt von vitalen Wesen und Kräften in Verbindung, die dunkel, widerspruchsvoll und schlau sind – es ist gefährlich, mit ihnen Umgang zu pflegen oder sich irgendeinem Einfluss preiszugeben. Ouspensky und andere sind zweifellos durch diese Experimente mit einer zu mathematischen Auffassung gegangen, was sie zwar einerseits schützte, andererseits jedoch daran hinderte, zu einer mehr als oberflächlich-intellektuellen Ansicht über ihre Bedeutung zu gelangen.

Was meinst du mit einem Geist? Das Wort „Geist“, wie es in der Umgangssprache gebraucht wird, umfasst eine große Zahl von bestimmten Phänomenen, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Einige davon seien hier angeführt:

1. Ein tatsächlicher Kontakt mit der Seele eines Menschen in seinem feinstofflichen Leib, der auf unser Mental durch das Erscheinen eines Bildes oder das Hören einer Stimme übertragen wird.

2. Ein mentales Gebilde, das mit Hilfe der Gedanken und Gefühle eines abgeschiedenen Menschenwesens die Atmosphäre einer Stätte oder eines Ortes prägt – es wandert dort umher oder vervielfacht sich, bis es sich schließlich entweder erschöpft oder durch das eine oder andere Mittel aufgelöst wird. Das ist die Erklärung solcher Phänomene wie das verhexte Haus, in denen Vorgänge, die zum Beispiel einen Mord begleiteten oder ihm vorangingen, wieder und wieder stattfinden, und vieler derartiger Erscheinungen mehr.

3. Ein Wesen der niederen vitalen Ebenen, das entweder die abgeworfene Hülle eines gestorbenen menschlichen Wesens oder aber ein Fragment seiner vitalen Persönlichkeit angenommen hat und in dieser Gestalt erscheint und handelt und vielleicht sogar die oberflächlichen Gedanken und Erinnerungen jener Person hat.

4. Ein Wesen der niederen vitalen Ebene, das über ein lebendes Menschenwesen oder mit Hilfe eines anderen Instrumentes oder Mittels fähig ist, sich hinreichend zu materialisieren, damit es in einer sichtbaren Form erscheinen und handeln oder mit einer hörbaren Stimme sprechen kann; oder aber, ohne zu erscheinen, stoffliche Dinge bewegt, zum Beispiel Möbel oder Gegenstände materialisiert oder sie von einem Platz zum anderen schiebt. Dies ist es, was man Poltergeister nennt – Erscheinungsformen von Steine werfenden und Bäume bewohnenden bhutas und andere wohlbekannte Phänomene.

5. Erscheinungen, die vom eigenen Mental geformt werden und auf die Sinne wie objektive Phänomene wirken.

6. Vitale Wesen, die zeitweilig von Menschen Besitz ergreifen und manchmal vorgeben, abgeschiedene Verwandte zu sein, usw.

7. Gedankenbilder, die Menschen zur Zeit des Todes häufig von sich projizieren und die in diesem Augenblick oder einige Stunden später ihren Freunden oder Verwandten erscheinen.

Du siehst, dass nur in einem dieser Fälle, dem ersten, eine Seele vorkommt, und hier erhebt sich keine Schwierigkeit.

Jeder Mensch auf Erden folgt seiner eigenen Schicksalslinie, die von seiner Natur und seinen Taten bestimmt wird, und nur wenn man den gesamten Verlauf vieler Leben betrachtet, kann die Bedeutung und Notwendigkeit dessen, was in einem bestimmten Leben geschieht, verstanden werden. Doch diejenigen, die über das gewöhnliche Mental und die gewöhnlichen Gefühle hinausgelangen und die Dinge als ein Ganzes zu sehen vermögen, können erkennen, dass sogar Irrtümer, Missgeschick und Miseren nichts als Stationen auf der Reise sind; die Seele aber sammelt Erfahrung in dem Maß, wie sie diese meistert und hinter sich lässt, bis sie für den Übergang reif ist, der sie über diese Dinge hinaus zu einem höheren Bewusstsein und Leben führen wird. Wenn man zu dieser Scheidelinie gelangt ist, muss man das alte Mental und die alten Gefühle zurücklassen. Man blickt dann auf diejenigen, die noch in die Freuden und Sorgen der gewöhnlichen Welt verstrickt sind, mit Sympathie und, wo immer es möglich ist, mit spiritueller Hilfsbereitschaft, doch ohne verhaftet zu sein. Man lernt, die Führung in all ihrem Straucheln zu erkennen, und vertraut der Universalen Kraft, die über ihrem Dasein wacht, es stützt und für sie tut, was immer das Beste für sie ist. Das eine aber, das wirklich für uns zählt, ist, in das Größere Licht und die Göttliche Einung einzutreten – sich zum Göttlichen hinzuwenden, auf es allein zu vertrauen, sei es für uns oder andere.

Dies ist eine sehr verwickelte und schwierige Frage, und sie kann kaum in wenigen Worten beantwortet werden. Überdies ist es unmöglich, eine allgemeine Richtlinie dafür aufzustellen, warum solche inneren, engen Kontakte [zwischen zwei Menschen] bestehen, denen dann die physische Trennung durch den Tod folgt – jeder Fall ist anders, und man müsste die Personen kennen und mit ihrer Seelengeschichte vertraut sein, um sagen zu können, was hinter ihrer Begegnung und Trennung stand. Im Allgemeinen ist ein Leben nur eine kurze Episode in einer langen Geschichte spiritueller Evolution, in welcher die Seele der Kurve jener Linie folgt, die für die Erde festgelegt wurde, und sie durchläuft viele Leben, um sie zu vollenden. Es ist eine Evolution aus stofflicher Unbewusstheit zu Bewusstsein und dann auf das Göttliche Bewusstsein hin, von der Unwissenheit zu göttlichem Wissen, von der Dunkelheit durch Halblicht zum Licht, vom Tod zur Unsterblichkeit, vom Leiden zu Göttlicher Seligkeit. Leiden entsteht zunächst durch Unwissenheit, dann durch die Trennung des individuellen Bewusstseins vom Göttlichen Bewusstsein und Sein, eine Trennung, die durch die Unwissenheit entstand – wenn all dies aufhört, wenn man im Göttlichen lebt und nicht mehr in seinem abgespaltenen kleineren Selbst, dann erst kann Leiden insgesamt enden. Jede Seele folgt ihrer eigenen [Schicksals-] Linie, diese Linien treffen sich, bleiben eine Zeitlang zusammen, trennen sich dann, um einander vielleicht später abermals zu begegnen – und wenn sie sich wieder auf der Reise treffen, dann deshalb, um sich in der einen oder anderen Weise zu helfen. Nach dem Tod wandert die Seele zu anderen Daseinsebenen, verweilt dort eine gewisse Zeit und erreicht ihren Ruheort, wo sie bis zu einem weiteren Erdendasein bleibt. Das ist das allgemeine Gesetz; was aber die Beziehung von zwei verkörperten Seelen zueinander anbelangt, so ist das eine Frage ihrer persönlichen Evolution, über die nichts Allgemeines ausgesagt werden kann, da es eng mit ihrer Seelengeschichte zusammenhängt und persönliches Wissen erfordert. Mehr kann ich darüber nicht sagen; ich weiß auch nicht, ob es ihr viel helfen wird, da diese Dinge gewöhnlich nur dann hilfreich sind, wenn man in das Bewusstsein eintritt, in dem sie keine bloßen Ideen mehr sind, sondern Wirklichkeiten werden. Dann grämt man sich nicht länger, da man in die Wahrheit eingetreten ist, und die Wahrheit bringt Ruhe und Frieden.

Meist ist es eine vitale Verbindung, die seelische ist verhältnismäßig selten. Etwas aus den vergangenen Leben bestimmt gewöhnlich die Verbindungen in diesem gegenwärtigen Leben, doch gleichen diese Verbindungen selten denjenigen, die für die vergangenen Leben entscheidend waren.

Ich kann den Schock verstehen, den du durch den verhängnisvollen Tod deiner Frau erlitten hast. Du bist aber nun ein Suchender und Sadhak der Wahrheit und musst darauf ausgerichtet sein, dich über die normalen Reaktionen des menschlichen Wesens zu erheben und die Dinge in einem größeren Licht zu sehen. Betrachte deine dahingegangene Frau als eine Seele, die in dem Auf und Ab eines Lebens der Unwissenheit Fortschritte machte – wie alle Übrigen hier; im Laufe dieser Entwicklung geschehen Dinge, die dem menschlichen Mental als unglückselig erscheinen, und als besonders schmerzlich und bedauerlich wird es empfunden, wenn durch einen plötzlichen, durch Unfall oder Gewaltsamkeit verursachten Tod dieser kurze Zauber der Erderfahrung, den wir Leben nennen, noch verkürzt wird. Doch einer, der über das äußerliche Sehen hinausgelangt ist, weiß, dass alles, was beim Voranschreiten der Seele geschieht, seine Bedeutung, Notwendigkeit und seinen Platz in der Reihe der Erfahrungen hat, die sie schließlich zu dem Wendepunkt führen, an dem sie aus der Unwissenheit ins Licht tritt. Er weiß, dass, was immer durch die Göttliche Vorsehung geschieht, zum Besten ist, auch wenn es dem Mental anders erscheinen mag. Betrachte deine Frau als eine Seele, welche die Schranke zwischen zwei Daseinszuständen durchschritten hat. Stütze die Reise zu ihrem Ruheort durch ruhige Gedanken und rufe die Göttliche Hilfe, damit sie ihr beistehe. Ein zu lange währender Schmerz fördert nicht, sondern verzögert die Reise der abgeschiedenen Seele. Grüble nicht über deinem Verlust, sondern denke allein an ihr spirituelles Wohlergehen.

Das Geschehene muss nun als etwas Vorherbestimmtes ruhig hingenommen werden und als das Beste für den Fortschritt seiner Seele von Leben zu Leben, obgleich es in menschlichen Augen nicht das Beste zu sein scheint, da diese nur die gegenwärtige und äußere Erscheinung sehen. Für den spirituell Suchenden ist der Tod nur ein Übergang von einer Lebensform zu einer anderen, und niemand ist tot, sondern lediglich fortgegangen. Betrachte es so und überwinde alle Reaktionen von vitalem Schmerz – sie können ihm auf seiner Reise nicht helfen. Folge standhaft dem Weg zum Göttlichen.

Natürlich ist das eine reale Tatsache – der Tod ist nur ein Abwerfen des Körpers, kein Aufhören des persönlichen Daseins. Ein Mensch ist nicht tot, weil er in ein anderes Land reist und seine Kleider wechselt, um sich dem dortigen Klima anzupassen.

1 „Ich stürze sie fortwährend in immer asurischere Geburten“.

2 Sri Aurobindo gebraucht hier das deutsche Wort „durchhauen“

9. Kapitel

Schicksal und freier Wille, Karma, Vererbung usw.

1. Schicksal und freier Wille

Deine Auszüge sind für sich genommen sehr eindrucksvoll, wenn man jedoch das Buch liest, vermindert sich der entstandene Eindruck und schwindet schließlich dahin. Du führst Cheiros Erfolge an, wie aber steht es mit seinen Misserfolgen? Ich habe das Buch durchgesehen und war ziemlich verblüfft über die Zahl der Weissagungen, die sich nicht erfüllten. Du kannst aus einer kleinen Zahl von Prophezeiungen, wie genau auch immer sie gewesen sein mögen, nicht schließen, dass alles vorherbestimmt ist, einschließlich deiner Frage in dem Brief und meiner Antwort. Das kann so sein, doch reichen die Tatsachen nicht aus, um es zu beweisen. Ganz offensichtlich gibt es im Ablauf der Ereignisse ein Element des Vorhersagbaren – und zwar sowohl genau und im einzelnen als auch in großen Zügen vorhersagbar. Dies aber war bereits bekannt und lässt die Frage weiterhin ungelöst, ob alles vorhersagbar ist, ob Schicksal der einzige Faktor im Dasein ist oder ob es noch andere Faktoren gibt, die es modifizieren können; oder aber, wenn wir das Schicksal als gegeben annehmen, ob es nicht andere Quellen, Mächte oder Ebenen des Schicksals gibt und wir jenes Schicksal, mit dem wir begannen, ändern können, indem wir eine dieser anderen Quellen, Mächte oder Ebenen herbeirufen und sie in unserem Leben aktivieren. Metaphysische Fragen sind nicht so einfach, dass sie entweder in diesem oder einem anderen, entgegengesetzten Sinn ein für allemal gelöst werden können – das ist die volkstümliche Art, die Dinge zu klären, die jedoch ziemlich summarisch und nicht überzeugend ist. Entweder ist alles freier Wille oder aber alles ist Schicksal – so einfach ist es nicht. Diese Frage des freien Willens oder der Vorherbestimmung ist die schwierigste aller metaphysischen Fragen und konnte noch von niemandem beantwortet werden – aus dem guten Grund, weil sowohl das Schicksal als auch der Wille existieren und irgendwo sogar ein freier Wille existiert – die Schwierigkeit ist nur, wie man an ihn herankommt, um ihn wirksam zu machen.

Astrologie? Viele astrologische Vorhersagen erfüllen sich, insgesamt sogar eine große Zahl. Doch daraus folgt nicht, dass die Sterne unser Geschick lenken; die Sterne berichten lediglich über ein Schicksal, das bereits geformt wurde, sie sind Hieroglyphen und keine Kraft – oder wenn ihre Tätigkeit eine Kraft einsetzt, ist es eine übermittelte Energie, aber keine verursachende Macht. Wir können es auch so ausdrücken, dass es jemanden gibt, der das Schicksal bestimmt, und dass es etwas gibt, das Schicksal ist – die Sterne aber sind nur Indikatoren. Die Astrologen selbst sagen, dass es zwei Kräfte gibt, daiva und purusakara, Schicksal und individuelle Energie – und die individuelle Energie kann Schicksal verändern, ja sogar zunichte machen. Überdies zeigen die Sterne häufig mehrere Schicksalsmöglichkeiten an, zum Beispiel, dass man im mittleren Alter sterben wird, aber auch ein voraussagbar hohes Alter erreichen kann, wenn diese Vorherbestimmung überwunden wird. Schließlich gibt es Fälle, in denen sich die Vorhersagen des Horoskops mit großer Genauigkeit bis zu einem gewissen Alter erfüllen und dann nicht mehr stimmen. Dies geschieht meist, wenn sich die betreffende Person vom gewöhnlichen Leben abkehrt und dem spirituellen Leben zuwendet. Wenn es eine sehr drastische Wende ist, kann die Vorhersagbarkeit unmittelbar aufhören; im anderen Fall dauern gewisse Ergebnisse noch eine Zeitlang an, es besteht aber nicht länger die gleiche Unausweichlichkeit. Dies scheint anzuzeigen, dass es eine höhere Macht oder Ebene oder Quelle spirituellen Schicksals gibt oder geben kann, die, wenn ihre Stunde gekommen ist, die niedere Macht oder Ebene oder Quelle des vitalen oder materiellen Schicksals, das die Sterne anzeigen, zunichte zu machen vermag. Ich sage vital, da der Charakter ebenfalls aus dem Horoskop ersehen werden kann, und zwar viel vollständiger und befriedigender als die Ereignisse des Lebens.

In Indien wird Schicksal mit karma erklärt. Wir selbst sind durch unsere Taten unser Schicksal, doch bindet uns dieses Schicksal, das durch uns geschaffen wurde; denn was wir gesät haben, müssen wir in diesem oder einem anderen Leben ernten. Und während wir in der Gegenwart die Folgen des Schicksals aus der Vergangenheit auf uns nehmen, schaffen wir gleichzeitig unser Schicksal für die Zukunft. Das verleiht unserem Willen und Tun einen Sinn und erzeugt nicht, wie europäische Kritiker falsch annehmen, einen starren und unfruchtbaren Fatalismus. Doch unser Wille und Tun können sogar oft vergangenes karma annullieren oder modifizieren, nur bestimmte starke Einflüsse, utkata karma genannt, sind nicht modifizierbar. Auch hier kann durch die Erlangung von spirituellem Bewusstsein und Leben karma aufgehoben oder aber die Macht gewonnen werden, es aufzuheben. Denn wir treten in die Einung mit dem Göttlichen Willen ein, kosmisch oder transzendent, der annullieren kann, was er unter bestimmten Bedingungen gewährte, und der neu erschaffen kann, was er bereits erschuf – die festgelegten engen Richtlinien lösen sich auf, und es entsteht eine plastischere Freiheit und Weite. Weder karma noch Astrologie weisen daher auf ein fixiertes und für immer unveränderliches Schicksal hin.

