DAS AUFTAUCHEN AUS DER UNBEWUSSTHEIT

Gewöhnlich verrichten die Menschen die Dinge derart automatisch und spontan, ohne sich in ihrem Tun zu beobachten, dass sie, wenn sie gefragt würden, wie sie geschehen, einige Zeit bräuchten, bevor ihnen der Vorgang bewusst würde. Ihr seid so sehr daran gewöhnt zu leben, dass ihr nicht einmal wisst, wie es geschieht. Alle Gesten und Bewegungen des Lebens erfolgen spontan, automatisch, beinahe unbewusst, in einem halbbewussten Zustand, und man begreift nicht einmal die sehr simple Tatsache, dass man, um etwas zu tun, erst zu wissen hat, was man tun wird, und es dann wollen muss. Erst wenn etwas schiefgeht – zum Beispiel die Fähigkeit, geistig etwas zu planen und dann diesen Plan auszuführen – wenn diese beiden schiefgehen, beginnt man sich Sorgen zu machen, ob man auch ganz in Ordnung sei. Wenn du zum Beispiel eines Morgens beim Aufwachen im Bett nicht mehr weißt oder dich erinnerst, dass du aufstehen, dich waschen und anziehen musst, dass du frühstücken und dies oder jenes tun musst, würdest du dir sagen, „Nanu, was ist los? Irgend etwas stimmt doch nicht – ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich tun sollte; irgend etwas muss nicht in Ordnung sein.“

Und später, wenn du weißt, was du zu tun hast – nämlich aufzustehen, zu baden, dich anzuziehen – du weißt, dass du es tun musst, aber du kannst es nicht: etwas, der Willensantrieb funktioniert nicht mehr und hat seine Auswirkung auf den Körper verloren; du beginnst, dich besorgt zu fragen: „Nanu, bin ich etwa krank?“

Im allgemeinen nimmst du nicht einmal wahr, dass es sich so mit deinem ganzen Leben verhält. Es erscheint dir ganz natürlich, dass es ,so ist‘. Das heißt, dass du auf eine Weise handelst, die knapp halb bewusst ist, automatisch, eine Art spontane Gewohnheit. Wenn du daher eine gewisse Kontrolle über deine Regungen ausüben willst, musst du zunächst wissen, was eigentlich geschieht.

Und tatsächlich mag dies der Grund sein, warum die Dinge nicht immer gut ablaufen. Denn wenn sie dem normalen gewöhnlichen Rhythmus gemäß verliefen, wäre man sich dessen nie bewusst, was man tut, man würde es gewohnheitsmäßig tun, automatisch, spontan, ohne zu denken, und man würde nicht beobachten, was man tut, und daher niemals fähig sein, Selbstmeisterung zu erlangen. Es wäre „etwas“, ein unbestimmtes Bewusstsein im Hintergrund, das sich ausdrückt und dich handeln lässt, ohne dass du auch nur bemerkst, was du tust; und dann, wenn plötzlich ein eigenartiger oder unbekannter Kraftstrom auftreten würde, könnte er dich alles tun lassen, ohne dass du den Vorgang, durch den er dich handeln lässt, auch nur bemerkst. Und tatsächlich, das ist es, was geschieht.

Erst wenn man sich voll des Vorgangs bewusst ist, wenn man weiß, wie das Leben arbeitet, die Bewegungen des Lebens, der Vorgang des Lebens, kann man beginnen, eine Kontrolle auszuüben; im allgemeinen denkt man zunächst gar nicht daran, Kontrolle auszuüben; doch wenn etwas Unangenehmes passiert, wenn du zum Beispiel etwas tust, das unangenehme Folgen hat, und du sagst dir: Oh, eigentlich sollte ich doch dies nicht mehr tun, dann, in diesem Augenblick, erkennst du, dass es eine ganze Technik des „wie man leben sollte“ gibt, eine Technik, die zur Kontrolle deines Lebens notwendig ist! Im anderen Fall ist man ein mehr oder weniger koordiniertes Sammelsurium von Aktivitäten und Reaktionen, Bewegungen und Impulsen, und man hat keine Ahnung, wie die Dinge geschehen. Das ist es, was sich im Wesen durch Erschütterungen, Reibungen und all die scheinbaren Störungen des Lebens entwickelt hat, und was das Bewusstsein in ganz kleinen Kindern formt. Ein kleines Kind ist sich seiner völlig unbewusst, und nur allmählich, ganz allmählich, beginnt es, sich der Dinge bewusst zu werden. Doch die Menschen – es sei denn, sie würden besonders darauf achten – leben beinahe ihr ganzes Leben, ohne zu wissen wie! Sie sind sich dessen nicht bewusst.

