Kapitel 4

Das Göttliche um etwas bitten

Worte Sri Aurobindos

Was die Gebete anbelangt, so kann keine starre und feste Regel aufgestellt werden. Einige Gebete werden erhört, aber nicht alle. Du magst fragen, warum nicht alle Gebete erhört werden. Warum sollten sie? Es ist kein Mechanismus der Art, dass du nur ein Gebet in den Automaten zu stecken brauchst und erhältst, worum du bittest. Wenn man zudem all die gegensätzlichen Dinge betrachtet, um welche die Menschheit in ein und demselben Augenblick bittet, wäre Gott, wenn er alles gewähren wollte, in einer ziemlich misslichen Lage. Es ginge gar nicht.

Worte der Mutter

Aber, Mutter, wenn man aufrichtig um das Eingreifen der Gnade bittet, erwartet man ein besonderes Ergebnis, nicht wahr?

Entschuldige, das kommt ganz auf den Inhalt des Gebetes an. Wenn man einfach die Gnade oder das Göttliche anruft und sich in Ihre oder Seine Hände legt, dann erwartet man kein bestimmtes Ergebnis. Um mit einem bestimmten Ergebnis rechnen zu können, muss man sein Gebet besonders formulieren, muss man um etwas bitten. Wenn du nur eine starke Sehnsucht nach der göttlichen Gnade hast und sie anrufst, sie anflehst, ohne etwas Bestimmtes von ihr zu erbitten, wird die Gnade entscheiden, was sie für dich tut, und nicht du.

Das ist besser, ist es nicht so?

Ah! Das ist eine ganz andere Frage!

Warum, vielleicht hat das eine bessere Qualität. Dennoch, wenn man etwas Bestimmtes möchte, ist es besser, es in Worte zu fassen. Wenn man einen besonderen Grund hat, die Gnade anzurufen, ist es besser, es genau und klar zu formulieren.

Natürlich ist es sehr gut, wenn man in einem Zustand vollkommener Hingabe ist und sich ganz und gar gibt, wenn man sich einfach der Gnade darbringt und sie machen lässt, was ihr gefällt. Doch darf man hinterher nicht Einspruch erheben gegen das, was sie tut. Man darf nicht zu ihr sagen: „Ach, ich habe das nur mit dem Gedanken getan, dies zu bekommen“, denn wenn man wirklich die Idee hatte, etwas zu erhalten, ist es besser, es in aller Aufrichtigkeit in Worte zu fassen, einfach so, wie man es sieht. Danach ist es der Gnade überlassen, ob sie es tut oder nicht, aber auf jeden Fall hat man klar ausgedrückt, was man wollte. Und es ist nichts Schlimmes dabei.

Schlimm wird es, wenn einem die Bitte nicht gewährt wird und man sich auflehnt. Dann wird es natürlich schlecht. In diesem Augenblick muss man begreifen, dass möglicherweise der Wunsch, den man hatte, oder das Bestreben nicht sehr erleuchtet war, und dass man vielleicht etwas verlangt hat, das nicht genau das war, was gut für einen ist. In diesem Augenblick muss man vernünftig sein und einfach sagen: „Also gut, Dein Wille geschehe.“ Doch solange man eine innere Wahrnehmung und eine innere Vorliebe hat, ist nichts Schlimmes dabei, es zum Ausdruck zu bringen. Das ist eine ganz natürliche Regung.

Hat man zum Beispiel eine Dummheit begangen oder einen Fehler gemacht und wünscht sich wirklich, aufrichtig, das nie wieder zu tun, nun, dann sehe ich nichts Schlimmes darin, darum zu bitten. Und es besteht in der Tat große Aussicht, dass es erfüllt wird, wenn man mit Aufrichtigkeit, einer echten, inneren Aufrichtigkeit, darum bittet.

Du darfst nicht glauben, dass Gott dir gern widerspricht. Daran liegt Ihm überhaupt nichts! Er kann besser als du sehen, was wirklich zu deinem Besten ist. Doch nur, wenn es ganz und gar unerlässlich ist, stellt Er sich deiner Bestrebung entgegen. Ansonsten ist Er immer bereit, das zu geben, worum du bittest.

Worte der Mutter

Wenn man zum Beispiel etwas wissen will oder Führung braucht oder sonst etwas, wie kann man es vom Göttlichen bekommen, dem eigenen Bedürfnis entsprechend?

Indem du es vom Göttlichen erbittest. Wenn du Ihn nicht darum bittest, wie kannst du es bekommen? Wenn du dich dem Göttlichen zuwendest und volles Vertrauen hast und wenn du Ihn bittest, wirst du bekommen, was du brauchst – nicht unbedingt das, was du glaubst zu brauchen, aber was du wirklich brauchst, wirst du bekommen. Doch musst du Ihn darum bitten.

Du musst diesen Versuch aufrichtig machen. Du darfst nicht erst durch alle Arten von äußeren Mitteln die Bemühung machen, es zu bekommen, und dann erwarten, dass das Göttliche es einem gibt, ohne Ihn selbst darum gebeten zu haben. Eigentlich ist es so, dass du ihn darum bittest, wenn du willst, dass dir jemand etwas gibt, nicht wahr? Und warum erwartest du vom Göttlichen, dir etwas zu geben, um das du Ihn nicht einmal gebeten hast?

