Kapitel 6
Der sonnenhelle Weg der Seele
Es gibt immer zwei Arten, den Yoga auszuüben – die eine, durch das Wirken eines wachsamen Mentals und Vitals zu sehen, zu beobachten, zu denken und zu entscheiden, was getan werden soll und was nicht. Natürlich geschieht das mit Hilfe der Göttlichen Kraft im Hintergrund, welche jene Kraft herabzieht oder ruft, denn im anderen Fall, könnte nicht viel getan werden. Es ist aber immer noch die persönliche Bemühung, auf welcher der Nachdruck liegt, und welcher die meiste Arbeit zufällt.
Die andere Art ist die des seelischen Wesens; das Bewusstsein öffnet sich dem Göttlichen, es öffnet nicht nur die Seele und lässt sie hervortreten, sondern auch das Mental, das Vital und das Physische, es empfängt das Licht und erkennt, was zu geschehen hat, es fühlt und sieht, wie es durch die Göttliche Kraft selbst geschieht, und trägt fortwährend durch wachsame und bewusste Zustimmung und durch seinen Ruf zum Göttlichen Wirken bei.
Meist ist nur eine Mischung dieser beiden Arten möglich, bis das Bewusstsein bereit ist, sich völlig zu öffnen, und seine gesamte Tätigkeit dem Göttlichen Ursprung unterzuordnen. Dann schwindet jede Verantwortung, und die Schultern des Sadhaks haben keine persönliche Last mehr zu tragen.
SRI AUROBINDO (23:594)

Wenn sich die Seele im Vordergrund befindet, wird die Sadhana selbstverständlich und einfach, und es ist nur eine Frage der Zeit und natürlichen Entwicklung. Wenn das Mental oder das Vital oder das physische Bewusstsein überwiegt, ist die Sadhana eine tapasya und ein Kampf
SRI AUROBINDO (24:1109)

Der Yoga besteht sehr oft aus einer Folge von Auf und Ab, bis du eine gewisse Höhe erreicht hast. Der Grund hierfür ist jedoch ein ganz anderer, und hat nichts mit den Launen der Seele zu tun. Im Gegenteil, wenn das seelische Wesen hervortritt und Meister wird, beginnt eine im wesentlichen ruhige Tätigkeit, und obwohl es noch Schwierigkeiten und Wellenbewegungen gibt, sind diese nicht länger von jähem oder dramatischem Charakter.
SRI AUROBINDO (24:1109)

Wenn die Seele erwacht ist und sich im Vordergrund befindet, wird es einfach, sich der Dinge, die in der äußeren Natur verändert werden müssen, bewusst zu bleiben – und dann ist es auch verhältnismäßig einfach, sie zu ändern. Wenn aber die Seele verhüllt wird und sich in den Hintergrund zurückzieht, ist es für die sich selbst überlassene äußere Natur schwierig, sich ihrer eigenen falschen Bewegungen bewusst zu bleiben, und es gelingt ihr auch mit großer Anstrengung nicht, sich von ihnen zu befreien. Du hast selbst gesehen, wie in der Essensangelegenheit, dass mit einer aktiven und erwachten Seele die rechte Einstellung auf natürliche Weise kommt und jede Schwierigkeit, welcher Art auch immer, sich bald verringert oder sogar verschwindet.
SRI AUROBINDO (24:1101)

