DAS WACHSEN DES BEWUSSTSEINS: ERSTE SCHRITTE UND GRUNDLAGE

Läuterung

Das erste Erfordernis ist die Läuterung aller Teile unseres Wesens; besonders für den Pfad des Wissens ist die Läuterung des Verstehens der Schlüssel, der die Tür zur Wahrheit öffnen wird; und ein geläutertes Verstehen ist schwerlich möglich ohne die Läuterung der anderen [Wesens-] Teile. Ein ungeläutertes Herz, ein ungeläuterter Sinn, ein ungeläutertes Leben verwirren das Verstehen, bringen seine Werte durcheinander, entstellen seine Folgerungen, verdunkeln seine Sicht, und lassen es sein Wissen auf falsche Weise anwenden; ein ungeläutertes physisches System hemmt oder drosselt seine Tätigkeit. Es muss eine integrale Reinheit sein. Auch hier besteht gegenseitige Abhängigkeit. Denn die Läuterung eines jeden Teils unseres Wesens zieht Nutzen aus der Läuterung jedes anderen; die progressive Beruhigung des emotionalen Herzens hilft zum Beispiel der Läuterung des Verstehens, während in gleicher Weise ein geläutertes Verstehen Ruhe und Licht dem aufgewühlten und dunklen Wirken der noch unreinen Gefühle auferlegt. Es kann sogar gesagt werden, dass, während jeder Teil unseres Wesens seine eigenen bestimmten Prinzipien der Läuterung hat, es dennoch das geläuterte Verstehen ist, das im Menschen am machtvollsten sein aufgewühltes und gestörtes Wesen läutert und höchst souverän das rechte Wirken den anderen [Wesens-] Teilen auferlegt. Wissen, sagt die Gita, ist uneingeschränkte Reinheit; Liebe ist die Quelle aller Klarheit und Harmonie, so wie die Finsternis der Unwissenheit die Ursache all unseres Strauchelns ist.

SRI AUROBINDO

Sei nicht so übermäßig erpicht auf Erfahrungen, denn Erfahrungen kannst du immer haben, sobald einmal die Schranke zwischen dem physischen Mental und den feinstofflichen Ebenen durchbrochen ist. Wonach du am meisten streben musst, ist die verfeinerte Beschaffenheit des empfangenden Bewusstseins in dir, das Unterscheidungsvermögen im Mental, und dass der nichtverhaftete, unpersönliche Zeuge alles sieht, was in dir und um dich herum vorgeht, die Reinheit im Vital, die ruhige Gelassenheit, die ausdauernde Geduld, das Nichtvorhandensein von Stolz und dem Gefühl der Größe – und im besonderen nach der Entwicklung des seelischen Wesens in dir, der Hingabe, dem Selbstgeben, der seelischen Demut, der Weihung. Ein Bewusstsein, das sich aus diesen Dingen zusammensetzt, das aus diesem Holz geschnitzt ist, kann, ohne zu zerbrechen, zu straucheln, oder ohne irrige Abwege den Einbruch des Lichtes, der Macht und der Erfahrungen von den überphysischen Ebenen ertragen. Eine gänzliche Vollkommenheit in dieser Hinsicht ist schwerlich möglich, solange nicht die gesamte Natur vom höheren Mental bis zum unbewussten Physischen eins wurde in dem Licht, das größer ist als das Mental; eine hinreichende Grundlage jedoch und ein sich stets beobachtendes Bewusstsein, aufmerksam und in diese Dinge hineinwachsend, ist unerlässlich – denn die vollkommene Läuterung ist die Grundlage der vollkommenen siddhi.

SRI AUROBINDO

Man ist wirklich erst dann vollkommen rein, wenn das ganze Wesen in all seinen Elementen und all seinen Regungen sich voll und ausschließlich an den Göttlichen Willen hält. Das ist in der Tat die totale Reinheit. Sie hängt von keinem moralischen oder gesellschaftlichen Gesetz ab, von keiner mentalen Konvention irgendwelcher Art. Sie hängt ausschließlich davon ab, dass alle Teile und alle Regungen des Wesens sich allein und ganz an den göttlichen Willen halten.