Was nun die Vorhersage anbelangt, so habe ich niemals einen Weissagenden gekannt oder getroffen, der, wie berühmt auch immer, unfehlbar gewesen wäre. Einige Vorhersagen erfüllen sich wortgetreu, andere nicht – oder sie erfüllen sich halb oder gehen ganz und gar daneben. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Fähigkeit der Vorhersage etwas Unwirkliches ist oder dass man alle genauen Vorhersagen durch Wahrscheinlichkeit, Schicksal oder zufälliges Zusammentreffen erklären kann. Die Tatsache, dass viele Vorhersagen sich so unterschiedlich erfüllen, muss man entweder durch eine unvollkommene Fähigkeit des Weissagenden erklären, die manchmal erfolgreich ist und manchmal versagt, oder dadurch, dass die Dinge nur zum Teil vorhersagbar, da nur zum Teil vorherbestimmt sind, oder aber durch verschiedene Faktoren oder Linien von Macht, verschiedene Serien von Möglichem und Tatsächlichem. Solange man einer Linie folgt, ist die Vorhersage genau, im anderen Falle nicht; oder wenn sich die Linien der Macht ändern, fällt auch die Vorhersage unter den Tisch. Immerhin kann man sagen, dass es, wenn Dinge überhaupt vorhersagbar sind, eine Macht oder Ebene geben muss, durch die oder auf der alles vorhersehbar ist; wenn es ein göttliches Allwissen und eine göttliche Allmacht gibt, muss es so sein. Selbst dann aber muss das, was vorausgesehen wird, ausgearbeitet werden, und es wird durch ein Spiel von Kräften ausgearbeitet – spirituelle, mentale, vitale und physische Kräfte –, und auf dieser Ebene von Kräften gibt es keine absolute Starrheit. Persönlicher Wille oder persönliches Bemühen ist eine jener Kräfte. Napoleon befragt, warum er immer plane und arbeite, da er doch an eine Vorherbestimmung glaube, antwortete: „Da es vorherbestimmt ist, dass ich arbeite und plane“; in anderen Worten, sein Planen und Arbeiten waren ein Teil des Schicksals und trugen zu den Ergebnissen bei, die vom Schicksal vorgesehen waren. Selbst wenn ich ein ungünstiges Ergebnis voraussehe, muss ich für das Ziel, das ich im Auge habe, arbeiten; denn dies hält die Kraft, das Prinzip der Wahrheit, dem ich diene, am Leben und gibt ihm die Möglichkeit eines späteren Sieges; auf diese Weise wird es Teil des künftigen günstigen Schicksals, selbst wenn das gegenwärtige feindlich ist. Menschen wenden sich von einer Sache nicht ab, weil sie ihr Scheitern erkannten oder vorhersahen – und vom spirituellen Standpunkt ist ihre hartnäckige Ausdauer gerechtfertigt. Zudem leben wir nicht allein für ein äußeres Ergebnis; das Ziel unseres Lebens ist vielmehr das Wachsen der Seele – nicht der äußere Erfolg der Stunde oder der nächsten Zukunft. Die Seele aber vermag trotz eines oder sogar dank eines feindlichen materiellen Geschicks zu wachsen.

Und schließlich, auch wenn alles vorherbestimmt ist, besteht kein Grund zu sagen, Leben sei wie in Shakespeares oder vielmehr Macbeths Ausspruch „eine Geschichte, die ein Idiot erzählt, voller Lärm und Aufruhr und ohne Sinn“. So wäre das Leben, wenn alles Zufall und mutwillige Ungewissheit wäre. Wenn es jedoch etwas Vorhersehbares ist, etwas in jeder Einzelheit Geplantes, so heißt das, dass Leben tatsächlich eine Bedeutung hat, dass ihm ein geheimes Ziel innewohnen muss, auf das durch ganze Zeitalter hingearbeitet wurde, machtvoll, ausdauernd, mit uns als einem Teil davon, als Mitwirkende an der Erreichung jenes unüberwindlichen Zieles.

PS. Nun, eine der größten Seligkeiten ist, sich vom Göttlichen getragen zu fühlen, nicht von den Sternen oder dem karma, denn letzteres ist etwas Trauriges, trocken und ungemütlich – als ob man auf einer Maschine gewendet würde, „yantrarudhani mayaya“.

Ich fürchte, ich habe kein allzu großes Vertrauen in Cheiros Ideen und Prophezeiungen – manche erfüllten sich, doch die meisten waren falsch. Diese Vorstellung über die Juden ist eine alte jüdische und christliche Mutmaßung – man kann ihr nicht allzu viel Glauben schenken. Es stimmt, Zahlen besitzen der okkulten Wissenschaft zufolge mystische Bedeutung. Es stimmt ebenfalls, dass es Perioden und Zyklen sowohl im [menschlichen] Leben als auch im Leben der Welt gibt. Man darf jedoch diesen Dingen nicht immer eine zu genaue Bedeutung beimessen. Ich habe nicht gesagt, dass alles geradlinig vorherbestimmt sei. „Spiel der Kräfte“ hat nicht diese Bedeutung. Ich meinte vielmehr, dass hinter den sichtbaren Ereignissen in der Welt immer eine Unzahl unsichtbarer Kräfte am Werk ist, die das nach außen gerichtete Mental der Menschen nicht erkennt, durch den Yoga (indem man sich nach innen wendet und eine bewusste Verbindung mit dem Kosmischen Selbst und der Kosmischen Kraft sowie den Kräften herstellt) kann man sich dieser Kräfte bewusst werden, sich bewusst in ihr Spiel einmischen und zumindest bis zu einem gewissen Grad das Ergebnis des Spiels bestimmen. All dies hat nichts mit Vorherbestimmung zu tun. Im Gegenteil, man beobachtet, wie die Dinge sich entwickeln, und gibt hie und da einen Anstoß, wenn es möglich oder erforderlich ist. In all dem ist nichts, was der Auffassung des großen Wissenschaftlers Sri C. 5. Raman widerspräche. Raman sagte einmal, dass all diese wissenschaftlichen Entdeckungen nur ein Spiel des Zufalls seien. Damit meint er, dass die Menschen nicht wissen, wie sich dieses auswirkt. Es ist keine geradlinige Vorherbestimmung, es ist aber genauso wenig ein blinder, unbewusster Zufall. Es ist ein Spiel mit einem Ausarbeiten der Möglichkeiten in der Zeit.

In dem von dir angeführten Beispiel von Sokrates und dem gewohnheitsmäßigen Trinker ist die Unterscheidung, die du triffst, richtig. Der Mensch mit schwachem Willen wird von seinem Vital und seinen physischen Impulsen gelenkt und sein mentales Wesen ist nicht dynamisch genug, um seinen Willen durchzusetzen. Sein Wille ist nicht „frei“, da er nicht stark genug ist, um frei zu sein; er ist der Sklave der Kräfte, die auf seine vitale und physische Natur einwirken. Bei Sokrates ist der Wille insoweit frei, als er über dem Spiel dieser Kräfte steht, und er [Sokrates] bestimmt und entscheidet durch seine mentale Idee, was er tun soll oder nicht. Die Frage bleibt jedoch weiterhin offen, ob sein Wille nur in diesem Sinne frei ist, da er in Wirklichkeit von etwas Größerem als dem Mental von Sokrates bestimmt wird, von etwas, dessen Instrument er ist – dieses Etwas kann die Universale Kraft oder ein Wesen in ihm sein, dessen Stimme sein Daimonion1 ist und das seinem Mental nicht nur diese entscheidende Bewusstheit des mentalen Ideals gab, sondern ihm den Impuls aufzwang, in Übereinstimmung mit dieser Bewusstheit zu handeln. Oder er [Sokrates Wille] kann einer Verbindung zwischen dem inneren purusa und der Universalen Kraft unterworfen gewesen sein. In diesem Fall hätte ein schwankendes Gleichgewicht zwischen dem Determinismus der Natur und einer Selbstbestimmung von innen bestanden. Wenn wir vom Sankya-Standpunkt ausgehen, dass das Wesen (dasjenige, dessen Stimme sein Daimonion war) die Seele oder der purusa ist, würden sowohl in dem willensstarken Sokrates als auch in dem willensschwachen Sklaven des vitalen Impulses die Tat und ihre Ergebnisse durch die Zustimmung oder Ablehnung des purusa bestimmt werden. Im letzteren Fall gibt der purusa seine Zustimmung und nimmt durch seine vitale Unterwerfung das Spiel der Naturkräfte und die Gewohnheit des vitalen Impulses auf sich, während das Mental hilflos zusieht. In Sokrates hingegen hatte der purusa begonnen, sich frei zu machen und zu entscheiden, was er annehmen soll und was nicht – das bewusste Wesen hatte angefangen, die Kräfte, die auf es einwirken, zu lenken. Diese Meisterung ist so vollständig geworden, dass er weitgehend seine eigenen Taten bestimmen und sogar innerhalb gewisser Grenzen die Ergebnisse nicht nur vorhersehen, sondern festlegen konnte – und das, was er will, wird früher oder später geschehen.

Der Übermensch ist das bewusste Wesen, dessen Befreiung vollständig ist, da er über die Grenzen des Mentals aufgestiegen ist. Er vermag seine Tat in voller Übereinstimmung mit einem Bewusstsein zu bestimmen, das alle Kräfte, die in ihm und auf ihn und um ihn wirken, wahrnimmt, und er kann sie benutzen und sogar lenken, statt sich ihnen zu unterwerfen.

Nachdem ich Xs gutfundierte Ausführung las, wurde mir klar, was vom intellektuellen Standpunkt zu dieser Frage gesagt werden könnte, wenn man die Realität der höchsten Freiheit mit dem Phänomen des Determinismus in der Natur verbinden will, zwar auf andere Weise als er, doch mit dem gleichen Ziel. In Wirklichkeit sind Freiheit und Bestimmung nur zwei Seiten der gleichen Sache – denn die grundlegende Wahrheit ist die Selbst-Bestimmung des Kosmos und in ihm eine geheime Selbst-Bestimmung des Individuums. Die Schwierigkeit hat ihre Ursache darin, dass wir im Oberflächenmental der Unwissenheit leben und nicht wissen, was dahinter vor sich geht, also nur den äußeren Ablauf der Natur wahrnehmen. Hier aber besteht die klare Tatsache eines überwältigenden Determinismus der Natur, und da unser Oberflächenbewusstsein ein Teil davon ist, sind wir nicht in der Lage, die andere Form der doppelseitigen Realität zu erkennen. In der Materie besteht an der Oberfläche aus praktischen Gründen ein voller Determinismus – obwohl auch dies von der jüngsten wissenschaftlichen Lehrmeinung in Frage gestellt wird. Sobald Leben auftaucht, setzt eine gewisse Plastizität ein, so dass es schwierig wird, irgendetwas so genau vorherzusagen, wie man die stofflichen, einem starren Gesetz gehorchenden Dinge vorhersagen kann. Die Plastizität vergrößert sich mit dem Anwachsen des Mentals, so dass der Mensch zumindest das Gefühl des freien Willens, einer Wahl seines Tuns und einer Eigenbewegung haben kann, die dazu beitragen, die Umstände zu bestimmen. Diese Freiheit aber ist fragwürdig; sie kann als Illusion bezeichnet werden, als ein Entwurf der Natur, Teil ihres Mechanismus der Determination, als eine nur scheinbare Freiheit oder bestenfalls als eine beschränkte, relative und untergeordnete Unabhängigkeit. Nur wenn man sich nach innen wendet, von der Prakriti zum Purusa, und aufwärts, vom Mental zum spirituellen Selbst, kann die Freiheit erstmals deutlich und durch die Einung mit dem Willen über der Natur schließlich vollständig werden.

Im Leben kommt alles mögliche auf einen zu. Man darf aber nicht alles, was kommt, in der Vorstellung annehmen, es sei vom Göttlichen gesandt. Man hat zu wählen, und eine falsche Wahl hat ihre Konsequenzen.

Schicksal bezieht sich streng genommen nur auf das äußere Wesen, solange es in der Unwissenheit lebt. Das was wir Schicksal nennen, ist in Wirklichkeit lediglich das Ergebnis des gegenwärtigen Zustandes des Wesens, seiner Natur sowie der Energien, die es in der Vergangenheit angesammelt hat und die aufeinander einwirken und die gegenwärtigen Versuche und ihre künftigen Ergebnisse bestimmen. Sobald man aber den Pfad des spirituellen Lebens betritt, beginnt dieses alte, vorherbestimmte Schicksal zurückzutreten. Ein neues Element kommt hinzu, die Göttliche Gnade, die Hilfe einer höheren Göttlichen Kraft, die sich von der Kraft des karma unterscheidet und den Sadhak über die gegenwärtigen Möglichkeiten seiner Natur hinausheben kann. Die Göttliche Erwählung wird dann zum spirituellen Schicksal, das die Zukunft sichert. Das einzig Ungewisse ist das Auf und Ab des Pfades sowie die Zeit, die man auf den Durchgang verwenden muss. Hier setzen die feindlichen Kräfte ein, die mit den Schwächen der vergangenen Natur spielen und danach trachten, die Geschwindigkeit des Fortschritts zu verzögern und die Erfüllung aufzuschieben. Diejenigen, die fallen, fallen nicht durch den Angriff vitaler Kräfte, sondern weil sie sich auf die Seite der feindlichen Kräfte stellen und einen vitalen Trieb oder Wunsch (Ehrgeiz, Eitelkeit, Lust usw.) der spirituellen siddhi vorziehen.

Weder die Natur noch das Schicksal, noch das Göttliche arbeitet auf die mentale Art und Weise oder nach dem Gesetz oder den Maßstäben des Mentals – das ist der Grund, warum selbst dem Wissenschaftler und Philosophen die Natur und das Schicksal und die Wege des Göttlichen ein Mysterium sind. Die Mutter arbeitet nicht mit Hilfe des Mentals, es ist daher müßig, ihr Wirken mit dem Mental zu beurteilen.

Natur ist zum sehr großen Teil das, was du aus ihr machst oder machen kannst.

Jeder hat sein eigenes Schicksal; sein Eintritt in eine bestimmte Familie in einem Leben ist nur ein Ereignis [unter vielen anderen].

Bewusstsein ist keine mechanische, tote Angelegenheit, die man derart aufteilen könnte. Erbeinflüsse schaffen eine gegenseitige Anziehung und dies ist eine langwierige Sache. Erst wenn der vererbte Teil verändert wird, kann die Anziehung aufhören.

(Die Prägung durch Vererbung, Rasse, Kaste und Familie:) Eine sehr starke Prägung in den meisten Fällen – sie besteht hauptsächlich im physischen Vital und physischen Stofflichen und wird durch Ausbildung und Erziehung noch verstärkt.

Viele Dinge im Körper und einige im Mental und Vital werden vom Vater und der Mutter oder anderen Vorfahren vererbt – das ist vermutlich jedem bekannt. Es gibt andere Dinge, die nicht vererbbar, sondern eine Eigentümlichkeit der eigenen Natur sind oder durch die Ereignisse dieses Lebens entwickelt werden.

Karma und Vererbung sind die beiden hauptsächlichen Ursachen, die das Temperament bei der Geburt bestimmen. Es wird verschiedentlich angenommen, dass auch die Vererbung dem karma unterworfen ist, doch stimmt dies vermutlich nur auf eine sehr allgemeine Weise und nicht im einzelnen.

Alle Energien, die in Tätigkeit umgesetzt werden – Denken, Sprechen, Fühlen, Handeln – bilden karma. Diese Dinge tragen dazu bei, die menschliche Natur in der einen oder anderen Richtung zu entwickeln. Die Natur, ihre Tätigkeiten und Reaktionen bewirken innere und äußere Konsequenzen; sie beeinflussen andere und schaffen Bewegungen in der allgemeinen Summe der Kräfte, die früher oder später zu einem zurückkehren können. Unausgedrückte Gedanken können ebenfalls als Kräfte hinausgehen und Auswirkungen zeitigen. Es ist falsch anzunehmen, dass ein Gedanke oder Wille nur dann eine Auswirkung haben kann, wenn er sich in der Rede oder Tat äußert: der unausgesprochene Gedanke und der unausgedrückte Wille sind ebenfalls tätige Energien mit eigenen Schwingungen, Auswirkungen oder Reaktionen.

Genau? Wie soll man genau erkennen können, wo vitale, mentale und spirituelle Faktoren auftreten? Wenn du es mit einem Stern oder Atom zu tun hast, ist es vielleicht möglich (anscheinend aber nicht bei einem Elektron), doch nicht bei einem Menschen und seinem lebendigen Mental, seiner Seele und seinem Körper.

2. Unsichtbare Kräfte

Was X sagt, ist richtig; das Spiel der Kräfte ist sehr komplex, man muss sich ihrer bewusst sein und gleichsam sehen und beobachten, wie sie arbeiten, bevor man wirklich verstehen kann, warum die Dinge auf die Weise stattfinden, wie es der Fall ist. Alles Tun ist von einem komplizierten Kräftespiel umgeben, und wenn man eine Kraft einsetzt, muss man darauf achten, es sorgsam zu tun und sie zu bewahren und die Tür nicht dem Eindringen anderer, entgegen gerichteter Kräfte zu öffnen. Jeder Mensch ist in sich ein Bereich für viele Kräfte – einige arbeiten für seine Sadhana, andere für sein Ego und seine Begierden. Zudem gibt es Mächte, die versuchen, einen Menschen ohne sein Wissen zu einem Instrument für fremde Zwecke zu machen. Sie alle können sich verbinden, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Jede dieser Kräfte arbeitet dafür, ihren eigenen Impuls durchzusetzen – es müssen durchaus keine feindlichen Kräfte sein, sondern es sind einfach Kräfte der Natur.

Die Anwandlung von Eifersucht und abhimana war natürlich ein Überbleibsel der vergangenen Bewegungen deiner Natur. Tatsächlich verlassen einen diese Dinge, wenn sie zurückgewiesen werden; sie verlieren allmählich ihre Kraft und können sich immer weniger halten und immer weniger das Bewusstsein beeinträchtigen – schließlich berühren sie einen nicht länger und treten nicht mehr auf.

