Kapitel 9
Die Umwandlung des Vitals
Worte Sri Aurobindos
Die meisten Menschen werden wie Tiere von den Kräften der Natur getrieben: Was immer an Wünschen aufkommt, sie erfüllen sie; was immer an Gefühlen auftaucht, sie lassen sie spielen; was immer sie an physischen Bedürfnissen haben, sie versuchen sie zu befriedigen. Wir sagen dann, dass die Tätigkeiten und Gefühle der Menschen von ihrer Prakriti oder Natur beherrscht werden, meist von der vitalen und physischen Natur. Der Körper ist das Instrument der Prakriti oder Natur – er gehorcht seiner eigenen Natur oder er gehorcht den vitalen Kräften der Begierde, Leidenschaft usw.
Der Mensch hat aber auch ein Mental, und im Laufe seiner Entwicklung lernt er, sein Vital und die physische Natur durch seinen Verstand und seinen Willen zu kontrollieren. Diese Kontrolle ist sehr einseitig, denn der Verstand wird von vitalen Wünschen und der Unwissenheit des Physischen oft irregeführt, stellt sich auf ihre Seite und versucht, ihre Fehler und falschen Regungen durch seine Ideen, Gedankengänge und Argumente zu rechtfertigen. Selbst wenn der Verstand sich davon freihält und dem Vital oder Körper sagt, „tu das nicht“, folgen Vital und Körper trotz des Verbotes oft ihrer eigenen Regung – der mentale Wille des Menschen ist nicht stark genug, um einen Zwang auf sie auszuüben.
Wenn Menschen die Sadhana ausüben, wirkt in ihnen eine höhere Natur, die seelische und spirituelle, und sie müssen ihre menschliche Natur unter den Einfluss des seelischen Wesens und des höheren spirituellen Selbstes oder des Göttlichen stellen. Nicht nur Vital und Körper müssen die Göttliche Wahrheit erfahren und dem göttlichen Gesetz gehorchen, sondern auch das Mental. Doch wegen der niederen Natur, unter deren unausgesetztem Einfluss sie stehen, sind sie anfangs und auf lange Zeit hinaus unfähig, ihre Natur daran zu hindern, den alten Wegen zu folgen – auch dann, wenn sie wissen oder innerlich die Weisung bekommen, was zu tun ist und was nicht. Allein durch eine ausdauernde Sadhana, indem sie in das höhere spirituelle Bewusstsein und die spirituelle Natur eintreten, kann diese Schwierigkeit überwunden werden; aber selbst für den stärksten und besten Sadhak dauert es lange Zeit.

Worte Sri Aurobindos
Die Zurückweisung der Begierden ist im wesentlichen gleichbedeutend mit der Zurückweisung des Elementes der Begehrlichkeit, das hierdurch vom eigentlichen Bewusstsein als ein Fremdkörper, der nicht zum wahren Selbst und zur inneren Natur gehört, ausgeschieden wird. Doch die Weigerung, den Suggestionen der Begierde nachzugeben, ist auch ein Teil der Zurückweisung; sich des suggerierten Handelns zu enthalten, wenn es nicht das richtige Handeln ist, muss in die yogische Disziplin mit einbezogen werden. Es kann nur dann als Unterdrückung bezeichnet werden, wenn es auf die falsche Weise, mit Hilfe eines mentalen, asketischen Prinzips oder einer strengen moralischen Regel geschieht. Der Unterschied zwischen Unterdrückung und innerer essenzieller Zurückweisung ist der gleiche wie zwischen mentaler oder moralischer Kontrolle und spiritueller Läuterung. Wenn man im wahren Bewusstsein lebt, empfindet man die Begierden als etwas, das sich außerhalb von einem befindet, das von außen, von der universalen niederen Prakriti in das Mental und die vitalen Teile eindringt. Im gewöhnlichen menschlichen (Bewusstseins-) Zustand wird das nicht empfunden; die Menschen nehmen das Begehren erst dann wahr, wenn es bereits vorhanden und in sie eingedrungen ist und dort eine Stätte oder einen Zufluchtsort gefunden hat; dann meinen sie, es sei ihr eigenes Begehren und ein Teil von ihnen. Mit dem wahren Bewusstsein bewusst zu werden, ist daher die erste Voraussetzung dafür, sich vom Begehren zu befreien; denn dann kann man sich seiner viel leichter entledigen, als wenn man damit zu kämpfen hätte wie mit einem wesentlichen Teil von einem selbst, der aus dem Wesen verbannt werden muss. Es ist einfacher, sich von etwas Fremdem zu befreien, als das auszuschalten, was als Teil der eigenen Substanz empfunden wird.