Es gibt aber Stufen, es gibt Grade. Zum Beispiel hat die Unaufrichtigkeit, die eine der größten Unreinheiten ist, immer ihre Ursache darin, dass eine Regung oder mehrere Regungen, dass ein Element des Wesens oder eine Anzahl von Elementen ihrem eigenen Willen folgen und nicht Ausdruck des göttlichen Willens sein wollen. Dies ruft dann im Wesen entweder eine Revolte oder eine Unwahrheit hervor. Ich meine nicht, dass man lügt, sondern dass man sich in einem Zustand der Falschheit, der Unaufrichtigkeit befindet. Und dann sind die Folgen mehr oder weniger ernsthaft, mehr oder weniger umfangreich in dem Maße wie die Bewegung selbst schwerwiegend oder wichtig ist. Doch vom Standpunkt der Reinheit aus betrachtet sind das die wahren Unreinheiten.

Wenn du zum Beispiel einen moralischen Standpunkt einnimmst – was vom spirituellen Standpunkt aus gesehen ganz und gar falsch ist – es gibt Menschen, die ein scheinbar vollkommen moralisches Leben führen, die allen gesellschaftlichen Gesetzen genügen, allen Sitten, allen moralischen Konventionen, und die aus einer Masse von Unreinheit bestehen – vom spirituellen Standpunkt aus sind diese Menschen zutiefst unrein. Auf der anderen Seite gibt es arme Leute, die Dinge tun …, die zum Beispiel mit einem Sinn von Freiheit geboren sind und Dinge tun, die vom gesellschaftlichen oder moralischen Standpunkt aus gesehen nicht sehr respektabel sind, und die sich in einem Zustand inneren Strebens und innerer Aufrichtigkeit befinden können, die sie unendlich reiner als die anderen sein lässt. Das ist eine der großen Schwierigkeiten. Sobald man von diesen Dingen spricht, wird die Verformung, die all die gesellschaftlichen und moralischen Konventionen im Bewusstsein hervorrufen, sichtbar. Sobald du von Reinheit sprichst, erhebt sich vor dir ein moralisches Standbild, das deine Vorstellung völlig verfälscht. Und wisse, dass es unendlich viel einfacher ist, moralisch in gesellschaftlicher Sicht als moralisch in spiritueller Sicht zu sein. Um vom gesellschaftlichen Standpunkt her moralisch zu sein, hat man sich lediglich vorzusehen, um nichts zu tun, das von den anderen nicht gebilligt wird; das mag etwas schwierig sein, doch nicht unmöglich; und man kann dabei, wie ich sagte, ein Ausbund an Unaufrichtigkeit und Unreinheit sein; wohingegen vom spirituellen Standpunkt her rein zu sein, eine Wachsamkeit bedeutet, ein Bewusstsein, eine Aufrichtigkeit, die jeder Probe standhält.

Nun möchte ich euch vor etwas warnen … vor Leuten, die in ihrem vitalen Bewusstsein leben und sagen: „Ich stehe über den moralischen Gesetzen, ich folge einem höheren Gesetz, ich bin frei von allen moralischen Gesetzen.“ Und sie sagen dies, da sie allen möglichen Ungehörigkeiten frönen wollen. Diese Menschen aber sind doppelt unrein, sie sind spirituell unrein, und darüber hinaus gesellschaftlich unrein. Und sie haben meist eine sehr hohe Meinung von sich und maßen sich an, ihr Leben mit einer Unverschämtheit ohnegleichen zu leben.

Und dennoch, die Menschen, die ich am schwierigsten zu wandeln fand, sind die sehr respektablen Leute. Es tut mir leid, aber ich hatte viel größere Schwierigkeit mit respektablen Menschen als mit den anderen, die nicht so [respektabel] waren, denn sie hatten eine derart hohe Meinung von sich, dass es unmöglich war, sie aufzutun. Die wahre Sache aber ist schwierig. Das heißt, man hat sehr wachsam zu sein, sehr selbstbeherrscht, sehr geduldig, man muss einen nie versiegenden guten Willen haben. Eine kleine, doch ausreichende Dosis Demut ist nicht zu vernachlässigen, und man darf nicht zufrieden sein mit der Aufrichtigkeit, die man hat. Man muss immer mehr wollen.