Mit etwas Verstand und Beobachtungsgabe kann jeder, der mehr in einem inneren Bewusstsein lebt, das Spiel der unsichtbaren Kräfte erkennen, die auf die Menschen bei jedem Schritt einwirken und ohne ihr Wissen Geschehnisse hervorrufen. Der Unterschied, der durch den Yoga oder ein inneres Bewusstsein entsteht – es gibt auch Menschen, wie zum Beispiel Sokrates, die ein inneres Bewusstsein ohne Yoga entwickelten – besteht darin, dass man diese unsichtbaren Kräfte wahrnimmt, aus ihnen bewusst Nutzen zieht oder sie gebrauchen und steuern kann. Das ist alles.

(Vitaler Austausch:) Schwierig, genauer zu bestimmen. Dieses gegenseitige Entziehen von vitalen Kräften findet in dem Durcheinander unseres menschlichen Zusammenlebens automatisch und ständig statt. Liebe ist eine der machtvollsten Methoden, sich gegenseitig die vitale Kraft zu entziehen oder dem anderen die Kraft zu entziehen, was auch auf einseitige Weise oft sehr zum Schaden des „anderen“ geschieht. In der Folge kommen dann viele Dinge auf, gute und schlechte, gehobene Stimmung, das Gefühl der Stärke und Hilfe, das Einsickern von guten oder schlechten Eigenschaften, der Wechsel von seelischen Stimmungen, Zuständen und Bewegungen, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung – die ganze Stufenleiter. Die Menschen wissen nichts davon, und das ist ein Geschenk Gottes an sie. Wenn man aber in ein bestimmtes yogisches Bewusstsein eintritt, wird man sich dieser ganzen Wechselwirkung, dieses Wirkens und Gegenwirkens durchaus bewusst und empfindet es – man kann aber auch eine Mauer dagegen errichten, es zurückweisen usw. usw.

Es ist eine Mauer aus Bewusstsein, die man zu bauen hat. Bewusstsein ist nichts Abstraktes, es ist wie das Dasein, wie Ananda oder Mental oder prana etwas durchaus Konkretes. Sobald man das innere Bewusstsein wahrnimmt, kann man alles mögliche damit tun, man kann es als einen Kraftstrom aussenden, man kann einen Kreis oder eine Mauer aus Bewusstsein um sich errichten, man kann eine Idee lenken, und sie wird Eingang in den Kopf eines Menschen in Amerika finden usw. usw.

Sein neues Bewusstsein lässt ihn die entgegen gerichteten Kräfte stärker fühlen; diesen sieht man sich gegenüber, wenn man sich in der Welt bewegt, Dinge zu verrichten hat und anderen begegnen muss; und er fürchtet sich vor einer Reaktion im Vital, die seine Sadhana stören oder Schwierigkeiten schaffen könnte. Offensichtlich ist er ein Mensch, der seelisch sensitiv ist oder geworden ist für das Spiel der Kräfte, das zu erkennen du dich strikt weigerst, obwohl du davon umgeben bist. Du vermagst die Atmosphäre deines Freundes in dem Brief als „so schön, so stärkend, so erfrischend“ zu empfinden, und sie hat eine unmittelbare Wirkung auf dich. Doch dein Mental starrt wie eine Eule und fragt sich, was das sein könnte; ich vermute deshalb, weil deine medizinischen Bücher dir niemals etwas darüber sagten – wie könnte es auch Dinge geben, die weder dem gewöhnlichen Mental noch der Wissenschaft bekannt sind? Der Einbruch feindlicher Kräfte ist es, der dich den Klauen des Teufels ausliefert, und das einzige, was du tust, ist zu stöhnen und zu schreien. Und wenn sie binnen einem Augenblick von anderen Kräften auf die Seite geschwemmt werden, blinzelst du nur und murmelst: „Ah, wie seltsam“! Dein Freund hingegen fühlt und weiß es gleich, wenn er von feindlichen Kräften bedroht wird, und kann daher auf der Hut sein und Old Nick2 Widerstand leisten, da er dessen Angriffsmethoden sofort durchschaut.

Diese Dinge (Einflüsse von Menschen) zu erkennen, ist ein Wissen – ein psychisch-okkultes Wissen –, das für die Fülle des Bewusstseins und der Erfahrung notwendig ist. Das, was man fühlt, sollte man notwendigerweise nicht zu einem Einfluss werden lassen, sei es ein guter oder ein schlechter.

Zwei Dinge sind zu unterscheiden: Manche Menschen besitzen die Fähigkeit, andere zu erkennen, was zwar keinesfalls unfehlbar ist, sich aber häufig als richtig herausstellt. Das ist die eine Sache. Die yogische Intuition, durch die man unmittelbar weiß und fühlt, was in einem Menschen vorgeht, und seine Fähigkeiten, seinen Charakter, sein Temperament erkennt, ist eine andere. Die erstere mag zur Entwicklung der letzteren beitragen, ist aber nicht das gleiche. Die yogische Fähigkeit muss vorhanden sein und sie kann allein bei einer beträchtlichen Entwicklung des inneren Bewusstseins vollkommen sein.

Lass die Frage, ob göttlich oder ungöttlich, beiseite – kein spiritueller Mensch, der dynamisch handelt, ist auf den physischen Kontakt beschränkt; die Vorstellung, dass für das Wirken der spirituellen Kraft ein physischer Kontakt durch Schreiben, Sprechen oder ein Zusammentreffen unerlässlich sei, widerspricht sich selbst, denn dann wäre es keine spirituelle Kraft. Der Spirit wird nicht von stofflichen Dingen oder vom Körper beschränkt.

Wenn du die spirituelle Kraft hast, kann sie auf Menschen einwirken, die Tausende von Meilen entfernt sind, die nicht wissen und niemals wissen werden, dass du auf sie einwirkst oder dass auf sie eingewirkt wird – sie erkennen lediglich, dass eine Kraft sie befähigt, Dinge zu tun, und können durchaus annehmen, es sei ihre eigene große Energie oder ihr eigener Genius.

Die Göttlichen Kräfte sind dazu da, dass man sie benutzt. Der Fehler des in der Unwissenheit individualisierten Menschen besteht darin, sie für das Ego und nicht für das Göttliche zu benutzen. Das ist es, was durch die Einung mit dem Göttlichen Bewusstsein berichtigt werden muss und auch durch die Weitung des individuellen Wesens, damit es bewusst im Universalen leben kann. Es ist schwierig wegen der starren Ego-Gewohnheiten, aber nicht unmöglich.

Alle Kraft kommt vom Göttlichen, sie wird aber eher missbraucht als spirituell oder auf die rechte Weise angewendet.

Natürlich ist es möglich, sich bestimmter Dinge aus der Entfernung bewusst zu werden und einzuschreiten.

Die Vorstellung, dass Yogis diese Kräfte nicht gebrauchen oder nicht gebrauchen sollten, betrachte ich als asketischen Aberglauben. Ich bin der Meinung, dass alle Yogis, die im Besitz dieser Kräfte sind, von ihnen Gebrauch machen, wann immer sie einen inneren Anstoß dazu erhalten. Sie können es unterlassen, wenn sie sehen, dass dieser Gebrauch in einem besonderen Fall dem Göttlichen Willen entgegen gerichtet ist, oder wenn sie erkennen, dass die Verhinderung des einen Übels einem schlimmeren die Tür öffnen würde, oder aus irgendeinem anderen triftigen Grund, nicht aber deshalb, weil ein allgemeines Verbot besteht. Doch ist es jedem mit ausgeprägt spirituellem Empfinden verboten, als Wundertäter zu wirken und außergewöhnliche Dinge zur Schaustellung, für Gewinn oder Ruhm, aus Eitelkeit oder Stolz zu tun. Es ist verboten, Mächte aus rein vitalen Motiven zu gebrauchen, eine asurische Prahlerei mit ihnen zu veranstalten oder sie dazu zu verwenden, Anmaßung, Verachtung, Ehrgeiz oder irgendeine andere der liebenswerten menschlichen Schwächen zu unterstützen. Weil unfertige Yogis so häufig in diese Fallen der feindlichen Mächte geraten, wird von der Anwendung yogischer Kräfte als schädlich für den Anwendenden zuweilen abgeraten.

Meist sind es Menschen, die sehr im Vital leben, die auf diese Weise zu Fall kommen; bei jenen mit einem starken, freien und ruhigen Mental, mit einer erwachten und tätigen Seele finden solche Dinge höchstwahrscheinlich nicht statt. Für Menschen, die im wahren Göttlichen Bewusstsein zu leben vermögen, sind bestimmte Mächte durchaus nicht Mächte in diesem Sinn, das heißt, sie empfinden sie weder als übernatürlich noch anormal, vielmehr ist es ihre normale Art zu sehen und zu handeln, gleichsam ein Teil ihres Bewusstseins – und wie könnte man es ihnen verbieten oder verweigern, ihrem Bewusstsein und seiner Natur gemäß zu handeln?

Vermutlich hatte ich eine noch vollständigere europäische Erziehung als du, und auch ich hatte meine Zeit agnostischer Leugnung, doch von dem Augenblick an, da ich mich näher mit diesen Dingen befasste, konnte ich nicht mehr die Haltung des Zweifels und Unglaubens einnehmen, die in Europa so lange Zeit gang und gäbe war. Anormale oder über-physische Erfahrungen und Mächte, okkult oder yogisch, sind mir immer als etwas vollkommen Natürliches und Glaubwürdiges erschienen. Bewussten konnte seiner eigentlichen Natur nach nicht durch das gewöhnliche physisch-menschliche Tierbewusstsein begrenzt sein, es musste noch andere Ebenen haben. Yogische oder okkulte Mächte sind nicht übernatürlicher oder unglaubwürdiger als die Fähigkeit, ein großes Gedicht zu schreiben oder große Musik zu komponieren; wenige Menschen sind hierzu fähig – nicht einmal einer unter einer Million; denn Dichtung und Musik kommen aus dem inneren Wesen, und um wahre und große Dinge zu schreiben oder zu komponieren, muss man die Verbindung zwischen dem äußeren Mental und etwas im inneren Wesen hergestellt haben. Das ist der Grund, warum du, als du den Yoga begannst, zu dichten angefangen hast – es war die yogische Kraft, die die Verbindung herstellte. Genauso ist es mit dem yogischen Bewusstsein und seinen Mächten; das Entscheidende ist, die Verbindung herzustellen, denn diese Dinge sind bereits in dir. Du musst natürlich zuerst glauben und streben und mit dem wahren inneren Impuls dich bemühen.

Jadu (Magie) ist eine besondere Übung, die von berufsmäßigen Magiern durchgeführt wird und von jenen, die die Kunst der Magie erlernen – sie gehört jedoch nicht zum Yoga. Das, was im Yoga manchmal oder sogar ganz allgemein stattfindet, ist die Entwicklung bestimmter Mächte im Sadhak, durch die er andere beeinflussen oder veranlassen kann, etwas zu tun, oder durch die er die Dinge entsprechend seinem Wunsch geschehen lässt. Diese und andere yogische Mächte sollten vom Sadhak niemals für egoistische Zwecke oder zur Befriedigung vitaler Wünsche missbraucht werden. Sie können nur dann angewandt werden, wenn sie Teil des verwirklichten Göttlichen Bewusstseins werden und von der Mutter selbst oder auf ihren Befehl hin für gute und uneigennützige Zwecke gebraucht werden. Yogische Kräfte, die sich auf natürliche Weise als Teil des neuen Bewusstseins einstellen und nicht für falsche, persönliche Zwecke gebraucht werden, sind nicht schädlich. Zum Beispiel siehst du etwas in einer Vision oder einem Traum, das später im Wachzustand tatsächlich stattfindet. Nun, das ist die yogische Macht der Vorahnung, das Wissen um künftige Dinge; es stellt sich häufig mit dem Wachsen des Bewusstseins ein, und nichts ist daran falsch, vielmehr gehört es mit zur Entwicklung in der Sadhana. Genauso ist es mit anderen Mächten. Man darf nur nicht eingebildet werden oder damit angeben oder die Mächte missbrauchen um des Verlangens, des Stolzes oder der Macht willen oder zur Befriedigung des Egos.

Deine Vision des Mannes mit dem Feuer zu seinen Füßen war vermutlich eine Vision des Gottes Agni, aus dem das Feuer der tapasya und der Läuterung in der Sadhana fließt.

Wenn die Sadhana fortschreitet, erhält man fast immer die Macht der Vision, und was man sieht, ist wahr, solange man im rechten Bewusstsein bleibt. Es gibt auch falsche Stimmen und Erfahrungen. Wenn Menschen wahnsinnig werden, dann deshalb, weil sie egoistisch sind, weil sie sich für große Sadhaks halten und ihre Erfahrungen übertrieben wichtig nehmen. Auf diese Weise erhalten sie ein falsches Bewusstsein mit falschen Stimmen, Inspirationen und Visionen. Sie messen ihnen so viel Bedeutung bei, dass sie nicht mehr auf die Mutter hören und schließlich nehmen sie ihr gegenüber eine feindselige Haltung ein, da sie ihnen sagt, dass sie sich auf einem Irrweg befinden, und ihrer Verblendung Einhalt gebietet. Deine Visionen und Erfahrungen sind durchaus wahr und gut, und ich habe dir erklärt, was sie bedeuten – falsche Visionen versuchten sich einzustellen, doch du hast sie zurückgewiesen, da du ihnen nicht anhingst, sondern auf das wahre Ziel der Sadhana ausgerichtet warst. Man darf sich nicht an diese Dinge hängen, sondern sie einfach beobachten und weitergehen. Dann werden sie zu einer Hilfe und können keine Gefahr mehr sein.

Mit schwarzer Magie ist der Okkultismus der feindlichen Mächte gemeint – der Okkultismus der Göttlichen Mächte unterscheidet sich davon ganz wesentlich. Der eine gründet sich auf der Einheit, der andere auf der Teilung.

Du hast durchaus recht. Sie (Madame Blavatsky) war eine Okkultistin und keine spirituelle Persönlichkeit. Die spirituellen Lehren, die sie verbreitete, scheinen auf intellektuellem Wissen zu beruhen und nicht auf der Verwirklichung. Ihre geistige Richtung war tibetisch-buddhistisch. Sie glaubte nicht an Gott, sondern an nirvana, an wundertätige Mächte und an die Mahatmas.

Man kann den Geschichten über diesen Swami keinerlei Glauben schenken. Es ist möglich, dass er eine Art von tantrischem Yoga praktizierte und okkulte Mächte erlangte, doch ist in allem, was du über ihn berichtest und auch was über ihn geschrieben steht, keine Spur einer spirituellen Verwirklichung oder Erfahrung zu finden. Das einzige, woran er zu denken scheint, sind okkulte Mächte und Zauberkunststücke. Diejenigen, die auf okkulten Mächten und nicht auf spirituellen Erfahrungen aufbauen, sind keine Yogis von hohem Verwirklichungsgrad. – Es gibt Yogis, die sich benehmen, als hätten sie keine Kontrolle über sich – ihre Theorie ist, den Spirit von der äußeren Natur zu lösen, in ihrer inneren Verwirklichung zu leben und ihre [äußere] Natur einer ungeordneten Tätigkeit zu überlassen; sie sind „wie ein Kind, ein Verrückter, wie ein pishaca oder ein lebloses Objekt“. Es gibt auch solche, die vorsätzlich rohe oder heftige Rede führen, um von den Menschen Abstand zu halten oder sie zu prüfen. Doch der Wutausbruch dieses Swami, von dem du berichtest, war einfach ein durch beleidigten Egoismus verursachter Zorn. Sein Urteil über Ramana Maharshi ist im höchsten Maß absurd3. Seine Bitte um Nägel, Haare usw. und sein Geschenk von Kleidern oder eines Jumpers waren vermutlich physische Hilfsmittel, um einen okkulten Einfluss auf dich oder deine Frau auszuüben, möglicherweise durch tantrische oder magische kriya; in Tibet sind solche magischen Vorgänge wohlbekannt und in allgemeinem Gebrauch.

Ich weiß nicht, ob ich Xs mystische Erfahrungen irgendwie positiv durchleuchten kann. Zumindest im letzten Teil kann man der Beschreibung nur schwer folgen, da sie sehr undurchsichtig formuliert und nicht immer klar genug ist, um sie zu verstehen. Der erste Teil der Erfahrung weist auf eine angeborene Fähigkeit zu heilen hin, deren Wirkungsweise und Methode sie selbst nicht kennt. Sie scheint ihrem Bericht zufolge aus einem Etwas in ihr zu kommen, das nach den Ausdrücken, die sie gebraucht, ein größeres, höheres, lichteres und machtvolleres Bewusstsein sein könnte, mit dem sie in gelegentlicher Verbindung steht, in dem sie aber nicht fortwährend lebt. Ein anderer Satz wiederum scheint auf eine Gottheit oder eine Göttliche Gegenwart hinzuweisen, die ihr Befehle erteilt, andere anzuleiten, damit deren Bewusstsein wachse. Sie spricht aber deutlich davon als von einem größeren „Ich“, das hinter einer blauen Diamant-Kraft steht. Wir müssen also auf die Idee eines größeren Bewusstseins hoch oben zurückgreifen, das mit einem Gefühl der Göttlichkeit, einem Gefühl von beträchtlichem Licht und spiritueller Autorität verbunden ist – vielleicht auf einer jener höheren spirituell-mentalen Ebenen, die ich im „Göttlichen Leben“ oder in den „Briefen“ beschrieben habe. Das Diamantlicht könnte sehr wohl diesen Ebenen angehören; es ist zwar gewöhnlich weiß, könnte hier aber durchaus auch blau sein; es ist ein Licht, das alle unreinen Dinge auflöst oder vertreibt, besonders dämonische Besessenheit oder den Einfluss einer bösen Kraft. Tatsächlich sollte der Gebrauch einer Macht wie dieser sorgsam vor dem Eindringen irgendeines falschen Elements, wie zum Beispiel persönlicher Machtliebe, geschützt werden – es besteht hingegen kein Anlass zur Befürchtung, da eine innere Aufmerksamkeit ausreicht, um es zurückzuweisen oder fernzuhalten. Ich glaube, das ist alles, was ich zu ihrem Brief sagen kann.

