Kapitel 4

Zweck und Heilung physischer Schmerzen

Worte der Mutter

Schmerz ist die Berührung unserer Mutter, die uns die Verzückung aushalten lehrt und uns beibringt, an dieser zuzunehmen. Drei Stufen hat sie bei ihrem Unterricht: Ertragen als erstes, dann Gleichmut der Seele, als letzte Ekstase. – Sri Aurobindo (Thoughts and Aphorisms)

Solange es sich um moralische Dinge handelt, ist dies völlig klar und unbestreitbar: Alles moralische Leiden bildet den Charakter und führt, wenn man es zu nehmen weiß, geradewegs zur Ekstase. Aber wenn es den Körper betrifft….

Es stimmt, dass die Ärzte gesagt haben, dass der Körper, wenn man ihn Schmerz ertragen lehrt, belastbarer wird und sich nicht mehr so leicht zerrütten lässt – das ist ein konkretes Ergebnis. Bei Menschen, die nicht gleich völlig aus der Fassung geraten, wenn es ihnen irgendwo weh tut, die das ruhig auszuhalten und ihr Gleichgewicht zu bewahren wissen, wächst anscheinend das Vermögen des Körpers, die Störung zu ertragen, ohne aus den Fugen zu geraten. Das ist eine große Errungenschaft. Ich hatte mir die Frage vom rein praktischen, äußeren Gesichtspunkt aus gestellt, und es scheint sich so zu verhalten. Innerlich ist mir oft gesagt worden – gesagt und durch kleine Erfahrungen gezeigt –, dass der Körper viel mehr ertragen kann, als man meint, wenn zum Schmerz nicht Furcht und Sorge hinzukommen; entfällt dieser mentale Faktor, so kann der sich selbst überlassene Körper, der weder Angst noch Besorgnis hat und nicht davor bangt, was geschehen wird – frei von Befürchtungen –, viel ertragen.

Die zweite Stufe kommt, wenn der Körper beschlossen hat, es auszuhalten – ja, er fasst richtig den Beschluss dazu; sofort verschwindet die Heftigkeit des Schmerzes, die Schärfe darin. Ich meine es völlig materiell.

Und ist man ruhig – hier kommt ein weiterer Faktor hinzu, nämlich die Notwendigkeit innerer Ruhe –, hat man die innere Ruhe, so wandelt sich der Schmerz in eine fast angenehme Empfindung – nicht im üblichen Sinne „angenehm“, doch irgendwie gelöst. Noch einmal: ich meine es rein physisch, materiell.

Und auf der letzten Stufe, wenn die Zellen den Glauben an die göttliche Gegenwart und den unumschränkten göttlichen Willen haben, das Vertrauen, dass alles zum Guten dient, da kommt die Ekstase – die Zellen öffnen sich, einfach so, werden lichtvoll und ekstatisch.

Das sind vier Stufen – im Aphorismus ist von Dreien die Rede. Die letzte ist wahrscheinlich nicht in jedermanns Reichweite, aber die ersten drei sind ganz und gar offenkundig – ich weiß, dass es so ist. Was mir zu schaffen machte, war einzig, dass es keine rein psychologische Erfahrung ist und der Körper sich durch das Ertragen des Schmerzes abnutzt. Doch habe ich mich bei Ärzten erkundigt, und es ist mir gesagt worden: Wenn man dem Körper sehr jung beibringt Schmerz zu ertragen, so dass sein Vermögen zunimmt, etwas auszuhalten, wird er Krankheiten wirklich widerstehen können, das heißt, diese nehmen dann nicht ihren Verlauf, sondern brechen ab. Das ist wertvoll.

Worte der Mutter

Physisches Leiden? Eines ist sicher, nicht wahr, es wurde im System, in der Natur als ein Warnsignal erfunden; gesetzt den Fall, im Körper gibt es in der einen oder anderen Weise Unregelmäßigkeiten und dies hätte kein Leiden zur Folge, dann würde man nie versuchen, der Störung ein Ende zu setzen. Man denkt nur deshalb an die Heilung einer Krankheit, weil man leidet. Hätte sie keine unangenehmen Folgen für uns, würde man sie nicht zu heilen suchen. Deshalb denke ich, dass in der Ökonomie der Natur der Hauptzweck physischen Leidens darin bestand, uns zu warnen.

