Kapitel 9
Aphorismen
DAS ZIEL
Sind wir über Kenntnisse hinaus, dann haben wir Wissen. Vernunft war das Mittel; Vernunft ist die Schranke.
Sind wir über Bemühungen hinaus, dann haben wir Macht. Anstrengung war das Mittel, Anstrengung ist die Schranke.
Sind wir über Vergnügungen hinaus, dann haben wir Seligkeit. Begierde war das Mittel, Begierde ist die Schranke.
Sind wir über die Individualisierung hinaus, dann sind wir wahre Person. Ego war das Mittel, Ego ist die Schranke.
Sind wir über das Menschentum hinaus, dann sind wir der Mensch. Das Tier war das Mittel, das Tier ist die Schranke.
Wandle die Vernunft in geordnete Intuition; sei ganz und gar Licht. Das ist dein Ziel.
Wandle Anstrengung in gleichmäßiges, freies Strömen von Seelenstärke; sei ganz und gar bewusste Kraft. Das ist dein Ziel.
Wandle Vergnügen in gleichmäßige und gegenstandslose Ekstase; sei ganz und gar Seligkeit. Das ist dein Ziel.
Wandle das gesonderte Einzelwesen in die Welt-Person; sei ganz und gar das Göttliche. Das ist dein Ziel.
Wandle das Tier in den Hirten der Herden; sei ganz und gar Krishna. Das ist dein Ziel.
– Sri Aurobindo

Denken ist weder Haupt- noch Ursache des Daseins, sondern ein Werkzeug des Werdens: ich werde, was ich in mir sehe. Alles, was Denken mir eingibt, kann ich tun; alles, was Denken in mir enthüllt, kann ich werden. Das sollte des Menschen unerschütterlicher Glaube an sich selbst sein, denn Gott wohnt in ihm.
Immerfort zu wiederholen, was der Mensch schon getan hat, ist nicht unsere Aufgabe, sondern zu neuen Verwirklichungen und ungeahnten Meisterschaften vorzustoßen. Zeit, Seele und Welt sind uns als Feld gegeben, Schau, Hoffnung und schöpferische Vorstellung dienen uns als Eingeber, Wille, Gedanke und Arbeit sind unsere all-wirksamen Mittel.
Was gibt es Neues, das wir noch zu erlangen hätten? Liebe, denn bisher haben wir es nur zu Hass und Selbstgenuss gebracht; Wissen, denn bisher haben wir es nur zu Irrtum, Feststellung und Meinung gebracht; Seligkeit, denn bisher haben wir es nur zu Vergnügen, Schmerz und Gleichgültigkeit gebracht; Macht, denn bisher haben wir es nur zu Schwäche, Anstrengung und vereiteltem Sieg gebracht; Leben, denn bisher haben wir es nur zu Geburt, Wachstum und Sterben gebracht; Einheit, denn bisher haben wir es nur zu Krieg und Bündnis gebracht.
In einem Wort: Gottheit; uns neu zu schaffen nach dem göttlichen Bild.
– Sri Aurobindo

DAS ENDE
Die Begegnung von Mensch und Gott bedeutet immer ein Eindringen und Eintreten des Göttlichen in das Menschliche und ein Sich-Versenken des Menschen in die Göttlichkeit.
Doch ist jenes Versenken nicht von der Art einer Selbstvernichtung. Auslöschung ist nicht die Erfüllung all dieser Suche und Leidenschaft, dieses Leidens und Entzückens. Das Spiel wäre nie begonnen worden, müsste es derart enden.
Wonne ist das Geheimnis. Lerne das reine Entzücken kennen, und du kennst Gott.
Was war denn der Anfang der ganzen Geschichte? Dasein, das sich aus schierem Entzücken am Sein vervielfachte und in zahllose Trillionen von Formen tauchte, um sich unzählig wiederzufinden.
Und was liegt in der Mitte? Trennung, die zu vielfältiger Einheit strebt, Unwissenheit, die zu einer Fülle mannigfaltigen Lichtes sich hin bemüht, Schmerz, der in den Wehen unvorstellbarer Ekstase liegt. Denn das alles sind dunkle Erscheinungsformen und entstellte Schwingungen.
Und was ist das Ende der ganzen Geschichte? Wie Honig, der sich selbst und all seine Tropfen zusammen kosten würde, und all seine Tropfen würden einander und jeder die ganze Wabe als sich selbst kosten, so dürfte es am Ende mit Gott und der Seele des Menschen und dem Weltall sein.
Liebe ist der Grundton, Freude die Melodie, Kraft der Zusammenklang, Wissen der Musiker, das unendliche Weltall der Komponist und die Zuhörerschaft. Wir kennen erst die vorbereitenden Misstöne, die ebenso schlimm sind, wie die Harmonie großartig sein wird; bestimmt aber kommen wir zur Fuge der göttlichen Glückseligkeiten.
– Sri Aurobindo
