DAS WACHSEN DES BEWUSSTSEINS: GRUNDLEGENDE VORAUSSETZUNGEN

Aspiration [Streben]

Die Entwicklung der Erfahrung in ihrer Geschwindigkeit, ihrer Fülle, die Intensität und Kraft ihres Ergebnisses hängt zu Beginn des Pfades und lange danach hauptsächlich von dem Streben und der persönlichen Bemühung des Sadhaks ab. Der Vorgang des Yoga ist eine Wende der menschlichen Seele vom egoistischen Bewusstseinszustand, der von den äußeren Erscheinungsformen und der Anziehungskraft der Dinge absorbiert ist, in einen höheren Zustand, in welchem das Transzendente und Universale sich in die individuelle Form gießen und sie umwandeln können. Das erste entscheidende Element der Siddhi ist daher die Intensität dieser Wende, die Kraft, welche die Seele nach innen lenkt. Die Kraft des Strebens des Herzens, die Kraft des Willens, die Konzentration des Mentals, die Ausdauer und Zielstrebigkeit der angewandten Energie sind das Maß jener Intensität. Der ideale Sadhak sollte wie in dem biblischen Zitat von sich sagen können: „Mein Verlangen nach dem Herrn hat mich aufgezehrt“. Es ist dieses Verlangen nach dem Herrn, utsaha, das Verlangen der ganzen [menschlichen] Natur nach den göttlichen Ergebnissen, vyakulata, des Herzens Ungeduld nach der Erlangung des Göttlichen, – die das Ego verschlingt und die Begrenzungen seiner kleinlichen und engen Form aufbricht für den vollen und weiten Empfang dessen, was es sucht, das, da es universal und transzendent ist, selbst das größte und höchste individuelle Selbst und seine Natur übertrifft und übersteigt.

SRI AUROBINDO

„Ein seelisches Feuer im Inneren muss angefacht werden …“ (SRI AUROBINDO)

Ist das seelische Feuer nicht stets angefacht?

Es ist nicht stets angefacht.

Wie soll man es dann anfachen?

Durch Streben.

Durch den Willen nach Fortschritt, durch den Drang nach Vollendung.

Vor allem ist es der Wille nach Fortschritt und Selbstläuterung, die das Feuer entfachen. Der Wille nach Fortschritt. Wenn jene, die einen starken Willen haben, ihn dem spirituellen Fortschritt und der spirituellen Läuterung zuwenden, entzündet das von selbst das Feuer in ihnen.

Und jede Schwäche, die man überwinden will, oder jeder Fortschritt, den man machen will – wenn all das in das Feuer geworfen wird, brennt es mit neuer Intensität. Und dies ist nicht ein Gleichnis, es ist eine Tatsache im subtilen Physischen. Man kann die Wärme der Flamme spüren, man kann im subtilen Physischen das Licht der Flamme sehen. Und wenn etwas in der [menschlichen] Natur ist, das einen am Fortschritt hindert, und man wirft es in dieses Feuer, beginnt es zu brennen, und die Flamme wird intensiver.

DIE MUTTER

„Dies ist das erste Erfordernis – das Streben nach dem Göttlichen“. (DIE MUTTER, Questions and Answers 1929, 7. April)

Die erste Regung des Strebens ist diese: du hast eine Art unbestimmtes Gefühl, dass hinter dem Universum etwas ist, das es zu kennen wert ist, das voraussichtlich – denn du kennst es noch nicht – das einzige ist, für das es sich zu leben lohnt, das dich mit der Wahrheit in Kontakt bringen kann; etwas, wovon das Universum abhängt, das aber selbst unabhängig vom Universum ist, etwas, das noch dein Verständnis übersteigt, das aber hinter allen Dingen zu sein scheint.… Ich habe hier viel mehr gesagt, als die Mehrheit der Menschen bei der Sache empfinden, doch so beginnt die erste Aspiration – das zu kennen, und nicht in dieser immerwährenden Falschheit zu leben, in der die Dinge so entstellt und künstlich sind, wäre etwas Wohltuendes; etwas zu finden, wofür es sich zu leben lohnt.

„Das nächste, was du zu tun hast, ist, dieses Streben zu pflegen, es immer rege, wach und lebendig zu halten.“ (Ebenda)

Anstatt dir hin und wieder zu sagen: „Oh ja, ich will das Göttliche finden“ – wenn gerade etwas unangenehm ist, wenn du dich ein wenig angeekelt fühlst, weil du müde bist – tatsächlich gibt es viele fadenscheinige Gründe – plötzlich erinnerst du dich daran, dass es so etwas wie Yoga gibt, etwas wie das Göttliche zu kennen, das dir aus dieser Leere des Lebens heraushelfen kann.

„Und was hierfür benötigt wird, ist Konzentration – Konzentration auf das Göttliche mit dem Ziel, sich seinem Willen und seiner Absicht integral und absolut zu weihen.“ (Ebenda)

Das ist der zweite Schritt. Das heißt, zu Beginn willst du das Göttliche finden und kennen und es leben. Gleichzeitig musst du fühlen, dass die Sache so kostbar, so wichtig ist, dass dein ganzes Leben nicht genügt, sie zu erlangen. Dann ist die erste Bewegung ein Selbstgeben; du sagst dir: „Ich will nicht länger mir selbst gehören und meiner kleinen persönlichen Befriedigung genügen, ich will dieser großartigen Sache angehören, die man finden muss, kennen muss, leben muss, und nach der ich mich sehne.“

DIE MUTTER

Was ist der Unterschied zwischen Gebet und Aspiration?

Gebet ist viel mehr äußerlich, es beinhaltet meist eine präzise Tatsache, und es ist immer formuliert, denn es ist die Formulierung, die das Gebet ausmacht. Man mag eine Aspiration haben und sie als Gebet umschreiben, doch geht Aspiration in jeder Weise über das Gebet hinaus. Sie ist viel konzentrierter und gleichsam selbstvergessener, nur in der Sache lebend, die man sein oder tun will, und in der Darbringung von allem, was man dem Göttlichen weihen will.

