Nirodbaran

Briefwechsel mit Sri Aurobindo

Diese Betrachtung wurde dem Vorwort zu dem Buch „Correspondence with Sri Aurobindo“ (First Edition 1969) von Nirodbaran entnommen. Sie bezieht sich auf den Briefwechsel Sri Aurobindos mit Nirodbaran, der einen besonders humorvollen und innigen Ton aufweist.

Die Geschichte dieses Briefwechsels geht zurück auf die frühen dreißiger Jahre, jener Zeit als der Ashram meine ständige Heimat wurde. Ich war zu meinem ersten darshan hierhergekommen, um etwa einen Monat zu bleiben. Bevor ich abfuhr, schrieb ich Sri Aurobindo einen Brief, der sich auf die künftige Entwicklung meines Lebens bezog, und deutete ihm an, dass meine Neigung mehr in Richtung des Karmayoga als eines Lebens der Meditation ginge; ich stellte ihm auch die Frage, wie die Ausübung des Yoga überhaupt mit dem Leben in der Welt vereinbar sei, und auf welche Weise ich mich vorbereiten könne, um zu einem späteren Zeitpunkt den Yoga voll aufnehmen zu können. Seine Antwort bestand in einem langen Brief, in welchem Sri Aurobindo mir erklärte, wie das äußere Leben zu einem Bereich des Yoga gemacht werden könne, und wie Arbeit, in der richtigen Einstellung verrichtet – als Teil des Karmayoga –, ein gutes Training für das volle yogische Leben sein könne. Von diesem Rat jedoch wurde nur sehr wenig in die Praxis umgesetzt: die Dunkelheit der Welt draußen verhüllte rasch das flackernde Licht, das im Ashram entzündet worden war.

Als ich im Jahre 1933 zurückkehrte und mich entschloss, im Ashram zu bleiben, bemerkte ich, dass der Briefwechsel der Jünger mit der Mutter und Sri Aurobindo zu einem charakteristischen Merkmal jener Zeit geworden war. Die Mutter und Sri Aurobindo saßen Nacht für Nacht, Monat um Monat über Stößen von Notizbüchern und Briefen und beantworteten alle Arten von Fragen der Sadhaks und Sadhikas – schwierige und lächerliche. Das ging etwa 8 Jahre lang so. Für einige Sadhaks war das Schreiben Pflicht, andere taten es freiwillig, doch niemand wollte sich eine derartige Gelegenheit entgehen lassen; all die alten Sadhaks jener Zeit hüten den Briefwechsel mit Sri Aurobindo wie einen kostbaren Schatz, der jetzt noch hundertmal kostbarer für sie geworden ist. Auch ich begann ihm zu schreiben und seine Antworten waren etwa ein Jahr lang ziemlich kühl und sachlich. Nicht in meinen kühnsten Träumen wäre es mir eingefallen, dass diese Beziehung bald einen vertrauten und persönlichen Charakter annehmen würde. Und dennoch war es so, und auf überraschend plötzliche Weise. Eines Tages, als mein Notizbuch von Sri Aurobindo zurückkam und ich zu lesen begann, stieß ich zu meiner höchsten Verwirrung auf den Satz: „Nun, mein Lieber, hast du es jetzt verstanden?“ Ich war so verblüfft, dass ich meinen Augen nicht traute. „Ist dies ein Scherz oder ein Versehen seiner Hand?“, fragte ich mich, denn ich kannte niemanden, für den er jemals die Anrede mein Lieber gebraucht hätte. Ich konnte ihn aber auch nicht darüber befragen. Doch ließ er mich nicht lange im Zweifel, denn von diesem Tag an änderte der ganze Briefwechsel mit ihm seinen Ton und enthielt nun für mich den rasa himmlischen Entzückens, den allein Sri Aurobindos Feder erstehen lassen und seine vielschichtige Persönlichkeit vermitteln konnte – denn für mich war er schlechthin die Verkörperung des raso vai sah (Er ist wahrhaft das Entzücken).