Leider steckt das Vital seine Nase in die Angelegenheit; es hat ein sehr perverses Vergnügen daran, das Leiden zu verstärken, es zum Schlimmeren zu wenden, es zu verschärfen. Das verzerrt das ganze System, denn statt ein Warnsignal zu werden, wird das Leiden bei manchem zu einem Anlass, seine Krankheit zu genießen, sich interessant zu machen und ebenso die Gelegenheit zu haben, sich selbst zu bemitleiden –, alles mögliche, das aus dem Vital kommt, wobei eins widerwärtiger ist als das andere. Ursprünglich aber war es wohl so: „Nimm dich in Acht!“ Du siehst, es ist wie ein Gefahrensignal: „Nimm dich in Acht, da ist etwas nicht in Ordnung.“

Ist man aber nicht sehr zimperlich, hat man ein klein wenig Ausdauer und beschließt bei sich, nicht allzu sehr auf den Schmerz zu achten, ist es doch recht auffallend, dass der Schmerz nachlässt. Und es gibt eine Anzahl von Krankheiten und physische Unausgeglichenheiten, die einfach dadurch geheilt werden, weil die Wirkung, das heißt, der Schmerz, beseitigt wird. Meistens kommt die Krankheit wieder, weil die Ursache immer noch vorhanden ist. Findet man die Krankheitsursache und wirkt direkt auf die Ursache ein, kann man von Grund auf geheilt werden. Ist man dazu aber nicht in der Lage, dann kann man diesen Einfluss auf den Schmerz, diese Kontrolle über ihn nutzen, um auf die Krankheit einzuwirken – durch das Durchbrechen oder die Beseitigung des Schmerzes oder indem man ihn in sich meistert. Das ist dann sozusagen eine Einwirkung auf die Krankheit von außen nach innen; das andere dagegen ist eine Einwirkung von innen nach außen, die viel dauerhafter und vollständiger ist. Aber auch die andere ist wirksam.

Sieh, zum Beispiel leiden manche unter unerträglichen Zahnschmerzen. Das hängt vor allem von…. Manche Menschen sind mehr oder weniger, wie ich es nenne, „verhätschelt“, das heißt, unfähig, einen Schmerz auszuhalten, ihn zu ertragen, und sie sagen sofort: „Ich kann nicht! Es ist unerträglich! Ich kann es nicht mehr aushalten!“ Ach, das ändert nichts an der Situation; dadurch hört ihr Leiden nicht auf, denn man gibt dem Leiden ja damit nicht zu verstehen, dass man es nicht will, so dass es dann geht! Wenn man aber zwei Dinge tun kann: entweder in sich – zum Beispiel bei Nervenleiden – an die schmerzende Stelle eine möglichst totale Reglosigkeit herbeiführen; das hat die Wirkung eines Betäubungsmittels. Gelingt es einem, eine innere Unbewegtheit, eine Unbewegtheit der inneren Schwingung an die Stelle zu bringen, an der man Schmerz empfindet, hat das genau die gleiche Wirkung wie ein Betäubungsmittel. Dadurch wird der Kontakt zwischen der schmerzenden Stelle und dem Gehirn zerschnitten, und hat man einmal den Kontakt unterbrochen und kann das lange genug beibehalten, wird der Schmerz verschwinden. Man muss die Gewohnheit entwickeln, es zu tun…. Gelegenheit dazu hat man genug: Man schneidet sich, man stößt sich, nicht wahr, irgendwo bekommt man immer ein Wehwehchen – vor allem, wenn man Leichtathletik, Gymnastik und all das macht –, nun, das sind Gelegenheiten, die uns gegeben werden. Anstatt den Schmerz zu beobachten, ihn zu analysieren, sich darauf zu konzentrieren – was unweigerlich dazu führt, dass er immer stärker wird –, denken manche an etwas anderes, was aber nicht von langer Dauer ist; sie denken an etwas anderes, und dann werden sie plötzlich von neuem zu der schmerzenden Stelle gezogen. Und wenn man das machen kann…. Sieh, das Vorhandensein des Schmerzes ist ein Beweis dafür, dass man in Kontakt mit jenem Nerv ist, der den Schmerz überträgt, ansonsten würde man ihn nicht spüren. Also, wenn du nun weißt, dass du in Kontakt bist, konzentrierst du an dieser Stelle so viel Reglosigkeit wie du kannst, um die Schwingung des Schmerzes zu stoppen; du wirst merken, dass das genauso wirkt, wie bei einem Körperteil, der einschläft, wenn er sich in einer ungünstigen Lage befindet … du kennst das, nicht wahr? … und plötzlich, wenn sie dann nachlässt, fängt das wieder fürchterlich an zu vibrieren. Also, im schmerzenden Nerv wendest du diese konzentrierte Unbewegtheit willentlich an; so vollständig wie möglich führst du Reglosigkeit an den schmerzenden Punkt heran. Du wirst dann merken, dass dies, wie ich sagte, wie ein Betäubungsmittel wirkt: es lässt die Sache einschlafen. Und wenn du dann noch so etwas wie inneren Frieden hinzufügen kannst und ein Vertrauen, dass der Schmerz vergehen wird, also, ich garantiere dir, er vergeht.

