Kapitel 4
Kollektive Meditation
Worte der Mutter
Zu allen Zeiten sind gemeinsame Meditationen praktiziert worden, aus verschiedenen Gründen, auf verschiedene Art und Weise und mit verschiedenen Motiven. Eine gemeinsame Meditation kann eine Gruppierung von Personen sein, die sich zu einem bestimmten Zweck vereinen: Zum Beispiel hat man zu allen Zeiten Gebetsversammlungen abgehalten. Natürlich findet in den Kirchen eine Art gemeinsame Meditation statt, aber auch außerhalb gab es Personen, die gemeinsame Meditationen organisiert haben, um zusammen zu beten. Bei diesen Gebeten unterscheidet man zwei Arten.
Man weiß, dass sich seit Beginn der menschlichen Geschichte Menschengruppen vereinigten, um einen bestimmten Seelenzustand gemeinschaftlich auszudrücken. Bei den einen geschah es, um miteinander Gott zu preisen, um Kirchenlieder zu singen und Gnadenhandlungen zu beschwören, um Verehrung, Erkenntlichkeit und Dankbarkeit auszudrücken und Gott zu loben. In anderen Fällen – und es hat historische Beispiele gegeben – vereinigte sich eine Anzahl Leute zu einer gemeinschaftlichen Anrufung, etwa um von Gott etwas zu erbitten, und es wurde von allen gemeinsam, vereint, getan, in der Hoffnung, dass diese Anrufung und dieses Gebet und diese Forderung mehr Gewicht hätten. Es gibt ganz berühmte Beispiele. Das eine, ganz alte, das sich im Jahr 1000 unserer Zeitrechnung begab, als die Propheten das Ende der Welt ankündigten und die Menschen sich überall versammelten, um gemeinsam zu beten und zu bitten, dass die Welt nicht aufhören sollte – oder dass sie auf jeden Fall beschützt würde. In viel jüngerer Zeit, in unseren Tagen, als König George von England an einer Lungenentzündung todkrank darniederlag, versammelten sich die Menschen in England nicht nur in den Kirchen, sondern auch auf der Straße gegenüber dem königlichen Palast, um zu beten und Gott um seine Heilung zu bitten. Es geschah, er wurde geheilt, und sie glaubten, ihre Gebete seien es gewesen… Dies ist die äußerlichste Form, ich möchte sagen: die weltlichste einer gemeinschaftlichen Meditation.
In allen Initiationsgruppen, in allen spirituellen Schulen der alten Zeiten hat man die kollektive Meditation geübt, doch im letzten Fall war das Motiv sehr verschieden. Man versammelte sich nämlich, um einen gemeinsamen Fortschritt zu machen, sich zusammen einer Kraft, einem Licht, einem Einfluss zu öffnen, und… Dies ist etwas von dem, was wir versuchen wollen.
Es gibt zwei Methoden, und die will ich dir erklären. In beiden Fällen muss die Praxis die gleiche sein wie bei der individuellen Meditation. Man begibt sich also in eine Position, die bequem genug ist, dass man sie beibehalten kann, und nicht zu bequem, dass man nicht einschläft! Dann machst du das, worum ich dich gebeten hatte, während ich die Verteilung da drüben vornahm [allabendlich vor der Meditation oder den Gesprächen verteilte die Mutter auf dem Playground Erdnüsse an die Kinder der „grünen Gruppe“], nämlich dich auf die Meditation vorzubereiten, zu versuchen, ruhig und still zu werden. Das bedeutet, nicht nur äußerlich nicht zu schwatzen, sondern zu versuchen, in deinem Mental zu schweigen und dein Bewusstsein zu sammeln, das in allen Gedanken, die man so hat, und in Sorgen zerstreut war, es zu sammeln, es so vollständig wie möglich zu sich zurückzuführen und es hier zu konzentrieren, in der Herzgegend, zum Sonnengeflecht hin, so dass alle aktiven Energien, die im Kopf sind, und alles, was das Gehirn in Gang hält, hierher zurückgeführt und konzentriert wird. Das kann in einigen Sekunden geschehen, das kann einige Minuten dauern. Es kommt auf den Einzelnen an. Kurz, dies ist eine Vorbereitungshaltung. Wenn das einmal fertig ist – oder so weit fertig, wie du es eben zu tun vermagst –, kannst du zwei Haltungen einnehmen, nämlich eine aktive und eine passive Haltung.
Eine aktive Haltung nenne ich es, wenn du dich – ich sage es ganz allgemein – auf die Person konzentrierst, die die Meditation leitet, mit dem Willen, dich zu öffnen und von ihr zu empfangen, was sie dir zu geben gedenkt, oder die Kraft, mit der sie dich in Berührung bringen will. Das ist aktiv, denn da wirkt ein Wille und eine aktive Konzentration, um dich jemandem zu öffnen, auf jemanden hin offen zu sein.
Die andere, passive, besteht einfach darin: Du bist konzentriert, wie gesagt, du öffnest dich, wie man eine Tür öffnet, du hast hier eine Tür (Handbewegung in der Höhe des Herzens), und nachdem du dich konzentriert hast, öffnest du die Tür und bleibst so (Geste der Unbewegtheit). Oder du kannst auch ein anderes Bild nehmen, wie wenn es ein Buch wäre, und du schlägst dein Buch ganz weit auf, die Blätter sind schön weiß, das heißt schön still, und du bleibst so und wartest, was geschieht.
