Kapitel 3

Widerspenstige und störende Gedanken

Worte Sri Aurobindos

Die Zurückweisung der Zweifel ist gleichbedeutend mit der Kontrolle der eigenen Gedanken – soviel steht fest. Die Kontrolle aber ist ebenso notwendig wie die Kontrolle der eigenen vitalen Begierden und Leidenschaften oder die Kontrolle der eigenen Körperbewegungen – notwendig für den Yoga und nicht nur für den Yoga. Man kann nicht einmal als ein voll entwickeltes mentales Wesen gelten, wenn man seine Gedanken nicht beherrscht, ihr Beobachter, Richter und Meister ist, der mentale Purusha – manomaya purusa saksi anumanta, isvara. Es steht dem mentalen Wesen nicht länger an, der Spielball aufrührerischer und unkontrollierbarer Gedanken zu sein oder ein ruderloses Schiff im Sturm der Begierden und Leidenschaften oder ein Sklave der Trägheit oder der Impulse des Körpers. Ich weiß, dass es schwierig ist, denn der Mensch, der in erster Linie ein Geschöpf der mentalen Prakriti ist, identifiziert sich mit den Regungen seines Mentals und kann sich von den Wirbeln und Strömungen des mentalen Strudels nicht mit einem Mal absetzen. Es fällt ihm verhältnismäßig leicht, seinem Körper eine Kontrolle aufzuerlegen, zumindest einem bestimmten Teil der Körperbewegungen; nicht so leicht, aber noch durchaus möglich, wenn er sich darum bemüht, ist es für ihn, seinen vitalen Impulsen und Begierden eine mentale Kontrolle aufzuerlegen; weniger einfach hingegen ist es, wie der tantrische Yogi am Fluss über dem Wirbel seiner Gedanken zu verharren. Immerhin, es ist möglich; alle mental entwickelten überdurchschnittlichen Menschen müssen auf die eine oder andere Weise oder zumindest zeitweilig und für bestimmte Zwecke die beiden Teile des Mentals trennen, den aktiven Teil, der eine Gedankenfabrik ist, und den, der der ruhige Meister und zugleich ein Zeuge und Wille ist, der sie (die Gedanken) beobachtet, beurteilt, zurückweist, eliminiert, akzeptiert, Richtigstellungen und Veränderungen anordnet – der der Herr im Haus des Mentals ist und der eigenen Herrschaft fähig, svarajya.

Worte Sri Aurobindos

Löse dich von der gewohnten Bewegung der Gedanken, lass sie sich außerhalb des Mentals abspielen als etwas, das du beobachten kannst, so wie du Dinge beobachtest, die sich auf der Straße abspielen. Solange du das nicht tust, ist es schwierig, der Meister des Mentals zu sein.

Worte der Mutter

Warum kommen die schlechten Gedanken?

Habe ich dir nicht gesagt, warum die schlechten Gedanken kommen? … Aus so vielen Gründen, wie es schlechte Gedanken gibt! Jeder kommt aus seinem speziellen Grund: Das kann wegen der Ähnlichkeit sein, das kann aus Spaß sein, das kann deswegen sein, weil man sie herbeiruft, das kann sein, weil man sich in eine Lage versetzt, wo man angegriffen wird, das kann alles dies zugleich sein, und noch vieles andere.

Die bösen Gedanken kommen, weil es irgendwo in dir eine Entsprechung gibt; sonst könnte man etwas einfach so vorbeiziehen sehen, doch es würde nicht in dich hineinkommen. Die Frage soll wohl so lauten: Warum denkt man plötzlich etwas Schlechtes?

Weil die Entwicklungsstufen sehr verschieden sind. Ich habe dir schon erklärt, dass die gedankliche Atmosphäre schlimmer ist als ein öffentlicher Platz voller Menschen: Da sind zahllose Vorstellungen, Gedanken jeder Art und Form, die sich in einer so komplizierten Verworrenheit kreuzen, dass es unmöglich ist, etwas Genaues zu unterscheiden. Dein Kopf steckt da mitten drin, dein mentaler Geist noch mehr: Er badet darin, wie man im Meer badet. Und da spielt sich dann ein Kommen und Gehen, ein Vorbeiziehen, Sich-drehen, Sich-stoßen, ein Herein und Hinaus ab … Wäre man sich der gedanklichen Atmosphäre bewusst, in der man lebt, wäre das selbstverständlich etwas beunruhigend! Die persönlichen Grenzen des Gehirns sind wohl als Filter eine sehr lange Zeit im Leben durchaus notwendig.