Wenn sich das seelische Wesen im Vordergrund befindet, wird auch die Befreiung vom Begehren einfach; denn das seelische Wesen als solches kennt keine Begierden, es will nur nach dem Göttlichen streben, es suchen und lieben und all das erlangen, was das Göttliche ausmacht oder ihm entgegenstrebt. Durch die immerwährende Vorherrschaft des seelischen Wesens entsteht von selbst die Neigung, das wahre Bewusstsein zutage treten zu lassen und die Regungen der Natur beinahe automatisch ins rechte Lot zu bringen.

Worte Sri Aurobindos
Sich gänzlich vom Begehren zu befreien, dauert lange Zeit. Wenn du aber einmal aus der menschlichen Natur herauszutreten vermagst und sie als Kraft erkennst, die von außen kommt, um ihre Klauen in das Vital und Physische zu graben, ist es leichter, den Eindringling loszuwerden. Du bist zu sehr dran gewöhnt, sie als Teil von dir oder als etwas in dich Gepflanztes zu empfinden – das macht es schwieriger, ihre Regungen zu bekämpfen und ihre alte Kontrolle über dich auszuschalten.

Worte Sri Aurobindos
Niemand kann sich leicht von den Begierden befreien. Was zuerst zu geschehen hat, ist, ihnen eine äußerliche Form zu geben, sie an die Oberfläche zu drängen und die inneren Teile ruhig und klar werden zu lassen. Später können sie hinausgestoßen und durch die wahre Sache ersetzt werden, durch einen glücklichen, leuchtenden Willen, der mit dem Göttlichen eins ist.

Worte Sri Aurobindos
Begehren ist eine psychologische Regung, die sich sowohl mit einem „wahren Bedürfnis“ als auch mit Dingen verbinden kann, die keine wahren Bedürfnisse sind. Man sollte selbst wahren Bedürfnissen gegenüber kein Begehren hegen. Es muss einem gleichgültig sein, wenn man sie nicht befriedigen kann.

Worte Sri Aurobindos
Es ist richtig, dass die reine Verdrängung oder Unterdrückung des Begehrens nicht ausreicht und in sich nicht wahrhaft wirksam ist, was aber nicht heißt, dass man den Begierden nachgeben soll; es heißt vielmehr, dass die Begierden nicht nur unterdrückt, sondern aus der Natur verbannt werden müssen. An die Stelle des Begehrens muss ein zielgerichtetes Streben nach dem Göttlichen treten.

Worte Sri Aurobindos
Deine Theorie ist falsch. Einer Leidenschaft frei Ausdruck zu verleihen, mag das Vital eine Zeitlang erleichtern, gibt ihr aber gleichzeitig das Recht, immer wiederzukehren. Sie wird dadurch keinesfalls verringert. Die Unterdrückung einer Leidenschaft, die mit einem innerlichen Nachgeben in subtiler Form einhergeht, ist kein Heilmittel; ihr jedoch durch ein äußerliches Nachgeben Ausdruck zu verleihen, ist noch viel weniger ein Heilmittel. Es ist durchaus möglich, sich zurückzuziehen, ohne der Leidenschaft Ausdruck zu verleihen, wenn man entschlossen ist, eine vollständige Kontrolle zu erlangen, eine Kontrolle, die nicht aus bloßer Unterdrückung, sondern einer inneren und äußeren Zurückweisung besteht.

