Kapitel 5
Warum vergessen wir unsere Träume?
Worte der Mutter
Warum vergessen wir unsere Träume?
Weil du nicht immer am selben Ort träumst. Es ist nicht immer derselbe Teil deines Wesens, der träumt, und du träumst nicht immer am selben Ort. Wärest du in bewusster, direkter, kontinuierlicher Kommunikation mit allen Teilen deines Wesens, dann würdest du dich an alle Träume erinnern. Doch nur sehr wenige Teile des Wesens kommunizieren miteinander.
Zum Beispiel hast du einen Traum im Subtil-Physischen, das heißt recht nahe am Physischen. Meistens treten diese Träume in den frühen Morgenstunden auf, zwischen vier und fünf Uhr, am Ende des Schlafes. Wenn du beim Erwachen keine plötzliche Bewegung machst, wenn du sehr ruhig, sehr still und ein wenig aufmerksam bleibst – aufmerksam in der Ruhe – und konzentriert, dann wirst du dich an diesen Traum erinnern, denn die Kommunikation zwischen dem Subtil-Physischen und dem Physischen ist hergestellt – ganz selten besteht da keine Kommunikation.
Nun, Träume werden meistens vergessen, weil man in einem bestimmten Zustand träumt und dann in einen anderen übergeht. Zum Beispiel wenn du schläfst, dein Körper ist eingeschlafen, dein Vital ist eingeschlafen, dein Mental aber ist noch aktiv. Also fängt dein Mental an, Träume zu haben, das heißt seine Tätigkeit ist mehr oder weniger koordiniert, die Vorstellungskraft ist sehr aktiv, und du siehst alle Arten von Dingen, nimmst teil an außerordentlichen Geschehnissen… Nach einer Weile beruhigt sich das alles, und das Mental schlummert langsam ein. Das Vital, das bisher geruht hat, erwacht. Es verlässt den Körper, wandert umher, geht hier- und dorthin, tut alles mögliche, reagiert, kämpft manchmal, und schließlich isst es. Es macht alle möglichen Dinge. Das Vital ist äußerst unternehmungslustig. Es beobachtet. Wenn es heldenmütig ist, eilt es herbei, um Menschen aus ihrem Gefängnis zu befreien oder um Feinde zu vernichten, oder es macht wunderbare Entdeckungen. Doch das drängt den ganzen mentalen Traum sehr weit zurück. Er ist ausgelöscht, vergessen: Natürlich kannst du dich nicht erinnern, weil der vitale Traum seinen Platz eingenommen hat. Doch wenn du in dem Augenblick plötzlich erwachst, dann erinnerst du dich. Es gibt Menschen, die das Experiment gemacht haben. Sie sind zu bestimmten, festgesetzten Stunden in der Nacht aufgestanden, und als sie plötzlich erwachten, erinnerten sie sich. Man darf sich nicht plötzlich und schnell bewegen, sondern muss im natürlichen Ablauf aufwachen, dann erinnert man sich.
Nach einer Weile, nachdem das Vital ausreichend herumgezogen ist, muss es sich ebenfalls ausruhen, und so begibt es sich zur Ruhe und in die Stille, recht müde nach allerlei Abenteuern. Dann erwacht etwas anderes. Nehmen wir an, es ist das Subtil-Physische, das nun einen Spaziergang macht. Es beginnt sich zu bewegen und herumzuwandern, betrachtet die Räume und… warum, diese Sache war dort, doch nun ist sie hier, dieser Gegenstand, der in dem Zimmer war, ist nun in diesem, und so fort. Wenn du ohne dich zu rühren aufwachst, dann erinnerst du dich. Aber das hat all die Geschichten des Vitals weit in den Hintergrund des Bewusstseins gedrängt. Sie sind vergessen, und so kannst du dich deiner Träume nicht mehr erinnern. Wenn du aber zur Zeit des Erwachens nicht in Eile bist, wenn du das Bett nicht verlassen musst, sondern im Gegenteil so lange dort bleiben kannst, wie du es wünschst, dann brauchst du nicht einmal die Augen zu öffnen. Du hältst deinen Kopf genau dort, wo er war, und du machst dich einem stillen inneren Spiegel gleich und konzentrierst dich darin. Du erwischst gerade einen klitzekleinen Zipfel vom Ende deines Traumes. Du packst ihn und ziehst sanft, ohne dich im Geringsten zu bewegen. Du fängst an, sachte zu ziehen, und dann kommt zunächst ein Abschnitt, ein wenig später ein anderer. Du gehst zurück; der letzte kommt zuerst. Alles läuft rückwärts, langsam, und plötzlich erscheint der ganze Traum wieder: „Ah, da! So war es.