Von nun an wurde das Leben ein einziger Gesang! Jeden Morgen wartete ich voller Spannung auf die Ankunft der Göttlichen Post, wie wir sie zu nennen pflegten. Wie groß war die Erregung, wenn ich sah, dass Seiten – in unglaublicher Geschwindigkeit geschrieben – mit seiner feinen, engen Handschrift gefüllt waren. „Oh, wie viel er doch wieder geschrieben hat“, war dann mein erster Gedanke. Und der Inhalt glich tatsächlich einem Göttermahl, obwohl ich zugeben muss, dass es eines Gottes Wirken bedurfte, um in einer einzigen Nacht so viele Fragen zu beantworten. Manchmal, wenn es am wenigsten erwartet wurde, waren die Antworten ausführlich und wenn es am meisten erwartet wurde, absolut spärlich – aber immer hatten sie eine anfeuernde Wirkung auf mich. Der aufblitzende Humor, das brillante Wortgefecht, die vorgebrachten Argumente, welche die völlige Hohlheit meiner unreifen Schlussfolgerungen bloßlegten, waren Dinge, die meine übliche menschliche Kost überschritten. Voller Freude pflegte ich zu Dilip Roy [ein Jünger Sri Aurobindos, der ihm besonders nahe stand] zu rennen, um mit ihm den üppigen Schmaus zu teilen. Wir bogen uns vor Lachen und genossen all die Prügel, die mir für meine holzköpfige Logik zuteil wurde. Dilip pflegte zu sagen: „In dem Briefwechsel mit dir hat sich Sri Aurobindo in einem völlig neuen Licht gezeigt. Welch Glück für uns, solch einen Guru zu haben!“ Meine Freunde wunderten sich, wie ich es wagen konnte, mir derartige außergewöhnliche Freiheiten Sri Aurobindo gegenüber herauszunehmen – manchen erschien es als ein Sakrileg. Ich wurde oftmals gefragt: „Hast du keine Angst, wenn du ihm während des darshans gegenübertrittst?“ Angst? Wo konnte von Angst die Rede sein, wenn sein Gesicht, seine Augen sagten: ma bhai (hab keine Furcht), seine Lippen sich in zärtlichem Lächeln öffneten und sein Körper, ganz Liebe und Süße, sich niederbeugte, um den Kopf zu segnen, der zu seinen Füßen lag.

Auf diese Weise setzten wir, Guru und Schüler, unsere täglichen schriftlichen Gefechte fort – der Guru zu dem Angriff auf allen Fronten ermutigend und sich ihm preisgebend und zuletzt den dreisten Gegner mit einem gütigen Lachen zu Boden werfend. Der Schüler aber pflegte den Staub abzuschütteln und sich für eine neue Kontroverse bereit zu machen und, „obgleich besiegt, immer noch weiter argumentierend.“ Der Leser mag die Fragen manchmal etwas einfältig finden; in jenen Tagen aber, als die kleineren Bücher [wie Grundlagen des Yoga usw.] noch nicht veröffentlicht waren, konnten wir nur auf den Arya zurückgreifen, der aber für viele von uns schwer verständlich war – wir wussten daher nicht viel über diesen Yoga. Außerdem war die Versuchung Sri Aurobindo eine Äußerung zu entlocken so unwiderstehlich, dass wir die Weisheit unserer Fragen nicht weiter wogen. Er hatte uns dieses außergewöhnliche Privileg eingeräumt und wir wandten jede List und Geschicklichkeit an, um ihm etwas von dem unermesslichen Reichtum seines Wissens zu entreißen. Das Ergebnis ist eine große, kostbare Folge von Briefen über alle Arten von Themen – Briefe, die für immer leuchten werden wie Juwelen auf dem Brustpanzer der Zeit.

Die Kunst, einen indirekten Kontakt mittels Briefen so eng und lebendig, gleichsam berührbar zu machen, ist etwas, dessen Geheimnis Sri Aurobindo allein zu kennen schien. Eine Redewendung wie mach weiter, mach weiter, wenn der Sadhak in einer Stimmung von Verzweiflung war, oder vorwärts, vorwärts, wenn er wissen wollte, ob er überhaupt Fortschritte mache, oder ein einfaches Ausrufezeichen am Rand, sind Dinge, über die man sich, wenn man den Zusammenhang kennt, unglaublich freuen kann. Außerdem stellte seine Art mit verschiedenen Sadhaks gemäß ihrem psychologischen make-up umzugehen und das gleiche Thema von verschiedenen Ebenen des Bewusstseins her zu behandeln – dem geistigen Format jedes einzelnen angemessen – eine große Meisterschaft seiner Federführung dar. Und so wie Sri Krishna die Herzen der Menschen mit seiner Flöte bestrickte, hat Sri Aurobindo ihre Herzen und ihren Geist mit der Zauberkraft seiner Feder gewonnen.