Im gewöhnlichen Bewusstsein ist die Bewegung gerade entgegengesetzt. Du forderst etwas und sagst: „Ich brauche dies, ich brauche diese Beziehung, ich brauche diese Zuneigung, ich brauche dieses Wissen usw. Nun, das Göttliche sollte es mir geben, sonst ist es nicht das Göttliche.“ Das heißt, du kehrst das Problem gänzlich um.

Zuallererst sagst du: „Ich brauche.“ Weißt du, ob du es wirklich brauchst oder ob es nur ein Eindruck ist, den du hast, oder ein Begehren oder eine ganz unwissende Regung? Erster Punkt: Du weißt nichts darüber.

Zweiter Punkt: Es ist genau dein Wille, den du dem Göttlichen aufzwingen willst, indem du Ihm sagst: „Ich brauche dies.“ Und dann bittest du Ihn nicht einmal darum: „Gib es mir.“ Du sagst: „Ich brauche es. Folglich, da ich es brauche, muss es zu mir kommen, ganz natürlich, spontan. Es ist die Aufgabe des Göttlichen, mir alles zu geben, was ich brauche.“

Doch wenn es sich herausstellt, dass du nicht wirklich weißt, was du brauchst, und das einfach eine Illusion und keine Wahrheit ist, du es obendrein vom Leben um dich herum erbittest und dich nicht an das Göttliche wendest, du keine Beziehung zwischen dir und Ihm schaffst, du nicht an Ihn denkst oder dich Ihm zuwendest – wenigstens mit einer gewissen Aufrichtigkeit in der Haltung –, da du Ihn also um nichts bittest, gibt es keinen Grund für Ihn, dir irgendetwas zu geben.

Aber wenn du Ihn bittest, da Er das Göttliche ist, weiß Er ein wenig besser als du, was du brauchst. Er wird dir geben, was du brauchst.

Oder aber – wenn du darauf bestehst und Ihm deinen Willen aufzwingen willst – ist es gut möglich, dass Er dir gibt, was du willst, um dich aufzuklären, damit du merkst, dass du dich getäuscht hast, dass das nicht wirklich das war, was du brauchtest. Und dann fängst du an zu protestieren – ich meine nicht dich persönlich, ich meine alle Menschen –, und du sagst: „Warum hat mir das Göttliche etwas gegeben, was mir nicht guttut?“ – und du vergisst dabei völlig, dass du es warst, der darum gebeten hatte.

In beiden Fällen protestierst du gleichwohl. Wenn Er dir gibt, was du verlangst, und das dir mehr Schaden bringt, als dass es dir guttut, protestierst du. Und dann, wenn Er es dir nicht gibt, protestierst du auch: „Wie! Ich habe Ihm gesagt, dass ich es brauche, und Er gibt es mir nicht!“

In beiden Fällen protestierst du, und das arme Göttliche wird angeklagt.

Wenn du statt alledem einfach in dir eine Aspiration hast, einen Drang, ein intensives glühendes Bedürfnis, Das zu finden, das du mehr oder weniger klar als die Wahrheit deines Wesens ansiehst, die Quelle aller Dinge, das höchste Gute, die Antwort auf alles, was wir begehren, die Lösung aller Probleme, wenn dieses intensive Bedürfnis in dir ist und du bestrebt bist, es zu verwirklichen, wirst du nicht länger zum Göttlichen sagen: „Gib mir dies, gib mir das“, oder „Ich brauche dies, ich muss das haben.“ Du wirst zu Ihm sagen: „Tue für mich, was notwendig ist, und führe mich zur Wahrheit meines Wesens. Gib mir das, was Du in Deiner höchsten Weisheit als das siehst, was ich nötig habe.“

Und dann bist du sicher, dass du nichts falsch machst, und Er wird dir nichts geben, was dir schaden könnte.

Es gibt noch eine höhere Stufe, mit der zu beginnen es aber etwas schwieriger ist.

Doch ist ersteres bereits ein sehr viel wahrhaftigeres Vorgehen als das, dem Göttlichen zu sagen: „Ich brauche das, gib es mir.“ Denn im Grunde gibt es nur sehr wenige Menschen, die wirklich wissen, was sie brauchen – sehr wenige. Und der Beweis dafür ist, dass sie stets auf der Suche nach der Erfüllung ihrer Begierden sind. All ihre Anstrengung ist darauf ausgerichtet, und jedes Mal, wenn einer ihrer Wünsche erfüllt worden ist, sind sie bald enttäuscht. Und sie gehen zu einem anderen über.

Und nachdem man viel gesucht, viele Fehler gemacht, ziemlich viel gelitten hat und sehr enttäuscht ist, wird man manchmal weise und fragt sich, ob es nicht einen Weg aus all dem heraus gibt, das heißt einen Weg aus der eigenen Unwissenheit.

Und das ist der Augenblick, wo man dies machen kann (Mutter öffnet die Arme): „Hier bin ich, nimm mich und führe mich auf dem richtigen Weg.“

Dann wird alles gut verlaufen.

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