Über Spiritismus kann ich für den Augenblick nur das folgende sagen: Es ist den Toten oder besser gesagt den Dahingegangenen – denn sie sind nicht tot –, die sich noch in den Regionen nahe der Erde befinden, durchaus möglich, eine Verbindung mit den Lebenden herzustellen; manchmal geschieht es automatisch, manchmal durch eine Bemühung auf der einen oder anderen Seite des Vorhangs. Eine Verbindung durch die von den Spiritisten benützten Mittel herzustellen, ist nicht unmöglich, eine echte Verbindung oder ein echter Kontakt kann jedoch nur mit jenen [Dahingegangenen] stattfinden, die sich noch in einer Welt befinden, die eine Art idealisiertes Ebenbild des Erdbewusstseins ist und in der die gleiche Persönlichkeit, die gleichen Vorstellungen und Erinnerungen fortbestehen, die der Mensch hier auf Erden hatte. Doch nicht alles ist echt, was vorgibt, eine Verbindung zu abgeschiedenen Seelen zu sein, besonders wenn sie durch ein berufsmäßiges und bezahltes Medium hergestellt wird. Es besteht ein riesengroßes und sehr unerfreuliches Durcheinander – denn abgesehen von der großen Menge unbewusster Einflüsse, die von den Séance-Teilnehmern ausgehen, oder von dem, was das Medium selbst durch sein unterschwelliges Bewusstsein beiträgt, kommt man in Kontakt mit einer Welt von Wesen von sehr täuschender oder selbsttäuschender und illusionshafter Natur. Viele von ihnen behaupten, die abgeschiedenen Seelen von Verwandten, Freunden oder von berühmten Menschen, von bekannten Persönlichkeiten usw. zu sein. Es gibt ebenfalls Wesen, die die abgelegten Gefühle und Erinnerungen von Toten auflesen und sich mit ihnen verkleiden. Zu solchen Séancen kommt eine große Anzahl von Wesen, doch nur um mit dem Bewusstsein der Menschen zu spielen oder durch diesen Kontakt mit der Erde ihre Macht auszuüben, und sie täuschen das Medium und die Teilnehmer mit ihrer Falschheit, ihren Tricks und Illusionen. (Ich gehe natürlich davon aus, dass die Medien nicht selbst Betrüger sind.) Eine Fühlungnahme mit dieser Ebene von Geistern kann schädlich (die meisten Medien werden nervös oder geraten moralisch aus dem Gleichgewicht) und spirituell gefährlich sein. Natürlich sind alle Kontakte mit berühmten Toten, die einer fernen Vergangenheit angehören, im Grunde eine Täuschung, und die meisten Kontakte mit den vor kurzem Gestorbenen ebenfalls – das geht aus der Art dieser Verbindungen deutlich hervor. Es ist möglich, durch gewissenhafte Medien fundierte Ergebnisse zu erzielen, aber diese Medien selbst wissen nichts über die Natur der Kräfte, die sie handhaben, und besitzen kein Unterscheidungsvermögen, das sie vor den Betrügereien von der anderen Seite des Vorhangs schützen könnte. Aus diesen Séancen kann sehr wenig echtes Wissen über die Natur des Lebens nach dem Tode gewonnen werden; wahres Wissen wird durch die Erfahrung von Menschen gewonnen, die einen ernsthaften Kontakt herstellen oder auf die eine oder andere Weise fähig sind, die Grenzlinie zu überschreiten.

Sie (Medien, Hellseher usw.) sind meist in Kontakt mit den vital-physischen oder den feinen physischen Welten und empfangen überhaupt nichts Höheres.

3. Das Opfer

Ein Opfer hat immer einen moralischen und einen psychologischen Wert. Dieser Wert bleibt ungeachtet der Ursache, für die das Opfer gebracht wird, bestehen, vorausgesetzt derjenige, der es bringt, glaubt an die Wahrheit, Gerechtigkeit oder irgendeinen anderen Wert seiner Sache. Wenn man ein Opfer für eine Sache bringt, die man als falsch oder unwert erkennt, hängt alles von dem Beweggrund und Geist des Opfers ab. Bishma, indem er den Tod für eine Sache hinnahm, die er als ungerecht erkannte, gehorchte seinem Treuegefühl für das, was er als seine persönliche Pflicht ansah. Viele Menschen in der Vergangenheit haben so gehandelt – die Moral und der seelische Wert einer Tat liegen in dem Adel ihres Motivs und nicht in ihrem Anlass.

Nun zu der anderen Frage. Das Wort Opfer kann nicht angewandt werden, wenn ein Mensch etwas aufgibt, was ihm nichts wert ist, sondern nur dann, wenn er tatsächlich einen Verlust auf sich nimmt oder die Ächtung und Verleumdung der Gesellschaft, oder auf andere Weise den Preis für seine Befreiung zahlt. Ich möchte jedoch behaupten, dass ein Mensch von einem spirituellen Ruf oder von einer großen Aufgabe für die Menschheit derart ergriffen werden kann, dass für ihn die Familie oder andere Bande nicht mehr zählen; er braucht dabei nicht einmal kalt oder lieblos zu sein, er verlässt vielmehr alles freudig und ohne Qual und gehorcht der gebietenden [inneren] Stimme.

Im spirituellen Sinn jedoch hat Opfer einen anderen Sinn – es besagt nicht so sehr ein Aufgeben dessen, was einem lieb ist, als eine Darbringung von einem selbst, des eigenen Wesens, Mentals und Herzens, des eigenen Willens, Körpers, Lebens und aller Tätigkeiten an das Göttliche. Es hat den ursprünglichen Sinn von „heiligen“ [weihen] und wird in der Bedeutung des Wortes yajna gebraucht. Wenn die Gita vom „Opfer des Wissens“ spricht, so heißt das nicht, irgendetwas aufzugeben, es heißt vielmehr, dass sich das Mental auf der Suche nach Erkenntnis dem Göttlichen zuwendet und hierdurch selbst darbringt. In diesem Sinn spricht man auch von einer Darbringung oder einem Opfer der Werke. Die Mutter hat irgendwo geschrieben, dass das spirituelle Opfer seiner Natur nach freudvoll und nicht leidvoll sei. Wenn der Suchende die alten Bande und Verantwortlichkeiten noch als stark empfindet, braucht er sie auf dem spirituellen Pfad meistens weder zu lösen noch aufzugeben. Er soll vielmehr den Ruf in sich anwachsen lassen, bis innerlich alles bereit ist. Manche brechen allerdings vorher mit allem, da sie fühlen, dass die Trennung ihre einzige Chance ist, und diese müssen sich manchmal durchkämpfen. Doch Schmerz und Kampf gehören nicht zum eigentlichen Wesen dieser spirituellen Selbst-Darbringung.

Es bedeutet ganz einfach, dass dein Opfer noch mental und seinem Wesen nach noch nicht spirituell geworden ist. Wenn dein vitales Wesen zustimmt, seine Wünsche und Freuden aufzugeben, wenn es sich dem Göttlichen darbringt, dann hat das yajna begonnen. Was ich meinte war, dass der europäische Sinn des Wortes nicht mit der Bedeutung des Wortes yajna übereinstimmt oder mit der Bedeutung von „Opfer“ in Ausdrücken wie „Opfer der Werke“. Es bedeutet nicht, dass du alle Werke um des Göttlichen willen aufgibst – denn dann gäbe es das Opfer der Werke gar nicht. In ähnlicher Weise bedeutet „Opfer des Wissens“ nicht, dass du schmerzlich entschlossen um des Herren willen einen Narren aus dir machst. Opfer bedeutet eine innere Darbringung an das Göttliche, und das wahre spirituelle Opfer ist etwas durchaus Freudiges. Im anderen Fall versucht man nur, sich auf etwas vorzubereiten, während das wirkliche yajna noch nicht begonnen hat. Der Grund für Schmerz und Kampf ist der, dass dein Mental mit dem Vital, diesem unwilligen Tier ringt und von ihm fordert, sich opfern zu lassen. Wenn sich dein spiritueller oder seelischer Wille mehr im Vordergrund befände, würdest du nicht soviel über den Verlust von ghee4 Butter und Joghurt, die in das Feuer geworfen werden, lamentieren und versuchen, vorher ein letztes Mal daran zu lecken. Die einzige Aufgabe ist, die Götter in ihrer Fülle herabzubringen (eine fortschreitende Arbeit) und nicht über den ghee zu jammern. Übrigens, glaubst du vielleicht, dass die Mutter oder ich oder andere, die den spirituellen Weg gehen, das Leben nicht genossen hätten und dass die Mutter deshalb von einem freudigen Opfer an das Göttliche als dem wahren Geist des spirituellen Opfers sprechen konnte? Oder glaubst du, dass wir die ersten Stadien [des Weges] damit zubrachten, uns nach den Fleischtöpfen Ägyptens zu sehnen, und erst später die Freude des spirituellen Opfers fühlten? Natürlich war es nicht so. Wir und viele andere hatten keine Schwierigkeit, alles aufzugeben, was aufzugeben wir für notwendig hielten, und hatten auch später keine Sehnsucht danach. Deine Regel ist wie meist eine starre Regel und in einem allgemeinen Sinn ganz und gar nicht anwendbar.

Ein Opfer hängt von der inneren Einstellung ab. Wenn man nichts Äußeres zu opfern hat, kann man sich immer selbst geben.

Im Fanatismus liegt nichts Edles – sein Motiv hat keine Würde, obwohl ihm eine glühende Begeisterung innewohnen kann. Religiöser Fanatismus ist psychologisch etwas Niedriges und Unwissendes und in seiner Wirkungsweise meist wild, grausam und gemein. Die religiöse Glut jedoch, wie die des Märtyrers, der sich opfert, ist etwas ganz anderes.

4. Gewalt und Nicht-Gewalt

Krieg gab es beinahe immer auf der Welt – in der Geschichte der Römischen Republik wurden die Tore des Janus-Tempels nur ein oder zweimal in den vielen Jahrhunderten seines Bestehens geschlossen – ein Zeichen, dass die Republik in Frieden mit der übrigen Welt war. In neuerer Zeit gab es lange Pausen zwischen langen Kriegen, doch kleinere Kriege gab es immer hier und dort. Der Mensch ist ein streitendes und kämpfendes Tier und solange es ihn gibt, gibt es keinen Frieden.

Kampf und Eroberung sind Teil des Haushalts der vitalen Natur – es ist sinnlos, die Menschen dafür zu tadeln – jeder, der Macht und Gelegenheit hat, kämpft und erobert. China, das sich nun beklagt, war in all den Jahrhunderten, in denen Japan sich religionszugewandt innerhalb seiner Grenzen hielt, ein imperialistisches und kolonisierendes Land… Wenn es nicht einbringend wäre, würde vermutlich niemand kämpfen. England ist über dem geplünderten Wohlstand Indiens reich geworden. Frankreich hängt wegen vieler Dinge von seinen afrikanischen Kolonien ab. Japan braucht ein Ventil für seine überreiche Bevölkerung sowie nahe und sichere wirtschaftliche Märkte. Jedes Land wird von Kräften getrieben, die die Intelligenz seines Herrschers und seiner Menschen gebrauchen, um sich zu verwirklichen – und keine noch so große Menge eines moralisierenden Willens wird dies ändern, es sei denn, die menschliche Natur ändert sich selbst.

Ich würde es vorziehen, jede öffentliche Diskussion zu vermeiden, besonders wenn sie irgendwo die Politik berührt. Gandhis Theorien sind wie andere mentale Theorien auf einer Grundlage einseitiger Argumentation aufgebaut und beanspruchen Universalität für eine begrenzte Wahrheit (der Nicht-Gewalt und des passiven Widerstandes), die ihr nicht innewohnen kann. Solche Theorien wird es immer geben, solange das Mental das hauptsächliche Instrument der menschlichen Wahrheitssuche ist. Energie darauf zu verschwenden, diese Theorien zu widerlegen, ist von geringem Nutzen – sobald man sie widerlegt, werden sie von anderen ersetzt, die ebenso begrenzt und einseitig sind.

Imperialismus ist nichts Neues – er ist so alt wie das menschliche Vital; es gab niemals eine Zeit in der menschlichen Geschichte, in der er nicht bestand. Ihn zu überwinden heißt, die menschliche Natur zu verändern oder sie zumindest durch eine höhere Macht zu zügeln. Unsere Arbeit besteht nicht darin, diese Dinge zu bekämpfen, sondern eine höhere Natur und eine Wahrheitsschöpfung herabzubringen, die das spirituelle Licht und die spirituelle Macht zur Hauptkraft im Erdendasein machen werden.

Es ist eine Wahrheit in ahimsa, es ist auch eine Wahrheit in der Vernichtung. Ich sage nicht, dass du als spirituelles dharma jeden Tag jemanden töten sollst. Ich sage, dass Vernichtung erlaubt ist, wenn sie ein Teil der göttlichen und vom Göttlichen befohlenen Arbeit ist. In der Regel ist Nicht-Gewalt (non-violence) besser als Gewalt, dennoch kann Gewalt manchmal das Richtige sein. Ich betrachte das dharma als etwas Relatives – die Einheit mit dem Göttlichen und das Wirken durch den Göttlichen Willen hingegen als den höchsten Weg. Buddha hatte nicht das Wirken in der Welt zum Ziel, sondern eine Abkehr vom Weltendasein. Hierfür fand er den achtfachen Pfad, eine notwendige vorbereitende Disziplin, die er verkündete.

Ahimsa hat nichts mit Yoga zu tun, sondern mit dem Pfad zur Befreiung, der auf den Buddha zurückgeht. Es gibt viele Pfade, und nicht alle müssen das gleiche lehren.

(Vivesektion) Ich spüre den Wunsch, mich aus der Arena zu schleichen oder aber mich in die übliche rettende Formel zu flüchten „beide Seiten haben viel für sich“. Deine Ansicht ist vom gesunden Menschenverstand her betrachtet oder von dem, was man den „menschlichen“ Standpunkt nennen könnte, zweifellos richtig. Krishnaprem dagegen ist der Ansicht, dass wir nicht nur das berücksichtigen dürfen, was vorübergehend für die Menschheit gut ist, sondern auch gewisse innere Gesetze beachten müssen. Er glaubt, dass das Unrecht, die Gewalttätigkeit oder Grausamkeit anderen Wesen gegenüber flicht durch eine physische Wohltat für einen Teil der Menschheit oder selbst für die Menschheit als Ganzes gerechtfertigt wird und auch nicht gerechtfertigt werden kann; seiner Ansicht nach rufen solche Methoden eine Art karmische Reaktion hervor, abgesehen von dem moralischen Schaden, den diejenigen nehmen, die diese Dinge tun. Er ist ebenfalls der Meinung, dass Krankheit eine seelische Ursache hat, also eine subjektive, und dass man sich viel eher darauf konzentrieren sollte, die inneren Ursachen zu heilen, als durch physische Mittel ein Flickwerk zu schaffen. Ich anerkenne voll das seelische Gesetz und seine Methoden sowie ihren Vorzug, doch ist die gewöhnliche Masse der Menschheit für dieses Gesetz noch nicht bereit, und solange dies nicht der Fall ist, wird es die Ärzte mit ihren physischen Methoden geben. Ich habe auch gerechtfertigter Gewalt bei gerechtfertigten Gelegenheiten zugestimmt, zum Beispiel Kurukshetra oder dem Krieg gegen Hitler und allem, was er bedeutet. Bleibt also die Frage offen, ob von einem mittleren Standpunkt aus diese Art von Gewalt gerechtfertigt ist und ob der Anlass gerechtfertigt ist. Ich drücke mich.

Zerstörung als solche ist weder gut noch schlecht. Sie ist eine Tatsache der Natur, eine Notwendigkeit im Spiel der Kräfte, so wie die Dinge in der Welt sind. Licht zerstört sowohl die Finsternis als auch die Mächte der Finsternis und das kann man nicht eine Bewegung der Unwissenheit nennen.

Alles hängt von dem Charakter der Zerstörung und den Kräften ab, die in ihr wirken. – Alle Furcht vor Feuer oder anderen gewalttätigen Kräften sollte überwunden werden, denn Furcht weist auf eine Schwäche hin – der freie Spirit dagegen steht furchtlos selbst vor den machtvollsten Kräften der Natur.

Warum sollten Erdbeben durch eine falsche Bewegung im Menschen verursacht werden? Erdbeben gab es, als der Mensch noch nicht existierte. Und wenn er durch Gift, Gas oder anderswie ausgelöscht würde, würde es sie dann nicht mehr geben? Erdbeben sind Störungen in der Natur, verursacht durch einen Druck von Kräften. Eine Häufigkeit von Erdbeben kann mit gewaltsamen Umwälzungen im menschlichen Leben zusammentreffen, und sowohl die Umwälzungen auf der Erde als auch die im menschlichen Leben sind Ergebnisse eines allgemeinen Zusammenpralls oder Druckes von Kräften – das eine ist aber nicht die Ursache des anderen.

