Das Supramentale und das göttliche Leben

Ein göttliches Leben auf Erden, unser Ideal, kann sich nur durch eine spirituelle Wandlung unseres Seins verwirklichen, und durch eine radikale und fundamentale Wandlung, eine Evolution oder Revolution, unserer Natur. Das verkörperte Sein auf Erden müsste sich von der Beherrschung durch seine Schleier des Mentalen, des Vitalen und des Körpers freimachen und in das volle Bewusstsein und den Besitz seiner spirituellen Wirklichkeit eintreten; und auch seine Natur müsste sich von jenem Bewusstsein und jenen Bewusstseinsmächten, die zu dem mentalen, vitalen und physischen Wesen gehören, befreien und in das höhere Bewusstsein und die größeren Kräfte des Seins, in das weitere und freiere Leben des Geistes erheben. Zwar würde es diese alten Hüllen nicht verlieren, wohl aber deren Undurchsichtigkeit und das Unvollkommene ihrer Ausdrucksfähigkeit, sie würden zu wahren Trägern der Offenbarung werden; sie würden sich in Ordnungen des Lichtes verwandeln, in Mächte des spirituellen Lebens, in Gefäße spirituellen Daseins. Aber auch das könnte nur geschehen, wenn Denken, Leben und Körper durch eine überlegenere Seinsstufe, eine überlegenere Wesensmacht aufgegriffen und verwandelt würden, nämlich das Supramentale, das ebenso unermesslich hoch über unserer unvollkommenen mentalen Natur steht, wie diese über der Natur des animalischen Lebens und der beseelten Materie und diese ihrerseits wieder über der bloß materiellen Natur.

Das Supramentale ist seinem eigentlichen Wesen nach ein Wahrheitsbewusstsein, ein Bewusstsein, allezeit frei von jener Unwissenheit, die in unserem derzeitigen natürlichen oder evolutionären Dasein das Fundament bildet, und von der aus die Natur in uns zu Selbstwissen und Welt-Wissen, zu einem richtigen Bewusstsein und dem richtigen Gebrauch unseres Daseins im Weltall zu gelangen versucht. Dem Supramentalen wohnt dieses Wissen und diese Macht des wahren Daseins inne, weil es ein Wahrheitsbewusstsein ist; sein Weg ist geradeaus und kann unmittelbar zu seinem Ziel führen, sein Kraftfeld ist weit und kann sogar unbegrenzbar gemacht werden. Denn seine wahre Natur ist Wissen: Es braucht nicht Wissen zu erwerben, sondern besitzt es von Natur aus; es geht nicht von Nichtwissen oder Unwissen aus zu irgendeinem unvollkommenen Licht hin, sondern von Wahrheit zu größerer Wahrheit, von richtiger Schau zu tieferer Schau, von Intuition zu weiterer Intuition, von Erleuchtung zu äußerster, grenzenloser Lichtfülle, von wachsender Weite zur völligen Grenzenlosigkeit, zur eigentlichen Unendlichkeit. Auf seinen Gipfeln besitzt es das göttliche Allwissen und die göttliche Allmacht, und sogar im Entfaltungsprozess seiner eigenen gradweisen Selbstoffenbarung, durch den es dann im Laufe der Zeit seine eigenen höchsten Höhen enthüllt, muss es seiner wahren Natur gemäß von Unwissen und Irrtum wesenhaft frei sein: Es geht von Wahrheit und Licht aus und bewegt sich immer in Wahrheit und Licht. So wie sein Wissen immer in der Wahrheit ist, so auch sein Wille; es geht nicht tölpelhaft mit den Dingen um und strauchelt nicht auf seinem Weg. Im Supramentalen geben auch die Gefühle und Empfindungen nichts von ihrer Wahrheit auf, machen keine Fehler oder Fehltritte, weichen nicht vom Richtigen und Wirklichen ab und können weder Schönheit noch Wonne missbrauchen, noch ihre göttliche Geradheit verdrehen. Im Supramentalen können auch die Sinne nicht verführt werden oder verrohen; in dieser Grobheit und Schwerfälligkeit besteht ihre Unvollkommenheit hier, was unsere Unwissenheit zu Vorwürfen, Missbrauch und Misstrauen veranlasst. Sogar eine unvollständige Aussage des Supramentalen ist eine Wahrheit, die zu weiterer Wahrheit führt, und sein unvollendetes Wirken ein Schritt zur Vollkommenheit. Die Führung, das ganze Leben und Wirken des Supramentalen ist naturgemäß vor den Irrtümern und Ungewissheiten bewahrt, die unser Anteil sind; es bewegt sich sicher seiner Vollendung zu. Sobald das Wahrheitsbewusstsein hier sein eigenes, natürliches Fundament aufgebaut hat, wird die Entwicklung des göttlichen Lebens ein Wachsen in Freude sein, ein Aufbruch durch das Licht in die Seligkeit.

