Kapitel 6

Falschheit

Falschheit ist die Agonie des Höchsten, – so sagte es die Mutter.

Und um diese Falschheit aufzulösen, kamen der höchste Herr und Seine Bewusstseinskraft, die höchste Mutter, in den tiefen Abgrund der Schöpfung herab. Die strahlenden Funken jener höchsten göttlichen Gegenwart sind die Seelen auf der Erde.

Der Mensch, das menschliche Wesen, ist nichts anderes als dieser göttliche Funke, der vom Höchsten ausgegangene Funke, der in die äußere Form eines unwissenden irdischen Bewusstseins gekleidet und in ihr behaust ist. Wir können vielleicht sagen, die Seele ist eine Wunderlampe, die hier auf die Erde herabgebracht wurde, um die Dunkelheit der materiellen Welt ringsum zu erhellen und aufzulösen. In ihrer individuellen Form ist jede Seele einzigartig: Sie hat eine einmalige Rolle zu spielen, einen kleinen Winkel zu reinigen und transparent zu machen. Und sie ist auch in ihrer Beziehung zum Höchsten einzigartig.

Dies ist die Wahrheit, aber nur eine Seite von ihr. Es gibt eine andere, komplementäre Wahrheit. Der Mensch ist kein vollständig von anderen Wesen getrenntes oder isoliertes Individuum. Ungeachtet seiner eigenen unverwechselbaren Persönlichkeit und Ausformung ist er doch eins mit Allem und repräsentiert die Gesamtheit des irdischen Bewusstseins. Er trägt es in Wahrheit in sich, in seinem Bewusstsein. Zu jedem Element im Erdbewusstsein gibt es einen korrespondierenden Punkt im individuellen Bewusstsein; der Mensch ist ein Amalgam von beidem, Gutem und Bösem, der ganzen irdischen Natur. Er stellt eine Miniaturwelt, eine Repräsentation des gesamten Erdbewusstseins in konzentrierter Form in ganz kleinem Rahmen dar. Je mehr das Bewusstsein entwickelt ist, umso mehr wächst das Individuum und umso sichtbarer wird diese Parallele. Alles, was es in der Welt an Gutem gibt, tragt ihr in euch; alles Schlechte ist ebenfalls in eurem Bewusstsein vorhanden. Kein menschliches Wesen ist weder ein reiner Heiliger oder Engel, noch ein kompletter Teufel.

Auf anderen Yogawegen versuchte man, die für das Ziel der persönlichen Befreiung unnötigen Verknüpfungen mit der Welt zu kappen und sich auf einen einzigen oder wenige Kontakte zu konzentrieren, welche einen leichter mit dem eigenen Urgrund verbinden würden. Es war eine sehr praktische Methode, vielleicht sogar die richtige für jene, die auf die Befreiung ihres eigenen individuellen Selbst von der dunklen Unklarheit der materiellen Welt und des irdischen Bewusstseins hinarbeiteten.

Aber für uns, die wir nach Befreiung des gesamten irdischen Bewusstseins von Falschheit und Unwissenheit streben, ist das nicht genug. Wir müssen unsere Bürde akzeptieren; wir müssen uns an der kollektiven Bemühung beteiligen. Wenn einer von uns einen Fortschritt macht, macht er ihn für die Erde; wenn nur ein bisschen des Bösen in einem individuellen Bewusstsein aufgelöst ist, hat dies eine korrespondierende Wirkung im Erdbewusstsein; wenn eine Person einen einzigen Missstand in ihrer Natur behebt, gereicht es der ganzen Welt zum Guten. Tatsächlich ist nichts gänzlich geheilt, bis alles geheilt ist. Dies ist das Geheimnis kollektiver Sadhana. Und das ist der Grund, warum es auf unserem Weg schwierig ist, den eigenen Fortschritt zu messen oder für sich eine Wegmarke zu setzen, wie man das auf anderen Yogapfaden tut. Wir stehen alle zusammen, wir sind in unseren Bemühungen eins.

Die Erde ist voller Missstände, voller Krankheiten. Es mögen Krankheiten des Körpers sein, aber im Grunde sind es alles Krankheiten des Bewusstseins. Man muss ihnen in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen begegnen und bei jedem Schritt kämpfen. Nimm die Politik zum Beispiel; es ist dieselbe Geschichte. Es ist eine politische Krankheit, eine Krankheit des Gruppenbewusstseins in jeder Gruppierung oder Nation. Wie in einem Individuum ist auch in der Gemeinschaft das Bewusstsein im Ego zentriert und versucht, nur den eigenen begrenzten Interessen zu dienen und sie auf Kosten anderer zu erfüllen. Das Problem besteht darin, das eigene Selbst zu beherrschen und zur gleichen Zeit anderen zu helfen, dasselbe zu tun.

Um dieses oder jedes andere Problem mit der richtigen Haltung und vom richtigen Blickwinkel aus zu lösen, muss man sein Ego klein machen, darüber hinauswachsen, sein Bewusstsein weiten und Einheit mit anderen fühlen. In eurem Bewusstsein zu wachsen, es groß genug zu machen, damit es mit der Erde eins ist, und von dort aus das Problem zu betrachten, ist die einzige tiefgreifende Lösung. Man muss von innen, vom wahren Urgrund seines Wesens her wachsen.

Wie das Individuum hat jede Nation eine Seele. Man muss sich ihrer bewusst werden, sich mit ihr identifizieren und auf sie hören. Dann sieht das Problem anders aus und es findet sich ein wirkliches Heilmittel, die wahre Lösung.

Es ist das gleiche mit allen Lebensproblemen.

Veröffentlicht im August 1982

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