Worte Sri Aurobindos
Du scheinst von der Natur des Begehrens nicht die richtige Vorstellung zu haben. Vitales Begehren wird, wenn man ihm nachgibt, nicht befriedigt, sondern wächst an. Wenn du deinem Begehren nachgeben würdest, würde es immer größer werden und mehr fordern. Das war unsere ständige Erfahrung mit den Sadhaks, und sie bestätigt, was man immer schon über das Begehren wusste. Begehren und Neid müssen aus dem Bewusstsein hinausgestoßen werden – es gibt keinen anderen Weg, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Worte Sri Aurobindos
Alles, wonach das Vital trachtet, ist ihm begehrenswert – das Begehren muss aber zurückgewiesen werden. Zu sagen: „Ich will nicht begehren“, ist genau richtig, solange vom Vital noch nicht gesagt werden kann: „Ich begehre nicht“. Dennoch gibt es etwas im Wesen, das sogar sagen kann „Ich begehre nicht“ und das sich weigert, das vitale Begehren als Teil des wahren Wesens anzuerkennen. Es ist jenes Bewusstsein, das den Frieden und die Macht bringt, welches als das wahre „Ich“ erkannt und ständig im Vordergrund gehalten werden muss.

Worte Sri Aurobindos
Es ist schwierig, sich auf einmal ganz und gar von den Begierden zu befreien – wenn die richtigen die Oberhand haben, stellt das bereits den letzten Sieg sicher. Lass dich daher nicht beunruhigen! Diese Dinge entwickeln sich auf dem Weg einer fortschreitenden Wandlung, und wenn der Fortschritt einmal seinen Anfang genommen hat, darf man im wesentlichen ein Gefühl der Gewissheit über den Ausgang der Sadhana haben und ruhig dem entgegensehen, was geschehen muss, weil es mit Sicherheit geschehen wird.

Worte der Mutter
Wie kann man das Vital umwandeln?
Erster Schritt: es wollen. Zweitens: aufrichtig sein und streben. Aber Wollen und Streben sind fast das gleiche, eines folgt aus dem anderen. Sodann: beharren. Ja, es braucht Ausdauer bei einem Verfahren, und was ist hier das Verfahren? … Zunächst muss man beobachten und unterscheiden können – das Vital als solches ermitteln; sonst kommst du in Verlegenheit, wenn du feststellen willst, was vom Vital, was vom Mental und was vom Körper kommt. Alles erscheint dir miteinander vermischt und unbestimmt.
Nach sehr ausdauernder Beobachtung kannst du dann die verschiedenen Teile auseinanderhalten und den Ursprung einer Regung erkennen. Das erfordert ziemlich viel Zeit, kann aber auch ziemlich schnell gehen; es kommt auf den Menschen an. Hast du aber die verschiedenen Teile einmal ermittelt, so fragst du dich: „Was ist hierbei vital? Was bringt das Vital dem Bewusstsein? Wie verändert es die Regungen, was fügt es hinzu, und was nimmt es weg? Was geschieht im Bewusstsein durch das Eingreifen des Vitals?“ Und wenn du das herausgefunden hast, was tust du dann? … Dann musst du dies Eingreifen betrachten, es untersuchen, dir klar darüber werden, in welcher Weise es wirkt. Du willst beispielsweise das Vital umwandeln. Du bist sogar sehr aufrichtig in deinem Streben und entschlossen, bis zum Ende zu gehen – das alles bist du also. Nun beobachtest du, und du stellst fest, dass zwei Dinge geschehen können (viele Dinge können geschehen, aber vor allem zwei):
Erstens, eine Art Begeisterung erfasst dich. Du machst dich mit Feuereifer ans Werk. In dieser Begeisterung denkst du: „Ich werde dieses und jenes tun, bald ist das Ziel erreicht, alles wird wunderbar sein! Das Vital wird schon sehen, wie ich es behandle, wenn es nicht gehorcht!“ Und wenn du aufmerksam hinschaust, siehst du das Vital sagen: „Ah, endlich eine Gelegenheit!“ Es willigt ein, es setzt sich in Bewegung mit all seinem Eifer, all seiner Begeisterung und … all seiner Ungeduld.
Das zweite kann gerade das Gegenteil sein. Eine Art Unbehagen: „Es geht mir nicht gut, das Leben ist ermüdend, wie langweilig ist alles. Wie soll ich das alles schaffen? Komme ich je ans Ziel? Lohnt es sich denn anzufangen? Ist es überhaupt möglich?“ Das ist das Vital, das keine Lust hat zu dem, was man für es will; das es nicht mag, dass man sich um seine Angelegenheiten kümmert; das dies alles gar nicht besonders gern hat. Also flüstert es einem eine Niedergeschlagenheit ein, eine Entmutigung, einen Mangel an Glauben, einen Zweifel – lohnt sich denn die Mühe?