Daher kann alles passieren.

Doch ist das der allererste kleine Schritt, um sich seiner in der stofflichen Welt bewusst zu werden.

Du hast unbestimmte Gedanken und Gefühle, nicht wahr, die sich mehr oder weniger logisch im Wesen entwickeln – eher weniger als mehr –, dann hast du einen unbestimmten Eindruck davon; und dann, wenn du dich verbrennst, erkennst du, dass etwas nicht in Ordnung ist; wenn du fällst oder dich verletzt, erkennst du, dass etwas nicht stimmt: du beginnst, darüber nachzudenken, dass du auf dieses oder jenes achten musst, um nicht zu fallen, dich nicht zu verbrennen, dich nicht zu schneiden.… Es dämmert dir allmählich mit der äußeren Erfahrung, den äußeren Kontakten. Doch im allgemeinen ist man eine halbbewusste Masse, die sich bewegt, ohne überhaupt zu wissen, warum oder wie.

Dies ist der sehr kleine Beginn des Auftauchens aus dem Urzustand der Unbewusstheit.

DIE MUTTER

Man lebt aus einer Art Gewohnheit heraus, die knapp halbbewusst ist – man lebt, man objektiviert nicht einmal, was man tut, warum man es tut, wie man es tut. Man tut es aus Gewohnheit. All jene, die in einem bestimmten Milieu geboren sind, in einem bestimmten Land, nehmen automatisch die Gewohnheiten jenes Milieus an – nicht nur materielle Gewohnheiten, sondern Gewohnheiten des Denkens, Gewohnheiten des Fühlens und Gewohnheiten des Handelns. Sie tun es, ohne darauf zu achten, ganz natürlich, und wenn jemand sie darauf aufmerksam macht, sind sie erstaunt.

In der Tat, man hat die Gewohnheit zu schlafen, zu sprechen, zu essen, sich zu bewegen, und man tut all dies als etwas ganz Natürliches, ohne sich zu wundern, warum oder wie … und viele andere Dinge. Die ganze Zeit über tut man Dinge automatisch, aus reiner Gewohnheit, man beobachtet sich nicht. Wenn man daher in einer bestimmten Gemeinschaft lebt, tut man automatisch das, was in dieser Gemeinschaft normalerweise getan wird. Wenn dann jemand beginnt, sein Tun zu beobachten, sein Fühlen und Denken zu beobachten, gleicht er einer Art phänomenalem Ungeheuer, verglichen mit dem Milieu, in dem er lebt.

Daher ist Individualität ganz und gar nicht die Regel, sie ist die Ausnahme; und wenn du jenes Drum und Dran nicht hättest, die bestimmte Form deines äußeren Körpers und deiner Erscheinung, könntest du von den anderen kaum unterschieden werden.

Individualität ist eine Errungenschaft. Und wie Sri Aurobindo hier sagt, diese erste Errungenschaft ist lediglich ein erstes Stadium, und wenn du eines Tages in dir so etwas wie ein persönliches unabhängiges und bewusstes Wesen erkannt hast, dann musst du die Form zerbrechen und weitergehen. Zum Beispiel, wenn du mental Fortschritte machen willst, musst du all deine mentalen Gestaltungen zerbrechen, all deine mentalen Konstruktionen, um fähig zu sein, neue zu schaffen. Zunächst ist daher eine ungeheure Arbeit vonnöten, um sich zu individualisieren, und danach hat man all das Getane zu zerstören, um fortzuschreiten.