Wenn wir es klarer ausdrücken wollen, können wir sagen, Gebet ist immer in Worten formuliert; doch können Worte unterschiedlichen Wert haben, dem Zustand entsprechend, in dem sie formuliert wurden. Gebet ist eine formulierte Sache, und man mag dabei eine Aspiration haben. Es ist aber schwierig zu beten, ohne zu jemandem zu beten. Zum Beispiel jene, die die Vorstellung eines Universums haben, aus dem sie mehr oder weniger die Idee des Göttlichen verbannt haben, (es gibt viele Menschen dieser Art; diese Idee stört sie – die Idee, dass es jemanden gibt, der alles weiß, der alles vermag, und der so ungeheuer viel größer ist als sie, dass es keinen Vergleich gibt; das ist ein wenig störend für ihre amour propre, daher versuchen sie eine Welt ohne das Göttliche zu schaffen) – diese Menschen können offensichtlich nicht beten, denn zu wem sollten sie beten? Es sei denn, sie würden sich selbst anbeten, was man nicht macht! Man kann aber eine Aspiration haben, ohne an das Göttliche zu glauben. Es gibt Menschen, die an das Dasein eines Gottes nicht glauben, die aber an Fortschritt glauben. Sie haben die Vorstellung, dass die Welt sich in ständigem Fortschritt befindet, und dass dieser Fortschritt sich ohne Unterlass unendlich fortsetzen wird, auf eine immer größere Besserung hin. Nun, diese Leute mögen eine sehr große Aspiration nach Fortschritt haben, und hierfür brauchen sie nicht die Idee einer göttlichen Existenz. Aspiration bezieht notwendigerweise einen Glauben mit ein, doch nicht notwendigerweise einen Glauben an ein göttliches Wesen; wohingegen es das Gebet, das nicht an ein göttliches Wesen gerichtet ist, nicht gibt. Und beten zu was? Man betet nicht zu etwas, das keine Personalität besitzt! Man betet zu jemandem, der uns hören kann. Wenn es niemanden gibt, der uns hört, wie sollte man beten? Zu beten bedeutet daher, auch wenn man es nicht zugibt, dass man Glauben an jemanden hat, der unendlich höher ist als wir, unendlich machtvoller, der unser Schicksal ändern kann und auch uns ändern kann – wenn man betet, um gehört zu werden. Das ist der grundlegende Unterschied.

Daher lassen die mehr intellektuellen Menschen die Aspiration [das Streben] gelten und sagen, dass Gebet etwas Untergeordnetes ist. Die Mystiker sagen dir, dass die Aspiration durchaus in Ordnung ist, aber wenn du wirklich erhört werden willst und willst, dass das Göttliche auf dich hört, musst du beten, und zwar beten mit der Einfachheit eines Kindes, in vollkommener Offenheit, das heißt in vollkommenem Vertrauen: „Ich brauche dies oder jenes (sei es ein moralisches Erfordernis oder ein physisches, oder eine materielle Notwendigkeit), also bitte ich Dich darum, gib es mir“ … Um eine Aspiration zu haben, ist es nicht notwendig, sie auf jemanden zu richten. Man hat eine Aspiration nach einem bestimmten Daseinszustand, nach Wissen, nach einer Verwirklichung, einem Bewusstseinszustand; man hat Aspiration nach etwas, doch ist das nicht unbedingt ein Gebet; Gebet ist etwas Zusätzliches.

DIE MUTTER

Aufrichtigkeit

Welches ist die grundlegende Tugend, die zur Vorbereitung auf das spirituelle Leben geformt werden muss?

Ich habe es viele Male gesagt, doch ist dies eine Gelegenheit, es zu wiederholen: es ist Aufrichtigkeit.

Eine Aufrichtigkeit, die total und absolut werden muss, denn Aufrichtigkeit allein ist dein Schutz auf dem spirituellen Pfad. Wenn du nicht aufrichtig bist, wirst du mit Sicherheit beim nächsten Schritt fallen und deinen Kopf anschlagen. Alle Arten von Kräften, Willen, Wünschen, Einflüssen, Wesenheiten halten Ausschau nach dem geringsten kleinen Riss in dieser Aufrichtigkeit und dringen durch diesen sofort ein und beginnen, dich in Verwirrung zu stürzen.

Daher, bevor du irgend etwas tust, irgend etwas beginnst, irgend etwas versuchst, sei dir vor allem sicher, dass du nicht nur so aufrichtig bist, wie du sein kannst, sondern noch aufrichtiger werden willst.

Dann das ist dein einziger Schutz.

DIE MUTTER

,Aufrichtig‘ ist einfach ein Eigenschaftswort und bedeutet, dass der Wille ein aufrichtiger Wille zu sein hat. Wenn du zu streben meinst und dann Dinge tust, die mit dem Streben unvereinbar sind, oder dich deinen Begierden hingibst, oder dich entgegengerichteten Einflüssen öffnest, dann ist dies kein aufrichtiger Wille.

SRI AUROBINDO

Die Menschen bestehen immer aus einem Gemisch, und in ihrer Natur sind gute und schlechte Eigenschaften beinahe unentwirrbar miteinander verflochten. Was ein Mensch sein will, oder wie er anderen erscheinen möchte, oder was er manchmal auf der einen Seite seiner Natur oder in bestimmter Hinsicht ist, kann durchaus verschieden von dem sein, was er tatsächlich oder in anderer Hinsicht oder auf einer anderen Seite seiner Natur ist. Vollkommen aufrichtig, gerade und offen zu sein, ist keine einfache Errungenschaft für die menschliche Natur. Allein durch die spirituelle Bemühung kann es erreicht werden; und um es zu tun, ist eine Ernsthaftigkeit innerer Selbstschau, eine schonungslose Genauigkeit in der Selbstbeobachtung erforderlich, zu der viele Sadhaks und sogar Yogis nicht fähig sind.…

SRI AUROBINDO

Was heißt genaugenommen „Aufrichtigkeit“?

Es gibt verschiedene Stufen von Aufrichtigkeit.

Die elementarste ist, nicht das eine zu sagen und das andere zu denken, das eine zu fordern und das andere zu wollen. Zum Beispiel, was recht oft geschieht, zu sagen: „Ich will weiterkommen, ich will meine Fehler loswerden“, und gleichzeitig seine Fehler im Bewusstsein zu hegen und sehr darauf bedacht zu sein, sie zu verbergen, so dass niemand sich einmischt und sie fortschickt. Das ist tatsächlich ein sehr allgemeines Phänomen. Das ist bereits die zweite Stufe. Die erste Stufe, weißt du, ist, wenn jemand behauptet, eine sehr große Aspiration zu haben und das spirituelle Leben zu wollen, und gleichzeitig völlig … wie soll ich es ausdrücken? … schamlos Dinge tut, die zum spirituellen Leben in krassem Widerspruch stehen. Dieser Grad von Aufrichtigkeit oder vielmehr Unaufrichtigkeit ist der offensichtlichste.

Es gibt aber eine zweite Stufe – ich habe sie auch gerade beschrieben – und die ist so: Ein Teil des Wesens hat eine Aspiration, es denkt und fühlt sogar, dass es sich gern von den Mängeln und Unvollkommenheiten befreien würde; gleichzeitig aber verbergen andere Wesensteile diese Mängel und Unvollkommenheiten sehr sorgsam, um nicht gezwungen zu werden, sie bloßzustellen und zu überwinden. Das ist etwas sehr Allgemeines.