Das sind die beiden Extreme, und jedes bringt seine Schwierigkeiten mit sich, seine Hindernisse.
Die Depression – es sei denn, man hat einen starken Willen eingesetzt – redet einem ein: „Es lohnt sich nicht, da kann man sein ganzes Leben lang warten.“ Die Begeisterung andererseits erwartet, das Vital schon morgen umgewandelt zu sehen: „Ich werde keinerlei Schwierigkeiten mehr haben, sondern auf dem Yogaweg schnell vorankommen; das göttliche Bewusstsein werde ich unschwer erringen.“ Allerdings gibt es noch ein paar weitere Schwierigkeiten … Es braucht ein wenig Zeit, eine Menge Ausdauer. Da sagt sich das Vital, nach ein paar Stunden, vielleicht nach ein paar Tagen, vielleicht nach ein paar Monaten: „Wir sind nicht allzu weit gekommen mit unserer Begeisterung, ist denn überhaupt etwas getan? Lässt uns diese ganze Bewegung nicht gerade dort, wo wir vorher waren – vielleicht sogar schlimmer dran als vorher, etwas verwirrt, etwas verstört? Die Dinge sind nicht mehr, wie sie waren, und sie sind noch nicht, wie sie sein sollen. Recht langweilig ist das, was ich tue.“ Und dann, noch ein wenig weitergetrieben, sagt dieser Monsieur: „Ach nein, genug davon, lasst mich in Ruhe. Ich bleibe schön ruhig in meiner Ecke, rühre mich nicht und will auch gar nicht stören – aber belästigt mich nicht!“ Und so ist man nicht viel weiter als vorher.
Das ist eines der großen Hindernisse, die es sorgsam zu vermeiden gilt. Bei dem geringsten Eindruck von Unzufriedenheit, von Verdrossenheit muss man zum Vital folgendermaßen sprechen: „Mein Freund, du verhältst dich jetzt schön ruhig, du tust, was dir gesagt wird, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“ Und dem anderen, dem Begeisterten, der meint: „Alles muss jetzt geschehen, sofort“, antwortest du: „Beruhige dich ein wenig, deine Energie ist zwar vortrefflich, doch soll sie nicht in fünf Minuten verpuffen; wir werden sie noch lange nötig haben, bewahre sie dir sorgfältig, und je nach Bedarf wende ich mich an deinen guten Willen, den du voll und ganz beweisen darfst; du gehorchst, du murrst nicht, du erhebst keinen Widerspruch, du meuterst nicht, du willigst in alles ein. Du bringst ein kleines Opfer, wenn es von dir verlangt wird, du sagst aus ganzem Herzen ja.“
Damit haben wir uns auf den Pfad begeben. Aber der Pfad ist lang. Vieles geschieht unterwegs. Einmal glaubt man, ein Hindernis überwunden zu haben – ich sage „glaubt“, weil es zwar überwunden ist, aber nicht auf umfassende Weise. Ich will ein einfaches Beispiel geben, etwas, das leicht zu beobachten ist. Jemand hat festgestellt, dass sein Vital ungezähmt und unbezähmbar ist, dass es wegen nichts und für nichts in Wut gerät. Er macht sich also daran, ihm beizubringen, sich nicht hinreißen zu lassen, sich nicht zu erzürnen, ruhig zu bleiben und die Stöße des Lebens ohne gewaltsame Reaktionen zu ertragen. Tut man das gut gelaunt, so geht es ziemlich schnell (wohlgemerkt, das ist sehr wichtig: wenn du es mit dem Vital zu tun hast, musst du Sorge tragen, deine gute Laune zu behalten, sonst gibt es Verdruss). Man behält also seine gute Laune, das heißt, wenn man die Wut hochkommen fühlt, fängt man an zu lachen. Statt sich niederdrücken zu lassen und zu sagen. „Ach, trotz all meiner Anstrengungen geht es wieder los“, lacht man einfach und sagt: „Schau, schau, wir sind also noch nicht am Ziel! Siehst du, wie lächerlich du bist? Du weißt es ja schon! Lohnt es sich denn, so in Wut zu geraten?“ Gutgelaunt erteilt man ihm eine Lektion. Und richtig, nach einiger Zeit wird es nicht mehr wütend, es verhält sich ruhig – und man lockert seine Aufmerksamkeit. Man glaubt, die Schwierigkeit überwunden und ein Ergebnis erreicht zu haben: „Mein Vital belästigt mich nicht mehr, es wird nicht mehr wütend, alles geht gut.“ Und am nächsten Tag packt einen die Wut. Da gilt es nun aufzupassen – gerade da darf man nicht sagen: „Siehst du wohl, das führt zu nichts, ich erreiche nie etwas, all meine Anstrengungen sind umsonst; Täuschung ist das alles, eine Unmöglichkeit.“ Man muss sich im Gegenteil sagen: „Ich habe nicht genügend achtgegeben.“ Lange, sehr lange muss man warten, bevor man sagen kann: „Ah, das ist vollbracht!“ Manchmal muss man jahrelang warten, viele Jahre lang…

