Kapitel 4

Träume – Wesen und Bedeutung

Worte der Mutter

Um die Schlafaktivitäten zu beurteilen, benötigt man im Prinzip dieselbe Fähigkeit zur Unterscheidung, wie man sie zur Beurteilung der Betätigungen des Wachzustandes braucht.

Da wir allerdings die Bezeichnung „Traum“ einer beträchtlichen Anzahl von Aktivitäten geben, die sich völlig voneinander unterscheiden, muss man zuerst lernen, diese verschiedenen Aktivitäten auseinanderzuhalten – das heißt zu erkennen, welcher Teil des Wesens „träumt“, in welchem Bereich man „träumt“ und was der Charakter dieser Aktivität ist. In seinen Briefen hat Sri Aurobindo alle Schlafaktivitäten äußerst vollständig und sehr detailliert beschrieben und erklärt. Das Lesen dieser Briefe ist eine gute Einführung in das Studium dieser Thematik und ihre praktische Anwendung.

Worte der Mutter

Die Ärzte, die diese Experimente durchführten, kamen zu dem Schluss, dass die mentale Aktivität niemals wirklich aufhört; und es ist diese Aktivität, die mehr oder weniger konfus durch das, was wir als Träume kennen, in unser Gehirn übertragen wird. Deshalb träumen wir immer, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Natürlich ist es möglich, diese Aktivitäten ganz und gar zu unterdrücken und einen absoluten, traumlosen Schlaf zu haben. Doch um in dieser Weise unser mentales Wesen in einen völligen Ruhezustand eintauchen zu lassen, ähnlich dem Ruhezustand unseres physischen Wesens, müssen wir die vollkommene Kontrolle darüber erlangt haben, und das ist keine einfache Sache.

In den meisten Fällen wird diese Aktivität sogar gesteigert, denn sobald der Körper schläft, sind die inneren Kräfte nicht mehr auf das physische Leben gerichtet oder werden von diesem benutzt.

Manchmal wird gesagt, dass sich im Schlaf eines Menschen seine wahre Natur enthüllt.

Tatsächlich geschieht es häufig, dass das sensorische Wesen, das den ganzen Tag über der Kontrolle des aktiven Willens unterworfen war, in der Nacht, wenn dieser Zwang nicht mehr besteht, umso heftiger reagiert.

Alle Begierden, die unterdrückt statt aufgelöst wurden – und diese Auflösung kann nur durch sehr gründliche und weitreichende Analyse erreicht werden –, suchen Befriedigung, während der Wille schläft.

Und da Begierden wahre dynamische Zentren der Gestaltung sind, versuchen sie in uns und um uns herum jene Verknüpfung von Umständen zu organisieren, die am günstigsten für ihre Befriedigung ist.

Auf diese Weise können die Früchte vieler Bemühungen, die wir mit unserem bewussten Denken während des Tages gemacht haben, des Nachts in wenigen Stunden zerstört werden.

Dies ist eine der Hauptursachen der Widerstände, auf die unser Fortschrittswille häufig in uns trifft, der Schwierigkeiten, die uns manchmal unüberwindbar erscheinen und die wir nicht erklären können, weil unser guter Wille uns so ganzheitlich erscheint.

Deshalb müssen wir lernen, unsere Träume zu erkennen, und zuallererst, sie zu unterscheiden, denn sie sind sehr verschiedenartig in ihrer Natur und in ihrer Qualität. Wir mögen im Lauf einer Nacht häufig mehrere Träume haben, die, abhängig von der Tiefe unseres Schlafes, verschiedenen Kategorien angehören.

Im Allgemeinen hat jeder Einzelne einen Zeitraum in der Nacht, der für Träume günstiger ist, in dem seine Aktivität fruchtbarer ist, intellektueller, und in dem die mentalen Umstände des Umfeldes, in dem er sich bewegt, interessanter sind.

Worte der Mutter

Wie kommt es, dass nach einer reichlichen Mahlzeit der Schlaf von Alpträumen gestört wird?