Und schließlich, wenn wir weit genug gehen, wenn wir es genau beschreiben wollen: solange es einen Wesensteil gibt, der zu der zentralen Aspiration nach dem Göttlichen in Widerspruch steht, ist man nicht vollkommen aufrichtig. Das bedeutet, dass eine völlige Aufrichtigkeit etwas äußerst Seltenes ist. Und am häufigsten, sehr, sehr oft, wenn es Dinge in der eigenen Natur gibt, die man nicht mag, versteckt man sie mit größter Umsicht vor sich selbst, man findet geeignete Erklärungen oder macht einfach eine kleine Bewegung, so etwa … (Geste). Wenn es sich so verhält, kannst du die Dinge nicht klar erkennen. Dort, wo der Defekt ist, besteht eine Art Vibration, die das tut, und daher ist deine Sicht nicht klar, du siehst die Mängel nicht länger. Das geschieht ganz automatisch. All das sind Unaufrichtigkeiten.

Und vollkommene Aufrichtigkeit entsteht dann, wenn im Zentrum des Wesens das Bewusstsein der Göttlichen Gegenwart besteht, das Bewusstsein des Göttlichen Willens, und wenn das ganze Wesen wie ein leuchtendes, klares, transparentes Ganzes dies in all seinen Einzelheiten ausdrückt. Das ist in der Tat die wahre Aufrichtigkeit. Wenn in jedem Augenblick, was immer geschehen mag, das Wesen sich dem Göttlichen gegeben hat und nur den göttlichen Willen will, wenn, ganz gleich was im Wesen vor sich geht, es in jedwedem Augenblick und stets in voller Einmütigkeit zum Göttlichen sagen und für das Göttliche empfinden kann: „Lass Deinen Willen geschehen“, und wenn das spontan, total, integral ist – dann bist du aufrichtig. Doch solange das nicht fest verankert ist, ist es eine vermischte Aufrichtigkeit, mehr oder weniger vermischt, bis zu dem Punkt, an dem man ganz unaufrichtig ist.

DIE MUTTER

Man sollte nie vorgeben, dass man ist, man muss sein, spontan. Das ist Aufrichtigkeit.

DIE MUTTER

Glaube

Glaube beruht nicht auf Erfahrung, er ist vor der Erfahrung vorhanden. Wenn man den Yoga aufnimmt, geschieht dies meist nicht durch die Kraft der Erfahrung, sondern durch die Kraft des Glaubens. Dies ist nicht nur im Yoga und spirituellen Leben der Fall, sondern auch im gewöhnlichen Leben. Alle Menschen der Tat, Entdecker, Erfinder, Wissenschaftler, schreiten durch den Glauben voran, bis der Beweis erbracht oder die Sache getan ist, und sie halten sich daran trotz Enttäuschung, Fehlschlag, Gegenbeweis und Verneinung; denn etwas Innerliches sagt ihnen, dass dies die Wahrheit ist, und dass man die Sache aufnehmen und durchführen muss. Auf die Frage, ob blinder Glaube nicht falsch sei, ging Ramakrishna so weit zu sagen, dass blinder Glaube die einzige Art Glaube sei, die es gibt; denn Glaube ist entweder blind, oder er ist kein Glaube, sondern etwas anderes, eine begründete Schlussfolgerung, eine bewiesene Überzeugung oder gesichertes Wissen.

Glaube ist der Zeuge der Seele von etwas, das sich noch nicht offenbart hat, das noch nicht erreicht oder verwirklicht wurde, das aber dennoch der Wissende in uns als das Wahre empfindet, als zuhöchst wert, dass man ihm folgt oder es erreicht, auch wenn keine anderen Anzeichen vorhanden sind. Dieses Etwas in uns kann andauern, selbst wenn das Mental keinen gefestigten Glauben hat, selbst wenn das Vital dagegen kämpft und aufbegehrt und sich weigert. Wo gibt es den, der den Yoga ausübt, und der nicht durch diese Zeiten hindurch muss – durch lange Zeitspannen der Enttäuschung, des Fehlschlags, des Unglaubens und der Finsternis? Doch etwas erhält ihn aufrecht und macht weiter – ihm selbst zum Trotz – da es fühlt und mehr noch, da es weiß, dass es auf jeden Fall das Wahre ist, dem es folgt. Der grundlegende, der Seele innewohnende Glaube ist, dass es das Göttliche gibt, und dass es das einzige ist, dem man zu folgen hat, und nichts anderes im Leben einem Vergleich damit standhält. Solange ein Mensch diesen Glauben besitzt, ist er für das spirituelle Leben bestimmt, und selbst wenn seine Natur voller Widerstände, voller Ablehnung und Schwierigkeiten ist, und selbst wenn er viele Jahre zu kämpfen hat, ist er dennoch für den Erfolg im spirituellen Leben ausersehen.

SRI AUROBINDO

… Glaube im spirituellen Sinn ist keine mentale Überzeugung, die hin und her schwanken kann. Er kann diese Form zwar im Mental annehmen, doch ist eine Überzeugung kein Glaube, sie ist lediglich seine äußere Form. Genauso wie der Körper, die äußere Hülle, sich verändern kann, der Spirit jedoch der gleiche bleibt, ist es auch hier. Glaube ist eine Gewissheit der Seele, er ist nicht abhängig von Argumentation, von dieser oder jener mentalen Idee, von Umständen oder diesem oder jenem vorübergehenden Zustand des Mentals, Vitals oder Körpers. Er kann verborgen und im Dunkeln sein, er kann sogar wie ausgelöscht erscheinen, doch kommt er nach dem Sturm oder der Finsternis wieder zum Vorschein, und man erkennt, dass er immer noch in der Seele brennt, obwohl man dachte, er sei für immer erloschen. Das Mental mag ein wogendes Meer des Zweifels sein, und dennoch kann der Glaube innerlich fortbestehen und – wenn dem so ist – sogar das von Zweifeln zerrissene Mental stützen, so dass es voranschreitet, sich selbst zum Trotz, seinem vorherbestimmten Ziel entgegen. Glaube ist eine spirituelle Gewissheit des spirituellen und seelischen Ideals, etwas, das sich an dieses klammert, selbst wenn es keine Erfüllung im Leben findet und die unmittelbaren Tatsachen oder die unveränderlichen Umstände es zu leugnen scheinen. Dies ist eine allgemeine Erfahrung im Leben des menschlichen Wesens; wäre es nicht so, dann wäre der Mensch das Spielzeug eines sich stets verändernden Mentals oder ein Spielball der Umstände.

SRI AUROBINDO

„So wie der starke Wind einem mächtigen Felsen nichts anhaben kann, so hat Mara keine Macht über einen Menschen …, der mit unerschütterlichem Glauben versehen ist, und der seine Energien nicht vergeudet“. (DHAMMAPADA)

Was das Dhammapada meint, wenn es von Glauben spricht, ist ganz und gar nicht der Glaube an ein Dogma oder eine Religion, es ist nicht einmal Glaube an die Lehre des Meisters; es ist der Glaube an die eigenen Möglichkeiten, die Gewissheit, dass, wie immer die Schwierigkeiten auch seien, wie immer die Hindernisse, wie immer die Unvollkommenheiten, selbst die Verneinungen im Wesen, dass man für die Verwirklichung geboren ist und man verwirklichen wird.