Dieses Fasten ist sehr töricht – als ob es irgendetwas ändern könnte. Fasten kann bestenfalls den eigenen Zustand beeinflussen, doch auf welche Weise soll es die Taten der anderen wiedergutmachen oder ihre Natur verändern?

Es ist eine Welt, die sich aus der Unbewusstheit erhoben hat, und Dinge (wie Armut und Elend) sind das Ergebnis des unvollständigen Wirkens des menschlichen Mentals, das, nachdem es in: das unwissende Leben und die unwissende Materie hineingeboren ist, durch Bemühung und Erfahrung lernen muss. Erst müssen wir aus der Unwissenheit und dem Ego herauswachsen, bevor eine wahre Nutzung der Hilfskräfte der Natur stattfinden kann.

5. Zeitgefühl

Die Idee der Zeit mag eine mentale Konstruktion sein, das Gefühl für die Zeit jedoch sicher nicht. Die Wilden haben zwar eine Vorstellung von der Zeit, aber in Verbindung mit der Sonne und den Sternen, mit Tag und Nacht und den Jahreszeiten; vielleicht ist dies keine für sich bestehende mentale Konstruktion – man darf sich dessen jedoch nicht zu sicher sein, denn sie haben ihre eigenen metaphysischen Auffassungen. Tiere, glaube ich, sind in ihrem Bewusstsein nicht so begrenzt – sie haben nicht nur Gefühle, sondern eine scharfe Erinnerung an gewisse Dinge, eine Beobachtungsgabe, klare Assoziationen und eine planende Intelligenz, sie haben ein sehr genaues Gefühl für einen Ort sowie die Erinnerungen an diesen Ort, eine anfängliche Fähigkeit des Folgerns (nicht reflektiv wie die des menschlichen Mentals, sondern praktisch wie die eines vitalen Mentals). Ich habe eine junge Katze gesehen, die etwas beobachtete, dann zu einer richtigen Schlussfolgerung kam und tat, was für ihren Zweck notwendig war, eine Notwendigkeit, die sich aus dieser Schlussfolgerung ergab – genauso hätte sich ein Menschenkind verhalten können. Wir dürfen daher nicht sagen, dass Tiere keine Vorstellung von der Zeit hätten. Vielleicht kein klares Verhältnis zu gestern und morgen, doch ist die Wahrnehmung von vergangenen und künftigen Erfordernissen vorhanden sowie die der rechten Zeit und Jahreszeit – alles vital, praktisch und nicht mental-reflektiv wie beim Menschen.

(Zeitgefühl in Tieren) Ein sehr intensives Zeitgefühl – zumindest bei einigen von ihnen – es arbeitet aber meist nur in Verbindung mit starken Wünschen oder Gewohnheiten, zum Beispiel der Nahrungsaufnahme usw..

Zweifellos gehört das physisch geordnete Zeitbewusstsein dem Wachzustand an, es kann aber sowohl von unterschwelliger Art sein als auch dem mentalen Wachbewusstsein angehören. Wenn man sich zum Beispiel am Abend vornimmt zu einer bestimmten Zeit am Morgen aufzuwachen, dann geschieht das tatsächlich – etwas im unterschwelligen Wesen hat die Zeit aufgezeichnet und aufmerksam [den Wunsch aufzuwachen] ausgeführt.

Es ist die Veränderung des Bewusstseins. Wenn man das innere Wesen zu fühlen beginnt und in ihm lebt (das Ergebnis der Erfahrung von Frieden und Stille), verschwindet der gewöhnliche Zeitsinn oder wird rein äußerlich.

Für die Intuition ist Zeit eine Ausdehnung des Bewusstseins, in der die Geschehnisse sich ordnen – sie hat nicht die gleiche Starrheit, die sie für den Intellekt besitzt.

Du hast recht, die Gegenwart ist eine Schablone oder lediglich eine unaufhörliche Bewegung aus der Vergangenheit in die Zukunft.

6. Größe

Mit Größe ist eine außergewöhnliche Befähigung der einen oder anderen Art gemeint, durch die ein Mensch unter seinen Mitmenschen hervorragt.

Diese Art von Größe hat nichts mit der Seele zu tun. Es ist eine besondere mentale Befähigung (wie zum Beispiel bei Raman und Tagore) oder eine große vitale Kraft, welche die Menschen befähigt zu führen und zu herrschen. Diese Fähigkeiten werden oft, jedoch nicht immer, von etwas Göttlichem oder Asurischem in der Persönlichkeit begleitet, das ihre Tätigkeit unterstützt und auf die Menschen, unabhängig von einer besonderen Befähigung, einen Eindruck von Größe ausübt – das Gefühl einer großen Persönlichkeit.

Die Menschen versuchen jetzt zu beweisen, dass bedeutende Männer in Wirklichkeit nicht bedeutend waren – und das ist ein sehr großer Fehler. Wenn die Größe eines Menschen nicht mehr geachtet wird, wird die Welt gemein, klein, dumpf, eng und tamasisch werden.

Äußere Größe ist nicht das Ziel im Yoga. Dies ist jedoch kein Grund, warum man nicht die Rolle, welche menschliche Größe in der Ordnung des Universums spielt, anerkennen sollte, oder die Rolle von großen Tatmenschen, von Dichtern und Künstlern usw.

Es ist die Macht in ihnen (in den bedeutenden Menschen), die groß ist, und diese Macht kommt vom Göttlichen – ihre Taten und ihre Größe helfen der Welt und tragen dazu bei, das kosmische Ziel zu erreichen. Es spielt keine Rolle, ob sie ein Ego haben oder nicht – sie üben keinen Yoga aus.

Von Napoléon kann man sicher nicht sagen, dass er ein nur kleines Ego besaß – er war vielmehr außerordentlich egozentrisch. Er hatte ich zum Diktator erhoben und hätte immer als Diktator handeln müssen; als er jedoch einer Unterstützung bedurfte, beging er den Fehler, sich demokratischer Mittel zu bedienen – ein Weg, für den er gänzlich ungeeignet war. Er hatte die Fähigkeit eines Herrschers, nicht aber eines Politikers – als Politiker wäre er ein völliger Versager gewesen. Sein Zaudern wurde durch diesen Mangel verursacht – wenn es überhaupt ein Mangel genannt werden kann. Er hätte mit Parteien und einer Parlamentsversammlung nicht erfolgreich umgehen können.

Warum sollte dem Göttlichen an äußerer Größe nichts liegen? Es liegt ihm an allem im Universum. Alle Größe ist die vibhuti des Göttlichen, sagt die Gita.

Nicht nur die sehr, sehr großen Menschen sind dem Göttlichen wichtig. Jede Energie, jede starke Befähigung, jede Macht der Durchführung ist wichtig.

Was Napoleon, Cäsar und Shakespeare anbelangt, so war nicht einer von ihnen ein tugendhafter Mann, doch waren sie bedeutende Menschen; du behauptest jedoch, dass nur tugendhafte Menschen große Menschen seien und dass jene, die Laster haben, nicht bedeutend sein könnten – was eine absurde Behauptung ist. Und jeder von ihnen lief den Frauen nach – zwei von ihnen waren ehrgeizig und gewissenlos, Napoleon war höchst arrogant und gewalttätig.

Shakespeare war ein Wilddieb, Napoleon log wie sonst was und Cäsar war skrupellos.

Bist du tatsächlich in der Lage zu beurteilen, was der Göttlichen Arbeit hilft und was nicht? Du scheinst recht elementare Vorstellungen von diesen Dingen zu haben. Was stellst du dir unter Vergöttlichung vor – ein tugendhafter Mensch zu sein, ein guter Gatte, Sohn oder Vater, ein guter Bürger usw.? In diesem Fall muss auch ich ungöttlich sein, denn ich war nichts von alledem. Menschen wie X oder Y wären hingegen große, umgewandelte Menschen.

Glaubst du tatsächlich, dass Menschen wie Napoleon, Cäsar oder Shakespeare keine großen Menschen waren und nichts für die Welt oder das kosmische Ziel taten? Dass Gott sich abschrecken ließ, sie für seine Zwecke zu benutzen, weil sie Charakterschwächen und Laster hatten? Welch absurde Idee!

Warum sollte sich das Göttliche um die Laster bedeutender Männer kümmern? Ist es ein Polizist? Solange man in seiner gewöhnlichen Natur lebt, hat man Fähigkeiten und Fehler, Tugenden und Laster. Wenn man darüber hinausgelangt ist, gibt es keine Tugenden und Laster mehr, denn diese Dinge gehören nicht zur Göttlichen Natur.

Laster und Tugenden haben nichts mit Finsternis oder Licht, mit Wahrheit oder Falschheit zu tun. Der spirituelle Mensch lässt Laster und Tugend hinter sich, jedoch nicht die Wahrheit und das Licht – außer du meinst die menschliche Wahrheit und das mentale Licht. Diese muss man überschreiten, genau wie man Tugend und Laster überschreiten muss.

Laster sind lediglich ein Überfließen von Energie in nicht regulierte Kanäle.

Bedeutende Menschen besitzen mehr Energie (mentale, vitale, physische, alle Arten von Energie); Energie aber zeigt sich sowohl in dem, was die Menschen Laster als auch in dem, was sie Tugenden nennen.

Menschen mit großen Fähigkeiten oder einem machtvollen Mental oder Vital haben viel häufiger offenkundige Charakterfehler als gewöhnliche Menschen – zumindest zeigen sich die Fehler der letzteren nicht so deutlich, da sogar diese ein kleineres Ausmaß haben.

Ja natürlich, viele bedeutende Menschen haben oft sehr große Laster, sogar viele. Bedeutende Männer haben meist keinen vorbildlichen Charakter.

Ehrgeiz ist Ehrgeiz, ob er groß und auffallend oder klein ist; die meisten Menschen brauchen ihn für eine energische Tat. Worin besteht der Sinn, eine Sache ein Laster zu nennen, wenn sie minderwertig, und sie zu verherrlichen, wenn sie bedeutend ist?

Wenn die Eitelkeit groß ist, arbeitet sie gewöhnlich auf diese Weise. Der Mensch fühlt in allem, was er tut, die Energie und hält sie für eine hohe Fertigkeit. Das ist ein allgemeiner Irrtum. Die hohe Fertigkeit besteht nur auf einem oder zwei Gebieten.

Die meisten bedeutenden Menschen wissen ganz genau, dass sie bedeutend sind.

7. Pflanzen und Tiere

(Das Streben der Tiere) Es besteht hauptsächlich in der Befriedigung ihrer Gefühle und Begierden und ihrer körperlichen Erfordernisse. Die Tiere sind überwiegend die vitale Schöpfung auf Erden – auch das Mental in ihnen ist ein vitales Mental – sie handeln dem Trieb ihrer Kräfte entsprechend und haben einen vitalen, aber keinen mentalen Willen.

Sogar das Tier fühlt mehr als der Mensch eine gewisse Harmonie in den Dingen. Des Menschen einzige Überlegenheit besteht in einem komplexeren Bewusstsein, einer komplexeren Auffassungsgabe (durch Missbrauch des Mentals jedoch schrecklich entstellt und verbogen) und in der Fähigkeit, höhere Dinge zu erreichen (von der er bislang noch nicht viel Gebrauch gemacht hat).

Menschliches Leben und Mental sind weder in Übereinstimmung mit der Natur, wie das bei den Tieren der Fall ist, noch mit dem Spirit – sie sind gestört, inkonsequent und in Widerstreit mit sich, ohne Harmonie und Ausgeglichenheit. Wir können sie daher als krank bezeichnen, wenn nicht überhaupt als eine Krankheit.

Pflanzen sind sehr seelenvoll, können es aber nur durch Schweigen und Schönheit ausdrücken.

(Die Schönheit der Pflanzen) Form, Farbe, Duft und etwas anderes, was undefinierbar ist.

Nicht allein die Rose ist schön – Hunderte von anderen Blumen sind es auch – die meisten Blumen sind schön.

Es gibt Abstufungen und verschiedene Arten von Schönheit, das ist alles.

Die Rose gehört zu den schönsten Blumen wegen des Reichtums ihrer Farben, der intensiven Süße ihres Duftes und der Anmut und Pracht ihrer Form.

Es ist richtig, die Pflanzenwelt und sogar die Welt der Tiere ist, wenn man sie richtig betrachtet, viel besser als die der menschlichen Wesen. Es ist die mentale Verzerrung, die die Menschen schlimmer macht.

Ja, es ist ein einfacheres und ehrlicheres Bewusstsein – das des Tiers. Natürlich erwartet es etwas, doch auch wenn es dies nicht erhält, bleibt die Liebe bestehen. Viele Tiere, selbst wenn sie schlecht behandelt werden, bewahren ihre Liebe, was auf eine bemerkenswerte seelische Entwicklung im Vital hinweist.

Das emotionale Wesen der Tiere ist häufig seelischer als das der Menschen, die sehr gefühllos sein können. Kürzlich sah ich Bilder eines zahmen Tigers, der zuerst bei einer Familie lebte, die ihn später einem Zoo übergab. Der Ausdruck des Leids in dem Gesicht des Tigers in seinem Käfig, sanft und gleichzeitig tragisch-schmerzlich, war herzzerbrechend.

Die meisten Tiere greifen gewöhnlich nicht an, es sei denn, sie werden bedroht, erschreckt oder irgendwie verärgert – sie können die Schwingung der Menschen spüren.

Katzen haben eine sehr sichere vitale Wahrnehmung.

Es gibt Menschen, die die Ohren bewegen können, ohne den Yoga auszuüben oder sich auf die Hilfe der Kundalini zu verlassen. Ich vermute, es ist einfach eine Bewegung, die der Mensch durch Nicht-Gebrauch verloren hat, da er nicht wie die Tiere jeden Augenblick auf die Geräusche, die eine Gefahr anzeigen, lauschen musste. Ich vermute, er könnte die Fähigkeit wiederbeleben, wenn sie irgendeinen Nutzen hätte.

(Die Verantwortung für Leiden) Warum nur bezüglich des Menschen? Was ist mit den Tieren? Auch sie leiden. Du kannst sagen, dass Leiden eine Entstellung des niedrigeren Bewusstseins ist, du kannst aber den Menschen oder die menschliche Natur nicht allein dafür verantwortlich machen.

Ja, Tiere mit der rechten Erkenntnis ihres Bewusstseins zu beobachten, trägt dazu bei, aus der menschlich-mentalen Begrenzung herauszukommen und zu sehen, wie das kosmische Bewusstsein auf Erden sich in allen Formen individualisiert – in Pflanze, Tier, Mensch – und wie es dem entgegenwächst, was jenseits des Menschen ist.

8. Humor

Es ist mir nicht bekannt, dass hochentwickelte Persönlichkeiten keinen Sinn für Humor hätten – von einem Menschen, dem dieser Sinn fehlt, kann wohl schwerlich behauptet werden, dass er vollständig sei. Das Wort „Lockerheit“ wird für eine frivole, substanzlose Leichtfertigkeit angewandt. Es gibt kein Gesetz, dass Weisheit etwas streng Erhabenes ist und kein Lächeln kennt. Sinn für Humor? Er ist das Salz des Lebens. Ohne ihn wäre die Welt schon seit langem aus dem Lot geraten – sie ist bereits zur Genüge aus dem Gleichgewicht und in den Händen des Teufels.

Die Menschen sind übermäßig einfältig, können aber vermutlich nichts dafür. Je mehr ich von der Menschheit sehe, desto mehr drängt dieser Gedanke sich mir auf. Es sind Abgründe von Einfalt, zu denen ihr Mental fähig ist…

Ja, ich bin der Meinung, dass Allah groß ist und groß das Geheimnis des Universums, und dass die Dinge nicht so sind wie sie erscheinen usw. usw..

1 Daimonion – im ursprünglichen Sinn die Bezeichnung des Göttlichen im Menschen. Der Duden schreibt dazu: „Die warnende innere Stimme der Gottheit bei Sokrates.“ Anmerkung des Übersetzers.

2 Scherzhafte Bezeichnung für den Teufel in der englischen Sprache. Anmerkung des Übersetzers.

3 Absurd deshalb, weil die Größe eines Yogi ganz und gar nicht von der Dauer seines Lebens oder seinem Gesundheitszustand abhängt, sondern von der Höhe oder Tiefe seiner spirituellen Verwirklichung und Erfahrung.

4 Geklärte Butter, die im indischen Opfer verwendet wird.

Teil 2

DIE SADHANA

„Die Macht, die in diesem Yoga wirkt, ist von kompromissloser Art und duldet am Ende nichts Großes und nichts Kleines, wenn es der Wahrheit und ihrer Verwirklichung im Wege steht.“

— Sri Aurobindo

1. Kapitel

Das Ziel des Integralen Yoga

Das Ziel des Yoga ist, in die Göttliche Gegenwart, in das Göttliche Bewusstsein einzutreten und davon erfüllt zu sein, das Göttliche allein um des Göttlichen willen zu lieben, in unserer Natur auf die Natur des Göttlichen abgestimmt und in unserem Willen, unseren Werken und unserem Leben das Instrument des Göttlichen zu sein. Es ist nicht das Ziel des Yoga, ein großer Yogi oder ein Übermensch zu werden (obwohl dies möglich ist) oder sich an das Göttliche um des Egos, des Stolzes oder des Vergnügens willen zu klammern. Nicht moksa [ist das Ziel des Yoga], obwohl durch sie die Befreiung und alles Übrige kommen kann – all dies darf nicht unser Ziel sein. Das Göttliche allein ist unser Ziel.