Weil es zwischen dem Traum und dem Zustand des Magens eine sehr enge Verbindung gibt. Man hat Untersuchungen angestellt und herausgefunden, dass Träume in Übereinstimmung mit dem, was man isst, von dieser oder jener Art sind und dass ein Traum sich bei einer schwierigen Verdauung immer in einen Alptraum verwandelt – in einen von jenen, die keine Realität haben, die aber doch Alpträume sind und sehr unangenehm –, man sieht Tiger, Katzen und so weiter… oder dann erlebt man Dinge wie… zum Beispiel befindet man sich in großer Gefahr und muss sich beeilen, sich schnell ankleiden und weggehen, und dann kann man sich nicht anziehen, es gelingt einem nicht mehr, seine Sachen zu regeln, man findet nichts mehr, und will man seine Schuhe anziehen, dann passen sie nie, und will man sehr schnell irgendwo hingehen, tragen einen die Beine nicht mehr, sie sind gelähmt und man steckt fest, strengt sich furchtbar an, um voranzukommen, und man kann sich nicht bewegen. Das ist diese Art von Alpträumen, die von einem in Unordnung gebrachten Magen kommen.

Worte der Mutter

Der größte Teil der Träume hat keinen anderen Wert als den einer rein mechanischen und unkontrollierten Tätigkeit des physischen Gehirns, in dem bestimmte Zellen während des Schlafes weiter funktionieren als Generatoren von sensorischen Bildern und Eindrücken, die den von außen empfangenen Bildern entsprechen.

Diese Träume werden fast immer durch rein äußerliche Umstände verursacht – Gesundheitszustand, Verdauung, Lage im Bett und so weiter.

Mit etwas Selbstbeobachtung und einigen Vorsichtsmaßnahmen kann man diese sowohl nutzlose wie auch ermüdende Art von Traum leicht vermeiden, indem man die physischen Ursachen beseitigt.

Ebenso gibt es andere Träume, die nichts anderes sind als flüchtige Manifestationen der umherirrenden Aktivitäten gewisser Mentalkräfte, welche Ideen, Gespräche und Erinnerungen verknüpfen, die zufällig zusammenkommen.

Solche Träume sind schon bedeutungsvoller, weil diese herumirrenden Aktivitäten die Verwirrung enthüllen, die in unserem mentalen Wesen vorherrscht, sobald es sich nicht mehr unter der Kontrolle des Willens befindet, und uns zeigen, dass dieses Wesen in uns noch immer nicht organisiert und geordnet ist, dass es nicht reif genug ist, ein autonomes Leben zu führen.

Fast gleich in der Form wie diese, doch bedeutsamer in ihren Konsequenzen, sind die von mir gerade erwähnten Träume, jene, die aus dem inneren Wesen aufsteigen und Vergeltung suchen, wenn es einen Moment aus der Einschränkung befreit wird, die wir ihm auferlegen. Oft ermöglichen uns diese Träume, Tendenzen, Neigungen, Impulse, Begierden zu erkennen, die uns solange nicht bewusst waren, wie unser Wille zur Verwirklichung unseres Ideals sie in irgendeiner dunklen Nische unseres Wesens verborgen hielt.

Ich brauche wohl nicht besonders darauf zu verweisen, dass es besser ist, sie kühn und mutig ans Licht zu bringen, um sie zu zwingen, uns für immer zu verlassen, anstatt sie, ohne sie zu kennen, leben zu lassen.

Wir sollten deshalb unsere Träume aufmerksam beobachten. Es sind oft nützliche Lehrmeister, die uns auf unserem Weg zur Selbst-Eroberung eine machtvolle Hilfe sein können.

Niemand kennt sich sehr gut, der nichts von den unbegrenzten Aktivitäten seiner Nächte weiß, und niemand kann sich seinen eigenen Meister nennen, bis er nicht das vollkommene Bewusstsein und die Meisterschaft über die zahlreichen Taten besitzt, die er während seines physischen Schlafes vollbringt.