Der Wille darf niemals schwanken, die Bemühung muss stetig und der Glaube unerschütterlich sein. Dann, statt Jahre zu brauchen, um das zu verwirklichen, was verwirklicht werden muss, kann man es in wenigen Tagen tun und, bei genügender Intensität, in einigen Stunden. Das heißt, du kannst eine Stellung in dir beziehen und kein böser Wille, der die Verwirklichung angreift, wird mehr Macht über dich haben als der Sturm Macht über einen Felsen hat.

Danach ist der Weg nicht länger schwierig: er wird außerordentlich interessant.

DIE MUTTER

„Immer Fehler und falsche Bewegungen zu beobachten führt zu Depressionen und entmutigt den Glauben.“ (SRI AUROBINDO)

Auf welche Weise entmutigt es den Glauben?

Der Glaube, der gemeint ist, ist der Glaube an die göttliche Gnade und an den schließlichen Erfolg des Unterfangens. Du hast den Yoga begonnen und hast Glauben, dass du bis zum Ende deines Yoga durchhalten wirst. Doch wenn du deine Zeit damit vergeudest, nach all dem Ausschau zu halten, was deinen Fortschritt verhindert, wirst du schließlich sagen: „Ah, ich werde nie erfolgreich sein! Es ist nicht möglich! Wenn es so weiter geht, werde ich niemals dorthin gelangen.“ Nun, das heißt, seinen Glauben zu verlieren. Man muss den Glauben daran bewahren, dass man bestimmt Erfolg haben wird.

Viele Menschen machen einen Anfang, und nach einiger Zeit kommen sie und sagen, „Oh, ich werde niemals durchhalten können, ich habe zu viele Schwierigkeiten.“ Das bedeutet, dass sie keinen Glauben haben. Wenn man einen Anfang gemacht hat, dann in dem Glauben, dass man das Ziel erreichen wird. Nun, dieser Glaube sollte bis zuallerletzt aufrechterhalten werden. Wenn man seinen Glauben bewahrt, erreicht man das Ziel. Doch wenn du dich auf halbem Weg umwendest und sagst: „Nein, ich kann nicht“, dann liegt es auf der Hand, dass du das Ziel nicht erreichst. Manche Menschen machen sich auf den Weg, und nach einiger Zeit finden sie es mühsam, schwierig und ermüdend, und sie finden auch, dass sie selbst, dass ihre Beine sich schwerfällig bewegen und ihre Füße zu schmerzen beginnen usw. Sie sagen: „Siehst du, es ist sehr schwierig, vorwärts zu kommen.“ Und anstatt zu sagen: „Ich habe begonnen, ich werde da hindurchgehen“, was das einzige wäre, bleiben sie hier stehen, halten dort an, lamentieren und sagen: „Oh, ich werde nie Erfolg haben“, und dann wenden sie sich vom Pfad ab. Und natürlich, wenn sie sich vom Pfad abwenden, werden sie nie Erfolg haben. Das heißt es, seinen Glauben zu verlieren.

Seinen Glauben zu bewahren heißt: „Gut, ich habe Schwierigkeiten, ich gehe aber hindurch“, Verzweifeln – das zieht dir die Beine weg, bringt dich zum Stehen, und du bist so: „Es ist zu Ende, ich kann nicht weiter.“ Und tatsächlich ist es zu Ende, und das ist etwas, das nie zugelassen werden sollte.

DIE MUTTER

Man muss über seinem Glauben wachen wie man über der Geburt von etwas unendlich Kostbarem wacht, und man muss ihn sorgsam vor allem bewahren, das ihn schmälern könnte.

In der Unwissenheit und Finsternis des Beginns ist der Glaube der unmittelbarste Ausdruck der Göttlichen Macht, die kommt, um zu kämpfen und zu siegen.

DIE MUTTER

Die Lehre – Mentale Vorbereitung

Nichts kann dem Mental gelehrt werden, das nicht bereits als potentielles Wissen in der sich entfaltenden Seele des Geschöpfes verborgen ist. Daher ist alle Vollendung, deren der äußere Mensch fähig ist, lediglich eine Verwirklichung der ewigen Vollendung des Spirits in ihm. Wir kennen das Göttliche und werden zum Göttlichen, weil wir Das bereits in unserer geheimen Natur sind. Alles Lehren ist ein Enthüllen, alles Werden ein Entfalten. Selbsterreichung ist das Geheimnis; Selbsterkenntnis und ein wachsendes Bewusstsein sind die Mittel und der Vorgang.

Normalerweise ist das Instrument dieser Enthüllung das Wort, das gehört wird (sruta). Das Wort mag von innen zu uns kommen; es mag von außen zu uns kommen; in jedem Fall aber ist es nur ein Mittler, der das verborgene Wissen zum Wirken bringt. Das innere Wort mag die Aussage der innersten Seele in uns sein, die immer offen für das Göttliche ist, oder es kann das Wort des geheimen und universalen Lehrers sein, der in den Herzen aller weilt. Es gibt seltene Fälle, bei denen niemand sonst gebraucht wird, denn der ganze übrige Yoga ist ein Entfalten unter jener fortwährenden Fühlungnahme und Führung. Der Lotos des Wissens öffnet sich von innen durch die Macht des leuchtenden Glanzes, der von dem ausgeht, der im Lotos des Herzens wohnt. Wahrlich groß, doch selten sind jene, für die derart die innere Selbsterkenntnis genügt, und die des dominierenden Einflusses eines geschriebenen Buches oder eines lebenden Lehrers nicht bedürfen.

Im allgemeinen wird das Wort von außen, stellvertretend für das Göttliche, als Hilfe für das Werk der Selbst-Entfaltung benötigt; es mag entweder ein Wort der Vergangenheit sein, oder das mächtigere Wort eines lebenden Guru. Manchmal ist dies stellvertretende Wort nur eine Art Vorwand für das Erwachen und die Manifestation der inneren Macht; es ist gleichsam ein Zugeständnis des allmächtigen und allwissenden Göttlichen an die Allgemeingültigkeit eines Gesetzes, das die [menschliche] Natur regiert. Derart wird von Krishna, Sohn der Devaki, in den Upanishaden gesagt, dass er ein Wort vom Rishi Ghora empfing und darauf das Wissen hatte. Und Ramakrishna, der durch sein eigenes Bestreben die zentrale Erleuchtung erlangte, akzeptierte mehrere Lehrer der verschiedenen Yoga-Pfade, doch in der Art und Schnelligkeit seiner Verwirklichung bewies er stets, dass dieses Akzeptieren der Lehrer ein Zugeständnis an die allgemeine Regel war, wonach wirkliches Wissen von einem Guru als dessen Schüler empfangen werden muss.

