Kapitel 4

Wer die Himmel hier herniederbringen will, muss selbst hinabsteigen in den Schlamm

Die Bürde der Liebe

Nur göttliche Liebe kann die Bürde tragen, welche ich schultern muss, welche all jene schultern müssen, die alles andere dem einen Ziel geopfert haben, nämlich die Erde aus ihrer Dunkelheit heraus zum Göttlichen zu erheben. Ein Gallio-gleicher „Je m’ en fiche“-ism (das kümmert mich nicht) würde mich nicht einen Schritt voranbringen; er wäre sicher nicht göttlich. Es ist etwas ganz anderes, das mich befähigt, ohne Tränen und Klagen zum Ziel voranzuschreiten.

… natürlich muss jeder, der die Erdnatur wandeln möchte, sie zuerst akzeptieren, um sie wandeln zu können. Um aus einem unveröffentlichten Gedicht von mir zu zitieren:

Wer die Himmel hier herniederbringen will,

Muss selbst hinabsteigen in den Schlamm

Und die Bürde irdischer Natur tragen,

Den schmerzvollen Weg beschreiten.1

Nein, nicht mit dem Lichthimmel bin ich beschäftigt – ich wünschte, ich wäre es. Eher mit dem anderen Ende der Dinge: In den Abgrund muss ich eintauchen, um eine Brücke zwischen den beiden zu errichten. Aber auch das ist für meine Arbeit erforderlich, und man muss es auf sich nehmen.

Sri Aurobindos Leben: von Anfang an eine Schlacht

Welch seltsame Vorstellungen mal wieder! – Ich sei mit einem supramentalen Temperament geboren und wisse nichts von harten Realitäten. Guter Gott! Mein ganzes Leben war ein Kampf mit harten Realitäten, mit schwierigen Umständen, Hunger in England und ständigen Gefahren und gewaltigen Schwierigkeiten bis hin zu den weit größeren Schwierigkeiten, die hier in Pondicherry ständig aufkommen, innere und äußere. Mein Leben war von Anfang an eine Schlacht und ist noch eine Schlacht: Die Tatsache, dass ich sie jetzt oben von einem Zimmer aus und mit spirituellen wie auch anderen Mitteln schlage, die äußerlich sind, bedeutet keinen Unterschied für ihren Charakter. Aber da wir diese Dinge nicht hinausposaunt haben, ist es nur natürlich, wenn andere glauben, ich lebte in einem erhabenen, zauberhaften, lotosessenden Traumland, wo sich keine harten Fakten des Lebens oder der Natur präsentieren. Nichtsdestoweniger – was für eine Illusion!

Du glaubst also, dass es in mir (die Mutter bringe ich nicht herein) nie Zweifel oder Verzagen gab, keine Attacken jener Art. Ich habe jede Attacke ertragen, die Menschen ertragen haben, andernfalls wäre ich nicht in der Lage, jemandem zu versichern: „Auch dies lässt sich meistern.“ Zumindest hätte ich kein Recht, so zu reden. Deine Psychologie ist furchtbar starr. Ich wiederhole: Wenn das Göttliche die Bürde irdischer Natur auf sich nimmt, so geschieht dies vollständig, aufrichtig und ohne irgendwelche Zaubertricks oder Vortäuschung. Wenn es etwas hinter sich hat, das stets aus den Umhüllungen hervortritt, so ist es im Wesentlichen dasselbe, wenn auch graduell größer, das auch hinter anderen steht – und um das zu erwecken, ist es da.

Das seelische Wesen tut dasselbe für alle, die für den spirituellen Weg bestimmt sind – man braucht nicht ein außerordentliches Wesen zu sein, um dem Yoga zu folgen. Das ist der Fehler, den du machst – auf Größe herumzureiten, als ob nur die Großen spirituell sein können.

Hilfreiche Schwierigkeiten

Was Glauben betrifft – du schreibst, als ob ich nie Zweifel oder Schwierigkeiten gehabt hätte. Ich hatte schlimmere, als ein menschlicher Geist sich vorstellen kann. Nicht weil ich Schwierigkeiten ignoriert habe, sondern weil ich sie klarer gesehen, sie umfassender erfahren habe als irgend jemand, der jetzt lebt oder vor mir lebte, bin ich mir der Resultate meiner Arbeit sicher, nachdem ich die Schwierigkeiten erfahren und ausgelotet habe. Aber selbst wenn ich die Möglichkeit sähe, dass es auf nichts hinauslaufen könnte (was unmöglich ist), würde ich doch unbekümmert weitermachen, weil ich immer noch zum Besten meiner Kraft die Arbeit geleistet habe, die ich zu tun hatte, und was so getan wird, zählt immer in der Ökonomie des Universums. Aber warum sollte ich das Gefühl haben, dass all dies vielleicht auf nichts hinausläuft, wenn ich doch jeden Schritt sehe und wohin er führt, und jede Woche und jeder Tag – einst war es jedes Jahr und jeder Monat, und hernach wird es jeder Tag und jede Stunde sein – mich meinem Ziel um so viel näher bringt? Auf dem Weg, den man mit dem größeren Licht von oben geht, bringt auch jede Schwierigkeit ihre Hilfe und hat ihren Wert, und auch die Nacht trägt in sich die Bürde des Lichtes, das sein soll.

Stürme und Sonnenweg

Ich stimme Dir zu, der Gedanke einer weiteren Attacke dieser Art ist nicht angenehm. Ich bin selbst wohl mehr ein Held aus Notwendigkeit als aus freier Wahl – ich schätze nicht Stürme und Schlachten, am wenigsten auf der subtil-physischen Ebene. Der Sonnenweg mag eine Illusion sein – obgleich ich das nicht glaube, denn ich sah, wie manch einer ihn jahrelang beschritt. Aber ein Weg mit nur natürlichen oder auch nur gemäßigten Schlechtwetterböen, ein Weg ohne Taifune ist möglich – es gibt so viele Beispiele dafür; durgam pathastat, das ist ein schwieriger Pfad, mag generell wahr sein, und sicher ist der Pfad von laya oder Nirvana äußerst schwierig für die meisten (obgleich es in meinem Fall so war, dass ich in das Nirvana hineingeriet, ohne es zu beabsichtigen, oder vielmehr geriet Nirvana nicht lange nach Beginn meiner yogischen Laufbahn beiläufig in mich hinein, ohne um Erlaubnis zu fragen). Doch der Pfad muss nicht durch periodische heftige Stürme heimgesucht werden, obgleich das für sehr viele eine offensichtliche Tatsache ist. Aber selbst für sie gilt: Wenn sie fest bleiben, so sehe ich, dass nach einem gewissen Punkt die Stürme an Kraft, Häufigkeit, Dauer verlieren. Deswegen bestand ich so sehr darauf, dass du fest bleibst; denn wenn du fest bleibst, muss der Wendepunkt einmal kommen. In jüngster Zeit habe ich einige erstaunliche Beispiele dafür gesehen, wie diese taifunartige Periodizität nach vielen Jahren heftiger Wiederkehr abzuflachen begann.

1 Aus: „A God’s Labour“, später veröffentlicht in Poems Past and Present. Vgl. den Band Collected Poems der Centenary Edition, 1972, p. 99