Das sind die beiden Haltungen. Du kannst die eine oder die andere einnehmen, je nach dem Tag, je nach dem Fall, oder du kannst eine davon als Lieblingshaltung annehmen, wenn dir das mehr hilft. Beide sind wirksam, und die eine wie die andere kann gute Ergebnisse erzielen.
Und nun, jetzt, für unseren speziellen Fall, sage ich dir, was ich zu tun versuche… Es ist bald ein Jahr her, dass wir an einem Mittwoch die Manifestation der supramentalen Kraft erlebt haben. Seit diesem Augenblick arbeitet sie sehr aktiv, auch wenn es sehr wenige Leute gibt, die etwas davon merken! Nun, ich dachte also, die Zeit wäre gekommen, dass wir – wie soll ich sagen? – ihr ein wenig bei ihrer Arbeit helfen, indem wir uns bemühen, sie zu empfangen.
Natürlich arbeitet sie nicht nur im Ashram. Sie arbeitet auf der ganzen Welt, und überall, wo eine Disposition dafür ist, ist diese Kraft am Werk. Der Ashram hat auf der Welt nicht die ausschließliche Empfangsberechtigung, nicht das Monopol der Rezeption. Doch da es sich nun so fügt, dass wir alle hier sind und mehr oder weniger wissen, was geschehen ist, nun, so hoffe ich, dass jeder Einzelne sein Möglichstes tut, um von diesem Umstand zu profitieren. Gemeinsam können wir etwas tun, nämlich versuchen, einen homogenen Bereich einzurichten, einen besonders fruchtbaren Boden zu bereiten, damit wir gemeinsam das Höchstmaß an Empfänglichkeit erreichen und so wenig wie möglich Zeit und Kraft verschwenden.

Worte der Mutter
Deshalb sagt auch Sri Aurobindo, dass es eines doppelten Ansatzes bedarf, und dass das Streben nach individueller Weiterentwicklung und Verwirklichung mit dem Versuch verbunden werden sollte, die Massen zu mobilisieren, um diese in die Lage zu versetzen, den für die Weiterentwicklung des Einzelnen unabdingbaren Fortschritt zu erzielen – gewissermaßen einen Massenfortschritt, der es dem Individuum ermöglicht, einen weiteren Schritt nach vorn zu tun.
Aus genau diesem Grund dachte ich, es wäre sinnvoll, Gruppenmeditationen abzuhalten, um so eine etwas besser strukturierte gemeinsame Stimmung zu schaffen…
Um diese Meditationen – die wir immer öfter abhalten werden – am besten für sich zu nutzen, geht man in sich, in die Tiefen seines Wesens, so weit man kommt, um jenen Ort zu finden, an dem man ein Gemeinschaftsgefühl verspürt, wahrnimmt, ja vielleicht sogar erzeugt – ein Gefühl, in dem eine ordnende und organisierende Kraft alles an seinen Platz rücken kann, um so aus dem gegenwärtigen Chaos eine neue, koordinierte Welt entstehen zu lassen.

Worte der Mutter
Bei den Meditationen, die wir früher dort morgens und abends abhielten [von 1926 bis 1938 meditierten die Ashramiten, 200 bis 300 an der Zahl, gemeinsam mit der Mutter im Hauptgebäude des Ashrams], bestand meine Aufgabe darin, das Bewusstsein aller zu vereinen und es so weit wie möglich zum Göttlichen emporzuheben. Wer die Fähigkeit hatte, diese Bewegung zu spüren, folgte ihr. Das waren normale Meditationen im Bestreben, zum Göttlichen emporzusteigen. Hier im Playground besteht die Aufgabe darin, alle Anwesenden zu vereinen, sie zu öffnen und die göttliche Kraft in sie herabzubringen. Es handelt sich also um eine entgegengesetzte Bewegung. Deshalb kann diese Form der Konzentration die andere nicht ersetzen, ebenso wie die andere diese nicht ersetzen kann. Hier geschieht etwas Außergewöhnliches: Bei der Meditation im Ashram sammelte ich das Bewusstsein aller Anwesenden und hob es mit der Macht der Aspiration zum Göttlichen empor, wobei jeder Einzelne einen kleinen Fortschritt machte. Hier hingegen nehme ich euch an, wie ihr seid. Ihr alle kommt und sagt: „Hier sind wir, zusammen mit dem, was wir tagsüber gemacht haben. Wir haben mit unserem Körper gearbeitet, hier ist er. Wir bringen dir all unsere Regungen dar, so wie sie waren, so wie wir sind.“ Und meine Aufgabe ist es, all dies zu vereinen, es in eine homogene Masse zu verwandeln, und als Reaktion auf diese Darbringung – die jeder auf seine Weise machen kann – jedes einzelne Bewusstsein zu öffnen, die Empfänglichkeit zu erweitern und zu vereinen und die Kraft herabzubringen. Wenn ihr in diesem Augenblick ganz still und aufmerksam seid, wird jeder Einzelne von euch mit Sicherheit irgendetwas empfangen. Ihr werdet euch dessen vielleicht nicht immer gewahr sein, aber ihr werdet auf jeden Fall etwas empfangen.
Was passiert nun, da du bei der Konzentration im Playground nicht mehr physisch anwesend bist?
Ich hoffe, dass alle einen gewissen Fortschritt gemacht haben und meiner physischen Präsenz nicht mehr bedürfen, um die Hilfe und die Kraft zu verspüren.