Meist jedoch nimmt der stellvertretende Einfluss einen viel größeren Raum im Leben des Sadhaks ein. Wenn der Yoga von einem empfangenen geschriebenen Shastra gelenkt wird – ein Wort der Vergangenheit, das die Erfahrung früherer Yogis verkörpert –, kann er entweder durch die persönliche Bemühung allein ausgeübt werden, oder mit Hilfe eines Guru. Das spirituelle Wissen wird dann durch die Meditation über die gelehrten Wahrheiten gewonnen und durch ihre Verwirklichung in der persönlichen Erfahrung lebendig und bewusst gemacht; der Yoga nimmt seinen Fortgang durch die Ergebnisse von vorgeschriebenen Methoden, die in einer heiligen Schrift festgelegt wurden, und wird durch die Weisungen des Meisters bekräftigt und erleuchtet. Dies ist eine begrenztere Ausübung, doch sicher und wirksam innerhalb ihrer Grenzen, denn sie folgt einem ausgetretenen Pfad zu einem seit langem bekannten Ziel.

Für den Sadhak des Integralen Yoga ist es wichtig zu erinnern, dass kein geschriebenes Shastra, wie groß auch immer seine Autorität, und wie umfassend auch immer sein Geist sein mögen, mehr sein kann als ein teilweiser Ausdruck des ewigen Wissens. Er wird es gebrauchen, doch niemals sich binden, nicht einmal durch die erhabenste heilige Schrift. Dort, wo die Schrift tief, weit und umfassend ist, mag sie auf ihn einen Einfluss für das höchste Gute ausüben und von unermesslicher Wichtigkeit sein. Sie mag in seiner Erfahrung mit seinem Erwachen zu krönenden Wahrheiten und mit seiner Verwirklichung der höchsten Erfahrungen verbunden sein. Sein Yoga mag auf lange Zeit hin von einer heiligen Schrift gelenkt werden, oder von mehreren einander folgenden – wenn sie auf der Linie der großen Hindu Tradition liegen, von der Gita zum Beispiel, von den Upanishaden, vom Veda. Oder es mag zu seiner Entwicklung gehören, in ihre Substanz eine reich variierte Erfahrung der Wahrheiten vieler Schriften einzugliedern und die Zukunft üppig zu machen mit all dem Besten der Vergangenheit. Doch letzten Endes muss er seine Stellung beziehen oder, noch besser, wenn er kann, immer und von Anbeginn an in seiner Seele leben, jenseits der geschriebenen Wahrheit – sabdabrahmativartate – jenseits all dessen, was er gehört hat, und all dessen, was er noch hören muss – srotavyasya srutasya ca. Denn er ist nicht der Sadhak eines Buches oder vieler Bücher; er ist der Sadhak des Unendlichen.

Eine andere Art Shastra gehört nicht zum Schrifttum, sondern ist eine Darlegung der Wissenschaft und Methoden, der wirksamen Prinzipien und Wirkungsweisen des Yogapfades, den der Sadhak zu folgen wählt. Jeder Pfad hat sein Shastra, entweder geschrieben oder überliefert, das von Mund zu Mund über eine lange Folge von Lehrern weitergegeben wurde. Große Autorität und hohe Ehrfurcht wird in Indien im allgemeinen der geschriebenen oder traditionellen Lehre beigemessen. Es wird angenommen, dass alle Richtlinien des Yoga festgelegt sind, und der Lehrer, der das Shastra durch Überlieferung empfangen und in der Praxis verwirklicht hat, führt den Schüler entlang uralter Pfade. Oft hört man sogar den Einwand gegen eine neue Methode, eine neue Yogalehre oder gegen die Übernahme eines neuen Schemas: „Es ist nicht dem Shastra gemäß.“ Doch weder tatsächlich noch in der eigentlichen Ausübung der Yogis gibt es die volle Starrheit einer eisernen Tür, die sich neuer Wahrheit, frischer Enthüllung und vertiefter Erfahrung verschließt. Die geschriebene oder traditionelle Lehre drückt das Wissen und die Erfahrungen von vielen Jahrhunderten aus, systematisiert, geordnet und dem Anfänger zugänglich gemacht. Unermesslich sind ihre Wichtigkeit und Nützlichkeit. Doch eine große Freiheit der Verschiedenheit und Entwicklung ist immer gegeben. Selbst ein so hochwissenschaftliches System wie der Raja-Yoga kann auf anderen Linien ausgeübt werden als der festgelegten Methode von Patanjali. Jeder der drei Pfade, trimarga, verzweigt sich in viele Nebenpfade, die sich wieder am Ziel treffen. Das allgemeine Wissen, auf dem der Yoga beruht, ist festgelegt, doch dem System, der Reihenfolge, dem Muster der Formen muss zu variieren stattgegeben werden; denn die Erfordernisse und speziellen Impulse der individuellen Natur müssen befriedigt werden, während die allgemeinen Wahrheiten fest und unveränderlich bleiben.

SRI AUROBINDO

Die interessantesten Fälle für mich waren immer jene Menschen, die nicht gelesen hatten, aber eine inbrünstige Sehnsucht hatten und zu mir kamen und sagten: „Etwas Eigenartiges ist mir passiert. Ich hatte diese außergewöhnliche Erfahrung, was bedeutet sie eigentlich?“ Und dann beschreiben sie eine Regung, eine Vibration, eine Kraft, ein Licht, was immer es sein mag – es hängt von jedem einzelnen ab –, und sie beschreiben, dass es so geschah und auf diese Weise kam, und dann geschah dies und dann das, und was bedeutet das alles, all dies? Hier ist man dann auf der richtigen Seite. Man weiß, dass es keine eingebildete Erfahrung ist, dass es eine aufrichtige, spontane Erfahrung ist, und das besitzt immer die Kraft der Umwandlung, die viel stärker ist, als was durch mentales Wissen hervorgebracht wurde.

Mutter, bedeutet es dann, dass es besser ist, nicht zu lesen?

Unter der Bedingung, dass man wahrhaft in sich die Glut des Strebens hat. Wenn du für dies geboren bist, für den Yoga, wenn das die Sache ist, die dein ganzes Denken beherrscht, wenn du fühlst, ja, dass bevor du irgendetwas weißt, du etwas in dir finden musst, dann ist manchmal ein Wort genug, eine Unterhaltung, die dich einfach informiert – es ist genug. Doch für jene, die suchen, die tasten, die sich nicht völlig sicher sind, die nach dieser oder jener Richtung gezogen werden, die viele Interessen im Leben haben und nicht stetig sind, nicht zielstrebig in ihrem Willen nach Verwirklichung: für diese ist es sehr gut zu lesen, denn es bringt sie in Kontakt mit dem Thema, es erweckt in ihnen das Interesse an der Sache.

