Kapitel 7
Die praktische Methode des Yoga – Drei Aspekte
Worte Sri Aurobindos
Oberstes und wahres Ziel spirituellen Suchens:1
Das Göttliche zu finden ist der eigentliche Grund der Suche nach spiritueller Wahrheit und spirituellem Leben; es ist die eine unerlässliche Sache, und alles Übrige ist nichts ohne dies. Das Göttliche, nachdem Es einmal gefunden ist, zu offenbaren, bedeutet vor allem, das eigene, begrenzte Bewusstsein in das Göttliche Bewusstsein umzuwandeln, im unendlichen Frieden und Licht zu leben, in unendlicher Liebe, Stärke und Seligkeit, in der eigenen essentiellen Natur zu all dem zu werden und als Konsequenz davon, in der aktiven Natur sein Gefäß und Kanal und Instrument zu sein. Das Prinzip des Einsseins auf der stofflichen Ebene zu aktivieren oder für die Menschheit zu arbeiten, ist eine mentale Fehldeutung der Wahrheit – diese Dinge können kein oberstes und wahres Ziel spirituellen Suchens sein. Wir müssen das Selbst, das Göttliche finden, dann erst können wir wissen, woraus die Arbeit besteht, die das Selbst oder das Göttliche von uns fordert. Bis dahin können unser Leben und Tun lediglich eine Hilfe oder ein Mittel sein, das Göttliche zu finden, und sollten keinem anderen Zweck dienen. In dem Maße, wie wir in das innere Bewusstsein hineinwachsen oder wie die spirituelle Wahrheit des Göttlichen in uns wächst, müssen unser Leben und Tun mehr und mehr aus dieser Wahrheit hervorgehen und eins mit ihr sein. Doch von vornherein durch unsere begrenzten mentalen Auffassungen zu entscheiden, woraus jene zu bestehen haben, heißt, die Entfaltung der spirituellen Wahrheit in uns zu hemmen. In dem Maße, wie diese wächst, werden wir das Göttliche Licht und die Göttliche Wahrheit, die Göttliche Macht und Kraft, die Göttliche Reinheit und den Göttlichen Frieden in uns wirken fühlen; und sie werden unser Handeln und Bewusstsein ergreifen und benutzen, um uns in das Göttliche Ebenbild umzuformen, um die Schlacken zu entfernen und mit dem reinen Gold des Geistes zu ersetzen. Erst wenn die Göttliche Gegenwart immer in uns wohnt, erst wenn das Bewusstsein die Umwandlung erfahren hat, haben wir das Recht zu sagen, wir seien bereit, das Göttliche auf der stofflichen Ebene zu offenbaren. Ein mentales Ideal oder Prinzip aufrechtzuerhalten oder dem inneren Wirken aufzuerlegen ist mit der Gefahr verbunden, dass wir uns auf eine mentale Verwirklichung begrenzen oder aber dass wir durch eine halbe Gestaltung das wahre Wachsen in die volle Verbindung und Einung mit dem Göttlichen sowie das freie, innerste Einwirken Seines Willens auf unser Leben hemmen oder gar fälschen. Dies ist ein Fehler in der Zielsetzung, zu dem das gegenwärtige Mental besonders neigt. Es ist weitaus besser, sich dem Göttlichen um des Friedens, des Lichts oder der Seligkeit willen zu nähern, die Seine Verwirklichung mit sich bringt, als diese zweitrangigen Dinge hineinzumischen, die uns von der einen notwendigen Sache ablenken können. Auch die Vergöttlichung sowohl des stofflichen als auch des inneren Lebens ist ein Teil dessen, was wir als Göttlichen Plan ansehen, und kann allein durch ein Hervorströmen der inneren Verwirklichung erfüllt werden, durch etwas das von innen nach außen wächst, und nicht durch das Ausarbeiten eines mentalen Prinzips.