DIE MUTTER

Ich habe Menschen gekannt (viele, nicht nur einige – ich meine unter jenen, die den Yoga ausüben), ich habe viele gekannt, die jedes Mal, wenn sie ein großes Streben spürten, und ihr Streben war sehr stark und es wurde erwidert, jedes Mal, am gleichen Tag oder spätestens am nächsten, hatten sie einen vollen Bewusstseinsabfall und sahen sich genau dem Gegenteil ihres Strebens gegenüber. Solche Dinge geschehen beinahe fortwährend. Nun, diese Menschen haben nur ihre positive Seite entwickelt. Sie machen eine Art Disziplin aus ihrem Streben, sie bitten um Hilfe, sie versuchen, mit höheren Kräften in Verbindung zu kommen, es gelingt ihnen, sie haben Erfahrungen; doch haben sie ganz versäumt, ihr Zimmer sauber zu machen; es war so schmutzig wie immer und natürlich, wenn die Erfahrung vorüber ist, wird dieser Schmutz noch abstoßender als zuvor.

Man darf nie versäumen, sein Zimmer sauber zu machen, es ist sehr wichtig; die innere Sauberkeit ist mindestens ebenso wichtig wie die äußere.

Vivekananda hat geschrieben (ich kenne das Original nicht, ich habe es nur in der französischen Übersetzung gelesen): „Jeden Morgen muss man seine Seele und seinen Körper reinigen, doch wenn du nicht Zeit für beides hast, ist es besser, die Seele zu reinigen als den Körper“.

DIE MUTTER

… du darfst niemals sagen: „Zuerst werde ich mein Denken läutern, meinen Körper läutern, mein Vital läutern, und später dann werde ich mein Tun läutern“. Das ist die normale Reihenfolge, doch hat sie nie Erfolg. Die wirksame Reihenfolge besteht darin, von außen anzufangen: „Das erste ist, dass ich es nicht tue, und danach begehre ich es nicht länger, und als nächstes verschließe ich meine Türen fest gegenüber allen Impulsen: sie existieren nicht länger für mich, ich bin nun außerhalb von all dem.“ Das ist die wahre Reihenfolge, die Reihenfolge, die wirksam ist. Es zuerst nicht zu tun. Und dann wirst du es nicht länger begehren, und danach wird es völlig aus deinem Bewusstsein schwinden.

DIE MUTTER

Konzentration

Zusammen mit Reinheit und als Hilfe, sie herbeizuführen: Konzentration. Reinheit und Konzentration sind in der Tat zwei Aspekte, weiblich und männlich, passiv und aktiv, des gleichen Seinszustandes; Reinheit ist die Voraussetzung, durch welche die Konzentration uneingeschränkt und auf die rechte Weise wirksam, allmächtig wird; durch Konzentration ist Reinheit wirksam, ohne sie aber würde sie nur zu einem Zustand friedvoller Stille und ewiger Ruhe führen.… Die Schwäche unserer Natur ist erstens eine gleichgültige Unterwerfung an den Aufprall der Dinge (bahyasparsa), wie sie kunterbunt in das Mental eintreten, ohne Ordnung oder Kontrolle; und dann [zweitens] eine planlose unvollkommene Konzentration, unstet und unregelmäßig zustande gebracht mit einer mehr oder weniger zufälligen Betonung von diesem oder jenem Gegenstand, wie er sich gerade dem Interesse darbietet, nicht aber der höheren Seele oder dem urteilenden und unterscheidenden Intellekt, vielmehr dem rastlosen, sprunghaften, wankelmütigen, leicht ermüdeten, leicht ablenkbaren niederen Mental, das der hauptsächliche Feind unseres Fortschritts ist. In solchem Zustand sind Reinheit sowie das rechte Wirken der Funktionen, die klare, makellose und leuchtende Ordnung des Wesens eine Unmöglichkeit; die verschiedenen Wirkungsweisen, preisgegeben den Zufälligkeiten der Umwelt und den äußeren Einflüssen, müssen notwendigerweise zusammenstoßen, müssen hemmen, ablenken, zerstreuen, entstellen. Ebenso ist ohne Reinheit die vollständige, gleichmütige, flexible Konzentration des Wesens auf rechtes Denken, rechtes Wollen, rechtes Fühlen oder ein gesicherter Zustand spiritueller Erfahrung nicht möglich. Daher müssen die beiden (Reinheit und Konzentration) Hand in Hand voranschreiten, jedes den Sieg des anderen unterstützend, bis wir bei jener ewigen Ruhe anlangen, aus der im menschlichen Wesen ein teilweises Bild einer ewigen, allmächtigen und allwissenden Tätigkeit hervorgehen mag.