Worte der Mutter
Alles, dein ganzer Ärger, deine ganze Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Abneigung und Wut, das alles kommt vom Vital. Das Vital verwandelt Liebe in Hass, das Vital erzeugt den Geist der Rache, den Groll, den bösen Willen, das Bedürfnis zu zerstören und zu schaden. Das Vital macht einen mutlos, wenn die Dinge schwierig oder nicht nach seinem Geschmack sind. Und es hat eine außergewöhnliche Fähigkeit, in Streik zu treten! Wenn es nicht zufrieden ist, verkriecht es sich in eine Ecke und regt sich nicht mehr. Und dann hast du keine Energie mehr, du hast keine Kraft mehr, du hast keinen Mut mehr, dein Wille ist wie … wie eine welkende Pflanze. Alle Verstimmungen und Enttäuschungen, alle Abneigungen, alle Wut, alle Verzweiflung, aller Kummer, aller Zorn, das kommt alles von diesem Herrn. Weil es die tätige Energie in Aktion ist.
Es kommt also darauf an, nach welcher Seite sie sich wendet. Und ich sage dir, es hat eine sehr starke Angewohnheit, in Streik zu treten. Das ist seine mächtige Waffe: „So! Du machst nicht, was ich will, also rühre ich mich nicht mehr, ich stelle mich tot.“ Und es macht das aufgrund einer Kleinigkeit. Es hat einen sehr schlechten Charakter, es ist sehr empfindlich und sehr nachtragend – es hat einen ganz schlechten Charakter. Denn ich glaube, es ist sich seiner Macht wohl bewusst, und es spürt sehr gut, dass nichts dem Schwung seiner Kraft widerstehen könnte, wenn es sich ganz gibt. Und wie alle, die ein Gewicht in die Waagschale zu werfen haben, feilscht es herum: „Ich gebe dir meine Energie, aber dann musst du auch tun, was ich will. Wenn du mir nicht gibst, was ich verlange, ziehe ich meine Energie wieder zurück.“ Und dann wirst du so flach wie ein Pfannkuchen. Und das ist wahr, genau so kommt es.
Das Vital ist schwer einer Regel zu unterwerfen. Doch wenn es einem gelingt, es zu zähmen, hat man natürlich etwas Mächtiges zur Verwirklichung in den Händen. Denn das Vital nimmt die größten Hindernisse im Sturm. Das Vital kann einen Dummkopf gescheit machen – es ganz allein, denn wenn es sich dafür begeistert, einen Fortschritt machen zu können, wenn das Vital es sich in den Kopf setzt voranzukommen, kann auch der Dümmste gescheit werden! Ich habe es erlebt, ich beziehe mich nicht auf Erzählungen anderer: Ich habe es gesehen, ich habe Leute gesehen, die farblos und dumm waren, unfähig zu verstehen, sie verstanden nichts – man konnte ihnen monatelang etwas erklären, es drang nicht ein, als würde man ein Stück Holz anreden – und dann, plötzlich wurde ihr Vital von einer Leidenschaft erfasst; sie wollten einfach jemandem gefallen oder etwas leisten, und dazu war es nötig, zu verstehen, etwas zu wissen, das brauchten sie; also setzten sie alles in Bewegung, sie trieben diesen eingeschlafenen mentalen Geist an, sie schickten Energien in alle Ecken, wo noch keine waren, und sie begriffen, sie wurden intelligent. Ich kannte jemanden, der praktisch nichts wusste, nichts verstand, und der in dem Moment, als der mentale Geist sich in Bewegung setzte und von dieser Leidenschaft zum Fortschritt ergriffen wurde, wunderbare Sachen zu schreiben begann. Ich hatte sie in der Hand. Und als der Schwung abflaute, als das Vital in Streik trat (denn manchmal zog es sich zurück und streikte}, wurde die betreffende Person wieder vollkommen dumm.
