Kapitel 5

Erwecken des inneren Bewusstseins

Worte Sri Aurobindos

Du fragst, welcher Art die Disziplin sei, der man zu folgen habe, um das mentale Suchen in eine lebendige spirituelle Erfahrung zu wandeln. Das erste Erfordernis ist, dein Bewusstsein in der nach innen gerichteten Konzentration zu schulen. Das gewöhnliche menschliche Mental besitzt eine Oberflächenaktivität, die das wahre Selbst verhüllt. Doch gibt es ein anderes, ein verborgenes, inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, wodurch man das wirkliche Selbst und eine größere und tiefere Wahrheit der Natur erkennt, wodurch man das Selbst verwirklichen und die Natur befreien und umwandeln kann. Das Ziel dieser Konzentration ist, das Oberflächenmental zu beruhigen und zu beginnen, innerlich zu leben. Dieses wahre Bewusstsein, das sich von dem oberflächlichen unterscheidet, hat zwei hauptsächliche Zentren, eines im Herzen (nicht im physischen Herzen, sondern im Kardial-Zentrum in der Mitte der Brust) und eines im Kopf. Die Konzentration im Herzen öffnet den Weg nach innen, und wenn man diesem inneren Öffnen folgt und sich in die Tiefe wendet, wird man der Seele oder des seelischen Wesens gewahr, des göttlichen Elements im Menschen. Dieses, nachdem es enthüllt wurde, beginnt hervorzutreten und die Natur zu lenken und sie samt allen ihren Bewegungen der Wahrheit und dem Göttlichen zuzuwenden sowie alles in sie herabzurufen, was sich darüber [über der menschlichen Natur] befindet. Es bringt das Bewusstsein der Gegenwart, der Weihung des Wesens an den Höchsten und macht die Herabkunft einer größeren Kraft und eines größeren Bewusstseins, die über uns warten, in unsere Natur möglich. Der erste Schritt, wenn man ihn tun kann, das heißt der natürliche Anfang ist, sich im Herzen auf die Darbringung seiner selbst an das Göttliche zu konzentrieren, sowie das Streben nach diesem inneren Öffnen und nach der Gegenwart im Herzen. Denn ist einmal dies erreicht, wird der spirituelle Pfad weit einfacher und sicherer, als wenn man mit dem anderen Weg beginnen würde.

Jener andere Weg ist die Konzentration im Kopf, im mentalen Zentrum. Diese öffnet, wenn sie zur Stille des Oberflächenmentals führt, ein inneres, größeres und tieferes Mental, das bereitwilliger spirituelle Erfahrung und spirituelles Wissen empfängt. Ist man hier einmal konzentriert, dann muss man das schweigende mentale Bewusstsein nach oben hin für alles öffnen, was sich über dem Mental befindet. Nach einiger Zeit fühlt man, wie das Bewusstsein aufsteigt, wie es sich schließlich über jenes Lid erhebt, von dem es so lange Zeit im Körper festgehalten wurde, und ein Zentrum über dem Kopf findet, von wo es in das Unendliche befreit wird. Dort beginnt es mit dem universalen Selbst, mit dem Göttlichen Frieden, dem Licht, der Macht, dem Wissen, der Seligkeit in Kontakt zu kommen, dort einzutreten und zu all dem zu werden – und die Herabkunft dieser Dinge in die Natur zu fühlen. Dieser zweite Weg der Konzentration ist also, sich im Kopf auf das Streben nach der Stille im Mental zu konzentrieren sowie auf die Verwirklichung des Selbstes und des Göttlichen über sich. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Konzentration des Bewusstseins im Kopf nur eine Vorbereitung für sein Aufsteigen zu dem Zentrum darüber ist, andernfalls könnte man in seinem Mental und dessen Erfahrungen eingeschlossen werden oder bestenfalls zu einer Widerspiegelung der Wahrheit gelangen, statt sich in die spirituelle Transzendenz zu erheben, um dort zu leben. Für einige ist die mentale Konzentration leichter, für andere die Konzentration im Herz-Zentrum; einige sind fähig, beides abwechselnd zu tun – doch ist es wünschenswerter, mit dem Herz-Zentrum zu beginnen, wenn man es vermag.