Nicht die Seele ist es, die leidet; das Selbst ist ruhig und gleichmütig gegenüber allen Dingen, und der einzige Kummer des seelischen Wesens ist der Kummer über den Widerstand der [menschlichen] Natur gegenüber dem Göttlichen Willen oder über den Widerstand der Dinge und Menschen gegenüber dem Ruf des Wahren, Guten und Schönen. Was vom Leiden betroffen wird, das ist die vitale Natur und der Körper. Wenn sich die Seele dem Göttlichen zuwendet, kann ein Widerstand im Mental auftreten, der meist in Form von Leugnung und Zweifel in Erscheinung tritt, was mentales und vitales Leiden hervorrufen kann. Es kann auch einen Widerstand der vitalen Natur geben, deren hauptsächlicher Wesenszug das Begehren ist, und wenn auf diesem Gebiet ein Konflikt zwischen der Seele und der vitalen Natur besteht, zwischen der Anziehungskraft des Göttlichen und dem Sog der Unwissenheit, dann leiden das Mental und der vitale Teil ganz offensichtlich. Auch das physische Bewusstsein kann Widerstand leisten, der im Allgemeinen in einer grundlegenden Trägheit besteht, einer Dunkelheit im reinen Stoff des Physischen, einem Nichtbegreifen, einer Unfähigkeit, auf das höhere Bewusstsein anzusprechen, sowie in der Gewohnheit, hilflos und mechanisch auf das Niedere zu reagieren, selbst wenn es nicht will; daraus kann sowohl vitales als auch physisches Leiden entstehen. Außerdem gibt es den Widerstand der Universalen Natur, die nicht will, dass das Wesen aus der Unwissenheit in das Licht entkommt. Das kann die Form eines leidenschaftlichen Beharrens auf der Weiterführung der alten Bewegungen annehmen, deren Wogen das Mental, Vital und den Körper erfassen, so dass die alten Ideen, Impulse, Begierden, Gefühle und Reaktionen fortbestehen – selbst nachdem sie hinausgeworfen und zurückgewiesen wurden – und wie eine Armee, die von außen angreift, zurückkehren können, bis schließlich die ganze dem Göttlichen hingegebene Natur sich weigert, sie anzunehmen. Das ist die subjektive Form des universalen Widerstandes; er kann aber auch eine objektive Form annehmen – Feindseligkeit, Verleumdung, Angriffe, Verfolgung, Unglück von vielerlei Art, feindliche Bedingungen und Umstände, Schmerzen, Krankheiten, Bedrohung von Seiten der Menschen oder Kräfte. Auch hier liegt die Möglichkeit des Leidens auf der Hand. Es gibt zwei Wege, all dem zu begegnen: erstens den des Selbstes, der Stille, des Gleichmuts – ein Spirit, ein Wille, ein Mental, ein Vital, ein physisches Bewusstsein, die entschlossen dem Göttlichen zugewandt bleiben, und sich von all den Suggestionen des Zweifels, Begehrens, Verhaftetseins, von Depression und Kummer, Schmerz und Tätigkeit nicht erschüttern lassen. Das ist möglich, wenn das innere Wesen erwacht, wenn man sich des Selbstes bewusst wird, des inneren Mentals, des inneren Vitals, des inneren Physischen, denn sie können sich leichter dem göttlichen Willen anpassen; und dann findet eine Spaltung im Wesen statt, als ob es zwei Wesen gäbe, eines im Inneren, ruhig, stark, gleichmütig, gelassen, ein Kanal des Göttlichen Bewusstseins und der Göttlichen Kraft, und ein äußeres, das immer noch von der niederen Natur missbraucht wird; dann aber werden die Störungen durch letzteres etwas Oberflächliches sein – nicht mehr als ein äußerliches Kräuseln, bis auch dieses unter dem inneren Druck dahinschwindet und versinkt, und auch das äußere Wesen ruhig, konzentriert und unangreifbar bleibt. Es gibt auch den Weg der Seele – er besteht darin, dass das seelische Wesen mit seiner ihm innewohnenden Kraft, seiner Weihung, Anbetung, seiner Liebe für das Göttliche, seiner Selbsthingabe und Überantwortung hervortritt und diese dem Mental, dem Vital und dem physischen Bewusstsein auferlegt und sie zwingt, all ihre Bewegungen auf Gott zu richten. Wenn die Seele stark und ganz und gar Gebieter ist, gibt es kein subjektives Leiden mehr oder nur noch wenig, und das objektive kann weder die Seele noch die anderen Teile des Bewusstseins berühren – der Weg ist sonnenhell und eine große Freude und Süße werden zum Grundton der ganzen Sadhana. Was die äußeren Angriffe und feindlichen Umstände anbelangt, so hängt das von dem Wirken der [Yoga-] Kraft ab, die die Beziehung des Wesens zur äußeren Natur umwandelt; in dem Maße wie die Kraft ihren Sieg ausdehnt, werden sie eliminiert werden; aber sie können die Sadhana nicht behindern, wie lange auch immer sie andauern, denn dann werden selbst feindliche Dinge und Geschehnisse ein Mittel für ihren Fortschritt und für das Wachsen des Spirits werden.
SRI AUROBINDO (24:1616)