Es ist sehr schwierig, eine ständige Verbindung zwischen dem äußerlichsten physischen Bewusstsein und dem seelischen Bewusstsein herzustellen – und uff! –, das physische Bewusstsein hat zwar einen sehr guten Willen, es ist sehr regelmäßig, es probiert viel, aber es ist langsam und schwerfällig und man braucht lange, es ist schwierig. Es ermüdet nicht, aber es strengt sich nicht an; es geht weiter auf seinem Weg, ganz ruhig. Es kann Jahrhunderte dauern, bis das äußere Bewusstsein mit dem seelischen Wesen verbunden wird. Aber aus irgendeinem Grund mischt das Vital sich ein. Eine Leidenschaft ergreift es. Es will diese Verbindung (aus irgendeinem Grund, der nicht immer ein spiritueller Grund ist), aber es will diesen Kontakt. Mit seiner ganzen Energie, mit seiner ganzen Kraft, mit seiner ganzen Leidenschaft und Begeisterung will es ihn: und innerhalb von drei Monaten ist es geschafft.
Also, so ist das. Gehe sorgfältig mit ihm um, behandle es mit großer Achtung, aber gehorche ihm nie. Denn es wird dich zu allen möglichen unerfreulichen Erlebnissen führen. Und wenn es dir irgendwie gelingt, es zu überzeugen, dann wirst du mit Riesenschritten auf dem Weg vorankommen.

Worte der Mutter
Manche Leute haben so eine hübsche kleine Theorie, ich habe sie öfter gehört; sie meinten, man dürfe das Vital niemals unterdrücken, man solle es alles tun lassen, was es will, es werde schon müde werden und dann davon geheilt sein! Das ist eine ungeheure Dummheit! Das Vital ist nämlich seiner Natur nach niemals befriedigt, und wenn etwas anfängt, ihm schal zu dünken, verdoppelt es das Maß: wenn seine Dummheiten es langweilen, steigert es seine Dummheiten und seine Ausschweifungen; und ermüdet es sich, so fängt es doch, kaum ausgeruht, von neuem an. Denn es hat sich nicht geändert. Andere sagen, wenn man auf seinem Vital sitze, werde es unterdrückt und eines Tages schieße es dann wie Dampf hervor … und das stimmt. Also ist es keine Lösung – dies zieht im Allgemeinen sogar schwere Störungen nach sich. Es muss eine dritte Möglichkeit geben.
Danach streben, dass das Licht von oben herabkomme, um es zu läutern?
Gewiss, aber das Problem bleibt. Du strebst nach einer Wandlung, vielleicht nach der Wandlung eines ganz bestimmten Punktes; aber die Antwort auf deine Aspiration kommt nicht sogleich, und inzwischen leistet deine Natur Widerstand. Folgendes geschieht: Einmal sieht es so aus, als habe deine Natur nachgegeben, und du denkst, jetzt hättest du das gewünschte Ergebnis erreicht. Deine Aspiration lässt nach, weil du ja meinst, du hättest erlangt, was du wolltest. Das andere jedoch ist sehr listig, es wartet still in seinem Winkel, bis du einmal nicht auf der Hut bist, und dann springt es wie ein Schachtelteufelchen hervor, und du musst von neuem beginnen.
Wenn man es aber mit Stumpf und Stiel ausreißen könnte?
Ach, dem ist nicht zu trauen! Ich habe Leute gekannt, die die Welt retten wollten, indem sie sie so sehr beschränkten, dass keine Welt mehr da war! Das ist das asketische Verfahren – das Problem hebt sich auf, indem die Möglichkeit dazu beseitigt wird. Doch wird dadurch niemals etwas verändert.