Diesen Yoga aufzunehmen mit der Idee, ein Übermensch zu werden, wäre ein Akt von vitalem Egoismus, der sein eigenes Ziel zunichte machen würde. Diejenigen, die dieses Ziel in den Vordergrund ihrer Bemühung stellen, geraten unweigerlich in Schwierigkeiten, spirituell oder auf andere Weise. Das Ziel dieses Yoga ist erstens, in das göttliche Bewusstsein einzutreten, indem man sein trennendes Ego damit verschmilzt (hierdurch findet man sein wahres individuelles Selbst, das nicht das begrenzte, eitle und selbstsüchtige menschliche Ego ist, sondern ein Teil des Göttlichen), und zweitens, das supramentale Bewusstsein auf die Erde herabzubringen, um Mental, Leben und Körper umzuwandeln. Alles Übrige kann sich nur aus diesen beiden Zielen ergeben und darf nicht das oberste Ziel des Yoga sein.

Du musst gewisse falsche Vorstellungen, die du über den Yoga zu haben scheinst, ablegen, denn diese sind gefährlich und sollten von jedem Sadhak gemieden werden.

1. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, wie Sri Aurobindo oder die Mutter zu werden. Diejenigen, die diese Vorstellung hegen, können sich weiterhin sehr leicht einbilden, sie wären ihnen ebenbürtig oder könnten gar größer werden als sie. Doch hierdurch wird nur das Ego genährt.

2. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, Macht zu erlangen oder machtvoller als andere zu sein, große Verwirklichungen, siddhis, zu haben oder große, wunderbare oder übernatürliche Dinge zu tun.

3. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, ein großer Yogi oder Übermensch zu sein. Das ist eine egoistische Art, den Yoga zu betrachten, und kann zu nichts Gutem führen; meide dies ganz und gar.

4. Über das Supramental zu sprechen und daran zu denken, es in dich herabzubringen, ist das gefährlichste von allem. Es kann zu gänzlichem Größenwahn und Gleichgewichtsverlust führen. Wonach der Sadhak trachten muss, ist die volle Öffnung gegenüber dem Göttlichen, die seelische Wandlung seines Bewusstseins, die spirituelle Wandlung. Die unerlässlichen Voraussetzungen dieser Bewusstseinswandlung sind Selbstlosigkeit, Wunschlosigkeit, Demut, bhakti, Hingabe, Ruhe, Ausgeglichenheit und ruhige Wahrhaftigkeit. Daran zu denken supramental zu sein, bevor man die seelische und spirituelle Wandlung erlangt hat, ist eine Absurdität, und zwar eine arrogante Absurdität.

Alle diese egoistischen Vorstellungen können, sofern man sich ihnen hingibt, das Ego vergrößern, die Sadhana verderben und zu ernsthaften spirituellen Gefahren führen. Sie sollten insgesamt zurückgewiesen werden.

Natürlich kannst du den Yoga ausüben, ohne ein großer Mensch zu sein. Es besteht keine Notwendigkeit von Größe. Im Gegenteil, Demut ist das erste Erfordernis, denn einer, der voller Ego und Stolz ist, kann das Höchste nicht verwirklichen.

Was das Buch anbelangt, so muss ich bemerken, dass ich leider die Telugusprache nicht beherrsche und das Original nicht lesen kann, mir jedoch aus der englischen Zusammenfassung eine Meinung über den Inhalt gebildet habe. Ich vermute, dass es im wesentlichen eine Darlegung und Rechtfertigung des Purna-Yoga und meiner Botschaft ist; ich glaube, dass du die beiden hauptsächlichen Elemente richtig erfasst hast – erstens die Welt als Manifestation der Göttlichen Macht zu bejahen und sie nicht als Irrtum oder Illusion zurückzuweisen; und zweitens diese Manifestation als eine spirituelle Evolution zu betrachten und den Yoga als Mittel zur Umwandlung von Mental, Leben und Körper in Instrumente für eine spirituelle und supramentale Vollendung. Das Universum ist nicht nur eine stoffliche, sondern auch eine spirituelle Tatsache, das Leben ist nicht nur ein Spiel von Kräften oder eine mentale Erfahrung, sondern auch ein Bereich für die Evolution des verborgenen Spirits. Das menschliche Leben wird seine Erfüllung und Umwandlung in etwas jenseits seiner erst dann erfahren, wenn diese Wahrheit erkannt und zur bewegenden Kraft unseres Daseins gemacht wurde und man das Mittel für ihre erfolgreiche Verwirklichung entdeckt hat. Dieses Mittel der Verwirklichung kann im integralen Yoga gefunden werden; es besteht aus einer Einung aller unserer Wesensteile mit dem Göttlichen und der sich daraus ergebenden Verwandlung aller ihrer noch hemmenden Elemente in die Harmonie eines höheren göttlichen Bewusstseins und Daseins.

Der Weg des Yoga, dem man hier folgt, unterscheidet sich von anderen Yogawegen in seinen Zielen; sein Ziel ist nicht, sich aus dem gewöhnlichen unwissenden Weltbewusstsein in das göttliche Bewusstsein zu erheben, sondern die supramentale Macht jenes göttlichen Bewusstseins in die Unwissenheit von Mental, Leben und Körper herabzubringen, sie umzuwandeln, das Göttliche hier zu manifestieren und ein göttliches Leben in der Materie zu schaffen. Dies ist ein übermäßig schwieriges Ziel und ein übermäßig schwieriger Yoga; vielen oder den meisten wird er unmöglich erscheinen. Alle eingewurzelten Kräfte des gewöhnlichen, unwissenden Weltbewusstseins widersetzen sich ihm, verneinen ihn und versuchen, ihn zu verhindern, und der Sadhak selbst wird sein eigenes Mental, sein Leben und seinen Körper voll der hartnäckigsten Hemmnisse gegen die Verwirklichung dieses Yoga finden. Wenn du das Ideal mit ganzem Herzen annehmen, allen Schwierigkeiten begegnen, die Vergangenheit mit ihren Bindungen hinter dir lassen kannst, wenn du bereit bist, alles aufzugeben und alles für diese göttliche Möglichkeit einzusetzen, allein dann kannst du hoffen, die Wahrheit dahinter durch die Erfahrung zu entdecken.

Die Sadhana dieses Yoga geht nicht durch eine festgelegte mentale Lehre vonstatten oder durch vorgeschriebene Formen der Meditation, durch mantra oder andere Dinge, sondern durch Streben, durch nach innen oder oben gerichtete Konzentration, durch das Sich-Öffnen für einen Einfluss, für die Göttliche Macht über uns und ihr Wirken, für die Göttliche Gegenwart im Herzen und durch die Zurückweisung all dessen, was diesen Dingen fremd ist. Und allein durch Glauben, Streben und Hingabe kann dieses Sich-Öffnen erfolgen.

Du hast offensichtlich einen Ruf und magst für den Yoga geeignet sein; doch es gibt verschiedene Pfade und jeder hat ein anderes Ziel und Ergebnis. Allen Pfaden ist gemeinsam, die Begierden zu überwinden, die gewöhnlichen Bindungen des Lebens abzustreifen und aus der Ungewissheit in eine immerwährende Gewissheit einzutreten. Man kann auch versuchen, Traum und Schlaf, Durst und Hunger zu überwinden usw., doch gehört es nicht zu meinem Yoga, mit der Welt oder dem Leben nichts zu tun zu haben, die Sinne abzutöten oder ihre Tätigkeit völlig zu unterbinden. Das Ziel meines Yoga ist vielmehr, das Leben umzuwandeln und es mit dem Licht, der Macht und der Seligkeit der göttlichen Wahrheit und ihren dynamischen Gewissheiten zu erfüllen. Dies ist nicht der Yoga eines weltverneinenden Asketizismus, sondern der eines göttlichen Lebens. Dein Ziel hingegen kann allein dann erreicht werden, wenn du in den samadhi-Zustand eintrittst und dich in ihm von aller Bindung an das Weltendasein löst.

Es ist nicht unerlässlich, ein Asket zu sein – es genügt, wenn man lernen kann, innerlich, im inneren Wesen statt an der Oberfläche zu leben und die Seele oder wahre Individualität zu entdecken, die durch das Oberflächenmental und die Lebenskräfte verhüllt ist, wenn man lernt, das Wesen für die über-bewusste Wirklichkeit zu öffnen. Dies aber ist nur dann möglich, wenn man in seinem Bemühen völlig wahrhaft und eines Sinnes ist. Was die zweite Frage anbelangt, nämlich die Verbreitung der Botschaft Sri Aurobindos, so hängt dies von der Befähigung ab, sich einem schwierigen Yoga zu unterziehen, oder von dem Ruf, sich diesem Ideal zu weihen, ohne von den Forderungen des Egos oder der vitalen Begierden berührt zu werden; sonst wäre es besser, sich nicht damit zu befassen.

Ja, solange nicht die äußere Natur gewandelt ist, kann man sich so hoch wie möglich erheben und die größten Erfahrungen haben, doch bleibt das äußere Mental ein Instrument der Unwissenheit.

Es ist immer möglich, bestimmte Verwirklichungen auf der mental-spirituellen Ebene zu haben, auch wenn das Vital noch ungeläutert ist. Es gibt eine Art Trennung zwischen dem mentalen Purusha und der Prakriti, die ein Wissen zur Folge hat, das keine verwandelnde Auswirkung auf das Leben besitzt. Die Theorie dieser Yogis aber ist, dass man das Selbst zu erkennen habe – das Leben hingegen und was man im Leben tut spielt keine Rolle. Kennst du nicht die Geschichte von dem Yogi, der mit seiner Konkubine zu Ramakrishna kam? Dieser fragte ihn: „Warum lebst du auf solche Weise?“ Der Yogi antwortete: „Alles ist Maya, daher ist es gleichgültig, was ich tue, wenn ich nur Brahman erkenne.“ Und Ramakrishna soll tatsächlich geantwortet haben: „Dann pfeife ich auf deinen Vedanta.“ Logisch betrachtet hatte der Yogi jedoch recht, denn wenn alles Leben und Treiben Maya ist und allein das schweigende Brahman Wirklichkeit – nun denn!

Im Brahman-Zustand fühlt man das Selbst unberührt und rein, doch bleibt die menschliche Natur unvollkommen. Der gewöhnliche sannyasin kümmert sich nicht darum, denn es ist nicht sein Ziel, die Natur zu vervollkommnen, sondern sich von ihr zu lösen. Friede ist eine notwendige Grundlage, doch genügt der Friede nicht. Friede, wenn er stark und andauernd ist, kann das innere Wesen befreien, das zu einem ruhigen und unbewegten Betrachter der äußeren Bewegungen wird. Das ist die Befreiung des sannyasin. Manchmal erlöst er auch das äußere Wesen, indem er die alte Natur in das umhüllende Bewusstsein drängt, doch ist selbst dies eine Befreiung und keine Umwandlung.

Sie (die alten Yogasysteme) hatten die Verwirklichung zum Ziel und kümmerten sich nicht um die Vergöttlichung, mit Ausnahme der tantrischen und einiger anderer Systeme. Doch selbst deren Ziel war es eher, zu Heiligen und Vollendeten, siddhas, zu werden als irgend etwas anderes.

Die Ebene macht einen beträchtlichen Unterschied aus, was die Macht, den Glanz und die Vollständigkeit der Erfahrung anbelangt. Eine mentale Verwirklichung ist sehr verschieden von einer obermentalen oder supramentalen, obwohl die verwirklichte Wahrheit die gleiche sein kann. Die Materie als Brahman zu erkennen hat ebenfalls ein ganz anderes Ergebnis als Leben, Mental, Supramental oder den Ananda als Brahman zu erkennen. Wenn die Verwirklichung des Göttlichen durch das Mental dasselbe wäre wie seine Verwirklichung auf den höheren Ebenen, hätte dieser Yoga keinerlei Sinn; es würde keine Notwendigkeit bestehen, sich zum Supramental zu erheben oder das Supramental herabzubringen.

Sich in voller Einung mit dem Göttlichen zu befinden ist das endgültige Ziel. Sobald man eine Art immerwährender Einung erreicht hat, kann man ein Yogi genannt werden, doch muss es eine vollständige Einung sein. Es gibt Yogis, die nur die Einung auf der spirituellen Ebene erreicht haben, andere haben sie im Mental und Herzen erreicht, wieder andere im Vital. In unserem Yoga ist das Ziel, auch im physischen Bewusstsein und auf der supramentalen Ebene die Einung zu erreichen.

Doch warum hätten sie (die Yogis der traditionellen Pfade) irgendeinen Druck (der Herabkunft des Supramentals) fühlen sollen, wenn sie mit der erreichten Verwirklichung zufrieden sind? Sie leben im spirituellen Mental, und es liegt in der Natur des Mentals zu trennen – in diesem Fall, einen hohen Aspekt oder Zustand des Göttlichen abzusondern und diesen unter Ausschließung von allem Übrigen zu suchen. Alle spirituellen Philosophien lind Yogasysteme tun dies. Wenn sie sich zum Jenseits erheben, dann zum Absoluten – und das Mental kann das Absolute nicht erfassen, außer als etwas Unfassbares, neti, neti. Im übrigen konzentrieren sie sich, wenn sie in den samadhi-Zustand eintreten, auf eine einzige Idee, und sie erreichen das, was diese Idee darstellt. Der samadhi-Zustand ist seinem Wesen nach eine ausschließliche Konzentration hierauf. Warum hätte er sie daher für etwas anderes öffnen sollen? Nur wenige sind genügend plastisch, um dieser Selbstbegrenzung der Sadhana zu entgehen; ihre Erfahrung besteht darin, dass es kein Ende der Verwirklichung gibt, und sobald du einen Gipfel erreicht hast, erkennst du dahinter einen anderen. Um über diese Erkenntnis hinauszugelangen, muss man eine bewusste, wache Fühlung mit dem Supramental aufnehmen oder zumindest einen flüchtigen Blick von ihm erlangen – und das bedeutet, das spirituelle Mental zu überschreiten.

Es ist das eigentliche Prinzip dieses Yoga, dass allein durch die Supramentalisierung des Bewusstseins die letzte Umwandlung stattfinden kann, und dies bedeutet das Aufsteigen über das Mental zum Supramental und die Herabkunft des Supramentals in die menschliche Natur. Wenn sich also niemand über das Mental zum Supramental erheben oder die Herabkunft des Supramentals empfangen kann, dann wird dieser Yoga, logisch betrachtet, unmöglich. Jedes Wesen ist mit dem Göttlichen essentiell eins und in seinem individuellen Sein ein Teil des Göttlichen, daher gibt es keine unübersteigbare Schranke für seine Supramentalisierung. Zweifellos ist es für die menschliche Natur, deren Grundlage mental ist, unmöglich, die Unwissenheit zu überwinden und durch die eigene selbständige Bemühung sich zur Herabkunft des Supramentals zu erheben oder diese zu empfangen, doch durch die Hingabe an das Göttliche kann es geschehen. Man bringt es durch das eigene Bewusstsein in die Erd-Natur herab und öffnet auf diese Weise den Weg für die anderen; die Umwandlung jedoch muss in jedem einzelnen Bewusstsein wiederholt werden, damit sie individuell wirksam wird.

Das Ziel des Yoga ist, das Bewusstsein dem Göttlichen zu öffnen und mehr und mehr im inneren Bewusstsein zu leben, um von dorther auf das äußere Leben einzuwirken; ferner die innerste Seele hervortreten zu lassen und durch die Kraft der Seele das Wesen zu läutern und zu verändern, damit es für die Umwandlung bereit werde und mit dem Göttlichen Wissen, Willen und mit der Göttlichen Liebe in Einung lebe. Zweitens, das yogische Bewusstsein zu entwickeln, das heißt, das Wesen auf allen Ebenen zu universalisieren, sich des kosmischen Seins und der kosmischen Kräfte bewusst zu werden und sich auf allen Ebenen bis hinauf zum Obermental in Einung mit dem Göttlichen zu befinden. Drittens, mit dem transzendenten Göttlichen jenseits des Obermentals durch das supramentale Bewusstsein in Berührung zu kommen, das Bewusstsein und die Natur zu Supramentalisieren und sich selbst zu einem Instrument für die Verwirklichung der dynamischen Göttlichen Wahrheit und ihre umwandelnde Herabkunft in die Erdnatur zu machen.

Das Göttliche hat für uns drei Aspekte:

1. Das Kosmische Selbst, der Kosmische Spirit, der in und hinter allen Dingen und Wesen steht, von dem und in dem alles im Universum manifestiert ist – obwohl es jetzt noch eine Manifestation in der Unwissenheit ist.

2. Es ist der Spirit und Meister unseres innersten Wesens, dem zu dienen und dessen Willen in all unseren Bewegungen auszudrücken wir lernen müssen, damit wir aus der Unwissenheit in das Licht wachsen.

3. Das Göttliche ist das transzendente Wesen, der transzendente Spirit, es ist ganz Wonne und Licht, göttliches Wissen und göttliche Macht; zu jenem höchsten göttlichen Dasein und seinem Licht müssen wir uns erheben und seine Wirklichkeit mehr und mehr in unser Bewusstsein und Leben herabbringen.

In der gewöhnlichen Natur leben wir in der Unwissenheit und kennen das Göttliche nicht. Die Kräfte der gewöhnlichen Natur sind ungöttliche Kräfte, denn sie weben einen Schleier aus Ego, Begehren und Unbewusstheit, der uns das Göttliche verbirgt. Um in das höhere und tiefere Bewusstsein einzutreten, welches das Göttliche erkennt und lichthaft im Göttlichen lebt, müssen wir uns von den Kräften der niederen Natur befreien, wir müssen uns dem Wirken der Göttlichen Shakti öffnen, die unser Bewusstsein in das der Göttlichen Natur umwandeln wird.

