Die Komplexität des Wesens und Vorherbestimmung des Schicksals

Das Schicksal vorhersehen! Wie viele Menschen haben das versucht, wie viele Systeme wurden erarbeitet, um das zu beantworten, wie viele Wissenschaften wurden erschaffen und entwickelt, nur um mit dem Vorwurf von Quacksalberei und Aberglaube abgestempelt zu werden und wieder zu verschwinden! Und warum ist das Schicksal immer so unvorhersehbar? Wenn es bewiesen ist, dass alles unausweichlich vorherbestimmt ist, warum ist es dann nicht gelungen, diesen Determinismus des Schicksals mit Sicherheit zu erkennen?

Hierzu kann man die Lösung wieder im Yoga finden. Und durch die yogische Disziplin kann man das Schicksal nicht nur vorhersehen, sondern auch abwandeln und fast vollständig ändern. Der Yoga lehrt uns vor allem, dass wir kein einzelnes Wesen, keine einzelne Entität sind, die zwangsläufig ein einzelnes Schicksal hat, das einfach und logisch verläuft. Wir müssen eher zur Kenntnis nehmen, dass das Schicksal der meisten Menschen komplex ist, bis zum Punkt der Zusammenhangslosigkeit. Ist es nicht genau diese Komplexität, die uns den Eindruck von Plötzlichkeit des Unerwarteten, von Unbestimmtheit und folglich von Unvorhersehbarkeit vermittelt?

Um das Problem zu lösen, muss man zuerst wissen, dass alle lebendigen Geschöpfe und gerade besonders die Menschen aus einer Kombination mehrerer verschiedener Elemente des Wesens bestehen, die zusammentreffen und sich gegenseitig durchdringen, sich manchmal ergänzen und gegenseitig vervollständigen und manchmal einander entgegengesetzt sind und sich gegenseitig widersprechen. Jeder dieser Teile oder Zustände des Wesens gehören einer eigenen Ebene an und tragen ihr eigenes Schicksal, ihre eigene Bestimmung in sich. Es ist die Kombination all dieser Determinismen, die manchmal sehr uneinheitlich ist, die das Schicksal des einzelnen Individuums zur Folge hat.

Aber weil die Anordnung all dieser Elemente unserer Wesensteile und ihre Beziehungen zueinander durch persönliche Disziplin und durch Bemühung des Willens geändert werden kann und weil diese verschiedenen Determinismen in uns auf unterschiedliche Weise aufeinander einwirken, ist ihre Zusammensetzung beinahe immer in einem Zustand der Veränderung und dadurch unvorhersehbar.

Zum Beispiel entsteht das körperliche oder materielle Schicksal eines Menschen durch seine väterlichen und mütterlichen Vorfahren, durch die physischen Bedingungen und Umstände, in die er hineingeboren wird; man sollte fähig sein, die Ereignisse seines körperlichen Lebens vorherzusehen wie seinen Gesundheitszustand und wie lange sein Körper ungefähr leben wird. Dann kommt aber dazu die Beschaffenheit des vitalen Wesens ins Spiel (das Wesen der Wünsche und Leidenschaften, aber auch der impulsiven Energie und des aktiven Willens), das sein eigenes Schicksal mit sich bringt. Dieses Schicksal beeinflusst das körperliche Schicksal und kann es völlig abändern und es oft sogar verschlechtern. Wenn zum Beispiel ein Mann mit einer sehr stabilen körperlichen Ausgeglichenheit, der bei bester Gesundheit sein sollte, von seiner vitalen Natur zu allen möglichen Ausschweifungen, schlechten Gewohnheiten und sogar Lastern getrieben wird, kann er auf diese Weise teilweise sein eigentlich gutes körperliches Schicksal zerstören und die Harmonie von Gesundheit und Stärke verlieren, die ihm ohne diese unglückliche Einmischung gehört hätten. Das ist nur ein Beispiel. Aber das Problem ist sehr viel komplexer, denn dem körperlichen und vitalen Schicksal muss das mentale Schicksal hinzugefügt werden, das psychische Schicksal und außerdem noch viele andere. Genau genommen, je höher ein Mensch auf der Skala der menschlichen Entwicklung steht, desto komplexer wird sein Wesen und desto zahlreicher werden seine Bestimmungen und als Konsequenz daraus scheint sein Schicksal umso unvorhersehbarer zu sein. So ist es jedoch nur dem Anschein nach. Die Kenntnis dieser unterschiedlichen Zustände unseres Seins und ihrer entsprechenden inneren Welten, verleiht zugleich die Fähigkeit, ihre verschiedenen Bestimmungen in ihrer gegenseitigen Durchdringung und ihren kombinierten oder vorherrschenden Einflüssen zu unterscheiden. Die höheren Schicksale sind ganz offensichtlich der zentralen Wahrheit des Universums am nächsten und wenn man zulässt, dass sie ins Leben eingreifen, ist ihre Wirkung eindeutig förderlich. Die Kunst des Lebens würde dann darin bestehen, sich selbst den höchsten Bewusstseinszustand zu bewahren und so seiner höchsten Bestimmung zu erlauben, die anderen Bestimmungen im Leben und Handeln zu leiten. Deshalb kann man sagen, ohne zu befürchten einen Fehler zu machen: bleib immer auf der Höhe deines Bewusstseins und dir wird immer das Beste passieren. Aber das ist ein maximaler Anspruch, der nicht immer leicht zu realisieren ist. Wenn diese ideale Bedingung nicht zu erfüllen ist, kann der Mensch wenigstens, wenn er mit einer Gefahr oder einer kritischen Situation konfrontiert ist, durch innere Bestrebung, durch Beten und Vertrauen in den göttlichen Willen seine höchste Bestimmung herbeirufen. Dann, im Verhältnis zu der Aufrichtigkeit dieses Rufens, greift die höhere Fügung positiv in sein normales Schicksal ein und ändert den Lauf der Geschehnisse, soweit sie ihn persönlich betreffen. Es sind Ereignisse dieser Art, die dem äußeren Bewusstsein wie Wunder oder göttliches Eingreifen vorkommen.

DIE MUTTER, CWM 12:77