Es gibt allerdings ein Verfahren, doch muss es sehr klarsichtig angewendet werden, und du musst in deinem Bewusstsein hellwach sein, was deine Person betrifft und das, was in ihr vorgeht, und die Art und Weise, wie die Dinge geschehen. Nehmen wir zum Beispiel jemand, der zu Wutanfällen und Gewalttaten neigt. Nach dem einen Verfahren würde ihm geraten: „Nun werden Sie mal richtig wütend; dann bekommen Sie die Folgen Ihrer Wut zu spüren, wodurch Sie geheilt werden.“ Darüber lässt sich streiten. Nach dem anderen Verfahren heißt es: „Setzen Sie sich schön auf Ihre Wut, dann vergeht sie.“ Auch darüber lässt sich streiten. Jedenfalls müsstest du dauernd darauf sitzen – denn stehst du einmal einen Augenblick auf, dann erlebst du etwas! Wie soll man es also anfangen?
Man muss immer bewusster werden. Man muss beobachten, auf welche Weise die Sache geschieht, auf welchem Weg die Gefahr sich nähert, und dann dort bereitstehen, bevor sie ans Ziel kommen kann. Wenn du einen Fehler oder eine Schwierigkeit überwinden willst, gibt es nur ein Verfahren: vollkommen wachsam sein, ein hellwaches und aufmerksames Bewusstsein haben. Erst einmal musst du ganz klar sehen, was du tun willst. Nicht zögern und voller Zweifel fragen: „Ist es gut, dies zu tun oder nicht, soll es in meine Synthese mit einbezogen werden oder nicht?“ Du wirst sehen, wenn du dich auf deinen mentalen Geist verlässt, fährt er immer hin und her: er schwankt beständig. Wenn du einen Entschluss fassen willst, legt er dir alle Gründe dar, warum dein Entschluss nicht richtig sei, und du wirst hin und her geworfen zwischen dem Ja und dem Nein, zwischen dem Grau und dem Schwarz, und du kommst zu nichts. Zu allererst musst du also genau wissen, was du tun willst – und zwar nicht mental wissen, sondern durch die Sammlung, durch die Sehnsucht und durch ein sehr bewusstes Wollen. Das ist der springende Punkt. Danach musst du durch Beobachtung, durch ununterbrochene Wachsamkeit allmählich so etwas wie eine Methode entwickeln, eine ganz persönliche – unnötig, andere davon überzeugen zu wollen, dieselbe Methode anzuwenden wie du, denn das wird keinen Erfolg haben. Jeder muss sein eigenes Verfahren finden, jeder muss sein eigenes Verfahren haben, und in dem Masse, wie du deine Methode in die Tat umsetzt, wird es immer klarer, immer genauer. Du kannst einen Punkt berichtigen, einen anderen näher bestimmen usw. Du machst dich also an die Arbeit … Eine Zeitlang geht alles gut. Dann, eines Tages, stehst du vor einer unüberwindbaren Schwierigkeit, und du sagst: „Ich habe nun wirklich alles getan, und jetzt ist es noch ebenso schlimm wie zuvor!“ Wenn es nun so steht, musst du, durch noch anhaltendere Sammlung, eine innere Türe öffnen und in diese Bewegung eine Kraft hereinlassen, die vorher nicht da war, einen Bewusstseinszustand, der früher fehlte. Und dann wird dir eine Stärke erwachsen, gerade wenn dein persönliches Vermögen erschöpft ist und nichts mehr bewirkt. Wenn das persönliche Vermögen erlahmt, verzagen die gewöhnlichen Menschen: „Ich kann nichts mehr ausrichten, ich bin erledigt.“ Ich sage dir aber: Wenn du vor jener Mauer stehst, fängt etwas Neues an. Durch beharrliche Sammlung musst du durchstoßen auf die andere Seite der Mauer, und dort wird dir eine neue Erkenntnis, eine neue Kraft, ein neues Vermögen, eine neue Hilfe zuteil werden, und du kannst ein neues System entwickeln, ein neues Verfahren, das dich weiterbringen wird.