Das ist die Auffassung des Göttlichen, von der wir auszugehen haben; die Verwirklichung seiner Wahrheit kann erst mit dem Sich-Öffnen des Bewusstseins und dessen Wandlung eintreten.

Die Unterscheidung zwischen dem Transzendenten, dem Kosmischen und dem Individuellen Göttlichen ist weder meine Erfindung noch stammt sie aus Indien oder Asien; sie ist vielmehr eine anerkannt europäische Lehre aus der esoterischen Tradition der katholischen Kirche, die durch sie die Dreieinigkeit erklärt – Vater, Sohn und Heiliger Geist –, und sie ist der europäischen mystischen Erfahrung durchaus geläufig. Es gibt sie im Grunde in allen spirituellen Disziplinen, die die Allgegenwart des Göttlichen anerkennen – in der indisch-vedantischen Erfahrung und im mohammedanischen Yoga (nicht nur bei den Sufis, sondern auch in anderen Schulen); die Mohammedaner sprechen sogar nicht nur von zwei oder drei, sondern von vielen Ebenen des Göttlichen, bevor man die höchste erreicht. Was die Vorstellung als solche anbelangt, so besteht natürlich ein Unterschied zwischen der Individualität, dem Kosmos in Raum und Zeit und dem, was diese kosmische Formel – oder jede kosmische Formel – überschreitet. Es gibt ein kosmisches Bewusstsein, das von vielen erfahren wird und sich in seinem Ausmaß und seiner Wirkungsweise gänzlich vom individuellen Bewusstsein unterscheidet, und wenn es ein Bewusstsein jenseits dieses Kosmischen gibt, unendlich und essentiell ewig und nicht nur in der Zeit bestehend, dann muss auch dieses von den anderen beiden verschieden sein. Und wenn das Göttliche diesen dreien innewohnt oder sich in ihnen manifestiert, ist es dann nicht denkbar, dass Es auch in Seinem Aspekt und in Seinem Wirken sich derart unterscheidet, dass wir gezwungen sind, von einem dreifachen Aspekt des Göttlichen zu sprechen, wenn wir nicht alle Wahrheit der Erfahrung durcheinanderbringen oder uns auf eine rein statische Erfahrung von etwas Unbestimmbaren beschränken wollen?

In der Ausübung des Yoga besteht ein großer dynamischer Unterschied hinsichtlich der Art, wie man sich mit diesen drei Möglichkeiten auseinandersetzt Wenn ich das Göttliche nur als dasjenige verwirkliche, das zwar nicht mein persönliches Selbst ist, das aber dennoch im geheimen mein ganzes persönliches Wesen bewegt und das ich hinter dem Schleier hervortreten lassen kann, oder wenn ich das Bildnis der Gottheit in mir erstehen lasse, so ist das eine Verwirklichung, wenn auch nur eine begrenzte. Wenn ich die Kosmische Gottheit verwirkliche, indem ich mein ganzes persönliches Selbst in ihr verliere, so ist dies eine sehr große Verwirklichung, doch werde ich nur ein Kanal der universalen Macht, und es gibt keine persönliche oder göttlich-individuelle Erfüllung für mich. Wenn ich zur transzendenten Verwirklichung aufsteige, verliere ich in diesem transzendenten Absoluten sowohl mich selbst als auch die Welt. Wenn ich andererseits keines dieser Dinge für sich allein will, sondern wenn es mein Ziel ist, das Göttliche zu verwirklichen und auch in der Welt zu manifestieren und zu diesem Zweck eine noch nicht-manifeste Macht herabzubringen – wie die des Supramentals –, wird eine Harmonisierung aller drei zwingend. Ich muss es herabbringen und von woher sonst soll ich es herabbringen – da es in der kosmischen Formel noch nicht manifestiert ist – als von der nicht-manifesten Transzendenz, die ich erreichen und verwirklichen muss? Ich muss es in die kosmische Formel bringen, dann das kosmische Göttliche verwirklichen und mir des kosmischen Selbstes und der kosmischen Kräfte bewusst werden. Doch ich muss es hier verkörpern, andernfalls bleibt es nur ein Einfluss und ist nicht etwas, das in der physischen Welt verankert ist; und das kann allein durch das Göttliche im einzelnen Wesen geschehen.

Dies sind die Grundlagen in der Dynamik spiritueller Erfahrung, und ich habe sie anzuerkennen, wenn eine göttliche Arbeit getan werden soll.

Das Göttliche nur mit dem Ziel zu suchen, um etwas von ihm zu erhalten, ist bestimmt nicht die richtige Einstellung; doch wenn es ganz und gar verboten wäre, Es deshalb zu suchen, fänden die meisten Menschen auf der Welt den Weg zu ihm überhaupt nicht. Daher ist es vermutlich erlaubt, damit sie einen Anfang machen; und wenn sie wirklich Glauben haben, kann es sogar sein, dass sie erhalten, worum sie bitten, und sie werden es für eine feine Sache halten und so weitermachen; und dann, eines Tages, mag ihnen vielleicht dämmern, dass dies doch nicht ganz das richtige ist, dass es bessere Wege und eine bessere Einstellung gibt, sich dem Göttlichen zu nähern. Wenn sie aber nicht erhalten, worum sie bitten und sich dennoch an das Göttliche wenden und ihm vertrauen – nun das zeigt, dass sie bereit werden. Wir müssen es als eine Art Kinderschule für die Unreifen betrachten. Doch dies hat natürlich nichts mit dem spirituellen Leben zu tun, es ist lediglich eine Art elementarer, religiöser Annäherung. Die Regel im spirituellen Leben ist zu geben, nicht zu nehmen. Der Sadhak aber kann um die Göttliche Kraft bitten, dass sie ihm helfen möge, seine Gesundheit zu bewahren oder wiederherzustellen, wenn er dies als Teil seiner Sadhana tut, damit sein Körper für das spirituelle Leben bereit und fähig und ein brauchbares Instrument für die Göttliche Arbeit werde.

Wir wollen zuerst die ziemlich merkwürdige Vorstellung ablegen, was wir täten, wenn die Einung mit dem Göttlichen ewige Freudlosigkeit, nirananda, oder Pein brächte. So etwas gibt es nicht, und dies zu behaupten, lässt nur das Ziel undeutlich werden. Das Göttliche ist Anandamaya, und man kann es um des Ananda willen suchen, den es einem gibt; doch viele andere Dinge sind ebenfalls in ihm und man kann es um jedes von ihnen suchen, um des Friedens willen, um der Befreiung willen, um des Wissens und der Macht willen, um all des Übrigen willen, dessen Sog oder Impuls man spüren mag. Es ist durchaus möglich, dass jemand sagt: „Ich will Macht vom Göttlichen, da ich Sein Werk tun und Seinen Willen ausführen will, auch wenn die Anwendung der Macht mit Leiden verbunden ist.“ Es ist möglich, dass man die Seligkeit als etwas zu Gewaltiges, zu Ekstatisches scheut und nur oder lieber um den Frieden bittet, um Befreiung, um nirvana. Du sprichst von Selbsterfüllung – man kann den Höchsten auch als das eigene höchste Selbst betrachten und nicht als das Göttliche, und die Erfüllung des eigenen Wesens in jenem höchsten Selbst suchen; doch man braucht es nicht als ein Selbst der Wonne, der Ekstase, des Ananda zu betrachten, man kann es als ein Selbst der Freiheit, der Weite, des Wissens, der Ruhe und Stärke, der Stille und Vollendung betrachten – vielleicht zu still, um die Regung von etwas so Störendem wie die Freude eintreten zu lassen. Daher ist es nicht gesagt, auch wenn man sich dem Göttlichen, um etwas zu gewinnen, nähert, dass man es allein um des Ananda oder allein um der Einung willen sucht und aus keinem anderen Grund.

Hierin ist etwas enthalten, das deine ganze Argumentation zunichte macht. Denn all dies sind Aspekte der Göttlichen Natur, ihre Mächte und Seins-Zustände, während das Göttliche selbst etwas Absolutes, in sich Bestehendes ist, durch seine Aspekte nicht begrenzt, wunderbar und unsäglich und nicht durch diese bestehend, sondern diese bestehen durch Es. Wenn es also schon durch seine Aspekte anziehend ist, dann um so mehr durch sein absolutes Selbst-Sein, das süßer, mächtiger und tiefer als jeder Aspekt ist. Sein Frieden, sein Licht, sein Entzücken, seine Freiheit und Schönheit sind wunderbar und unbeschreiblich, da es selbst auf magische, geheimnisvolle, transzendente Weise wunderbar und unbeschreiblich ist. Man kann es daher um seines herrlichen, unsäglichen Selbstes willen suchen und nicht nur um des einen oder anderen seiner Aspekte willen. Das einzige, das hierfür benötigt wird, ist, zu einem Punkt zu gelangen, an dem das seelische Wesen diesen Sog des Göttlichen in sich fühlt, und dann einen weiteren Punkt zu erreichen, an dem auch Mental, Vital und alles Übrige ebenfalls zu fühlen beginnen, dass es dies war, was ihnen fehlte, und dass die oberflächliche Jagd nach dem Ananda oder was immer es war nur als Vorwand diente, um die menschliche Natur zu jenem höchsten Magnet hinzuziehen.

Dein Argument, weil wir wüssten, dass die Einung mit dem Göttlichen den Ananda bringe, es daher der Ananda sein muss, um dessentwillen wir die Einung suchten, ist nicht wahr und stichhaltig. Einer, der eine Königin liebt, mag wohl wissen, dass die Erwiderung seiner Liebe ihm Macht, Ansehen und Reichtümer bringen wird, und dennoch liebt er sie nicht um der Macht, des Ansehens und der Reichtümer willen. Er kann sie um ihrer selbst willen lieben und würde sie genauso lieben, wenn sie keine Königin wäre; er mag keine Hoffnung auf die Erwiderung seiner Liebe haben und sie dennoch lieben, sie anbeten, für sie leben und für sie sterben, nur weil sie sie ist. Das ist oft geschehen, und Männer haben Frauen ohne Hoffnung auf Freude oder Erfolg geliebt, sie haben sie, selbst nachdem das Alter gekommen und die Schönheit vergangen war, stetig und leidenschaftlich geliebt. Patrioten lieben ihr Vaterland nicht, weil es reich, machtvoll und groß ist und ihnen viel zu geben hat; Vaterlandsliebe war am glühendsten, leidenschaftlichsten und unbedingtesten, wenn das Land arm, erniedrigt und elend war und als einzigen Lohn für erwiesenen Dienst nichts anderes zu geben hatte als Verlust, Wunden und Qual, Gefangenschaft und Tod; und dennoch lebten die Menschen dafür, obwohl sie wussten, dass sie ihr Land niemals in Freiheit sehen würden, sie haben ihm gedient und sind dafür gestorben – und zwar um seinetwegen und nicht für das, was es ihnen geben könnte. Die Menschen haben die Wahrheit um ihrer selbst willen geliebt, sie haben Armut, Verfolgung und sogar den Tod hingenommen für das, was sie in ihr suchten oder fanden – ja, sie fanden sich sogar damit ab, sie immer zu suchen, sie nicht zu finden und haben dennoch die Suche niemals aufgegeben. Was bedeutet dies? Es bedeutet, dass Menschen, Vaterland, Wahrheit und andere Dinge um ihrer selbst und nicht wegen irgend etwas anderem geliebt werden können, nicht eines Umstandes oder eines damit verbundenen Wertes oder eines Vergnügens wegen, sondern um etwas Absoluten willen, das entweder in ihnen enthalten ist oder hinter ihrer äußeren Erscheinungsform oder dem Umstand steht. Das Göttliche ist mehr als Mann oder Frau, als ein Land oder Glaubensbekenntnis, als eine Meinung, eine Entdeckung oder ein Prinzip. Es ist die Person jenseits aller Personen, die Heimat, das Vaterland aller Seelen, es ist die Wahrheit, die von allen Wahrheiten nur unvollständig dargestellt wird. Kann Es also nicht um seiner selbst willen geliebt und gesucht werden, so wie diese und andere Dinge, die, obgleich von geringerem Wesen und geringerer Natur, von Menschen geliebt und gesucht wurden?

Was deine Argumentation übersieht, ist das Absolute oder das, was auf das Absolute zielt, sowohl im Menschen und seinem Suchen als auch im Göttlichen – etwas, das durch mentales Erwägen oder ein vitales Motiv nicht erklärt werden kann. Es ist zwar ein Motiv, doch eines der Seele und nicht des vitalen Begehrens, es ist ein Grund, doch nicht des Mentals, sondern des Selbstes und Spirits. Es ist auch ein Verlangen, doch ein Verlangen, welches das der Seele innewohnende Streben ausdrückt und nicht die vitale Sehnsucht. Es ist das, was entsteht, wenn das reine Selbstgeben vorhanden ist, wenn das „ich suche dich um dieses oder jenes willen“ sich einfach ändert in „ich suche dich um deiner selbst willen“. Es ist jenes wunderbare und unbeschreibliche Absolute im Göttlichen, das X meint, wenn er sagt: „Nicht Wissen, nicht dies noch das, sondern Krishna“. Dieser Sog ist tatsächlich ein kategorischer Imperativ, das Selbst in uns wird durch den befehlenden Ruf des größeren Selbstes zum Göttlichen gezogen, die Seele wird zum Ziel ihrer Anbetung unsagbar hingezogen, da es nicht anders sein kann, da sie sie ist und Es Es ist. – So weit genug.

Ich habe all dies nur geschrieben, um zu erklären, was wir meinen, wenn wir sagen, wir suchen das Göttliche um seiner selbst willen und nicht wegen etwas anderem – soweit dies eben erklärbar ist. Erklärbar oder nicht, es ist eine der wichtigsten Tatsachen spiritueller Erfahrung. Der Wille, sich selbst zu geben, ist nur ein Ausdruck dieser Tatsache. Das heißt aber nicht, dass ich gegen dein Verlangen nach Ananda etwas einzuwenden hätte. Bewahre dieses Verlangen um jeden Preis, solange es einem Teil deines Wesens notwendig ist, danach zu verlangen; denn dies sind die Dinge, die zum Göttlichen führen, solange nicht der unmissverständliche innere Ruf, der immer vorhanden ist, zur Oberfläche durchgedrungen ist. Dieser aber war es, der in Wirklichkeit von Anbeginn an einen Sog auf dich ausgeübt hat und der hinter allem steht – es ist der kategorische spirituelle Imperativ, das unbedingte Bedürfnis der Seele nach dem Göttlichen.

Ich sage nicht, dass es keinen Ananda geben soll. Das Selbstgeben als solches ist ein tiefer Ananda und hat unsäglichen Ananda zur Folge. Und er wird durch diese Methode eher herbeigeführt als durch irgendeine andere, so dass man beinahe sagen kann: „Ein selbstloses Selbstgeben ist die beste Taktik“. Nur dass man es nicht um der Taktik willen tut. Ananda ist das Ergebnis, doch nicht um dieses Ergebnisses willen gibt man sich, sondern um des Selbstgebens und des Göttlichen willen; dies mag dem Mental als ein nur sehr feiner Unterschied erscheinen, er ist aber durchaus real.

Es war nicht meine Absicht zu sagen, es sei falsch, nach dem Ananda zu streben. Was ich darlegen wollte, war die Voraussetzung für den andauernden Besitz des Ananda (Andeutungen, Berührungen, ein Herabströmen können zuvor stattfinden); diese wesentliche Voraussetzung ist ein Bewusstseinswandel, das Eintreten des Friedens, des Lichtes usw. – all dies führt den Übergang von der normalen zur spiritualisierten Natur herbei. Und infolgedessen ist es besser, diesen Bewusstseinswandel zum ersten Ziel der Sadhana zu machen. Andererseits den immerwährenden Ananda unmittelbar in ein Bewusstsein zu zwingen, das noch nicht fähig ist, ihn zu bewahren und noch viel weniger die geringeren vitalen Freuden und Vergnügungen durch ihn zu ersetzen vermag, kann durchaus den Fluss dieser spiritualisierten Erfahrungen beenden, die die fortwährende Ekstase im wesentlichen ermöglichen. Doch ganz sicher wollte ich niemals zum Ausdruck bringen, dass der Ananda nicht erreicht werden sollte, oder darauf bestehen, dass du dich auf ein freudloses nirananda Brahman hin entwickelst. Im Gegenteil, ich sagte, dass der Ananda die Krone des Yoga sei, was bestimmt bedeutet, dass er ein Teil der höchsten siddhi ist.

Was immer man aufrichtig und beharrlich vom Göttlichen will, wird einem vom Göttlichen mit Sicherheit gegeben. Wenn du also den Ananda willst und auf deinem Willen beharrst, wirst du ihn am Ende erhalten. Die einzige Frage ist, von welcher Art die Macht ist, die dein Suchen hauptsächlich bewegt: Ist es ein vitales Verlangen oder ist es ein seelisches Streben, das sich über das Herz offenbart und sich dem mentalen, vitalen und physischen Bewusstsein mitteilt? Letzteres ist die größte Macht, die auf den kürzesten Weg führt, den man ohnehin früher oder später einschlagen muss.