DIE MUTTER

„Wenn wir die Freuden hinter uns gelassen haben, werden wir Seligkeit besitzen. Begehren war der Helfer; Begehren ist die Fessel.

Wenn wir die Individualisierung hinter uns gelassen haben, werden wir die wahre Person sein. Ego war der Helfer, Ego ist die Fessel.

Wenn wir die Menschheit hinter uns gelassen haben, werden wir der Mensch sein. Das Tier war der Helfer, das Tier ist die Fessel.“ (SRI AUROBINDO, 16:377)

Es ist das gleiche Prinzip, das sich in allen Aktivitäten oder Aspekten des Wesens ausdrückt.… Es liegt auf der Hand, dass das Begehren unerlässlich war, denn ohne Begehren hätte es kein Erwachen zur Aktivität gegeben. Doch wenn du einmal in das Bewusstsein hineingeboren worden bist, verhindert genau dieses Begehren, das dir aus der Unbewusstheit heraushalf, deine Befreiung von den Fesseln der Materie und dein Aufsteigen zu einem höheren Bewusstsein.

Das gleiche gilt für das Ego, das Selbst. Um zu einer höheren Ebene weiterzugehen, muss man zuerst existieren; und um zu existieren, muss man ein bewusstes, gesondertes Individuum werden, und um ein bewusstes gesondertes Individuum zu werden, ist das Ego unerlässlich, andernfalls würde man mit allem um sich herum verschmolzen bleiben. Doch wenn einmal die Individualität geformt ist, wenn man zu einer höheren Ebene aufsteigen und ein spirituelles Leben führen will, wenn man einfach ein höherer Typ Mensch werden will, sind die Begrenzungen des Egos das schlimmste Hindernis; das Ego muss zurückgelassen werden, um in das wahre Bewusstsein einzutreten.

Und tatsächlich waren für das gewöhnliche elementare Leben des Menschen alle die der Tiernatur eigenen Merkmale unerlässlich, besonders jene des Körpers, sonst hätte der Mensch nicht zu existieren vermocht. Doch als der Mensch ein bewusstes mentales Wesen wurde, wurde all das, was ihn an seinen Tierursprung band, notwendigerweise ein Hindernis für den Fortschritt und die Befreiung des Wesens.

Daher ist zunächst für jeden – außer für jene, die frei geboren sind, und das ist offenbar – sehr selten – für jeden ist dieser Zustand der Vernunft, der Bemühung, des Begehrens, der Individualisierung und des soliden physischen Gleichgewichts in Übereinstimmung mit der normalen Art zu leben unerlässlich, bis der Zeitpunkt eingetreten ist, da man ein bewusstes Wesen geworden ist, woraufhin man all diese Dinge aufzugeben hat, um ein spirituelles Wesen zu werden.

DIE MUTTER

Wann kann man von sich sagen, dass man bewusst ist?

Das ist immer eine relative Frage. Man ist niemals ganz und gar unbewusst, und man ist niemals vollkommen bewusst. Es ist ein fortschreitender Zustand.

Doch kommt eine Zeit, da man, anstatt die Dinge automatisch zu tun, getrieben von einem Bewusstsein und einer Kraft, deren man sich kaum bewusst ist – es kommt eine Zeit, da man beobachten kann, was in einem vorgeht, da man die eigenen Regungen erkennen und ihre Ursachen ausfindig machen kann und gleichzeitig eine Kontrolle auszuüben vermag, zunächst über das, was in uns vorgeht, dann über den von außen auf uns ausgeübten Einfluss, der uns handeln lässt – zunächst völlig unbewusst und beinahe unfreiwillig, doch langsam mehr und mehr bewusst; und der Wille kann erwachen und reagieren. Dann, in diesem Augenblick, dem Augenblick, in dem ein bewusster Wille fähig ist, zu reagieren, kann man sagen, „Ich bin bewusst geworden.“ Das bedeutet nicht, dass es ein totales und vollendetes Bewusstsein ist, es bedeutet einen Beginn: zum Beispiel, fähig zu sein, alle Reaktionen in seinem Wesen zu beobachten und eine gewisse Kontrolle über sie auszuüben, jenen, die man billigt, ihren Lauf zu lassen und jene, die man nicht billigt, zu kontrollieren und anzuhalten.