SRI AUROBINDO

Das Mental ist etwas, das in Weitschweifigkeit lebt, in Aufeinanderfolge; es kann sich zur gleichen Zeit nur auf eine Sache konzentrieren, und wenn es nicht konzentriert ist, schweift es ganz blindlings von einer Sache zur anderen. Es muss sich daher auf eine einzige Idee, einen einzigen Gegenstand der Meditation, ein einziges Objekt der Kontemplation, ein einziges Ziel des Willens konzentrieren, um es zu besitzen oder zu meistern, und dies muss es bei mindestens zeitweiliger Ausschließung von allem anderen tun.… Der erste Schritt in der Konzentration besteht immer darin, das schweifende Mental an einen gefestigten, unbeirrten Verfolg einer einzigen Linie zusammenhängenden Denkens über einen einzigen Gegenstand zu gewöhnen, und zwar unabgelenkt durch alle äußeren Reize und Einwirkungen, die seine Aufmerksamkeit beeinträchtigen. Solche Konzentration ist allgemein genug in unserem gewöhnlichen Leben, sie wird aber schwieriger, wenn wir sie innerlich durchführen müssen, ohne äußeres Objekt oder äußere Tätigkeit, auf die wir das Mental gerichtet haben; dennoch ist es diese innere Konzentration, welche derjenige, der Wissen sucht, herbeiführen muss.

SRI AUROBINDO

… was immer du im Leben tun magst, eine Sache ist unbedingt unerlässlich und die Grundlage von allem: fähig zu sein, die Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Wenn du die Strahlen der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins auf einen Punkt zu sammeln vermagst, und diese Konzentration mit einem beharrlichen Willen aufrechterhalten kannst, kann dem nichts widerstehen – was immer es sei, von der ganz stofflich physischen Entwicklung bis zur höchsten spirituellen. Doch muss diese Disziplin in konstanter und, man kann sagen, unerschütterlicher Weise durchgeführt werden; nicht, dass du immer auf die gleiche Sache konzentriert sein solltest – das ist nicht, was ich meine; ich meine, dass man lernen soll, sich zu konzentrieren.

Und vom Stofflichen her gesehen, für Studien, für Sport, für jede physische oder mentale Entwicklung, ist sie [die Konzentration] unerlässlich. Der Wert eines Menschen steht im Verhältnis zum Wert seiner Sammlung.

Und in spiritueller Sicht ist es noch wichtiger. Es gibt kein spirituelles Hindernis, das der durchdringenden Kraft der Konzentration widerstehen kann. Zum Beispiel die Entwicklung des seelischen Wesens, die Einung mit dem inneren Göttlichen, das Sich-Öffnen an die höheren Sphären, alles kann erlangt werden durch eine intensive und hartnäckige Macht der Konzentration – aber man hat zu lernen, wie.

Es gibt nichts auf dem menschlichen oder selbst übermenschlichen Gebiet, zu dem die Macht der Konzentration nicht der Schlüssel ist.

Mit dieser Fähigkeit kannst du der beste Athlet sein, du kannst der beste Schüler sein, du kannst ein künstlerisches, literarisches oder wissenschaftliches Genie sein, du kannst der größte Heilige sein. Und in jedem steckt ein winzig kleiner Beginn davon – es ist jedem gegeben, die Menschen aber pflegen es nicht.

DIE MUTTER

Du hast gefragt, welcher Art die Disziplin sei, der man zu folgen habe, um das mentale Suchen in eine lebendige spirituelle Erfahrung zu wandeln. Das erste Erfordernis ist, dein Bewusstsein in der nach innen gerichteten Konzentration zu schulen. Das gewöhnliche menschliche Mental besitzt eine Oberflächenaktivität, die das wahre Selbst verhüllt. Doch gibt es ein anderes, ein verborgenes, inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, durch das man das wirkliche Selbst und eine größere und tiefere Wahrheit der Natur erkennt, wodurch man das Selbst verwirklichen und die Natur befreien und umwandeln kann. Das Ziel dieser Konzentration ist, das Oberflächenmental zu beruhigen und zu beginnen, innerlich zu leben.