Worte der Mutter

Wenn man einen eindeutig lokalisierten Schmerz im Körper hat, welches ist die beste Art, das physische Bewusstsein zu öffnen, um die Heilkraft zu empfangen?

Darauf – wie auf alles Übrige auf diesem Gebiet, das man die „Vorposten“ oder die Schwelle des Okkultismus nennen könnte – muss jeder seine eigene Reaktion finden; denn für jeden ist die Methode am wirksamsten, auf die er sich mehr oder weniger vorbereitet hat und die ihm am vertrautesten ist. Es ist daher sehr schwierig, eine allgemeine Regel aufzustellen.

Es gibt aber eine Vorbereitung, die allgemein gelten kann. Sie besteht darin, dass man seinen Körper methodisch daran gewöhnt zu verstehen, dass er nur der äußere Ausdruck einer wahreren und tieferen Wirklichkeit ist, und dass diese wahrere und tiefere Wirklichkeit sein Schicksal bestimmt – obwohl er es im Allgemeinen nicht bemerkt.

Man kann den Körper durch Beobachtungs-, Lern- und Verstehensreihen1 vorbereiten, indem man ihm Beispiele zeigt, indem man ihn die Dinge verstehen lehrt, wie man es bei einem Kind tut, sei es durch Beobachtung der Reaktionen an sich selbst – im allgemeinen ist man da aber relativ blind! –, oder sei es durch deren Beobachtung bei den anderen. Und diese Vorbereitung wird sich auf allgemeinere Weise auf anerkannte Untersuchungen, auf klare Tatsachen stützen. Wie zum Beispiel diese, dass von einer bestimmten Anzahl von Personen, die in eine jeweils genau entsprechende Lage versetzt werden, jede ganz verschiedene Wirkungen empfindet. Man kann sogar noch weiter gehen: In einer Menge bestimmter gegebener Umstände ist eine Anzahl bestimmter gegebener Personen, die sich unter anscheinend völlig identischen Bedingungen befinden, und bei den einen sind die Auswirkungen katastrophal, während die anderen ohne irgendwelchen Schaden davonkommen.

Während des Krieges konnte man Beispiele dieser Art in sehr großer Zahl studieren. Bei den Epidemien ist es dasselbe; bei den Naturkatastrophen wie Flutwellen, Erdbeben oder Zyklonen ist es dasselbe.

Der Körper versteht diese Dinge, wenn man sie ihm zeigt und erklärt, wie man einem Kind erklärt: „Siehst du, da war etwas anderes, was da wirkte, nicht nur die reine materielle Tatsache ganz allein.“ Und vorausgesetzt er hat keinen bösen Willen, versteht er.

Dies ist eine Vorbereitung.