Außerdem musst du innerlich etwas wahrnehmen, ein Ziel, einen Zweck oder ein Ideal, das du verwirklichen willst; etwas, das anders ist als der bloße Instinkt, der dich antreibt zu leben, ohne dass du weißt, warum oder wie. Das ist der Augenblick, in dem du sagen kannst, du seist bewusst, es bedeutet aber nicht, dass du vollkommen bewusst bist. Zudem ist diese Vollkommenheit derart progressiv, dass, wie ich glaube, niemand sagen kann, er sei vollkommen bewusst; er ist dabei, vollkommen bewusst zu werden, aber er ist es noch nicht.

DIE MUTTER

Welche Rolle hat die Sorge in der Evolution der Menschheit gespielt?

Sorge, Begehren, Leiden, Ehrgeiz, und jede andere ähnliche Reaktion der Gefühle und Empfindungen haben alle dazu beigetragen, Bewusstsein aus der Unbewusstheit auftauchen zu lassen und dieses Bewusstsein zum Willen nach Fortschritt zu erwecken.

DIE MUTTER

„Der Mensch sucht zuerst blind und weiß nicht einmal, dass er sein göttliches Selbst sucht; denn seine Anfänge liegen in der Dunkelheit der stofflichen Natur, und selbst, wenn er zu sehen beginnt, wird er auf lange Zeit hin geblendet durch das Licht, das in ihm wächst.“ (SRI AUROBINDO, 16:382)

Wie ist es möglich, dass man etwas sucht und dennoch nicht weiß, dass man sucht?

Es gibt so viele Dinge, die du denkst, fühlst, willst und sogar tust, ohne es zu wissen. Bist du dir deiner voll bewusst, und all dessen, was in dir vorgeht? Nicht im geringsten! Wenn ich dich zum Beispiel plötzlich, ohne dass du es erwartest, in einem bestimmten Augenblick frage: „Woran denkst du?“ wird deine Antwort in 99 von 100 Fällen sein: „Ich weiß es nicht.“ Und wenn ich genauso eine andere Frage stelle: „Was willst du?“ wirst du ebenfalls sagen: „Ich weiß es nicht.“ Oder: „Was fühlst du?“ – „Ich weiß es nicht.“ Allein jenen, die es gewohnt sind, sich zu beobachten, achtzugeben, wie sie leben, die auf dieses Erfordernis konzentriert sind, zu wissen, was in ihnen vorgeht, kann man eine exakte Frage wie diese stellen, und nur sie können sofort darauf antworten. Ja, in gewissen Augenblicken im Leben ist man absorbiert von dem, was man fühlt, denkt, will, und dann kann man sagen: ,Ja, ich will das, ich denke an jenes, ich empfinde dieses“, es sind aber nur Momente im Dasein, es ist nichts Dauerndes.

Hast du das nicht bemerkt? Nein?