Das Supramentale ist eine ewige Wirklichkeit des göttlichen Seins und der göttlichen Natur. Auf seiner eigenen Ebene existiert es bereits, hat es immer existiert, besitzt es sein eigenes wesentliches Gesetz des Seins; es braucht nicht erschaffen zu werden oder emporzutauchen oder sich aus einer Involution in der Materie oder aus einem Nicht-Sein ins Da-Sein zu entwickeln, wie unser Denken sich das vorstellt, das seinen eigenen Ansichten nach so aus dem Vitalen und der Materie aufgetaucht ist, oder sich aus seiner Involution in Leben und Materie evolviert hat. Die Natur des Supramentalen ist immer dieselbe: ein wissendes Wesen, das von Wahrheit zu Wahrheit schreitet und das erschafft, oder vielmehr offenbart, was kraft seines Vorher-Wissens offenbart werden muss, nicht zufällig, sondern aus einer Bestimmung heraus, die durch sein Wesen bedingt ist, und aus der Notwendigkeit der Dinge an sich und deshalb unumgänglich. Ebenso unumgänglich wird seine Offenbarung des göttlichen Lebens sein; sein eigenes Leben auf seiner eigenen Ebene ist göttlich, und wenn das Supramentale auf die Erde herabsteigt, wird es notwendigerweise das göttliche Leben mit sich bringen und hier beheimaten.

Die Ebene des Supramentalen liegt über dem Mentalen, dem Leben und der Materie, und so, wie Denken, Leben und Materie sich auf Erden offenbart haben, so muss sich auch das Supramentale im unvermeidlichen Verlauf der Entwicklung in dieser Welt der Materie offenbaren. Tatsächlich gibt es hier schon ein Wahrheitsbewusstsein, aber involviert, verschleiert hinter diesem offenbarten Mentalen, dem Leben und der Materie und noch nicht sichtbar, oder in seiner ihm eigenen Machtfülle tätig: Wenn es wirkt, dann durch diese minderen Kräfte und abgewandelt durch deren Charakter und deshalb noch nicht erkennbar. Nur durch das Herannahen und die Ankunft des herabsteigenden Supramentalen kann dieses auf Erden frei werden und sich im Wirken unserer materiellen, vitalen und mentalen Schichten enthüllen, so dass diese niederen Kräfte Anteil an einer total vergöttlichten Aktivität unseres ganzen Wesens haben; und das wird uns eine vollkommen verwirklichte Göttlichkeit oder das göttliche Leben auf Erden bringen. Tatsächlich sind Leben und Denken, die in der Materie involviert waren, hier auf Erden wirklich geworden, denn nur was involviert ist, kann evolvieren, eine andere Art von Offenbarung gibt es nicht.