Dies ist in Kürze die Geschichte unseres Briefwechsels. Erinnerungen der versunkenen Vergangenheit steigen bei seiner Betrachtung auf und verleihen meinem inneren Horizont die Farbe ihrer Regenbogen-Töne. Vieles hat sich seither ereignet, viele Umwälzungen haben die Erde erschüttert, ihren dunklen Schatten hinterlassend und sich wieder zurückziehend, wenn Seine [Yoga-] Macht eingriff. Auch unser eigenes Leben erfuhr viele Erschütterungen, aber in all diesem Fluten und Ebben sind die Dinge unserer inneren Welt tatsächlich sehr weit gediehen. Nur wenige wissen etwas von der Herkulesarbeit, die Sri Aurobindo und die. Mutter vereint und getrennt verrichteten indem sie, den Dringlichkeiten der Zeit entsprechend, subtile oder rasch wirkende oder langsame Methoden anwandten und wieder verwarfen, um andere aufzunehmen und neue Brücken zu öffnen, alte zu schließen oder zu blockieren und sogar ihr eigenes Leben für das Göttliche Ziel einzusetzen. Diese noch nie dagewesene symbolische Geschichte wird in der Zukunft geschrieben werden; es wird unser Epos sein – wie Savitri das Epos Sri Aurobindos ist – und unser Briefwechsel mit Ihm wird seinen gebührenden Platz darin finden.

Noch einen Augenblick will ich in erinnerungsträchtiger Stimmung bei der Betrachtung unserer Korrespondenz verweilen. Das Bild der Vergangenheit tritt wieder vor meine Augen: Ich blicke von der Ecke meines Zimmers zu dem Seinen hinüber und stelle mir vor, dass er jetzt an unseren Briefen schreibt. Und, durch die Korridore des Traumes wandelnd, wache ich schließlich auf, um an der Schwelle der Morgenstunden auf die Göttliche Post zu warten. Hier kommt sie – und himmlischer Odem, der Hauch des Spirits, haftet ihr an. Ich versenke mich darin und einen Augenblick lang ist es, als würde ich Seine Hände selbst berühren, die Hände, die jene wohlklingenden Saiten anschlugen. Die Augenblicke gehen vorüber, und noch immer koste ich die seltsame Frucht dieser Ekstase. Der Duft Seiner nicht-körperlichen Gegenwart lässt den darshan vor meiner inneren Schau wiedererstehen – ruhig und heiter, golden und majestätisch, Augen, die das Unergründliche widerspiegeln, Lächeln und Ernst auf den Lippen, wenn Bekannte und Unbekannte an ihm vorüberziehen. Sind dies die Hände, die von den Weingärten seines erleuchteten Geistes die köstlichen Früchte des Wissens gelesen haben, um unsere sterblichen Gefäße mit ihrem funkelnden Wein zu füllen? Sind das die Augen, die in schlaflosen Nächten wachten über unseren täglichen Geschichten von Freud und Leid, unserem Stammeln und einfältigen Argumentieren? Ist das der Mund, der mit Hilfe eine überzeugenden Feder Seiten der Rede von sich gab, nur um einen einzigen Menschen von seiner spirituellen Bestimmung zu überzeugen, oder um jede nur denkbare Hilfe und Unterstützung auf dem Schlachtfeld des Yoga zu versprechen?

Viele andere intensive Assoziationen lassen den Kontakt der Seele mit ihrem verborgenen höchsten Ursprung wiedererstehen. Wer könnte diese funkelnden Erinnerungen tilgen, wer ihre Feuer löschen? Weihung und Gebet, Arbeit und der tiefe Wunsch nach der Erfüllung Seiner Sendung – die Dinge, mit denen er unsere Seelen inspirierte und der Pfad, den er durch den unbetretenen Wald unseres Lebens schlug, sind eine Geschichte, die erst in ihren Anfängen offenbar ist, deren Ende aber noch darauf harrt von der künftigen Entwicklung der Dinge enthüllt zu werden. Doch wie viel seines inneren Bewusstseins er mit Hilfe dieses Briefwechsels tatsächlich in unser Blut übertragen hat, ist niemandem bekannt. Nur diejenigen, die die Empfänger dieser verjüngenden Energie des Göttlichen Bewusstseins waren, werden sein Wirken verstehen – langsam, im allmählichen Prozess ihrer Selbst-Entfaltung. Unser Herz wiederholt das Wunder Seines Namens und erwartet Seine Rückkehr auf eben jenem Pfad, den er mit soviel Mühsal der Liebe und des Mitleids gebaut hat.