Kapitel 5

Sri Krishna – die göttliche Person

Worte Sri Aurobindos

Die Beantwortung der Frage [ob Krishna von Brindavan und die Geschichten über sein Lila (Spiel) buchstäblich wahr oder nur Symbole tiefer spiritueller Wirklichkeiten sind] hängt davon ab, welche Bedeutung wir der spirituellen Erfahrung und den Tatsachen der anderen Bewusstseinsebenen beimessen, die sich von den physischen unterscheiden; und ebenso davon, welcher Art das Verhältnis des kosmischen Bewusstseins zum individuellen und kollektiven Bewusstsein des Menschen ist. Vom Standpunkt der spirituellen und okkulten Wahrheit ist das, was im Bewusstsein des Menschen Gestalt annimmt, eine Widerspiegelung und bestimmte Gestaltung in einem schwierigen Zwischenbereich von Dingen, die an Licht, Macht und Schönheit oder an Kraft und Rang viel größer sind und die zum menschlichen Bewusstsein aus dem kosmischen Bewusstsein gelangen, von dem der Mensch ein begrenzter und in seinem gegenwärtigen Evolutionszustand ein noch unwissender Teil ist. All diese Äußerungen über den Genius der Rasse, über ein Bewusstsein der Nation, das sich seine Götter und deren Gestalt erschafft, sind eine sehr einseitige, ziemlich oberflächliche und in sich irreführende Wahrheit. Das Mental des Menschen ist ursprünglich nicht schöpferisch, es ist ein Mittler; um schöpferisch zu sein, muss es eine initiierende „Inspiration“, eine Übermittlung oder Eingebung aus dem kosmischen Bewusstsein empfangen, und damit tut es dann, was es zu tun vermag. Gott ist, doch des Menschen Vorstellungen von Gott sind Spiegelungen in der menschlichen Mentalität, manchmal des Göttlichen selbst, doch manchmal auch von anderen Wesen und Mächten, die für ihn das sind, was seine Mentalität aus diesen Eingebungen zu machen vermag – meist etwas sehr Einseitiges und Unvollkommenes, solange sie noch mental sind und solange der Mensch noch nicht zu einem höheren und wahreren, einem spirituellen oder mystischen Wissen gelangt ist. Die Götter sind bereits vorhanden und werden nicht vom Menschen erschaffen, obwohl er sie sich in seinem Ebenbild vorzustellen scheint: In Wirklichkeit aber drückt er, so gut er es vermag, soviel Wahrheit über sie aus, wie er von der kosmischen Realität zu empfangen vermag. Ein Künstler oder Bhakta kann eine Vision von den Göttern haben, die sich dem Bewusstsein des Volkes einprägen und Allgemeingut werden kann, und in diesem Sinne mag es stimmen, dass der Mensch den Göttern ihre Gestalt gibt; er erfindet aber diese Gestalten nicht, sondern gibt das wieder, was er sieht; die Form, die er gibt, wird ihm gegeben. In der konventionellen Gestalt Krishnas haben die Menschen das verkörpert, was sie von seiner ewigen Schönheit erkennen konnten, und was sie erkannt haben, kann durchaus wahr und schön sein und etwas von seiner Gestalt vermitteln; wenn es aber eine ewige Gestalt jener ewigen Schönheit gibt, ist sie gewiss tausendmal schöner als das, was der Mensch bislang davon zu erkennen vermochte. „Mutter Indien“ ist kein Stück Land; sie ist eine Macht, eine Gottheit – alle Völker haben eine derartige Göttin, die ihr eigenes Dasein stützt und aufrechterhält. Solche Wesen sind wirklich und sind auf beständigere Weise wirklicher als die Menschen, auf die sie einwirken; sie gehören jedoch einer höheren Ebene an, sind Teil des kosmischen Bewusstseins und Seins und wirken hier auf Erden, indem sie das menschliche Bewusstsein durch ihren Einfluss formen. Natürlich glaubt der Mensch, der nur sein eigenes individuelles, nationales oder rassisches Bewusstsein am Werk sieht, aber nicht sieht, was darauf einwirkt und es formt, dass alles von ihm stammt und dass es nichts Kosmisches und Größeres dahinter gibt. Das Krishna-Bewusstsein ist eine Realität, doch wenn es keinen Krishna gäbe, gäbe es auch kein Krishna-Bewusstsein; es kann kein Bewusstsein ohne ein bewusstes Wesen geben, außer in willkürlichen metaphysischen Abstraktionen. Es ist die Person, die der Persönlichkeit Wert und Wirklichkeit verleiht, er [Krishna] drückt sich in ihm aus [im Krishna-Bewusstsein] und wird nicht von ihm geformt. Krishna ist ein Wesen, eine Person, und als dieser Göttlichen Person begegnen wir ihm, hören seine Stimme, sprechen mit ihm, fühlen seine Gegenwart. Das Krishna-Bewusstsein als etwas von Krishna Getrenntes aufzufassen, ist ein Irrtum des Mentals, das immer das Untrennbare trennt und ebenso dazu neigt, das Unpersönliche, da es abstrakt ist, als größer, wirklicher und bleibender als die Person anzusehen. Solche Abgrenzungen mögen für das Mental und seine Zwecke nützlich sein, sie sind aber nicht die eigentliche Wahrheit; in der eigentlichen Wahrheit sind das Wesen oder die Person und seine Unpersönlichkeit oder sein Wesenszustand eine einzige Wirklichkeit.