Die Offenbarung eines supramentalen Wahrheitsbewusstseins ist deshalb die Grundvoraussetzung, die ein göttliches Leben möglich machen wird. Erst wenn alle Denkvorgänge, alle Impulse und alles Handeln von einem aus sich selbst existierenden und leuchtenden automatischen Wahrheitsbewusstsein regiert und geleitet werden, wenn unsere ganze Natur aus ihm besteht, aus seinem Stoff aufgebaut ist, dann wird das göttliche Leben vollkommen und absolut sein. Sogar jetzt ist ein geheimes, aus sich selbst lebendes Wissen, eine Wahrheit dabei, sich hier in unserer Schöpfung zu offenbaren, wenn auch nicht augenscheinlich, so doch in Wirklichkeit. Das Göttliche wohnt bereits in uns, wir selbst sind es unserer innersten Wirklichkeit nach, und diese Wirklichkeit ist es, die wir zu offenbaren haben; sie gibt uns die Sehnsucht nach einem göttlichen Leben ein und macht die Schöpfung eines göttlichen Lebens sogar hier in diesem irdischen Dasein notwendig.

Eine Offenbarung des Supramentalen und seines Wahrheitsbewusstseins ist also unausweichlich; sie muss in dieser Welt früher oder später stattfinden. Sie vollzieht sich allerdings in zwei Bewegungen: der Herabkunft von oben und dem Aufstieg von unten, der Selbstoffenbarung des Geistes und der Entwicklung in der Natur. Der Aufstieg ist für die Natur notwendigerweise mühevoll und wird aus einem Drang oder Impuls heraus getan, ihre niederen Schichten durch eine evolutionäre oder revolutionäre Wandlung emporzuheben und durch eine Bekehrung oder eine Transformation ihrer göttlichen Wirklichkeit zuzuwenden, und dies kann entweder durch einen fortschreitenden Prozess oder durch ein Wunder geschehen. Der Herabstieg oder die Selbstoffenbarung des Geistes ist ein Akt der höchsten Wirklichkeit von oben her, der die Verwirklichung möglich machen wird, und kann uns entweder als die göttliche Hilfe erscheinen, die die Erfüllung des Fortschrittsprozesses mit sich bringt, oder als das Zulassen eine Wunders. Entwicklung, wie wir sie in dieser Welt beobachten, ist ein langsamer und schwieriger Prozess und braucht gewöhnlich ganze Zeitalter, um bleibende Resultate zu erzielen, und zwar deshalb, weil sie ihrer Natur nach ein Zu-Tage-Treten aus unbewussten Anfängen darstellt, ein Beginnen im Nicht-Wissen und – in der Unwissenheit der natürlichen Wesen – ein Wirken dessen, was eine unbewusste Kraft zu sein scheint. Im Gegensatz dazu ist aber auch eine Entwicklung im Lichte statt im Dunkel möglich, an der das sich entfaltende Wesen bewusst teilnimmt und mitwirkt, und genau das muss geschehen. Selbst in der Bemühung und im Aufstieg von der Unwissenheit zum Wissen muss dies, wenn nicht ganz, so doch teilweise, das Bestreben auf den Höhen unserer Natur sein; und es muss dies ganz und gar unser Anliegen werden, wenn die letzte Bewegung auf die spirituelle Wandlung, Verwirklichung und Transformation einsetzt. Dies muss umso mehr der Fall sein, wenn die Trennlinie zwischen Unwissen und Wissen überschritten wird und die Entwicklung von Wissen zu größerem Wissen übergeht, von Bewusstsein zu größerem Bewusstsein und von Sein zu größerem Sein. Da besteht dann keine Notwendigkeit mehr für die Langsamkeit der gewöhnlichen Entwicklung; hier kann es schnell zur Umkehr kommen, schnell von Transformation zu Transformation gehen, und das würde unserem normalen gegenwärtigen Denkwesen wie eine Kette von Wundern vorkommen. Eine Entwicklung auf supramentalen Höhen könnte durchaus diesen Charakter haben; es könnte aber genauso gut, wenn sich das Wesen entsprechend entscheiden sollte, einen gemächlicheren Übergang von einem supramentalen Zustand oder einem Gleichgewicht der Dinge zu einer nächsthöheren, jedoch immer noch supramentalen, zu einer göttlichen Ebene geben, eine göttliche Stufenfolge, ein freies Wachsen zum höchsten Supramentalen hin oder gar darüber hinaus zu jetzt noch unerträumten Ebenen des Seins, des Bewusstseins und der Seligkeit.