Nach und nach, wenn du dieses Verstehen nutzt, musst du gleichzeitig mit einer methodischen Arbeit der Bewusstseinseinflößung die Körperzellen mit der Wahrheit der göttlichen Präsenz durchtränken. Das ist eine Arbeit, die Zeit braucht, die aber, wenn sie methodisch und beharrlich getan wird, eine Wirkung hervorbringt.

Du hast also das Gelände vorbereitet.

Da kommt nun irgendein Schmerz, der aus irgendeiner Krankheit herstammt, an einer ganz bestimmten Stelle. Wie ich zu Beginn sagte, wird es in diesem Moment auf die vertrauteste Herangehensweise ankommen. Doch wir können ein Beispiel nehmen. Du hast Schmerzen, große Schmerzen; es tut sehr weh, du leidest sehr.

Erster Punkt: Dem Schmerz kein Gewicht beimessen, indem man zu sich selbst sagt: „Oh, wie schmerzhaft! Oh, dieser Schmerz ist unerträglich! Oh, er wird immer schlimmer, ich werde ihn nie ertragen können!“ und dergleichen. Je mehr du so denkst und fühlst, je mehr du die Aufmerksamkeit darauf richtest, desto herrlicher gedeiht der Schmerz.

Also, erster Punkt: sich genügend kontrollieren, um so etwas nicht zu machen.

Zweiter Punkt: Wie gesagt, das hängt von deinen Gewohnheiten ab; wenn du dich konzentrierst, dich ruhig verhalten kannst, und wenn du fähig bist, in dir einen gewissen Frieden irgendwelcher Art herbeizuführen – das kann ein mentaler Friede sein, das kann ein vitaler Friede sein, das kann ein seelischer Friede sein; jeder hat einen anderen Wert und eine andere Qualität, das ist eine individuelle Frage –, du versuchst, in dir einen Zustand des Friedens herzustellen, oder du versuchst, mit einer Friedenskraft in bewusste Verbindung zu treten…. Nehmen wir an, es sei dir mehr oder weniger vollständig gelungen. Wenn du also den Frieden in dich hereinziehen und ihn in dein Sonnengeflecht, Solar Plexus, niedersteigen lassen kannst – denn wir sprechen nicht von inneren Zuständen, wir sprechen vom physischen Körper – und ihn von da aus sehr ruhig, sehr langsam, möchte ich sagen, aber ganz beharrlich zu der Stelle lenken kannst, wo sich der mehr oder weniger heftige Schmerz befindet, und den Frieden dort fest verankerst, dann ist es sehr gut.

Dies reicht nicht immer aus.

Wenn du aber diese Bewegung erweitern und eine Art mentale Formation mit etwas Leben darin hinzufügen kannst – nicht nur kalt, sondern ein wenig lebhaft –, dass die einzige Wirklichkeit die göttliche Wirklichkeit ist und dass alle Zellen dieses Körpers der mehr oder weniger entstellte Ausdruck dieser göttlichen Wirklichkeit sind – es gibt nur eine Wirklichkeit, das Göttliche. und unser Körper ist der mehr oder weniger entstellte Ausdruck dieser einzigen Wirklichkeit –, wenn ich durch meine Aspiration, durch meine Konzentration das Bewusstsein dieser einzigen Wirklichkeit den Zellen meines Körpers zuführen kann, muss alle Unordnung zwangsläufig aufhören.

Wenn du dem eine Regung der vollständigen und vertrauensvollen Überantwortung an die Gnade hinzufügen kannst, dann gebe ich dir keine fünf Minuten, und der Schmerz ist verschwunden. Wenn du es machen kannst.

Du kannst es versuchen und dann keinen Erfolg haben. Aber du musst es noch einmal und noch einmal versuchen, bis es gelingt. Doch wenn du diese drei Dinge zur gleichen Zeit machst, also dann gibt es keinen Schmerz, der Widerstand leisten könnte.

1 Verstehen ist für den Körper die Fähigkeit auszuführen, die er durch das ansteckende Beispiel erhalten hat. Denn für den Körper heißt „verstehen“, machen können. (Anmerkung Der Mutter)