Ich bin der Meinung, dass jede eindeutige mentale Formierung der Erfahrung immer eine spezielle Färbung verleiht. Wie es zum Beispiel mit allen Menschen ist, die in einer bestimmten Religion erzogen wurden – ihre Erfahrungen werden immer von dieser Religion gefärbt sein; und tatsächlich, um zum wahren Ursprung der Sache zu gelangen, muss man sich von der äußeren Formierung befreien.

Es gibt aber eine Art von Lesen, die in dir ein Interesse an der Sache erweckt und dir in deinem ersten Suchen zu helfen vermag. Meist, wenn man Erfahrungen hatte, braucht man einen Kontakt des Denkens oder der Idee mit der Sache, so dass die Bemühung bewusster kristallisiert werden kann. Doch je mehr man weiß, desto mehr muss man ganz aufrichtig in seiner Erfahrung sein, das heißt, man darf nicht die formende Kraft des Mentals gebrauchen, um sich etwas vorzustellen und auf diese Weise die Erfahrung in sich selbst zu schaffen. Vom Standpunkt der Orientierung aus kann es [das Lesen] nützlich sein; doch vom Standpunkt der Erfahrung aus schmälert es den dynamischen Wert, es hat nicht die Intensität einer Erfahrung, die stattgefunden hat, weil die notwendigen moralischen und spirituellen Voraussetzungen gegeben waren. Es besteht vielmehr die ganze mentale Einschränkung, die hinzukommt und die Spontaneität etwas mindert. All dies ist eine Frage der Proportion. Jeder muss die genaue Menge finden, die er braucht, wie viel Lesen, wie viel Meditation, wie viel Konzentration, wie viel. … Es ist für jeden anders.

DIE MUTTER

„Gegenwärtig finden deine Erfahrungen auf der mentalen Ebene statt …“ (SRI AUROBINDO)

Was heißt „auf der mentalen Ebene“?

Nun, das sind Erfahrungen des Denkens, der mentalen Aktivität, des Verstehens der Dinge, der Beobachtung von Dingen, der Gedanken, des Folgerns und Urteilens, des Kontaktes mit der Lehre, des Wissens, der Auswirkung dieses Wissens auf das Verstehen – alle diese Dinge, die gänzlich mental sind. Und eigentlich solltest du immer hiermit beginnen.

Wenn man vitale Erfahrungen hat – zum Beispiel Visionen –, gewisse vitale Erfahrungen ohne ausreichende mentale Vorbereitung, kann dies eine Störung des Gleichgewichtes hervorrufen, und auf jeden Fall versteht man nichts von dem, was geschieht, es ist praktisch nutzlos, wenn nicht schädlich. Wenn man andererseits zuerst sein Verstehen entwickelt hat, wenn man gelernt und verstanden hat und die Ursache der Dinge kennt und das Ziel des Yoga, zum Beispiel, wenn man sich mit den Methoden, es zu erreichen, befasst hat – also die ganze mentale Annäherung an die Sache –, wenn dann eine Erfahrung stattfindet, ist man möglicherweise in der Lage, sie zu verstehen; im anderen Fall versteht man nichts. Eine ausreichende mentale Vorbereitung ist notwendig – wenn auch keine vollständige, so doch zumindest eine ausreichende –, um fähig zu sein, etwas von den auftretenden Erfahrungen zu verstehen.

DIE MUTTER

Der Lehrer

Der spirituelle Fortschritt der meisten menschlichen Wesen verlangt eine von außen kommende Unterstützung, ein Objekt des Glaubens außerhalb unserer selbst. Es bedarf eines äußeren Bildnisses von Gott, oder es bedarf eines menschlichen Vertreters – einer Inkarnation, eines Propheten oder Guru; oder es verlangt beides und erhält es. Denn entsprechend dem Erfordernis der menschlichen Seele manifestiert sich das Göttliche als Gottheit, als menschlich-göttlich, oder als einfach menschlich – jene dichte, so erfolgreich die Gottheit verbergende Maske als ein Werkzeug der Übermittlung seiner Führung benutzend.

Die Hindu-Disziplin der Spiritualität trägt diesem Erfordernis der Seele Rechnung durch den Begriff des Ishta Devata, des Avatars und des Gurus. Mit Ishta Devata, der erwählten Gottheit, ist nicht irgendeine untergeordnete Macht gemeint, sondern ein Name und eine Form der transzendenten und universalen Gottheit. Beinahe alle Religionen haben solchen Namen und solche Form des Göttlichen zur Grundlage oder machen davon Gebrauch. Ihre Unumgänglichkeit für die menschliche Seele ist offensichtlich. Gott ist das All und mehr als das All. Doch wie soll der Mensch begreifen, was mehr ist als das All? Und selbst das All ist anfangs zu schwer für ihn; denn er selbst in seinem tätigen Bewusstsein ist eine begrenzte und selektive Formierung und kann sich nur dem öffnen, womit seine begrenzte Natur harmoniert. Es gibt Dinge im All, die für sein Verständnis zu schwer sind oder für seine sensiblen Emotionen oder ängstlichen Empfindungen zu schrecklich erscheinen. Oder er kann etwas ganz einfach deshalb nicht als das Göttliche begreifen, kann einer Sache nicht näherkommen oder sie erkennen, da sie zu weit außerhalb des Kreises seiner unwissenden und bruchstückhaften Vorstellungen liegt. Er muss sich Gott in seinem eigenen Bildnis vorstellen oder in einer Form jenseits seiner selbst, doch übereinstimmend mit seinen höchsten Neigungen und erreichbar durch seine Gefühle oder seinen Verstand. Andernfalls wäre es schwierig für ihn, mit dem Göttlichen einen Kontakt zu haben oder zu einer Einung zu gelangen.

Selbst dann verlangt seine Natur nach einem menschlichen Mittler, damit er das Göttliche in etwas zu fühlen vermag, das seiner eigenen Menschlichkeit ganz nahe und in einem menschlichen Einfluss oder Beispiel fühlbar ist. Dieser Ruf wird durch das Göttliche befriedigt, das sich in einer menschlichen Erscheinung manifestiert, der Inkarnation, dem Avatar – Krishna, Christus, Buddha, oder wenn das zu erfassen für ihn zu schwierig ist, verkörpert sich das Göttliche für ihn durch einen weniger phantastischen Mittler – einen Propheten oder Lehrer. Denn viele, die den Göttlichen Menschen nicht erkennen oder nicht willens sind, ihn anzunehmen, sind bereit, sich dem höchsten Menschen zu öffnen; sie bezeichnen ihn aber nicht als Inkarnation, sondern als Welten-Lehrer oder göttlichen Stellvertreter.