Das supramentale Wissen, das Wahrheitsbewusstsein des Supramentalen, ist in sich eins und allumfassend; selbst wenn eine freiwillige Selbstbegrenzung des Wissens vorkommt, oder nur eine anscheinende Teiloffenbarung, so ist das gewollt; die Begrenzung resultiert nicht in einer Art von Unwissenheit und geht auch nicht von ihr aus, sie stellt auch kein Verleugnen oder Zurückhalten des Wissens dar, denn die ganze restliche Wahrheit, die nicht ausgedrückt wurde, steht dahinter. Vor allem aber gibt es keine Widersprüche: Was auch immer dem Verstand gegensätzlich scheinen mag, trägt hier seine eigene richtige Relation und die versöhnende Übereinstimmung in sich selbst, falls tatsächlich so etwas wie Versöhnung nötig wäre, denn die Harmonie in diesen anscheinenden Gegensätzen ist vollkommen. Das Mentale neigt dazu, Persönliches und Unpersönliches einander gegenüberzustellen, als ob sie Gegensätze wären; das Supramentale aber sieht und versteht sie als auf der untersten Stufe sich ergänzende und sich gegenseitig erfüllende Kräfte der einen Wirklichkeit, und – noch charakteristischer – als sich gegenseitig durchdringend und untrennbar und selbst als diese eine Wirklichkeit. Die Person hat ihren Aspekt der Unpersönlichkeit, unabtrennbar von ihr selbst, ohne den sie nicht sein könnte, was sie ist, oder nicht ihr ganzes Selbst: Das Unpersönliche ist in Wahrheit nicht etwa ein Zustand des Daseins, ein Zustand des Bewusstseins und ein Zustand der Seligkeit, sondern ein aus sich selbst existierendes Wesen, seiner selbst bewusst und erfüllt von seiner eigenen, in sich ruhenden Seligkeit – denn Seligkeit ist die eigentliche Substanz seines Wesens – und so letztlich die eine, einzige und unbegrenzbare Person: der Purusha. Im Supramentalen begrenzt das Endliche nicht das Unendliche, zerteilt es nicht, fühlt sich dem Unendlichen gegenüber nicht als Gegensatz; vielmehr fühlt es seine eigene Unendlichkeit: Das Relative und das Zeitliche stellen keinen Gegensatz zur Ewigkeit dar, sondern deren, in richtige Beziehung gesetzte Aspekte, des Ewigen natürliches Wirken oder sein unvergänglicher Charakterzug. Zeit ist da nur das Ewige in seiner Ausdehnung, und das Ewige kann im Augenblicklichen erlebt werden. So ist immer das ganze Göttliche im Supramentalen gegenwärtig, und es bedarf keiner Theorie einer Illusion oder einer sich selbst widersprechenden Maya1, um seine Daseinsweise zu rechtfertigen. Hiernach leuchtet ein, dass das Göttliche dem Leben nicht zu entfliehen braucht, um sich selbst oder seine Wirklichkeit zu finden; es besitzt immer beides, entweder im kosmischen Leben oder in seinem transzendenten Dasein. Das göttliche Leben kann nicht im Widerspruch zum Göttlichen oder zur höchsten Wirklichkeit stehen; es ist ein Teil dieser Wirklichkeit, einer ihrer Aspekte oder eine ihrer Ausdrucksformen und nichts anderes. Das Leben auf der supramentalen Ebene besitzt die ganze Gottheit, und wenn das Supramentale auf die Erde herabsteigt, so muss es diese Gottheit mit sich bringen und deren vollen Besitz hier möglich machen.