Nun, herauszufinden, was man wahrhaft ist, warum man auf Erden ist, was der Sinn des physischen Daseins ist, dieses Hierseins auf Erden, dieser Gestaltung, dieses Daseins … die überwiegende Mehrheit der Menschen lebt, ohne sich dies auch nur einmal zu fragen! Nur eine kleine Elite stellt sich diese Frage mit wirklichem Interesse, und noch weniger arbeiten daraufhin, die Antwort zu erhalten. Es ist auch nicht so einfach, es herauszufinden, es sei denn man hat das Glück auf jemanden zu stoßen, der es weiß. Nimm zum Beispiel an, es ist niemals ein Buch von Sri Aurobindo in deine Hände geraten, oder eines jener Schriftsteller oder Philosophen oder Weisen, die ihr Leben dieser Suche widmeten; wenn du in der gewöhnlichen Welt lebtest, so wie Millionen von Menschen in der gewöhnlichen Welt leben, die niemals oder selten – heutzutage sogar ziemlich selten – von irgend etwas gehört haben, von Göttern oder einer bestimmten Religionsform, die mehr eine Gewohnheit als ein Glaube ist und die, nebenbei bemerkt, dir nur selten sagt, warum du auf Erden bist.… Daher fällt es einem gar nicht ein, darüber nachzudenken. Man lebt den Ablauf jedes Tages, Tag für Tag. Wenn man sehr jung ist, denkt man an Spielen und Essen und ein wenig später an Lernen, und danach denkt man an all die täglichen Umstände des Lebens. Aber sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, ihm zu begegnen und sich zu fragen: „Warum bin ich eigentlich hier?“ Wie viele tun das? Es gibt Menschen, denen das nur dann einfällt, wenn sie mit einer Katastrophe konfrontiert sind. Wenn sie einen geliebten Menschen sterben sehen, oder wenn sie sich in besonders leidvollen und schwierigen Situationen befinden, dann wenden sie sich nach innen und fragen sich: „Wirklich, in welchem Trauerspiel leben wir eigentlich, was ist sein Zweck, was ist sein Sinn?“

Und erst in diesem Augenblick beginnt man die Suche nach Wissen.

Und erst, wenn man gefunden hat, siehst du, wenn man gefunden hat, was er [Sri Aurobindo] sagt, gefunden, dass man ein göttliches Selbst besitzt, und dass man daher danach trachten muss, dieses göttliche Selbst zu erkennen.… Das kommt viel später, und doch, trotz allem, vom ersten Augenblick der Geburt in einem physischen Körper an besteht in den Tiefen des Wesens diese seelische Gegenwart, die das ganze Wesen zu dieser Erfüllung drängt. Doch wer kennt und erkennt es, dieses seelische Wesen? Auch das findet nur unter besonderen Umständen statt, und leider müssen das meist leidvolle Umstände sein, andernfalls lebt man dahin, ohne nachzudenken. Und in den Tiefen des Wesens ist dieses seelische Wesen, das danach trachtet und sucht, sucht, das Bewusstsein zu erwecken und die Einung wiederherzustellen. Man weiß nichts davon.…

Im Grunde ist es erst dann, wenn man seiner Seele gewahr wurde, wenn man mit seinem seelischen Wesen identifiziert wurde, dass man blitzartig das Bild der eigenen individuellen Entwicklung durch die Zeiten erkennen kann. Dann allerdings beginnt man zu wissen … doch nicht zuvor. Dann allerdings, das versichere ich euch, wird es sehr interessant. Es verändert den Standpunkt im Leben.

Es ist solch großer Unterschied, ein undeutliches Gefühl, einen unschlüssigen Eindruck von etwas zu haben, einer Kraft, einer Regung, einer Neigung, etwas, das dich im Leben treibt – aber es ist noch so vage, so unbestimmt, es ist verschwommen – es besteht solch Unterschied zwischen dem und [dem Umstand] eine klare Schau zu haben, eine genaue Wahrnehmung, ein volles Verstehen der Bedeutung des eigenen Lebens. Und erst dann beginnt man, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, nicht vorher. Erst dann kann man dem Faden seiner Bestimmung folgen und klar das Ziel erkennen und den Weg, es zu erreichen. Das aber geschieht nur durch aufeinanderfolgende innere Erweckungen, es ist, als würden sich plötzlich Türen zu neuen Horizonten öffnen – wahrhaft eine neue Geburt in ein wahreres, tieferes und beständigeres Bewusstsein.

Bis dahin lebst du in einer Wolke, tastend, unter dem Gewicht eines Geschicks, das dich manchmal erdrückt und dir das Gefühl gibt, dass du auf bestimmte Weise geschaffen wurdest und nichts daran ändern kannst. Du trägst die Bürde eines Daseins, das dich niederdrückt, das dich am Boden kriechen lässt, anstatt dich darüber zu erheben und alle Fäden zu sehen, die Leitfäden, jene Fäden, die verschiedene Dinge zu einer einzigen Bewegung des Fortschreitens auf eine erkennbar werdende Verwirklichung hin zusammenbinden.