Auch das ist nicht genug; ein lebender Einfluss, ein lebendes Beispiel, eine laufende Unterweisung sind erforderlich. Denn es sind nur die wenigen, die den Lehrer der Vergangenheit und seine Lehre, die vergangene Inkarnation mit ihrem Vorbild und Einfluss zu einer lebendigen Kraft in ihrem Leben machen können. Auch diesem Erfordernis trägt die Hindu Disziplin Rechnung in der Beziehung des Gurus zum Schüler. Der Guru kann manchmal die Inkarnation oder der Welten-Lehrer sein; es genügt jedoch, dass er für den Schüler die göttliche Weisheit darstellt und ihm etwas vom göttlichen Ideal vermittelt oder ihn die verwirklichte Beziehung der menschlichen Seele zum Ewigen fühlen lässt.…

… Es reicht nicht aus, Krishna, Christus oder Buddha zu verehren, wenn nicht das Enthüllen und Formen des Buddha, Christus oder Krishna in uns besteht. Und alle anderen Hilfsmittel haben gleicherweise keinen anderen Zweck; jedes ist eine Brücke zwischen des Menschen ungewandeltem Zustand und der Enthüllung des Göttlichen in ihm.

SRI AUROBINDO

Lehre, Beispiel, Einfluss – dies sind die drei Instrumente des Guru. Doch wird der weise Lehrer nicht versuchen, sich oder seine Anschauungen der passiven Annahme des empfangenden Mentals aufzudrängen; er wird nur aussäen, was ergiebig und unfehlbar wie ein Same unter der göttlichen Pflege innerlich wächst. Er wird viel mehr zu erwecken als zu lehren suchen; er wird auf das Wachsen der Fähigkeiten und Erfahrungen durch einen natürlichen Vorgang und eine freie Entfaltung abzielen. Er wird eine Methode als Hilfe lehren, als verwendbares Muster, nicht als zwingende Formel oder festgelegte Routine. Und er wird darüber wachen, dass die Mittel sich nicht in eine Beschränkung wandeln und der Vorgang sich nicht mechanisiert. Seine ganze Aufmerksamkeit besteht darin, das göttliche Licht zu entzünden und die göttliche Kraft zum Wirken zu bringen, der er selbst lediglich als Werkzeug und Hilfe dient, als ein Körper oder ein Kanal.

Das Beispiel ist machtvoller als die Unterweisung, doch weder das Beispiel der äußeren Taten noch das des persönlichen Charakters ist von höchster Wichtigkeit. Diese haben ihren Platz und ihren Nutzen; doch was zumeist das Streben in anderen anfachen wird, ist die zentrale Tatsache der göttlichen Verwirklichung in ihm, die sein ganzes Leben und seinen inneren Zustand und all seine Tätigkeiten lenkt. Das ist das universale und wesentliche Element; das übrige gehört der individuellen Person und den Umständen an. Die dynamische Verwirklichung ist es, die der Sadhak in sich fühlen und wiedererstehen lassen muss, seiner eigenen Natur entsprechend; er braucht nicht nach einer äußeren Nachahmung zu streben, die durchaus eher eine unfruchtbare Wirkung haben und nicht die rechten und natürlichen Früchte hervorbringen mag.

Der Einfluss ist wichtiger als das Beispiel. Einfluss ist nicht die äußere Autorität des Lehrers gegenüber seinem Schüler, sondern die Macht seines Kontaktes, seiner Gegenwart, die Nähe seiner Seele zur Seele eines anderen, um ihr das, was er selbst ist und inne hat einzuflößen, auch im Schweigen. Das ist das höchste Zeichen des Meisters. Denn der größte Meister ist viel weniger ein Lehrer als eine Gegenwart, die das göttliche Bewusstsein ausgießt, und das Licht, die Macht, die Reinheit, die Seligkeit, aus denen sie besteht, in alle jene um ihn, die empfangsbereit sind.

Es ist auch kennzeichnend für den Lehrer des Integralen Yoga, dass er sich die Guruschaft nicht anmaßt in menschlich eitlem und überheblichem Geist. Seine Arbeit ist ihm von oben anvertraut, er selbst ist ein Kanal, ein Gefäß oder ein Instrument. Er ist ein Mensch, der seinen Brüdern hilft, ein Kind, das Kinder leitet, ein Licht, das andere Lichter entflammt, eine erwachte Seele, die Seelen erweckt, und bestenfalls eine Macht oder Gegenwart des Göttlichen, die andere Mächte des Göttlichen zu sich ruft.

SRI AUROBINDO

Das Mental des Westens findet es immer schwierig, sich einem Guru völlig unterzuordnen, doch ohne totale und fraglose Überantwortung an den Guru ist seine Hilfe für dich gleichsam lahmgelegt. Daher rate ich Europäern im allgemeinen, die Führung und Gegenwart in sich selbst zu finden; es stimmt, dass dies sehr oft zu Ungewissheit und Selbsttäuschung führt, wobei eine Stimme des [eigenen] verhüllten Egos mit der der Göttlichen Führung verwechselt wird.

In beiden Fällen sind allein absolute Aufrichtigkeit und reine Demut dein Schutz.

DIE MUTTER

Wenn du Glauben und Vertrauen hast, ist es nicht die menschliche Form des Guru, die du verehrst, sondern der Höchste Gott, der sich durch ihn manifestiert.

… Gib dich uneingeschränkt dem Höchsten Gott auf jedwedem Weg, der dir hilft.

DIE MUTTER

Der Guru ist der Kanal oder der Vertreter oder die Manifestation des Göttlichen, je nach dem Stand seiner Persönlichkeit oder Verwirklichung; doch was immer er auch sei, es ist das Göttliche, dem man sich öffnet, wenn man sich ihm öffnet; und wenn durch die Macht dieses Kanals etwas entschieden wird, so wird durch die angeborene und innere Haltung des empfangenden Bewusstseins noch mehr entschieden, etwas, das sich im Oberflächenmental als einfaches Vertrauen zeigt oder als direktes uneingeschränktes Selbstgeben; und ist dies einmal vorhanden, können die wesentlichen Dinge auch von einem [Guru] gewonnen werden, der anderen – außer dem Schüler – eine zweitrangige spirituelle Quelle zu sein scheint; das übrige aber wird sich im Sadhak durch die Gnade des Göttlichen von selbst entwickeln, auch wenn das menschliche Wesen im Guru es nicht zustande bringen kann.

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Geduld und rechte Einstellung

Sicher, ein glühendes Sehnen nach dem Göttlichen verhilft zum Fortschritt, doch wird Geduld ebenfalls benötigt. Denn es ist eine große Wandlung, die durchgeführt werden muss, und obwohl es Zeitspannen von großer Geschwindigkeit geben kann, darf man nicht damit rechnen, dass diese andauern. Alte Dinge versuchen, sich so fest wie möglich anzuklammern; die neuen, die kommen, müssen sich entwickeln, und das Bewusstsein braucht viel Zeit, sie zu assimilieren und für die [menschliche] Natur zu normalisieren.

