Kapitel 4

Die Bedeutung des 15. August

Sri Aurobindos Rede am 15. August 1926.

Ich werde heute einige Worte zum 15. August sagen. Es geht um eine Frage, die mir kürzlich gestellt wurde und auf die ich eine negative Antwort gab, um gewisse mentale und konventionelle Meinungen zur Sache aus dem Weg zu räumen.

Ich werde jetzt von der positiven Seite der Sache sprechen. Es gibt eine andere Seite von ihr, und wenn es diese andere Seite nicht gäbe, wäre diese Feier nutzlos. Ich werde mich aus naheliegenden Gründen nicht auf den persönlichen Aspekt beziehen, sondern möchte etwas Allgemeines darüber sagen, was es in Bezug auf den Yoga, auf das gemeinsame Ziel, das wir alle anstreben, bedeuten kann und sollte.

Was dieses Ziel – dieser Yoga – ist, wisst ihr im Prinzip. Es ist das Herabbringen eines Bewusstseins, einer Macht, eines Lichts, einer Wirklichkeit, die anders ist als das Bewusstsein, mit dem sich der gewöhnliche Mensch auf Erden zufriedengibt: Ein Bewusstsein, eine Macht und ein Licht der Wahrheit, eine Göttliche Wirklichkeit, die dazu bestimmt ist, das irdische Bewusstsein zu erheben und alles hier zu transformieren.

Das kann nur stattfinden, wenn es eine Entscheidung von Oben ist. Aber es kann auch erst dann stattfinden, wenn das Erdbewusstsein in irgendeinem Teil, in einigen von denen, die hier auf diesen niederen Ebenen leben, empfangsbereit ist. Wenn dieses Bewusstsein, diese Macht, erst einmal hier herabkommt, dann ist es für alle Zeiten und jeden Tag für diejenigen vorhanden, die willens und fähig sind, es zu empfangen.

Aber wir haben diesem Tag eine besondere Bedeutung beigemessen, und das ist berechtigt, wenn wir im Licht der Wahrheit leben, das er symbolisiert. Wir können diesen Tag als eine Wegmarke im Stadium des individuellen und generellen Fortschritts sehen. Es ist ein Tag, der ein Tag der Weihung sein sollte, ein Tag der Selbst-Prüfung, der Vorbereitung auf den zukünftigen Fortschritt und wenn möglich auf den Empfang einer besonderen Macht, welche die Arbeit der Weiterentwicklung fortsetzen wird.

Dies kann in jedem Einzelnen nur gelingen, wenn er die wahre Haltung einnimmt und an diesem Tag unter den richtigen Voraussetzungen lebt.

Eben das meinte ich, als ich anderntags davon sprach. Wir sind es, die ihn in diesem Sinne zu einem entscheidenden Tag werden lassen können, und wir sind es, die helfen können, ihn zu erfüllen.

Dazu bedarf es einer Weihung im Voraus und eines Blicks nach innen in die Vergangenheit, um zu sehen, wie weit wir gekommen sind, was in uns bereit ist, was sich noch nicht geändert hat, was noch geändert werden muss, was noch hinten ansteht und auf eine vollständige Transformation wartet und sich immer noch widersetzt und immer noch dunkel ist. Eine Aspiration ist notwendig und ein Herabrufen der Macht, um die Veränderung zu bewirken, die wir als notwendig betrachten.

All das können wir nicht tun, wenn wir an diesem Tag nach außen gekehrt sind, sondern nur durch eine intensive Konzentration, so dass das innere Wesen bereit und nach oben gerichtet ist, um das Licht zu empfangen. In dem Maße, wie wir irgendeine nach außen gerichtete Bewegung zulassen, stören wir das höhere Wirken und verschwenden die Energie, die für die Arbeit des inneren Wandels notwendig ist. Was immer anders getan wird als an gewöhnlichen Tagen, sollte entweder als ein Teil der Bewegung selbst getan werden oder als etwas, das am Rande des Wesens gehalten wird und die innere Bewegung nicht stören kann. Alle üblichen Umstände des Tages müssen für den Fortschritt genutzt werden.

Als ihr heute morgen zu mir kamt, hätte sich das in Erfüllung einer üblichen Zeremonie vollziehen sollen, jedoch mit eurer Seele und eurem Mental in Bereitschaft zu empfangen. Wenn für euch das, was ihr jetzt von mir hört, nur etwas ist, das euer mentales Interesse berührt, und ein mentales Interesse befriedigt, dann würde ich es vorziehen zu schweigen. Nur wenn es irgendwo das innere Wesen berührt, die Seele, dann hat dieser Tag seinen Nutzen und Zweck erfüllt. Auch die Meditation sollte unter solchen Voraussetzungen stattfinden, so dass selbst, wenn nichts Entscheidendes herabkommt, sie dennoch eine gewisse Infiltration bewirkt, deren Auswirkung sich später zeigen wird.

Das ist die eine Bedeutung des 15. August vom Standpunkt unseres Yoga aus gesehen.

