Geheimnisvolle Welt der Pflanzen

Pflanzen sind lebendige, atmende, kommunizierende Wesen, die Persönlichkeit und die Attribute der Seele haben.


Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts äußerte ein begabter Wiener Biologe mit dem gallischen Namen Raoul Francé einen Gedanken, der zeitgenössische Naturphilosophen schockierte. Er sagte, dass Pflanzen ihren Körper ebenso frei, leicht und graziös bewegen wie das gewandteste Tier und der gewandteste Mensch, und dass der einzige Grund, warum wir diese Tatsache nicht anerkennen, der sei, dass Pflanzen sich viel langsamer als Menschen bewegen.

Die Wurzeln von Pflanzen, so sagte Francé, graben sich suchend durch das Erdreich, die Knospen und Zweige schwingen in bestimmten Kreisen, die Blätter und Blüten beugen und zittern, schütteln sich abwechselnd, die Ranken kreisen suchend und greifen mit Geisterarmen hinaus, um ihre Umwelt abzutasten. Der Mensch glaube nur deshalb, dass Pflanzen bewegungs- und gefühllos sind, weil er sich nicht die Zeit nehmen wolle, sie zu beobachten…

Keine Pflanze, so sagt er, ist ohne Bewegung; denn jedes Wachstum bedeutet Bewegung. Pflanzen sind ständig dabei, sich zu beugen, sich zu wenden und zu zittern. Er beschreibt, wie sich an einem Sommertag Tausende von polypenähnlichen Armen an einer friedlichen Laube emporranken, um eine neue Stütze für den schweren Stängel zu finden. Wenn die Ranke, die in 67 Minuten eine volle Kreisbewegung ausführt, eine sichere Basis findet, beginnt sie, sich innerhalb von zwanzig Sekunden um das Objekt zu winden, und innerhalb einer Stunde hat sie sich so festgewunden, dass sie kaum noch wegzureißen ist. Die Ranke windet sich dann wie ein Korkenzieher und zieht dadurch die Rebe zu sich herauf.

Eine Kletterpflanze, die einen Halt braucht, wird zum nächsten Halt kriechen. Versetzt man diese Stütze, wird die Rebe innerhalb weniger Stunden ihren Lauf in die neue Richtung ändern. Kann die Pflanze die Stange sehen? Fühlt sie sie in einer unerklärlichen Weise? Wenn eine Pflanze zwischen Hindernissen wächst und nicht eine potentielle Stütze sehen kann, wird sie unfehlbar zu einer verborgenen Stütze hinwachsen und jenes Gebiet meiden, wo keine existiert.

Pflanzen, sagt Francé, sind intentionsfähig: sie können sich zu dem strecken, was sie begehren, oder es auf eine Art ausfindig machen, die ebenso mysteriös ist wie die phantastischsten Romanschöpfungen.

Weit davon entfernt, bloß reglos zu existieren, scheinen die Bewohner des Weidelands (was die alten Griechen botane nannten) in der Lage zu sein, das, was in ihrer Umwelt geschieht, wahrzunehmen und darauf zu reagieren, und zwar mit einem Grad der Verfeinerung, der weit über dem menschlichen liegt. Die Sonnentau-Pflanze wird mit unfehlbarer Präzision eine Fliege einfangen, indem sie sich genau in die richtige Richtung bewegt, wo die Beute zu finden ist. Einige parasitäre Pflanzen können die geringste Spur von Geruch ihres Opfers erkennen, und werden alle Hindernisse überwinden, um in seine Richtung zu kriechen.

Pflanzen scheinen zu wissen, welche Ameisen ihnen den Nektar stehlen wollen, und schließen sich, wenn diese Ameisen sich in der Nähe befinden, während sie sich nur dann öffnen, wenn sich genug Tau auf ihren Stängeln befindet, um die Ameisen daran zu hindern, hinaufzuklettern. Die höher entwickelte Akazie bedient sich der Schutzdienste gewisser Ameisen, die sie mit Nektar belohnt als Gegengabe für den Schutz der Ameisen gegen andere Insekten und pflanzenfressende Säugetiere.

Ist es Zufall, dass Pflanzen sich zu speziellen Formen entwickeln, um sich den Eigenarten von Insekten anzupassen, die sie bestäuben werden, indem sie diese Insekten mit besonderer Farbe und besonderem Duft anlocken, sie mit ihrem Lieblingsnektar belohnen, indem sie außergewöhnliche Kanäle und eine Blütenmechanik gestalten, womit sie eine Biene einfangen können, um sie erst dann durch eine Falltür zu entlassen, wenn der Bestäubungsvorgang abgeschlossen ist?…

Ist es reiner Zufall, dass nachtblühende Blumen weiß werden, um desto besser Nachtmotten und Nachtschmetterlinge anzuziehen, indem sie bei Abenddämmerung einen stärkeren Duft ausstoßen, oder dass die Mistlilie den Geruch von faulem Fleisch entwickelt in Gegenden, wo es ungewöhnlich viele Fliegen gibt, wohingegen Blumen, die sich zur Kreuzbestäubung ihrer Spezies des Windes bedienen, keine Energie darauf verschwenden, sich hübsch, duftend oder attraktiv für Insekten zu machen, sondern relativ unattraktiv bleiben?