Disziplin der Umwandlung des mentalen Suchens in spirituelle Erfahrungen:
Du fragst, welcher Art die Disziplin sei, der man zu folgen habe, um das mentale Suchen in eine lebendige spirituelle Erfahrung zu wandeln. Das erste Erfordernis ist, dein Bewusstsein in der nach innen gerichteten Konzentration zu schulen. Das gewöhnliche menschliche Mental besitzt eine Oberflächenaktivität, die das wahre Selbst verhüllt. Doch gibt es ein anderes, ein verborgenes, inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, wodurch man das wirkliche Selbst und eine größere und tiefere Wahrheit der Natur erkennt, wodurch man das Selbst verwirklichen und die Natur befreien und umwandeln kann. Das Ziel dieser Konzentration ist, das Oberflächenmental zu beruhigen und zu beginnen, innerlich zu leben. Dieses wahre Bewusstsein, das sich von dem oberflächlichen unterscheidet, hat zwei hauptsächliche Zentren, eines im Herzen (nicht im physischen Herzen, sondern im Kardial-Zentrum in der Mitte der Brust) und eines im Kopf. Die Konzentration im Herzen öffnet den Weg nach innen, und wenn man diesem inneren Öffnen folgt und sich in die Tiefe wendet, wird man der Seele oder des seelischen Wesens gewahr, dem göttlichen Element im Menschen. Dieses, nachdem es enthüllt wurde, beginnt hervorzutreten und die Natur zu lenken und sie samt all ihren Regungen der Wahrheit und dem Göttlichen zuzuwenden, sowie alles in sie herabzurufen, was sich darüber [über der menschlichen Natur] befindet. Es bringt das Bewusstsein der Gegenwart, der Weihung des Wesens an den Höchsten und macht die Herabkunft einer größeren Kraft und eines größeren Bewusstseins, die über uns warten, in unsere Natur möglich. Der erste Schritt, wenn man ihn tun kann, das heißt der natürliche Anfang ist, sich im Herzen auf die Darbringung seiner selbst an das Göttliche zu konzentrieren, sowie das Streben nach diesem inneren Öffnen und nach der Gegenwart im Herzen; denn ist einmal dies erreicht, wird der spirituelle Pfad weit einfacher und sicherer als wenn man mit dem anderen Weg beginnen würde.
Jener andere Weg ist die Konzentration im Kopf, im mentalen Zentrum. Diese öffnet, wenn sie zur Stille des Oberflächenmentals führt, ein inneres, größeres und tieferes Mental, das bereitwilliger spirituelle Erfahrung und spirituelles Wissen empfängt. Ist man hier einmal konzentriert, dann muss man das schweigende mentale Bewusstsein nach oben hin für alles öffnen, was sich über dem Mental befindet. Nach einiger Zeit fühlt man, wie das Bewusstsein aufsteigt, wie es sich schließlich über jenes Lid erhebt, von dem es so lange Zeit im Körper festgehalten wurde, und ein Zentrum über dem Kopf findet, von wo es in das Unendliche befreit wird. Dort beginnt es mit dem universalen Selbst, mit dem Göttlichen Frieden, dem Licht, der Macht, dem Wissen, der Seligkeit in Kontakt zu kommen, dort einzutreten und zu all dem zu werden – und die Herabkunft dieser Dinge in die Natur zu fühlen. Dieser zweite Weg der Konzentration ist also, sich im Kopf auf das Streben nach der Stille im Mental zu konzentrieren sowie auf die Verwirklichung des Selbsts und des Göttlichen über sich. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Konzentration des Bewusstseins im Kopf nur eine Vorbereitung für sein Aufsteigen zu dem Zentrum darüber ist; andernfalls könnte man in seinem Mental und dessen Erfahrungen eingeschlossen werden oder bestenfalls zu einer Widerspiegelung der Wahrheit gelangen, statt sich in die spirituelle Transzendenz zu erheben, um dort zu leben. Für einige ist die mentale Konzentration leichter, für andere die Konzentration im Herzzentrum; einige sind fähig, beides abwechselnd zu tun – doch ist es wünschenswerter, mit dem Herzzentrum zu beginnen, wenn man es vermag.

Disziplin hinsichtlich der Aktivitäten der menschlichen Natur:
Die andere Seite der Disziplin betrifft die Tätigkeiten der menschlichen Natur, des Mentals, des Lebens-Selbsts oder Vitals und des physischen Wesens. Das Prinzip ist hier, die [menschliche] Natur mit der inneren Verwirklichung abzustimmen, damit man nicht in zwei disharmonierende Teile gespalten wird. Dabei sind verschiedene Disziplinen oder Vorgänge möglich. Eine davon ist, alle Tätigkeiten dem Göttlichen darzubringen, um die innere Führung zu bitten und darum, dass die menschliche Natur von einer Höheren Macht aufgenommen wird. Sobald dann das innere Sich-Öffnen der Seele stattfindet, sobald das seelische Wesen hervortritt, besteht keine große Schwierigkeit mehr; denn Hand in Hand damit geht die seelische Unterscheidung, eine fortwährende Eingebung und schließlich eine Führung, die alle Unvollkommenheiten enthüllt und still und geduldig beseitigt, die rechten mentalen und vitalen Regungen bringt und auch das physische Bewusstsein umformt. Eine andere Methode ist zurückzustehen, losgelöst von den Regungen des Mentals, des Lebens, des physischen Wesens, ihre Tätigkeiten nur als die gewohnten Gestaltungen der allgemeinen Natur im Menschen zu betrachten, die uns durch vergangenes Tun auferlegt sind und nicht zu unserem wirklichen Wesen gehören; in dem Maß, wie einem dies gelingt, wie man sich ablösen kann und das Mental und seine Tätigkeiten, das Leben und seine Tätigkeiten, den Körper und seine Tätigkeiten als nicht zu sich gehörend betrachtet, wird man sich eines inneren Wesens bewusst – eines inneren Mentals, eines inneren Vitals, eines inneren Physischen –, das ruhig, ungebunden und nicht verhaftet ist, das das wahre Selbst über einem spiegelt und sein direkter Vertreter sein kann; von diesem inneren, schweigenden Wesen geht eine Zurückweisung all dessen aus, was zurückgewiesen werden muss, und eine Billigung allein von dem, was bewahrt und umgewandelt werden kann, ein innerster Wille zur Vollendung oder ein Ruf an die Göttliche Macht, bei jedem Schritt das zu tun, was für die Umwandlung der Natur erforderlich ist. Es [das innere Wesen] kann auch Mental, Leben und Körper der innersten seelischen Wesenheit und ihrem lenkenden Einfluss oder ihrer unmittelbaren Führung öffnen. In den meisten Fällen zeichnen sich diese beiden Methoden ab, arbeiten zusammen und verschmelzen schließlich in eine einzige. Doch kann man mit jeder von ihnen beginnen, am besten mit derjenigen, der zu folgen einem am natürlichsten und einfachsten erscheint.

1 Untertitel hinzugefügt.