SRI AUROBINDO

Ich las in den Gesprächen5: „Konzentration allein wird dich zu diesem Ziel führen.“ Sollte man länger meditieren?

Konzentration bedeutet nicht Meditation; im Gegenteil, Konzentration ist ein Zustand, in dem man sich stets befinden muss, welcher Art auch immer die äußere Tätigkeit sei. Mit Konzentration meine ich, dass die ganze Energie, der ganze Wille, die ganze Aspiration dem Göttlichen und seiner integralen Verwirklichung in unserem Bewusstsein zugewandt sein müssen.

DIE MUTTER

Fortwährend eine konzentrierte, nach innen gesammelte Haltung zu bewahren, ist wichtiger, als festgelegte Stunden der Meditation zu haben.

DIE MUTTER

Gleichmut und Friede

Gleichmut bedeutet, ein ruhiges und unbewegtes Mental und Vital zu haben; es bedeutet, von Dingen, die geschehen, die gesagt oder dir angetan werden, nicht berührt oder gestört zu werden, sondern sie mit geradem Blick zu betrachten, frei von den Verzerrungen, die durch das persönliche Gefühl entstehen; es bedeutet, dass man versucht zu erkennen, was hinter ihnen steht, warum sie geschehen, was von ihnen gelernt werden kann, was es in einem selbst ist, wogegen sie geworfen werden, und welchen inneren Nutzen oder Fortschritt man durch sie gewinnen kann; Gleichmut bedeutet die Meisterung der vitalen Regungen, wie Ärger, Empfindlichkeit und Stolz, Begehren und all das übrige; er bedeutet, dass man ihnen nicht erlaubt, vom emotionalen Wesen Besitz zu ergreifen und den inneren Frieden zu stören; er bedeutet, nicht im Ansturm oder Impuls dieser Dinge zu sprechen und zu handeln, sondern immer nur in der ruhigen inneren Ausgeglichenheit des Spirits. Es ist nicht leicht, diesen Gleichmut in vollem Umfang zu haben, doch sollte man versuchen, ihn mehr und mehr zur Grundlage des inneren Zustandes und der äußeren Bewegungen zu machen.

SRI AUROBINDO

Ruhig, unberührt und still zu sein, ist nicht die erste Voraussetzung der Sadhana, sondern der Siddhi. Nur wenige Menschen (tatsächlich sehr wenige, ein, zwei oder drei unter hundert Sadhaks) sind es von Anfang an. Die meisten müssen sich einer langen Vorbereitung unterziehen, bevor sie auch nur entfernt das erreichen können. Selbst später, wenn sie den Frieden und die Ruhe zu fühlen beginnen, dauert es noch lange, diese zu festigen – sie pendeln zwischen Frieden und Unruhe, bis schließlich alle Teile der Natur die Wahrheit und den Frieden angenommen haben.

SRI AUROBINDO

Ruhe ist, wenn das Mental oder Vital nicht unruhig oder rastlos ist und nicht von Gedanken oder Gefühlen fortgerissen oder bedrängt wird. Wir sprechen von einem ruhigen Mental oder Vital besonders dann, wenn beide losgelöst sind und Gedanken und Gefühle als Oberflächenbewegung betrachten.

Stille ist ein positiverer Zustand, und nicht nur die Abwesenheit von Rastlosigkeit, Überaktivität oder Sorge. Wenn eine klare, große oder kraftvolle Ruhe eingetreten ist, die nichts stört oder stören kann, sagen wir, dass die Stille gefestigt ist.

SRI AUROBINDO

Es ist durchaus normal, einen gefestigten Frieden im inneren Wesen zu empfinden, auch wenn es Störungen an der Oberfläche gibt. Tatsächlich ist das der normale Zustand eines Yogi, bevor er die absolute samata im ganzen Wesen erlangt hat.

SRI AUROBINDO

Es ist wahr, dass durch das, was in ihm am stärksten ist, sich der Sadhak am leichtesten dem Göttlichen öffnen kann. Doch … der Friede ist für alles notwendig; ohne den Frieden und eine wachsende Reinheit kann man, auch wenn man sich öffnet, nicht alles vollständig empfangen, was durch das Sich-Öffnen herabkommt. Licht ist ebenfalls für alles notwendig – ohne Licht kann man aus dem, was herabkommt, keinen vollen Nutzen ziehen.