Das Göttliche zu finden ist der eigentliche Grund unserer Suche nach spiritueller Wahrheit und spirituellem Leben; es ist die eine unerlässliche Sache, und alles Übrige ist nichts ohne dies. Das Göttliche, nachdem es einmal gefunden ist, zu offenbaren, bedeutet vor allem, das eigene, begrenzte Bewusstsein in das Göttliche Bewusstsein umzuwandeln, im unendlichen Frieden und Licht zu leben, in unendlicher Liebe, Stärke und Seligkeit, in der eigenen essentiellen Natur zu all dem zu werden und schließlich in der aktiven Natur sein Gefäß und Kanal und Instrument zu sein. Das Prinzip des Einsseins auf der stofflichen Ebene zu aktivieren oder für die Menschheit zu arbeiten, ist eine mentale Fehldeutung der Wahrheit – diese Dinge können kein oberstes und wahres Ziel spirituellen Suchens sein. Wir müssen das Selbst, das Göttliche finden, dann erst können wir wissen, woraus die Arbeit besteht, die das Selbst oder das Göttliche von uns fordert. Bis dahin können unser Leben und Tun lediglich eine Hilfe oder ein Mittel sein, das Göttliche zu finden, und sollten keinem anderen Zweck dienen. In dem Maße, wie wir in das innere Bewusstsein hineinwachsen oder wie die spirituelle Wahrheit des Göttlichen in uns wächst, müssen unser Leben und Tun mehr und mehr aus dieser Wahrheit hervorgehen und eins mit ihr sein. Doch von vornherein durch unsere begrenzten mentalen Auffassungen zu entscheiden, woraus jene zu bestehen haben, heißt, die Entfaltung der spirituellen Wahrheit in uns zu hemmen. In dem Maße, wie diese wächst, werden wir das Göttliche Licht und die Göttliche Wahrheit, die Göttliche Macht und Kraft, die Göttliche Reinheit und den Göttlichen Frieden in uns wirken fühlen; und sie werden unser Handeln und Bewusstsein ergreifen und benützen, um uns in das Göttliche Ebenbild umzuformen, um die Schlacken zu entfernen und mit dem reinen Gold des Spirits zu ersetzen. Erst wenn die Göttliche Gegenwart immer in uns wohnt, erst wenn das Bewusstsein die Umwandlung erfahren hat, haben wir das Recht zu sagen, wir seien bereit, das Göttliche auf der stofflichen Ebene zu offenbaren. Ein mentales Ideal oder Prinzip aufrechtzuerhalten oder dem inneren Wirken aufzuerlegen ist mit der Gefahr verbunden, dass wir uns auf eine mentale Verwirklichung begrenzen oder aber dass wir durch eine halbe Gestaltung das wahre Wachsen in die volle Verbindung und Einung mit dem Göttlichen sowie das freie, innerste Einwirken seines Willens auf unser Leben hemmen oder gar fälschen. Dies ist ein Fehler in der Zielsetzung, zu dem das gegenwärtige Mental besonders neigt. Es ist weitaus besser, sich dem Göttlichen um des Friedens, des Lichtes oder der Seligkeit willen zu nähern, die Seine Verwirklichung mit sich bringt, als diese zweitrangigen Dinge hineinzumischen, die uns von der einen notwendigen Sache ablenken können. Auch die Vergöttlichung sowohl des stofflichen als auch des inneren Lebens ist ein Teil dessen, was wir als Göttlichen Plan ansehen, und kann allein durch ein Hervor strömen der inneren Verwirklichung erfüllt werden, durch etwas das von innen nach außen wächst, und nicht durch das Ausarbeiten eines mentales Prinzips.

Du fragst, welcher Art die Disziplin sei, der man zu folgen habe, um das mentale Suchen in eine lebendige spirituelle Erfahrung zu wandeln. Das erste Erfordernis ist, dein Bewusstsein in der nach innen gerichteten Konzentration zu schulen. Das gewöhnliche menschliche Mental besitzt eine Oberflächenaktivität, die das wahre Selbst verhüllt. Doch gibt es ein anderes, ein verborgenes, inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, wodurch man das wirkliche Selbst und eine größere und tiefere Wahrheit der Natur erkennt, wodurch man das Selbst verwirklichen und die Natur befreien und umwandeln kann. Das Ziel dieser Konzentration ist, das Oberflächenmental zu beruhigen und zu beginnen, innerlich zu leben. Dieses wahre Bewusstsein, das sich von dem oberflächlichen unterscheidet, hat zwei hauptsächliche Zentren, eines im Herzen (nicht im physischen Herzen, sondern im Kardial-Zentrum in der Mitte der Brust) und eines im Kopf. Die Konzentration im Herzen öffnet den Weg nach innen, und wenn man diesem inneren Öffnen folgt und sich in die Tiefe wendet, wird man der Seele oder des seelischen Wesens gewahr, dem göttlichen Element im Menschen. Dieses, nachdem es enthüllt wurde, beginnt hervorzutreten und die Natur zu lenken und sie samt allen ihren Bewegungen der Wahrheit und dem Göttlichen zuzuwenden, sowie alles in sie herabzurufen, was sich darüber [über der menschlichen Natur] befindet. Es bringt das Bewusstsein der Gegenwart, der Weihung des Wesens an den Höchsten und macht die Herabkunft einer größeren Kraft und eines größeren Bewusstseins, die über uns warten, in unsere Natur möglich. Der erste Schritt, wenn man ihn tun kann, das heißt der natürliche Anfang ist, sich im Herzen auf die Darbringung seiner selbst an das Göttliche zu konzentrieren, sowie das Streben nach diesem inneren Öffnen und nach der Gegenwart im Herzen; denn ist einmal dies erreicht, wird der spirituelle Pfad weit einfacher und sicherer als wenn man mit dem anderen Weg beginnen würde.

Jener andere Weg ist die Konzentration im Kopf, im mentalen Zentrum. Diese öffnet, wenn sie zur Stille des Oberflächenmentals führt, ein inneres, größeres und tieferes Mental, das bereitwilliger spirituelle Erfahrung und spirituelles Wissen empfängt. Ist man hier einmal konzentriert, dann muss man das schweigende mentale Bewusstsein nach oben hin für alles öffnen, was sich über dem Mental befindet. Nach einiger Zeit fühlt man, wie das Bewusstsein aufsteigt, wie es sich schließlich über jenes Lid erhebt, von dem es so lange Zeit im Körper festgehalten wurde, und ein Zentrum über dem Kopf findet, von wo es in das Unendliche befreit wird. Dort beginnt es mit dem universalen Selbst, mit dem Göttlichen Frieden, dem Licht, der Macht, dem Wissen, der Seligkeit in Kontakt zu kommen, dort einzutreten und zu all dem zu werden – und die Herabkunft dieser Dinge in die Natur zu fühlen. Dieser zweite Weg der Konzentration ist also, sich im Kopf auf das Streben nach der Stille im Mental zu konzentrieren sowie auf die Verwirklichung des Selbstes und des Göttlichen über sich. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Konzentration des Bewusstseins im Kopf nur eine Vorbereitung für sein Aufsteigen zu dem Zentrum darüber ist; andernfalls könnte man in seinem Mental und dessen Erfahrungen eingeschlossen werden oder bestenfalls zu einer Widerspiegelung der Wahrheit gelangen, statt sich in die spirituelle Transzendenz zu erheben, um dort zu leben. Für einige ist die mentale Konzentration leichter, für andere die Konzentration im Herz-Zentrum; einige sind fähig, beides abwechselnd zu tun – doch ist es wünschenswerter, mit dem Herz-Zentrum zu beginnen, wenn man es vermag.

Die andere Seite der Disziplin betrifft die Tätigkeiten der menschlichen Natur, des Mentals, des Lebens-Selbstes oder Vitals und des physischen Wesens. Das Prinzip ist hier, die Natur mit der inneren Verwirklichung abzustimmen, damit man nicht in zwei disharmonierende Teile gespalten wird. Dabei sind verschiedene Disziplinen oder Vorgänge möglich. Eine davon ist, alle Tätigkeiten dem Göttlichen darzubringen, um die innere Führung zu bitten und darum, dass die menschliche Natur von einer Höheren Macht aufgenommen wird. Sobald dann das innere Sich-Öffnen der Seele stattfindet, sobald das seelische Wesen hervortritt, besteht keine große Schwierigkeit mehr; denn Hand in Hand damit geht die seelische Unterscheidung, eine fortwährende Eingebung und schließlich eine Führung, die alle Unvollkommenheiten enthüllt und still und geduldig beseitigt, die rechten mentalen und vitalen Regungen bringt und auch das physische Bewusstsein umformt. Eine andere Methode ist zurückzustehen, losgelöst von den Regungen des Mentals, des Lebens, des physischen Wesens, ihre Tätigkeiten nur als die gewohnten Gestaltungen der allgemeinen Natur im Menschen zu betrachten, die uns durch vergangenes Tun auferlegt sind und nicht zu unserem wirklichen Wesen gehören; in dem Maß, wie einem dies glückt, wie man sich ablösen kann und das Mental und seine Tätigkeiten, das Leben und seine Tätigkeiten, den Körper und seine Tätigkeiten als nicht zu sich gehörend betrachtet, wird man sich eines inneren Wesens bewusst – eines inneren Mentals, eines inneren Vitals, eines inneren Physischen –, das ruhig, ungebunden und nicht verhaftet ist, das das wahre Selbst über einem spiegelt und sein direkter Vertreter sein kann; von diesem inneren, schweigenden Wesen geht eine Zurückweisung all dessen aus, was zurückgewiesen werden muss, und eine Billigung allein von dem, was bewahrt und umgewandelt werden kann, ein innerster Wille zur Vollendung oder ein Ruf an die Göttliche Macht, bei jedem Schritt das zu tun, was für die Verwandlung der Natur erforderlich ist. Es [das innere Wesen] kann auch Mental, Leben und Körper der innersten seelischen Wesenheit und ihrem lenkenden Einfluss oder ihrer unmittelbaren Führung öffnen. In den meisten Fällen zeichnen sich diese beiden Methoden ab, arbeiten zusammen und verschmelzen schließlich in eine einzige. Doch kann man mit jeder von ihnen beginnen, am besten mit derjenigen, der zu folgen einem am natürlichsten und einfachsten erscheint.

Schließlich kann in allen Schwierigkeiten, in denen die persönliche Bemühung behindert ist, die Hilfe des Lehrers eingreifen und das herbeiführen, was für die Verwirklichung oder den unmittelbar nächsten Schritt erforderlich ist.

Dieser Yoga verlangt, dass man das Leben vollkommen dem Streben nach Entdeckung und Verkörperung der Göttlichen Wahrheit weiht und nichts anderem sonst. Dein Leben zwischen dem Göttlichen und einem äußeren Ziel, einer äußeren Tätigkeit zu teilen, die nichts mit der Suche nach der Wahrheit zu tun hat, ist nicht zulässig. Die geringste Kleinigkeit dieser Art würde den Erfolg im Yoga zunichte machen.

Du musst in dich gehen und dich einer völligen Weihung an das spirituelle Leben widmen. Jede Bindung an mentale Vorlieben muss von dir abfallen, alles Beharren auf vitalen Zielen und Interessen, alles Verhaftet-sein muss ausgemerzt werden, alles egoistische Anklammern an die Familie, die Freunde, das Vaterland muss verschwinden, wenn du im Yoga erfolgreich sein willst. Was immer an nach außen gewandter Energie oder Tätigkeit benötigt wird, muss aus der einmal entdeckten Wahrheit und darf nicht aus niederen mentalen oder vitalen Motiven stammen, es muss vom göttlichen Willen und nicht von der persönlichen Wahl oder den Vorlieben des Egos ausgehen.

Es ist ein universal anerkanntes Prinzip spirituellen Bemühens, dass man bereit sein muss, alles ohne Vorbehalt zu opfern, um das Göttliche über ein spiritualisiertes Bewusstsein zu erreichen. Wenn die Selbstentfaltung auf der mentalen, vitalen und physischen Ebene sein Ziel ist, so ist dies etwas anderes – ein derartiges Leben ist das Leben des Egos, in dem die Seele unentwickelt oder halb-entwickelt im Hintergrund gehalten wird. Doch für den spirituell Suchenden ist die einzige Entwicklung, die er sucht, die Entfaltung des seelischen und spirituellen Bewusstseins; und auch dies nur, weil sie notwendig ist, um das Göttliche zu erreichen und ihm zu dienen – nicht um ihrer selbst willen. Jede mentale, vitale oder physische Entwicklung oder die Anwendung von Fähigkeiten, die man zu einem Teil des spirituellen Lebens und zu einer Instrumentation des Göttlichen machen kann, kann unter der Bedingung ihrer Umwandlung und Neuformung auf spiritueller Grundlage beibehalten werden. Doch darf sie nicht um ihrer selbst oder des Egos willen bewahrt oder als etwas Eigenes betrachtet oder für eigene Zwecke verwendet werden, sondern allein um des Göttlichen willen.

Was James Behauptung angeht, so stimmt sie natürlich insofern, als der Politiker in seinen Mußestunden als Hobby sich mit anderen Dingen beschäftigen kann; wenn er aber als Politiker Erfolg haben will, muss er seine besten Energien der Politik widmen. Wenn Shakespeare oder Newton einen Teil ihrer Energien auf die Politik verwendet hätten, wären sie nicht fähig gewesen, etwas derart Großes in Dichtung und Wissenschaft zu erreichen, und selbst wenn sie es erreicht hätten, hätte ihm die Fülle gefehlt. Die Hauptenergien müssen auf eine Sache konzentriert sein; alles andere können nur untergeordnete Beschäftigungen sein, die der Muße dienen, der Ablenkung oder gewissen Interessen, aber nicht etwas, das ein allgemeines Bildungsniveau aufrechterhalten soll.

Alles hängt von deinem Lebensziel ab. Ich glaube, dass für jemanden, dessen Ziel es ist, die höchste spirituelle Wahrheit und das Göttliche Leben zu entdecken und zu besitzen, ein Posten an der Universität nicht viel bedeuten kann – ich vermag auch keine praktische Verbindung zwischen diesen beiden Dingen zu erkennen. Es wäre etwas anderes, wenn das Ziel darin bestünde, das Leben eines Schriftstellers oder Denkers zu führen, der sich ohne höheres Streben oder tieferes Suchen nur auf die mentale Ebene beschränkt. Ich sehe aber nicht ein, dass deine Abneigung, dich dieser Art von Arbeit zu widmen, durch eine Schwäche verursacht wird. Es ist vielmehr nur ein kleiner Teil deiner Natur und nicht ihr tiefster oder stärkster Teil, der hiermit oder mit der Atmosphäre, in der es zu geschehen hätte, zufrieden wäre.

In solchen Fällen ist es nicht das denkende Mental, sondern das vitale Wesen – die Lebenskraft oder die Begierden-Natur oder zumindest ein Teil davon –, das die Tätigkeit der Menschen und ihre Wahl bestimmt, es sei denn, dass ein äußeres Erfordernis oder ein Druck die Entscheidung erzwingt oder vorwiegend beeinflusst. Das Mental ist nur ein deutender, rechtfertigender und planender Vermittler. Als du die Sadhana aufnahmst, erhielt dieser Teil deines Vitals einen Druck von oben und innen, der die gewohnte Richtung seiner Wünsche und Neigungen veränderte – jene alten Geleise, die zuvor ihr Ziel bestimmt hätten; das Vital ist – wie oft als erstes Ergebnis – ruhig und neutral geworden. Es wird vom äußeren Leben nicht mehr stark angezogen; es hat jedoch durch das seelische Zentrum und den höheren mentalen Willen noch nicht genügend Erleuchtung und Impuls erhalten, um eine neue vitale Bewegung aufzunehmen und kraftvoll auf dem Weg zu einem neuen Leben auszuschreiten. Das ist der Grund für deine Lustlosigkeit und die Verschwommenheit der Zukunft, die du erwähnst.

Wenn deine Seele sich immerfort nach der Umwandlung sehnt, dann ist es diese, die du suchen musst. Das Göttliche zu suchen oder vielmehr einen gewissen Aspekt des Göttlichen – denn man kann das Göttliche nicht vollkommen verwirklichen, wenn keine Umwandlung stattgefunden hat – mag für einige genügen, doch nicht für jene, deren Seele sich nach der gänzlichen göttlichen Wandlung sehnt.

Ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren angesichts Xs gewissenhafter Unterscheidung zwischen Krishna, Shiva und der Shakti. Wenn sich ein Mensch zu einer oder zwei Formen des Göttlichen hingezogen fühlt, dann ist es in Ordnung; doch auch wenn er sich zu verschiedenen gleichzeitig hingezogen fühlt, braucht er sich deshalb keine Gedanken zu machen. Die Natur eines entwickelten Menschen hat unweigerlich verschiedene Seiten, und es ist durchaus natürlich, dass verschiedene Aspekte [des Göttlichen] verschiedene Persönlichkeiten in ihm anziehen oder beherrschen. Er kann sie alle annehmen und in dem Einen Göttlichen und der Einen Adya Shakti, deren Manifestationen alle Übrigen sind, in Einklang bringen.

  1. 2. Die synthetische Methode und der Integrale Yoga
  2. 3. Die Grundvoraussetzungen des Pfades
  3. 4. Die Grundlage der Sadhana
  4. 5. Sadhana durch Arbeit

Seite 2 von 5

  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Copyright © 2025 Sri Aurobindo Digital Edition. Alle Rechte vorbehalten.
Joomla! ist freie, unter der GNU/GPL-Lizenz veröffentlichte Software.