Das göttliche Leben wird denjenigen, die sich darauf einlassen und es besitzen, einen wachsenden und schließlich vollständigen Besitz des Wahrheitsbewusstseins und all dessen, was es mit sich bringt, schenken, d.h. die Verwirklichung des Göttlichen im Selbst und des Göttlichen in der Natur. Alles, was der Gottsucher angestrebt hat, wird sich in seinem Geiste und in seinem Leben erfüllen, sowie er sich der spirituellen Vollendung nähert. Er wird sich der transzendenten Wirklichkeit bewusst, besitzt in der Selbst-Erfahrung das höchste Sein, das höchste Bewusstsein und die höchste Seligkeit und wird eins mit Sach-chid-ananda2. Er wird eins werden mit dem kosmischen Sein und mit der universalen Natur: Er wird die Welt in sich enthalten, in seinem eigenen kosmischen Bewusstsein, und er wird sich selbst eins fühlen mit allen Wesen; er wird sich selbst in allen sehen und alle in sich selbst, und vereint und wesens-eins geworden sein mit dem Selbst, das zu allen Wesen geworden ist. Er wird die Schönheit des All-Schönen wahrnehmen und das Wunder des All-Wunderbaren; er wird am Ende in die Seligkeit des Brahman eingehen und dauernd in ihr leben, und für all dies ist es nicht notwendig, dem Dasein aus dem Wege zu gehen oder die Vernichtung der spirituellen Person in irgendeinem selbstauslöschenden Nirvana zu suchen. Er kann das Göttliche in seinem Selbst wie auch in der Natur verwirklichen. Die Natur des Göttlichen ist Licht, Macht und Seligkeit: Er kann das göttliche Licht, die Macht und die Seligkeit über sich fühlen und wie sie in ihn herabsteigen und jede Fiber seiner Natur, jede Zelle und jedes Atom seines Wesens erfüllen, wie sie seine Seele, sein Denken, sein Leben und seinen Körper überfluten und ihn gleich einer unendlichen See umgeben und die Welt ausfüllen, wie sie all sein Fühlen, seine Sinne und sein Erleben durchtränken und damit sein Leben wahrlich absolut göttlich machen. Dieses und alles andere, was spirituelles Bewusstsein ihm bringen kann, wird das göttliche Leben ihm geben, wenn es seine äußerste Vollständigkeit und Vollkommenheit erreicht hat und das supramentale Wahrheitsbewusstsein in ihm ganz erfüllt ist; aber auch vorher schon kann er etwas von all dem erreichen, darin wachsen und leben, sobald das Supramentale in ihn herabgestiegen ist und die Führung seines Daseins übernommen hat. Er wird alle göttlichen Beziehungen leben; die Dreieinigkeit des Wissens um das Göttliche, der Werke für das Göttliche und der Hingabe an das Göttliche wird sich in ihm auftun und auf eine äußerste Selbst-Hingabe, auf die Hingabe seines ganzen Seins und seiner Natur dringen. Er wird in und mit Gott leben; er wird sozusagen Gott besitzen, ja in ihn eintauchen und alle trennende Persönlichkeit vergessen, ohne sie jedoch in der Selbst-Auslöschung zu verlieren. Die Liebe zu Gott und alle Süße dieser Liebe wird ihm bleiben, die Seligkeit der Berührung genauso wie die Seligkeit des Eins-Seins und die Seligkeit des Verschiedenseins in der Einheit. All die unendlichen Erfahrensbereiche des Unendlichen werden ihm gehören und alle Freuden des Endlichen in der Umarmung des Unendlichen.