SRI AUROBINDO

Du musst lernen, im Frieden dahinter und in diesem „etwas Wahreren“ in dir zu leben, und musst erkennen, dass du selbst es bist. Du darfst das übrige nicht als dein wirkliches Selbst betrachten, sondern lediglich als ein Fließen von wechselnden oder wiederkehrenden Bewegungen an der Oberfläche, die mit Sicherheit verschwinden werden, sobald das wahre Selbst auftaucht.

SRI AUROBINDO

Wenn der Friede weit oder tief ist, befindet er sich meist im inneren Wesen. Die äußeren Teile überschreiten gewöhnlich nicht ein bestimmtes Maß an Ruhe – sie erlangen den tiefen Frieden erst dann, wenn sie damit aus dem inneren Wesen überflutet werden.

SRI AUROBINDO

Sie [Friede und Geduld] gehören zusammen. Das Erlernen der Geduld angesichts jedweden Drucks ist die Grundlage das Friedens.

SRI AUROBINDO

Sie [die Reinheit] ist mehr ein Zustand als eine Substanz. Friede verhilft zur Reinheit, denn im Frieden finden die störenden Einflüsse ein Ende; das Wesen der Reinheit besteht darin, allein auf den Göttlichen Einfluss zu reagieren und sich zu keinen anderen Bewegungen hingezogen zu fühlen.

SRI AUROBINDO

Wenn du den Frieden erlangt hast, ist es einfach, das Vital zu läutern. Wenn du aber nur fortwährend läuterst und sonst nichts tust, wird es lange dauern – denn das Vital wird immer wieder unrein und muss hundertmal von neuem geläutert werden. Der Friede ist etwas in sich selbst Reines, ihn zu erlangen also ein positiver Weg, dir dein Ziel zu sichern. Nach Schmutz Ausschau zu halten und ihn zu beseitigen, ist der negative Weg.

SRI AUROBINDO

Man kann voranschreiten, selbst wenn der Friede noch nicht vorhanden ist – Ruhe und Konzentration sind notwendig. Friede ist für die Entwicklung der höheren Stadien erforderlich.

SRI AUROBINDO

Es versteht sich von selbst, dass zuerst nur ein Zustand der Ruhe und des Friedens eintreten sollte, bevor du beginnst, dich zu konzentrieren. Wichtig ist, dass dieser Zustand vorhanden ist, wann immer du dich konzentrierst, und dass auch der Druck hierfür immer vorhanden ist. Manchmal besteht das Ergebnis aber nur aus einer gewissen mentalen Ruhe und dem Freisein vom Denken. Später, sobald der Zustand des Friedens im inneren Wesen ziemlich gefestigt ist – denn es ist das innere Wesen, in das du eintrittst, wann immer du dich konzentrierst –, beginnt dieses hervorzutreten und das äußere Wesen zu kontrollieren, so dass Ruhe und Frieden selbst während der Arbeit erhalten bleiben, oder wenn du mit anderen zusammen bist oder sprichst, oder dich anderswie beschäftigst. Denn dann fühlt man das innere Wesen ruhig zuinnerst, was immer auch das äußere Bewusstsein tut – tatsächlich fühlt man das innere Wesen als sein eigenes wirkliches Selbst, während das äußere etwas Oberflächliches ist, durch welches das innere auf das Leben einwirkt.

SRI AUROBINDO

Jemand hat mich gefragt, was ich mit diesen Worten meinte:

„Man muss ruhig sein“.

Es liegt auf der Hand, dass ich, wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, viele verschiedene Dinge meine, der jeweiligen Person entsprechend. Die erste unerlässliche Ruhe aber ist die mentale Stille, denn diese fehlt im allgemeinen am meisten. Wenn ich zu jemanden sage: „Sei ruhig“, meine ich: Versuche, keine rastlosen, erregten und aufgewühlten Gedanken zu haben; versuche, dein Mental zu beruhigen, und höre damit auf, all deine Einbildungen und Beobachtungen und mentalen Gestaltungen umherzuwälzen.