Was den Stand der Arbeit betrifft, um zu sehen, wo ihr steht und wie weit die Arbeit getan ist usw., dazu muss man sich an bestimmte Dinge erinnern. Mit dem Verstand kennt ihr sie.

Als Erstes erinnert euch daran, dass die Ziele der anderen Yoga-Systeme für uns nur die ersten Stufen oder ersten Voraussetzungen sind. In den früheren Yoga-Disziplinen waren die Menschen zufrieden, wenn sie das Brahmanische Bewusstsein oder das kosmische Bewusstsein oder irgendein herabkommendes Licht und eine Macht, irgendeine Andeutung des Unendlichen spüren konnten.

Man gab sich damit zufrieden, wenn das mentale Wesen gewisse spirituelle Erfahrungen machte und einer partiellen Transformation unterzogen wurde, die auch das vitale Wesen berührte.

Sie strebten nach einem statischen Zustand, und für sie war die Erlösung das letzte Ziel, die äußerste Absicht.

All das zu verwirklichen, offen zu sein für das Unendliche und die Universale Macht, ihre Berührung zu empfangen und Erfahrungen zu machen, vollkommen über das Ego hinauszugehen und das Universale Mental, die Universale Seele, den Universalen Geist zu empfangen, das alles ist nur die erste Voraussetzung.

Wir müssen dieses größere Bewusstsein direkt in unser vitales Wesen und in das physische Wesen herabrufen, damit die höchste Ruhe und Universalität hier in ihrer ganzen Fülle von oben bis unten gegenwärtig ist.

Wenn das nicht getan werden kann, dann ist die erste Voraussetzung der Transformation nicht erfüllt.

Das Zweite, das wir wissen und an das wir uns erinnern müssen, ist, dass nichts vollkommen getan ist, wenn nicht alles vollkommen getan wird. Es genügt nicht, das mentale und das vitale Wesen zu öffnen und das physische Wesen seiner Dunkelheit zu überlassen.

So kann im Zuge der Transformation auch das Mental nicht transformiert werden, sofern das Vital nicht transformiert ist. Und wenn das Vital nicht transformiert ist, kann nichts verwirklicht werden; denn es ist das vitale Wesen, das verwirklicht. Wenn also das mentale Wesen nur teilweise verändert ist und das vitale Wesen offen und auch nur teilweise verändert ist, dann genügt dies nicht für unsere Absicht. Denn der gesamte Bereich des vitalen Wesens kann nicht gewandelt werden, solange nicht auch das physische Wesen geöffnet und verändert ist, weil das göttliche Vital sich nicht in einem für es unpassenden Lebensmilieu verwirklichen kann.

Es genügt auch nicht, das innere physische Leben zu verändern, wenn der äußere Mensch nicht transformiert ist. Dieser Yoga-Prozess beinhaltet ein umfassendes Ganzes, und jeder einzelne Teil hängt vom anderen ab. Deshalb wäre ein plötzliches Stehenbleiben auf dem Weg zwar eine Vorbereitung auf ein anderes Leben, aber nicht der Sieg. Alles muss verändert werden, bevor irgendetwas auf Dauer geändert werden kann.

Das Dritte, an das wir uns erinnern müssen, ist, dass es einer vollständigen Hingabe bedarf, wenn alles verändert und getan werden soll.

Das bedeutet, dass es keinen Vorbehalt geben darf, in keinem Teil des Wesens, keinen Kompromiss mit gewöhnlichen Gedanken und mit der menschlichen Art, die Dinge zu tun. Wo auch immer irgendetwas zurückbehalten wird, bedeutet das, dass die Wahrheit nicht akzeptiert worden ist und wir erneut in den alten Fehler einer nur teilweisen Errungenschaft verfallen. Wir sollten das Feld nicht der Unwissenheit überlassen.

Für uns hier kann es keine solchen Theorien, keine solchen Kompromisse zwischen der Unwahrheit und der Wahrheit, zwischen dem Höchsten und der Niederen Natur geben. Daran müssen wir uns erinnern, um den Stand unserer Arbeit richtig einzuschätzen, damit wir sehen, wie viel noch zu tun ist; dies jedoch nicht in einem pessimistischen Geist, denn der Weg ist lang und hart und führt uns nicht wie durch ein Wunder zum Erfolg. Es kann nur durch eine weite und umfassende Bewegung gelingen. Jeden Schritt müsst ihr wie ein Zeichen setzen, wie eine Ermutigung zu einem Schritt zu dem, was über uns hinaus weist. Auf der einen Seite darf es nicht an Entschlossenheit und Strebsamkeit fehlen, um den Sieg zu gewinnen, auf der anderen Seite darf keine hastige Ungeduld oder Depression herrschen, sondern die ruhige Gewissheit des Göttlichen Willens, der ruhige Wille, dass es „in uns getan werde“, und die Aspiration, dass es „für uns getan werde, damit es für die Welt getan wird“.

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