Man muss aus diesem Halbbewusstsein, das im allgemeinen als ganz natürlich empfunden wird, herausschnellen – es ist deine ,normale‘ Art zu sein, und du hast nicht den ausreichenden Abstand davon, um diese Ungewissheit, diese mangelnde Genauigkeit erkennen und dich darüber wundern zu können; wohingegen, zu wissen, dass man sucht und bewusst sucht, überlegt, beständig und methodisch, tatsächlich die Ausnahme ist, der beinahe ,abnormale‘ Zustand. Und dennoch, nur auf diese Weise beginnt man wahrhaft zu leben.

DIE MUTTER

Was hat man zu tun, um sich für den Yoga vorzubereiten?

Bewusst zu sein, vor allem. Wir sind uns nur eines unbedeutenden Teils unseres Wesens bewusst; die meiste Zeit sind wir unbewusst. Es ist diese Unbewusstheit, die uns zu unserer ungeläuterten Natur hinunterzieht und Veränderung und Umwandlung in ihr verhindert. Durch die Unbewusstheit können die ungöttlichen Kräfte Eingang in uns finden und uns zu ihren Sklaven machen. Du musst Dir deiner bewusst sein, du musst deine Natur und Regungen erkennen, du musst wissen, warum und wie du Dinge tust oder sie fühlst oder erkennst; du musst deine Motive und Impulse verstehen, die verborgenen und sichtbaren Kräfte, die dich bewegen; du musst gleichsam die ganze Maschinerie deines Wesens in Stücke zerlegen. Wenn du einmal bewusst bist, bedeutet das, dass du Dinge unterscheiden und überprüfen kannst, du vermagst die Kräfte zu erkennen, die dich niederziehen, und jene, die dir weiterhelfen.

DIE MUTTER

Um in einem Kollektiv individualisiert zu werden, muss man sich seiner absolut bewusst sein … des Selbstes, das über aller Vermengung steht …, der Wahrheit deines Wesens. Und so lange du dir der Wahrheit deines Wesens nicht bewusst bist, wirst du von allen möglichen Dingen bewegt, ohne sie überhaupt zu bemerken. Kollektives Denken, kollektive Eingebungen sind ein gewaltiger Einfluss, der fortwährend auf das individuelle Denken einwirkt.… Um dem zu entkommen, gibt es nur ein Mittel: sich seiner selbst bewusst zu werden, mehr und mehr bewusst.…

DIE MUTTER

In der Menge verliert das Individuum seine innere Richtung und wird zu einer Zelle des Massen-Körpers, die sich von dem kollektiven Willen oder Denken oder dem Massen-Impuls bewegen lässt. Es muss beiseite stehen, seine gesonderte Realität in der Ganzheit behaupten, sein eigenes Mental, das aus der gemeinsamen Mentalität herausragt, sein eigenes Leben, das sich von der allgemeinen Gleichförmigkeit des Lebens unterscheidet, genau wie sein Körper etwas Einzigartiges und Erkennbares in der allgemeinen Physikalität entwickelt hat.… Die Natur erfand das Ego, damit der Einzelne sich von der Unbewusstheit oder Unterbewusster der Masse freimachen könne und ein unabhängiges lebendiges Mental werde, eine Lebenskraft, eine Seele, ein Spirit, sich mit der umgebenden Welt abstimmend, doch nicht in ihr untergehend.… Denn der Einzelne ist tatsächlich Teil des kosmischen Seins, aber er ist auch etwas mehr, er ist eine Seele, die von der Transzendenz herabgekommen ist. Diese kann er nicht sogleich manifestieren, da er dem kosmischen Unbewussten zu nahe ist und nicht nahe genug dem ursprünglichen Überbewussten; er muss sich als das mentale und vitale Ego finden, bevor er sich als Seele oder Spirit finden kann.

SRI AUROBINDO