Das sage ich nicht etwa, um dich zu entmutigen; so spielen die Dinge sich eben ab. Und das Schlimmste ist es, dich entmutigen zu lassen, wenn so etwas geschieht. Du musst dir sagen: „Mit all den Beförderungsmitteln, die mir zu Verfügung stehen, bin ich bis dahin gekommen, weiter aber komme ich mit diesen nicht. Was soll ich tun? … Mich hinsetzen und mich nicht mehr rühren? – keineswegs! Suchen wir neue Beförderungsmittel.“ Das kommt oft vor, und mit der Zeit gewöhnst du dich daran. Sich eine Weile hinsetzen, in sich gehen, dann ein anderes Mittel finden. Deine Konzentration, deine Aspiration und dein Vertrauen steigern und mit der neuen Hilfe, die dir erwächst, ein neues Programm entwerfen, andere Mittel ausarbeiten, um die überholten abzulösen. So schreitet man von Stufe zu Stufe weiter.
Doch muss man sorgfältig darauf achten, auf jeder Stufe so vollkommen wie möglich das zu verwirklichen, was gewonnen oder gelernt worden ist. Bleibst du in einem innerlichen Bewusstseinszustand, ohne den inneren Fortschritt im Stofflichen anzuwenden, so kommt bestimmt der Augenblick, wo du dich überhaupt nicht mehr bewegen kannst, weil dein unverändertes Außenwesen wie eine Schleifkugel an dir hängen und dich am Fortkommen hindern wird. Das Wichtigste ist also (was alle Welt ja auch sagt, aber nur wenige tun), dass du das, was du weißt, in die Tat umsetzt. Damit hast du eine gute Aussicht auf Erfolg, und mit Beharrlichkeit wirst du es bestimmt schaffen.
Man darf sich nie entmutigen lassen, wenn man vor einer Mauer steht, niemals zu sich sagen: „Ach, was nun? Das ist ja immer noch da!“ Auf diese Weise wird die Schwierigkeit immer noch da sein und immer noch da sein und immer noch da sein, bis zum Ende, und erst, wenn du ans Ziel gelangst, fällt alles auf einmal ab.

Worte Sri Aurobindos
Was du über die Störung bemerkt hast, ist richtig. Es gibt zwei Arten von Bewusstsein in dir: das neue, welches wächst, und das, was vom alten noch übrig ist. Im alten ist etwas enthalten, eine Gewohnheit des menschlichen Vitals, es ist die Neigung, jeden Anflug von Leid, Ärger, Qual usw. oder jegliche Art von emotionaler, vitaler oder mentaler Störung zu bewahren, viel Wesens davon zu machen, sie zu verlängern, ihre Beendigung nicht zu wünschen und wieder auf sie zurückzukommen, selbst wenn die Ursache der Störung der Vergangenheit angehört und vergessen werden könnte, stets daran zu denken und sie nach Möglichkeit wieder aufleben zu lassen. Das ist ein allgemeiner Zug der menschlichen Natur und eine ganz gewohnte Regung. Das neue Bewusstsein hingegen will diese Dinge nicht, und es befreit sich, wenn sie sich einstellen, so schnell wie möglich von ihnen. Sobald das neue Bewusstsein voll ausgereift und gefestigt ist, werden Störungen überhaupt zurückgewiesen. Selbst auf ihre Ursachen wird die menschliche Natur nicht mehr mit Leid, Ärger oder Qual usw. reagieren.

Worte Sri Aurobindos
Die Schwierigkeit, dich von der Ursprünglichkeit deiner Natur zu befreien, wird anhalten, solange du versuchst, deinen vitalen Teil nur oder hauptsächlich durch die Kraft deines Mentals und mentalen Willens zu wandeln, und höchstens eine unbestimmte und unpersönliche göttliche Macht zu Hilfe rufst … Wenn du die wahre Beherrschung und Umwandlung der vitalen Regungen willst, kann es nur unter der Bedingung geschehen, dass du deinem seelischen Wesen, der Seele in dir erlaubst, voll zu erwachen, ihre Herrschaft zu errichten und … den ihr eigenen Weg der reinen Hingabe aufzuerlegen, sowie auf das Mental, das Herz und die vitale Natur mit rückhaltloser Aspiration und vollständigem, unnachgiebigem Verlangen nach allem, was göttlich ist, einzuwirken.