Um fähig zu sein, aus alledem herauszukommen und völlig in der gedanklichen Atmosphäre zu leben, so wie sie ist, und sie so zu sehen, wie sie ist (es ist übrigens dasselbe mit der vitalen Atmosphäre; die ist vielleicht noch hässlicher!), um darin zu leben und sie so zu sehen, wie sie ist, muss man stark sein, man muss einen sehr festen inneren Kompass haben. Aber auf jeden Fall, ob man es sieht oder nicht, ob man es fühlt oder nicht, die Tatsache ist vorhanden, es ist nun einmal so. Man kann also nicht fragen, woher die schlechten Gedanken kommen – sie sind überall. Warum sie kommen? … Wo sollten sie hingehen? Du selbst bist mittendrin!

Dieser Bewusstseinsfilter, der bewirkt, dass du dir bestimmter Gedanken bewusst bist und dass es welche gibt, derer man sich nicht bewusst ist, wird von deiner inneren Haltung, von deinen inneren Wahlverwandtschaften, deinen inneren Gewohnheiten gesteuert (ich spreche vom Mental, ich spreche nicht vom seelischen Wesen), es wird von deiner Erziehung, der Entwicklung deines Gehirns usw. gesteuert. Dies ist die Art von Filter, den dein Ego gebildet hat und durch den bestimmte Gedanken hindurchgehen und bestimmte andere nicht – ganz automatisch. Deshalb kann die Art der Gedanken, die du bekommst, für dich ein recht ernst zu nehmender Hinweis auf die Art deines Charakters sein – er kann ganz unbewusst für einen sein, denn man kennt sich für gewöhnlich nicht wirklich, aber es ist ein Hinweis auf die allgemeine Tendenz deines Charakters. Um die Dinge grob vereinfacht auszudrücken: Nehmen wir zum Beispiel einen optimistischen Menschen, ihm werden im Allgemeinen optimistische Gedanken kommen; bei einem Pessimisten werden es meist pessimistische Gedanken sein (ich spreche ganz allgemein); bei jemandem mit einer Rebellennatur werden es aufrührerische Gedanken sein; und bei einem Schaf werden es Schafgedanken sein! Wobei wir annehmen, dass Schafe Gedanken haben! Das ist der allgemeine Normalzustand.

Wenn man sich nun zufällig entschlossen hat, Fortschritte zu machen, und wenn man den Weg des Yoga geht, dann ist da ein neuer Faktor, der sich einmischt. Sobald man vorwärtskommen will, stößt man sofort auf den Widerstand von all dem, was in einem und um einen herum nicht vorwärtskommen will. Und dieser Widerstand äußert sich natürlich durch alle entsprechenden Gedanken.

Nehmen wir an, du willst im Hinblick auf das Verhaftetsein an die Nahrung einen Fortschritt machen; nun, fast ständig werden dir Gedanken kommen, die besonders an der Nahrung interessiert sind, was man zu sich nehmen darf, wie man es zu sich nehmen muss; und diese Vorstellungen kommen zu dir, sie werden dir gleichsam ganz natürlich erscheinen. Und je mehr man sich innerlich sagt: „Ach, wie gern möchte ich davon befreit sein, was für ein Hindernis für meinen Fortschritt, alle diese Sorgen!“, desto mehr wird das so freundlich sein und kommen, bis der Fortschritt innerlich wirklich gemacht und man bis zu einer Bewusstseinsstufe aufgestiegen ist, wo man alle diese Dinge von oben betrachten und sie dann an ihren Platz stellen kann – der kein sehr bedeutender Platz im Universum ist! Und so weiter, bei allem. Dementsprechend werden deine Beschäftigungen und Wahlverwandtschaften dir auf eine einander fast widersprechende Weise nicht nur mit den Vorstellungen, die eine Ähnlichkeit mit deiner Seinsweise und einen Bezug zu ihr haben, sondern auch mit dem Gegenteil in Beziehung bringen. Und wenn du nicht gleich von Anfang an achtgibst und dich auf Unterscheidung einstellt, wirst du in ein gedankliches Schlachtfeld verwandelt.

Wenn ihr auf eine höhere Stufe steigen könnt, einfach in einen spekulativen gedanklichen Bereich, der nicht mehr ganz der übliche physische Geist ist, könnt ihr dieses ganze Spiel und diesen ganzen Kampf, diesen ganzen Konflikt, alle diese Widersprüche als eine Kuriosität ansehen, die euch nicht berührt und euch nicht in Mitleidenschaft zieht. Wenn ihr noch eine Stufe höher steigt und das Ziel seht, auf das ihr zugehen wollt, dann wird euch nach und nach das Unterscheidungsvermögen kommen zwischen den Vorstellungen, die für den Fortschritt günstig sind und die ihr beibehaltet, und den Vorstellungen, die zu diesem Fortschritt in Widerspruch stehen, die ihm schädlich sind, die ihn verderben; und von oben werdet ihr die Macht haben, sie zu entfernen, ganz ruhig, ohne sich von ihnen sonst beeinträchtigen zu lassen. Aber wenn ihr da bleibt, auf diesem Niveau, inmitten dieses Durcheinanders und dieses Streites, nun, dann besteht die Gefahr, dass ihr Kopfschmerzen bekommt!