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Es ist eine schwierige Sadhana, und man sollte über die Länge der Zeit nicht murren; erst in den letzten Stadien kann man mit Sicherheit eine sehr große und stetige Geschwindigkeit des Fortschritts erwarten.

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Entschlossenheit und beharrliche Geduld werden benötigt, damit man sich nicht durch diesen oder jenen Fehlschlag entmutigen lässt. Es ist eine Wandlung in der Gewohnheit der physischen Natur, und das bedarf einer langen geduldigen Arbeit im Detail.

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Ungeduld ist immer ein Fehler, sie hilft nicht, sondern hemmt. Ein ruhiger, glücklicher Glaube, ein ebensolches Vertrauen sind die beste Grundlage in der Sadhana; das übrige besteht in einem steten, weiten Sich-Öffnen, damit man im Streben empfange, ein Streben, das intensiv sein kann, doch immer ruhig und beständig sein muss. Die volle yogische Verwirklichung kommt nicht sofort, sie kommt nach einer umfangreichen Vorbereitung des adhar, die lange Zeit in Anspruch nehmen kann.

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Die Kraft, die im Yoga benötigt wird, ist die Kraft, durch Anstrengung, Schwierigkeit oder Mühe zu gehen, ohne sich ermüden zu lassen, ohne niedergeschlagen, entmutigt oder ungeduldig zu werden, und ohne die Bemühung abzubrechen oder sein Ziel und seinen Entschluss aufzugeben.

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Welche Methode man auch immer anwendet, Beharrlichkeit und Ausdauer sind wesentlich. Denn die Vielfalt des natürlichen Widerstandes wird sich gegen jede Methode zur Wehr setzen.

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Der innere spirituelle Fortschritt hängt nicht so sehr von äußeren Umständen ab als von der Art, wie wir von innen auf diese reagieren – das war immer ein höchstes Werturteil spiritueller Erfahrung. Daher bestehen wir darauf, die rechte Haltung einzunehmen und in ihr zu verbleiben, wir bestehen auf einem inneren Zustand, der nicht von äußeren Bedingungen abhängig ist, einem Zustand des Gleichmuts und der Stille – wenn es nicht von Anfang an der einer inneren Glücklichkeit sein kann –, und darauf, sich immer mehr nach innen zu wenden, von innen nach außen zu blicken, statt an der Oberfläche zu leben, die immer den Erschütterungen und Schlägen des Lebens ausgeliefert sein wird. Allein von diesem inneren Zustand her kann man stärker als das Leben und seine störenden Kräfte sein und hoffen, ihrer Herr zu werden.

Eines der ersten Dinge, die auf dem Weg gelernt werden müssen, ist, innerlich ruhig zu bleiben, den festen Willen zu bewahren, hindurchzugehen und sich durch Schwierigkeiten oder Schwankungen nicht stören oder entmutigen zu lassen. Dies nicht zu tun bedeutet, die Unbeständigkeit des Bewusstseins zu fördern und Erfahrungen nur mit Mühe zu bewahren – das, worüber du dich beklagst. Nur, wenn du ruhig und stetig nach innen gewandt bleibst, können die Erfahrungen mit einiger Beständigkeit weiterhin stattfinden, obwohl es immer Zeitspannen der Unterbrechung und Schwankung geben wird; doch werden diese, wenn man die richtige Einstellung hat, dann eher zu Zeiten der Assimilation, in denen die Schwierigkeit sich erschöpft, als zu einem Fehlschlag in der Sadhana.

Eine spirituelle Atmosphäre ist wichtiger als äußere Umstände; wenn man diese erhalten und sich seine eigene spirituelle Luft zu schaffen vermag, in der man leben und atmen kann, ist dies die wahre Voraussetzung für den Fortschritt.

SRI AUROBINDO

Wenn wir uns bemühen, es besser zu machen, aber keinen Fortschritt erkennen, sind wir entmutigt. Was sollen wir dagegen tun?

Nicht entmutigt zu sein! Verzagtheit führt nirgendwohin.

Das erste, was du dir sagen musst, ist, dass es dir fast unmöglich ist zu erkennen, ob du einen Fortschritt gemacht hast oder nicht; denn sehr oft ist das, was uns als Stadium der Stagnation erscheint, eine lange – manchmal eine lange, doch keinesfalls eine endlose – Vorbereitung auf einen Sprung nach vorne. Zuweilen sieht es so aus, als würden wir Zeit vergeuden, manchmal wochen- oder monatelang, und dann plötzlich tritt das, was vorbereitet wurde, hervor, und wir erkennen, dass eine beträchtliche Veränderung in verschiedener Hinsicht gleichzeitig stattgefunden hat. Wie mit allem im Yoga, muss das Bemühen um Fortschritt mit der Liebe zu diesem Bemühen um Fortschritt einhergehen. Die Freude, sich zu bemühen, das Sehnen nach Fortschritt müssen sich selbst genügen, ganz unabhängig von dem Ergebnis. Alles, was man im Yoga tut, muss um der Freude des Tuns willen geschehen, und nicht im Hinblick auf das zu erzielende Ergebnis.… Tatsächlich ist im Leben, immer und in allen Dingen, das Ergebnis nicht unser. Und wenn wir die richtige Haltung bewahren wollen, müssen wir spontan handeln, fühlen, denken, streben, denn das ist es, was wir tun müssen, und nicht an das zu erzielende Ergebnis denken.

Sobald wir an das Ergebnis denken, beginnen wir zu feilschen, und das nimmt der Bemühung alle Aufrichtigkeit. Du bemühst dich um Fortschritt, da du in dir die Notwendigkeit, die zwingende Notwendigkeit, dich zu bemühen und vorwärtszukommen fühlst. Und es ist diese Bemühung, die du dem Göttlichen Bewusstsein in dir darbringst, dem Göttlichen Bewusstsein im Universum, auf diese Weise drückst du deine Dankbarkeit aus und bringst dich selbst dar; und ob das dann in Fortschritt resultiert oder nicht, ist ohne Belang. Du wirst einen Fortschritt machen, wenn die Zeit gekommen ist, einen Fortschritt zu machen, und nicht, weil du danach verlangst.

DIE MUTTER

Wenn man irgend etwas verwirklichen will, hat man geduldig zu sein, und je umfassender und wichtiger die Verwirklichung, um so größer muss die Geduld sein.

DIE MUTTER

… durch einen gesicherten Glauben und ein festes Vertrauen wird eine progressive Sadhana gewaltig unterstützt. Solch ein Vertrauen verhilft dir zur Verwirklichung, denn es ist dynamisch und neigt dazu, sich zu erfüllen.

SRI AUROBINDO

Glücklich und froh zu sein, ist spirituell nicht falsch, im Gegenteil, es ist richtig.… Es gibt sowohl einen sonnenhellen als auch einen düsteren Pfad, und der erstere ist der bessere von beiden.…

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