Die Herabkunft des Supramentalen wird dem, der es in sich aufnimmt und erfüllt ist von seinem Wahrheitsbewusstsein, alle Möglichkeiten des göttlichen Lebens bringen. Es wird ihm nicht nur all die charakteristischen Erfahrungen des göttlichen Lebens bringen, die wir bereits als dem spirituellen Leben zugehörig erkannt haben, sondern auch alles, was wir jetzt davon ausschließen, was aber der Vergöttlichung fähig ist, all das inbegriffen, was überhaupt von der Erdnatur und dem Erdenleben durch die Berührung mit dem Supramentalen umgewandelt werden und in das offenbarte Leben des Geistes emporgehoben werden kann. Denn ein göttliches Leben auf Erden braucht nichts Abgesondertes zu sein, nichts Exklusives, das mit dem gewöhnlichen irdischen Dasein nichts zu tun hätte: Es wird menschliches Sein und menschliches Leben in sich aufnehmen, wandeln, was umgewandelt werden kann, spiritualisieren, was spiritualisiert werden kann, den Rest seinem Einfluss unterwerfen und eine radikale oder eine läuternde Wandlung bewirken, eine tiefere Gemeinschaft zwischen dem Universellen und dem Individuellen zustande bringen, das Ideal mit der spirituellen Wahrheit durchdringen, deren leuchtender Schatten es ist, und ihr helfen, sich in ein größeres oder zu einem höheren Dasein zu erheben. Das Mentale wird sich zu einem göttlicheren Licht des Denkens und Willens emporschwingen, das Leben wird zu tieferem und wahrerem Fühlen und Handeln, zu größerer Macht aus sich selbst, zu höheren Motiven und Zielen getragen werden. Was aber noch nicht zur vollen Wahrheit seines Seins erhoben werden kann, wird dieser Fülle doch näher gebracht werden; was auch zu dieser Wandlung noch nicht bereit ist, wird doch den Weg vor sich geebnet finden, wann immer es in seiner noch unvollendeten Entwicklung zur Selbsterfüllung bereit ist. Sogar der Körper wird sich, wenn er die Berührung des Supramentalen ertragen kann, seiner eigenen Wahrheit deutlicher bewusst werden, denn es gibt ein Körperbewusstsein, das seine eigene instinktive Wahrheit und die Fähigkeit zur richtigen Beschaffenheit und zum rechten Wirken besitzt; ja, im Aufbau seiner Zellen und Gewebe ist sogar eine Art unausgelebtes okkultes Wissen vorhanden, das eines Tages bewusst werden und zu der Transformation des physischen Wesens beitragen kann. Die Erdnatur und das Erdbewusstsein müssen erwachen, und das wird, wenn auch nicht der tatsächliche Anfang, so doch zumindest eine wirksame Vorbereitung und der erste Schritt in ihrer Entwicklung zu einer neuen und göttlicheren Weltordnung sein.