Um sich zu schützen, entwickeln Pflanzen Dornen, einen bitteren Geschmack oder klebrige Sekrete, die feindliche Insekten fangen und töten. Die furchtsame Mimosa pudica hat einen Mechanismus, der stets reagiert, wenn ein Käfer, eine Ameise oder ein Wurm den Stängel zu ihren dünnen Blättern hinaufklettert: wenn der Eindringling einen Sporn berührt, richtet sich der Stängel auf, die Blätter rollen sich zusammen, und der Angreifer wird entweder aufgrund der unerwarteten Bewegung hinuntergeworfen oder muss sich erschrocken zurückziehen…

Darwin fand heraus, dass der Sonnentau gereizt werden kann, wenn ein Faden auf ihn gelegt wird, der nicht mehr als 1/78.000stel eines Körnchens wiegt. Eine Ranke, die nach den Wurzelfasern den sensitivsten Teil einer Pflanze bildet, wird sich beugen, wenn ein Stück Seide über sie gelegt wird, das nur 0.00025 Gramm wiegt.

Der Einfallsreichtum von Pflanzen in der Planung und Entwicklung von Konstruktionsformen übersteigt bei weitem denjenigen menschlicher Ingenieure. Von Menschenhand gefertigte Strukturen können keinen Vergleich aushalten mit der Stützkraft der langen Rohre, die phantastische Gewichte tragen. Der Gebrauch von Fasern, die in Spiralen gewickelt sind, ist beiden Pflanzen ein Mechanismus von einer so großen Resistenz gegen Zerreißen, wie sie von menschlicher Technologie noch nicht erreicht wurde. Zellen legen sich zu Würsten oder flachen Bändern, die miteinander verflochten sind, um fast unzerreißbare Schnüre zu bilden. Indem ein Baum nach oben wächst, verdickt er sich wissenschaftlich, um das größere Gewicht tragen zu können.

Der australische Eukalyptus kann auf dünnem Stamm den Wipfel 160 m über den Boden richten (d.h. ebenso hoch wie die Cheops-Pyramide) und gewisse Walnuss-arten können eine Ernte von 100.000 Nüssen tragen. Das Virginia-Knotenkraut kann einen Seemannsknoten binden, der, wenn er trocknet, so sehr gespannt wird, dass er birst und die Samen weg schleudert, damit sie so weit wie möglich von der Mutter keimen.

Pflanzen sind sogar sensitiv gegenüber Orientierung und Zukunft. Siedler und Jäger in den Prärien des Mississippi-Tals entdeckten eine Sonnentau-Pflanze. Silphium laciniatum, deren Blätter präzise die Punkte des Kompasses anzeigen. Indisches Süßholz (Arbrus precatorius) ist so sensitiv gegenüber allen Arten von elektrischen und magnetischen Einflüssen, dass es als Wetterpflanze gebraucht wird. Botaniker, die damit zuerst in Londons Kew Gardens experimentierten, fanden in ihm ein Mittel, um Wirbelstürme. Orkane, Erdbeben und Vulkanausbrüche vorauszusagen.

So präzise sind alpine Blumen hinsichtlich der Jahreszeiten, dass sie wissen, wann der Frühling kommt, und sich Wege durch Schneewehen bahnen, indem sie ihre eigene Hitze entwickeln, mit der sie den Schnee schmelzen.

Pflanzen, die so sicher, vielfältig und prompt auf die Außenwelt reagieren, müssen, so sagt Francé, ein Mittel der Kommunikation mit der Außenwelt haben, etwas, was unseren Sinnen vergleichbar oder überlegen ist. Francé unterstreicht, dass Pflanzen ständig Ereignisse und Phänomene beobachten und aufzeichnen, von denen der Mensch – gefangen in seiner anthropozentrischen Sicht der Welt, die ihm subjektiv durch seine fünf Sinne offenbart wird – nichts weiß.

Während Pflanzen fast generell als Automaten ohne Sinne betrachtet wurden, fand man nun heraus, dass sie in der Lage sind, zwischen Lauten zu unterscheiden, die dem menschlichen Ohr unhörbar sind, und zwischen Farbwellenlängen wie infrarot und ultraviolett, die dem menschlichen Auge unsichtbar sind; sie sind speziell sensitiv gegenüber Röntgenstrahlen und der Hochfrequenz des Fernsehens.

Die ganze Pflanzenwelt, sagt Francé, lebt mit Reaktionen auf die Bewegung der Erde und ihres Mondes, die Bewegung der anderen Planeten unseres Sonnensystems, und eines Tages werde sich erweisen, dass sie von den Sternen und anderen kosmischen Körpern im Universum beeinflusst werden.

Da die äußere Form einer Pflanze als Einheit bewahrt und wiederhergestellt wird, immer wenn ein Teil davon zerstört wird, nimmt Francé an, dass es eine bewusste Wesenheit geben muss, die die ganze Form überwacht, eine Intelligenz, die die Pflanze lenkt, entweder von innen oder von außen…

Es liegen nun Beweise vor, die die Schau des Dichters und Philosophen erhärten, dass Pflanzen lebendige, atmende, kommunizierende Geschöpfe seien, die Persönlichkeit und die Attribute einer Seele besitzen. Nur haben wir in unserer Blindheit darauf bestanden, sie als Automaten zu betrachten. Und am erstaunlichsten ist dies: es hat nun den Anschein, dass Pflanzen bereit, willens und fähig sind, gemeinsam mit der Menschheit die Herkules-Arbeit zu unternehmen, diesen Planeten wieder in einen Garten zu verwandeln, und ihn aus jenem Elend und jener Verdorbenheit herauszubringen, die der englische Pionier-Ökologe William Cobbett eine „Geschwulst“ genannt hätte.

Peter Tompkins und Christopher Bird

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