Man sollte gerechterweise eine Frage hinzufügen: Du sagst uns: „Sei ruhig“, doch was sollen wir tun, um ruhig zu sein? … Die Antwort ist immer mehr oder weniger die gleiche: du musst vor allem das Bedürfnis danach haben und es wollen, und dann danach streben und es versuchen! Es gibt unzählige Methoden, die vorgeschrieben und von vielen getestet wurden. Diese Methoden sind im allgemeinen langwierig, mühsam und schwierig; und bevor sie das Ziel erreicht haben, verlieren viele Menschen den Mut, denn je mehr sie sich bemühen, um so mehr beginnen ihre Gedanken umherzuwirbeln und rastlos in ihren Köpfen zu werden.

Für jeden ist die Methode verschieden, doch zuerst muss man die Notwendigkeit fühlen, aus welchem Grund auch immer – sei es, dass man müde ist oder überanstrengt, oder weil man sich tatsächlich über den Zustand, in dem man lebt, erheben will – man muss es zuerst verstehen, man muss die Notwendigkeit dieser Stille fühlen, dieses Friedens im Mental. Später dann kann man alle Methoden nacheinander ausprobieren, bekannte und unbekannte, um zu dem Ergebnis zu kommen.

Man erkennt dann rasch, dass es noch eine andere Ruhe gibt, die erforderlich ist und sogar sehr dringend benötigt wird – es ist die vitale Ruhe, das heißt die Abwesenheit des Begehrens. Doch das Vital, wenn es nicht hinreichend entwickelt ist, schläft entweder ein oder streikt, sobald es sich ruhig verhalten soll; es sagt: „Oh nein, nichts da, ich gehe nicht weiter. Wenn du mir nicht die Nahrung gibst, die ich brauche, Aufregung, Enthusiasmus, sogar Leidenschaft, ziehe ich vor, mich nicht zu bewegen, und werde nichts mehr tun“. Hier wird dann das Problem etwas heikler und vielleicht sogar noch schwieriger; denn von Aufregung in Trägheit zu verfallen, ist sehr weit davon entfernt, ein Fortschritt zu sein! Man darf niemals Trägheit oder eine schläfrige Passivität mit Ruhe verwechseln.

Ruhe ist ein sehr positiver Zustand; es gibt einen positiven Frieden, der nicht das Gegenteil von Zwiespalt ist – einen aktiven Frieden, ansteckend, mächtig, der kontrolliert und beruhigt, der alles in Ordnung bringt und aufbaut. Das meine ich; wenn ich zu jemanden sage: „Sei ruhig“, will ich damit nicht ausdrücken: „Geh und schlafe, sei träge und passiv und tue nichts“, weit davon entfernt! … Wahre Ruhe ist eine sehr große Kraft, eine sehr große Stärke. Eigentlich kann man sagen, wenn man das Problem von der anderen Seite betrachtet, dass all jene, die wahrhaft stark und machtvoll sind, auch immer sehr ruhig sind; sobald man wirklich stark wird, ist man friedvoll, ruhig, still, und man hat die Kraft der Ausdauer, feindlichen Wogen zu begegnen, die von außen anstürmen, um einen zu stören. Diese wahre Ruhe ist immer ein Zeichen von Kraft. Ruhe ist den Starken eigen. Und das trifft sogar auf die physische Ebene zu. Ich weiß nicht, ob du Tiere beobachtet hast, Löwen, Tiger, Elefanten, es ist aber offensichtlich, dass sie, wenn sie nicht in Aktion begriffen sind, immer völlig ruhig sind. Ein sitzender Löwe scheint, wenn er dich anblickt, stets sagen zu wollen: „Oh, wie zappelig du doch bist!“ Er betrachtet dich mit einer friedvollen Miene voller Weisheit! Und all seine Kraft, Energie und physische Stärke sind gegenwärtig – geballt, gesammelt, konzentriert und – ohne die geringste Erregung – bereit zu handeln, wenn der Anstoß dazu erfolgt.

Ich habe Menschen gekannt, viele Menschen, die nicht eine halbe Stunde lang still sitzen konnten, ohne unruhig zu werden. Sie mussten einen Fuß oder ein Bein bewegen, oder einen Arm oder ihren Kopf; sie mussten sich die ganze Zeit über rastlos regen, denn sie hatten weder die Kraft noch die Stärke, ruhig zu bleiben.

Diese Fähigkeit, ruhig zu bleiben, wenn man will, all seine Energien zu sammeln und sie zu gebrauchen, wie man will, voll oder nach Wunsch verteilt, in vollkommener Ruhe, selbst im Handeln – das ist stets das Zeichen von Stärke. Es mag physische Stärke oder vitale Stärke oder mentale Stärke sein. Doch wenn du im geringsten erregt bist, kannst du sicher sein, dass irgendwo eine Schwäche besteht; und wenn deine Rastlosigkeit groß ist, ist es eine große Schwäche.