Die andere Seite der Disziplin betrifft die Tätigkeiten der menschlichen Natur, des Mentals, des Lebens-Selbstes oder Vitals und des physischen Wesens. Das Prinzip ist hier, die menschliche Natur mit der inneren Verwirklichung abzustimmen, damit man nicht in zwei disharmonierende Teile gespalten wird. Dabei sind verschiedene Disziplinen oder Vorgänge möglich. Eine davon ist, alle Tätigkeiten dem Göttlichen darzubringen, um die innere Führung zu bitten und darum, dass die menschliche Natur von einer Höheren Macht aufgenommen wird. Sobald dann das innere Sich-Öffnen der Seele stattfindet, sobald das seelische Wesen hervortritt, besteht keine große Schwierigkeit mehr. Denn Hand in Hand damit geht die seelische Unterscheidung, eine fortwährende Eingebung und schließlich eine Führung, die alle Unvollkommenheiten enthüllt und still und geduldig beseitigt, die rechten mentalen und vitalen Regungen bringt und auch das physische Bewusstsein umformt. Eine andere Methode ist zurückzustehen, losgelöst von den Regungen des Mentals, des Lebens, des physischen Wesens, ihre Tätigkeiten nur als die gewohnten Gestaltungen der allgemeinen Natur im Menschen zu betrachten, die uns durch vergangenes Tun auferlegt sind und nicht zu unserem wirklichen Wesen gehören. In dem Maß, wie einem dies glückt, wie man sich ablösen kann und das Mental und seine Tätigkeiten, das Leben und seine Tätigkeiten, den Körper und seine Tätigkeiten als nicht zu sich gehörend betrachtet, wird man sich eines inneren Wesens bewusst – eines inneren Mentals, eines inneren Vitals, eines inneren Physischen –, das ruhig, ungebunden und nicht verhaftet ist, das das wahre Selbst über einem spiegelt und sein direkter Vertreter sein kann. Von diesem inneren, schweigenden Wesen geht eine Zurückweisung all dessen aus, was zurückgewiesen werden muss, und eine Billigung allein von dem, was bewahrt und umgewandelt werden kann, ein innerster Wille zur Vollendung oder ein Ruf an die Göttliche Macht, bei jedem Schritt das zu tun, was für die Veränderung der Natur erforderlich ist. Es [das innere Wesen] kann auch Mental, Leben und Körper der innersten seelischen Wesenheit und ihrem lenkenden Einfluss oder ihrer unmittelbaren Führung öffnen. In den meisten Fällen zeichnen sich diese beiden Methoden ab, arbeiten zusammen und verschmelzen schließlich in eine einzige. Doch kann man mit jeder von ihnen beginnen, am besten mit derjenigen, der zu folgen einem am natürlichsten und einfachsten erscheint.

Schließlich kann in allen Schwierigkeiten, in denen die persönliche Bemühung behindert ist, die Hilfe des Lehrers eingreifen und das herbeiführen, was für die Verwirklichung oder den unmittelbar nächsten Schritt erforderlich ist.

Worte der Mutter

Wir lesen, wir suchen zu verstehen, wir erklären und streben zu erkennen, aber eine einzige Minute wahrer Erfahrung lehrt uns mehr als Millionen Worte und Hunderte von Erklärungen.

In sich gehen, das ist der erste Schritt, und ist es einmal gelungen, genügend tief in sich zu gehen, um die innere Wirklichkeit zu spüren, dann: sich weiten, stufenweise und planmäßig, um so weit wie das Weltall zu werden und das Gefühl der Begrenztheit zu verlieren.

Das sind die beiden vorbereitenden Bewegungen. Und sie müssen in einer Ruhe, einem Frieden, einer Gelassenheit geschehen, so vollkommen wie möglich. Dieser Friede, diese Ruhe bewirkt im Mental die Stille und im Vital die Unbewegtheit.

Diese Bemühung, diesen Versuch muss man beharrlich und sehr regelmäßig wiederholen, und nach einer mehr oder weniger langen Zeit beginnt man eine andere Wirklichkeit wahrzunehmen als die im gewöhnlichen äußeren Bewusstsein erblickte.

Natürlich kann es durch Gnade geschehen, dass ein Riss im Schleier entsteht und man auf einmal in die wirkliche Wahrheit eintreten kann; aber auch dann muss man, um des vollen Wertes und der vollen Wirkung teilhaftig zu werden, sich in einem Zustand innerer Empfänglichkeit halten, und dafür ist tägliches In-sich-gehen unerlässlich.