Das wäre die Erfüllung des göttlichen Lebens, das die Herabkunft des Supramentalen und das Wirken des Wahrheitsbewusstseins all denen bringen würde, – indem es die ganze Natur des Lebewesens erfasst, – die sich ihrer Macht oder ihrem Einfluss öffneten. Als erstes unmittelbares Ergebnis würde es allen dazu Befähigten ermöglichen, in das Wahrheitsbewusstsein einzutreten und alle Regungen der Natur mehr und mehr in die Bewegungen der supramentalen Wahrheit zu verwandeln, in die Wahrheit des Denkens, in die Wahrheit des Wollens, in die Wahrheit des Fühlens, in die Wahrheit des Handelns, in die richtige Beschaffenheit des ganzen Wesens, sogar des Körpers, und schließlich in die Transformation, – eine vergöttlichende Wandlung. Für alle, die sich so öffnen und offenbleiben könnten, gäbe es für diese Entwicklung keine Grenzen, ja sogar keine grundsätzliche Schwierigkeit; denn alle Schwierigkeiten würden sich unter dem Druck des Lichtes und der Macht des Supramentalen von oben, die sich in das Mentale, das Vitale und den Körper ergießen, auflösen. Die Wirkung der supramentalen Herabkunft braucht sich jedoch nicht auf diejenigen zu beschränken, die sich selbst gänzlich so öffnen könnten und braucht sich auch nicht auf die supramentale Wandlung zu beschränken; es könnte auch zu einer kleineren oder sekundären Transformation des mentalen Wesens kommen, und zwar innerhalb eines befreiten und vervollkommneten Bereiches der mentalen Natur. An Stelle des menschlichen Mentalen, das jetzt so beschränkt und unvollkommen ist, jeden Augenblick auf alle mögliche Weise von der Wahrheit abweicht oder sie verfehlt, allen Arten von Irrtum offen ist, sogar den Einflüsterungen totaler Lüge und der Verderbtheit der Natur, ein verblendetes Mentales, in Unbewusstheit und Unwissenheit gefallen, das kaum zu Erkenntnissen durchdringt, ein Intellekt, der höheres Wissen nur in Abstraktionen und indirekten Metaphern wiederzugeben vermag, der sogar die Botschaften der höheren Intuition mit unsicherem und zweifelndem Verständnis begreift und festhält, könnte dann ein befreites wahres Mentales auftauchen, das fähig wäre zur freien und äußersten Vervollkommnung seiner selbst sowie seiner Instrumente, ein Leben, das durch ein freies und erleuchtetes Mentales geleitet und ein Körper, der für das Licht empfänglich wäre und fähig, all das auszuführen, was ein freies Denkwesen und ein freier Wille von ihm verlangen könnten. Diese Wandlung würde sich nicht nur in einigen Wenigen ereignen, sondern die ganze Menschheit allgemein erfassen. Wenn diese Möglichkeit in Erfüllung ginge, würde der menschliche Traum von Vollendung, von Vervollkommnung ihrer selbst, ihrer gereinigten und erleuchteten Natur, all ihrer Handlungsweisen und ihrer Lebensart nicht mehr länger ein Traum sein, sondern eine Wahrheit, die sich verwirklichen könnte, und die Menschheit wäre dann aus der Umklammerung durch Unbewusstheit und Unwissenheit befreit. Das Leben des mentalen Wesens könnte mit dem Leben des Wahrheitsbewusstseins, das dann den höchsten Rang über ihm einnähme, in Harmonie gebracht werden, ja es könnte sogar ein Wirkungsbereich oder ein Anhängsel des Wahrheitsbewusstseins werden, ein Teil und eine Provinz des göttlichen Lebens. Es liegt auf der Hand, dass eine ungeheure Wandlung des menschlichen Lebens unausweichlich wäre, – sogar dann, wenn es nicht bis zur Transformation kommen würde –, sobald das Wahrheitsbewusstsein herabgekommen wäre und eine Ordnung supramentaler Art als führendes Prinzip in der Erdnatur aufgebaut hätte, – so wie das Mentale jetzt das führende Prinzip ist, – jedoch mit einer Sicherheit und einer vollkommenen Herrschaft über das irdische Dasein, mit einer Fähigkeit der Transformation aller Wesen auf ihrer Ebene und innerhalb ihrer natürlichen Grenzen, deren das Denkwesen in seiner Unvollkommenheit nicht fähig war.

Es bleibt noch zu bedenken, welcher Art die Hindernisse auf diesem möglichen Wege sein könnten, besonders, welcher Art jene Hindernisse wären, die aus der Natur der irdischen Ordnung und ihrer Funktion als einem Feld der stufenweisen Entwicklung erwachsen, deren Unvollkommenheit – so könnte argumentiert werden – eigentlich die Voraussetzung für die Entwicklung gewesen ist, in der unsere Menschheit eine Stufe darstellt. Wie weit könnte oder würde das Supramentale durch seine Gegenwart und Herrschaft diese Schwierigkeit überwinden und dabei doch das Prinzip der Stufenordnung respektieren, und könnte es die falsche Ordnung, die uns durch die Unwissenheit und das Unbewusste auferlegt worden sind, berichtigen und durch eine richtige Hierarchie ersetzen, in der Vollkommenheit und Vergöttlichung möglich sein würden? Sicherlich wäre dem Einzelnen der Weg offen, und auch jenen Menschengruppen, die sich vereint um ein vollkommenes individuelles oder kollektives Leben bemühen oder sich nach einem göttlichen Leben sehnen, würde bei der Erfüllung dieses Strebens geholfen werden: Das wäre das mindeste als Folge der Gegenwart des Supramentalen. Aber die größere Möglichkeit wäre ebenfalls gegeben und könnte sogar der ganzen Menschheit angeboten werden. Daraus ergibt sich die folgende Frage: Was würde die Herabkunft des Supramentalen für die Menschheit bedeuten, was wäre ihr Ergebnis oder ihre Verheißung für das ganze Leben, für die zukünftige Entwicklung und für das Schicksal der menschlichen Rasse?

1 Illusion, das phänomenale Bewusstsein

2 absolutes Sein, absolutes Bewusstsein, absolute Seligkeit