Wenn ich daher zu jemandem sage: „Sei ruhig“, kann das alles mögliche bedeuten, es hängt von jedem einzelnen ab. Doch offensichtlich ist es meist dies: „Beruhige dein Mental, sei nicht immerfort rastlos in deinem Kopf, wälze nicht eine Menge Ideen herum, beruhige dich.“

DIE MUTTER

Wie können wir einen gefestigten Frieden und eine gefestigte Stille im Mental errichten?

Vor allem musst du sie wollen.

Und dann musst du es versuchen, und musst ausharren und wiederum versuchen. Was ich dir eben sagte, ist ein sehr gutes Mittel. Es gibt aber auch andere. Sitze zunächst einmal ruhig; und dann, anstatt an fünfzig Dinge zu denken, beginnst du, dir zu sagen: „Friede, Friede, Friede, Friede, Friede, Ruhe, Friede!“ Du stellst dir Ruhe und Friede vor. Du sehnst dich, dass sie kommen mögen: „Friede, Friede, Ruhe.“ Und dann, wenn tatsächlich etwas kommt und dich berührt und wirkt, sage ruhig: „Friede, Friede, Friede.“ Betrachte nicht die Gedanken, höre nicht auf die Gedanken, verstehst du. Du darfst nicht allem Aufmerksamkeit schenken, was daherkommt. Weißt du, wenn jemand dich sehr belästigt, und du willst ihn loswerden, dann schenkst du ihm einfach keine Beachtung, oder? Gut! Du wendest deinen Kopf ab (Geste) und denkst an etwas anderes. Nun, genau das musst du tun: Wenn Gedanken kommen, darfst du sie nicht ansehen, darfst nicht auf sie hören, darfst ihnen überhaupt keine Aufmerksamkeit schenken. Du musst dich benehmen, als würden sie gar nicht existieren, siehst du! Und dann wiederhole die ganze Zeit über eine Art von – wie soll ich es ausdrücken. – wie es ein Idiot tut, der immer die gleiche Sache wiederholt. Genau das gleiche hast du zu tun, du musst wiederholen: „Friede, Friede, Friede.“ Versuche dies einige Minuten lang, und dann tue, was du zu tun hast; und dann, ein anderes Mal, fängst du von vorne an; setze dich wiederum hin und dann versuche es. Tue das, wenn du am Morgen aufstehst, tue es am Abend, wenn du zu Bett gehst. Du kannst es tun – zum Beispiel, wenn du deine Mahlzeit gut verdauen willst, kannst du es einige Minuten lang vor dem Essen tun. Du glaubst nicht, wie sehr das deiner Verdauung hilft! Bevor du zu essen beginnst, setze dich eine Weile hin und sage: „Friede, Friede, Friede!“ und alles wird ruhig. Es scheint, als würden sich alle Geräusche weit, weit, weit entfernen (Mutter streckt ihre Arme auf beiden Seiten aus), und dann musst du damit fortfahren; es kommt dann eine Zeit, in der du dich nicht länger hinzusetzen brauchst, gleichgültig, was du tust, gleichgültig, was du sagst, es ist immer „Friede, Friede, Friede“. Alles bleibt hier, so, es dringt nicht ein (Geste vor der Stirn), es bleibt so. Und dann befindet man sich immer in vollendetem Frieden … nach einigen Jahren.

Doch zu Beginn, einem sehr kleinen Beginn, zwei oder drei Minuten, ist es ganz einfach. Um etwas Kompliziertes muss man sich bemühen, und wenn man sich bemüht, ist man nicht ruhig. Es ist schwierig, sich zu bemühen und dabei ruhig zu bleiben. Du musst sehr einfach sein in diesen Dingen, sehr einfach, sehr einfach. Es ist so, als würdest du lernen, einen Freund zu rufen, und kraft der Tatsache, dass er gerufen wird, kommt er. Nun denn, mache Frieden und Ruhe zu deinen Freunden und rufe sie: „Kommt, Friede, Friede, Friede, Friede, kommt!“

DIE MUTTER


5 Conversations of the Mother 1956