“ Vor allem nicht aufspringen, sich nicht regen; du wiederholst dir den Traum mehrere Male – einmal, zweimal –, bis er klar wird, in allen Einzelheiten. Wenn dieser Traum festgemacht ist, regst du dich immer noch nicht und versuchst weiter einzudringen, und plötzlich erwischst du das Ende von etwas anderem. Es ist weiter entfernt, unbestimmter, doch kannst du es dennoch ergreifen. Und auch hier bleibst du dran, packst es und ziehst, und du siehst, dass sich alles verändert und du eine neue Welt betrittst. Plötzlich erlebst du ein außergewöhnliches Abenteuer – es ist ein anderer Traum. Du gehst nach dem gleichen Prinzip vor. Du wiederholst dir den Traum einmal, zweimal, bis du dir dessen sicher bist. Du bleibst die ganze Zeit über sehr ruhig. Dann dringst du noch tiefer in dich ein, als ob du sehr weit, sehr weit hineingingest. Und plötzlich siehst du wieder eine vage Form, du hast ein Gefühl, eine Empfindung… wie ein Luftzug, eine leichte Brise, ein leichter Hauch; und du sagst: „Gut, gut…“ Es nimmt eine Form an, es wird klar – und die dritte Kategorie erscheint. Du musst viel Zeit haben, viel Geduld, du musst sehr ruhig sein in deinem Mental und Körper, sehr ruhig, und dann kannst du die Geschichte deiner gesamten Nacht erzählen, vom Ende bis zum Anfang. Auch ohne diese langwierige und schwierige Übung zu praktizieren, um sich eines Traumes zu erinnern, sei es der letzte oder derjenige in der Mitte, der einen heftigen Eindruck in deinem Wesen hinterlassen hat, musst du beim Erwachen das tun, was ich dir gesagt habe: Achte besonders darauf, nicht einmal deinen Kopf auf dem Kissen zu bewegen, bleib absolut ruhig und lass den Traum zurückkehren.
Manche Menschen haben keinen Übergang zwischen dem einen und dem anderen Zustand, es gibt eine kleine Kluft, und so springen sie von einem zum anderen Zustand. Es gibt keine Schnellstraße, die durch alle Zustände des Wesens führt, ohne eine Unterbrechung des Bewusstseins. Ein kleines dunkles Loch, und du erinnerst dich nicht. Es ist wie ein Abgrund, über den man das Bewusstsein ausdehnen muss. Eine Brücke zu bauen, dauert sehr lange; es dauert weitaus länger, als eine physische Brücke zu bauen… Nur sehr wenige Menschen wollen es tun und wissen, wie man es macht. Sie hatten möglicherweise herrliche Aktivitäten, doch erinnern sie sich nicht an sie oder manchmal nur an die letzte, die naheliegendste, die physischste Aktivität, mit einer unkoordinierten Bewegung – Träume, die keinen Sinn ergeben.
Doch gibt es genauso viele unterschiedliche Arten von Nächten und von Schlaf, wie es unterschiedliche Tage und Tätigkeiten gibt. Nicht viele Tage gleichen sich, jeder Tag ist anders. Die Tage sind nicht die gleichen, die Nächte sind nicht gleich. Du und deine Freunde tun scheinbar das Gleiche, aber für jeden ist es ganz anders. Und jeder muss seine eigene Vorgehensweise haben.

Worte der Mutter
Ist es nützlich, seine Träume aufzuzeichnen?
Ja, über ein Jahr lang habe ich diese Art von Selbstdisziplin betrieben. Ich notierte alles – ein paar Worte, nur eine Kleinigkeit, einen Eindruck – und versuchte, von einer Erinnerung zur anderen zu gehen. Zuerst war das nicht besonders fruchtbar, aber nach etwa vierzehn Monaten konnte ich, am Ende beginnend, allen Bewegungen, allen Träumen bis zum Anfang der Nacht folgen.

Worte der Mutter
Wenn wir schlafen, geht unser Bewusstsein heraus, nicht wahr? Doch andere Menschen haben Träume, in denen ich erscheine. Was geschieht also? Teilt sich das Bewusstsein, oder sind die Träume der anderen Menschen nur ihre eigene Vorstellungswelt?
Meistens verlässt das vitale Bewusstsein den Körper, und es hat die Form, die Erscheinung des Körpers der Person. Wenn eine Person von der anderen träumt, bedeutet es, dass sich beide in der Nacht begegnet sind, meistens in der vitalen Region, aber es kann auch anderswo geschehen, im Subtil-Physischen oder im Mentalen. In Träumen gibt es zahllose verschiedene Möglichkeiten.