Das Beste, was man tun kann, ist, sich mit etwas Praktischem zu beschäftigen, das einen zu einer besonderen Konzentration zwingt: das Studium, die Arbeit oder eine physisch-körperliche Beschäftigung, die Aufmerksamkeit erfordert, irgend etwas, das einen zwingt, sich auf das zu konzentrieren, was man macht, um nicht mehr die Beute dieser wirren Gedanken zu sein. Wenn du aber das Unglück hast, da stehenzubleiben und zu schauen, wirst du mit Sicherheit Kopfschmerzen bekommen. Weil es eine Frage ist, die gelöst werden muss, entweder durch einen Abstieg in das praktische Leben und eine Konzentration auf eine praktische Bemühung, oder aber, indem man hinaufsteigt und von oben auf dieses ganze Chaos herunterschaut, so dass man da Ordnung schaffen und alles in geregelte Bahnen lenken kann.

Aber man darf nie auf derselben Ebene bleiben, das ist eine Ebene, die nichts taugt, weder für die physische noch für die moralische Gesundheit.

Worte der Mutter

(Die folgenden vier Ausschnitte umfassen die Erläuterungen der Mutter zu verschiedenen Versen des Dhammapada.)

Wenn jemand in bösem Geiste spricht oder handelt, folgt ihm das Leiden nach, wie die Räder den Hufen des Ochsen folgen, der den Wagen zieht.

Dazu ist zu sagen, dass das normale menschliche Leben, so wie es in der gegenwärtigen Welt ist, vom mentalen Geist beherrscht wird; daher ist es das Wichtigste, sein Mental zu kontrollieren; so wollen wir einer stufenweisen oder „verbundenen“ Disziplin – um die Bezeichnung des Dhammapada zu benutzen – folgen, damit wir unseren mentalen Geist entwickeln und kontrollieren.

Es gibt vier Bewegungen, die normalerweise aufeinander folgen, die aber am Ende gleichzeitig stattfinden können: Seine Gedanken zu beobachten ist die erste, auf seine Gedanken acht zu haben ist die zweite, seine Gedanken zu kontrollieren ist die dritte und seine Gedanken zu meistern ist die vierte. Zu beobachten, auf sie acht zu haben, zu kontrollieren, zu meistern. Alles, um ein schlechtes Mental loszuwerden, denn es wird uns gesagt, dass ein Mensch, der in schlechtem Geist handelt oder spricht, von Leiden so dicht verfolgt wird, wie die Räder den Hufen des Ochsen folgen, der Pflug oder Wagen zieht.

Der mentale Geist hat die Vorherrschaft. Alles geht vom mentale Geist aus. In allen Dingen ist das ursprüngliche Element das Mental. Wenn jemand mit geläutertem Mental spricht oder handelt, begleitet ihn das Glück so eng wie sein eigener untrennbarer Schatten.

Das ist das Gegenstück zu dem, was wir letztes Mal gelesen haben. Das Dhammapada stellt den geläuterten mentalen Geist dem bösen mentalen Geist gegenüber. Wir haben bereits gesagt, dass es vier aufeinander folgende Stufen zur Läuterung des Mentals gibt. Ein geläutertes Mental ist natürlich ein Mental, das keine falschen Gedanken zulässt, und wir haben bereits gesehen, dass die vollkommene Gedankenbeherrschung, die erforderlich ist, um dieses Ergebnis zu erreichen, die letzte Errungenschaft auf den Stufen ist, von denen ich gesprochen habe. Die erste ist: seinen mentalen Geist zu beobachten.

Glaube nicht, das sei eine einfache Sache, denn um deine Gedanken zu beobachten, musst du dich zuerst von ihnen abtrennen. Im gewöhnlichen Zustand unterscheidet der normale Mensch nicht zwischen sich selbst und seinen Gedanken. Er weiß nicht einmal, dass er denkt. Er denkt aus Gewohnheit. Und wenn er plötzlich gefragt wird: „Woran denkst du gerade?“, weiß er nichts darüber. Das heißt, in 95 Fällen von hundert wird er antworten, „Ich weiß es nicht.“ Es herrscht eine vollkommene Identifikation zwischen der Gedankenbewegung und dem Bewusstsein des Wesens.

Um die Gedanken zu beobachten, ist es daher die erste Bewegung, zurückzutreten und sie zu sehen, dich selbst von deinen Gedanken zu trennen, so dass die Bewegung des Bewusstseins und die der Gedanken nicht verwechselt werden. Deshalb, wenn wir sagen, dass man seine Gedanken beobachten muss, glaube nicht, dass es so einfach ist; es ist der erste Schritt. Ich schlage vor, dass wir in unserer Meditation heute Abend diese erste Übung aufnehmen, die darin besteht, von seinen Gedanken zurückzustehen und sie zu sehen.

„Er hat mich beleidigt, er hat mich geschlagen, er hat mich gedemütigt, er hat mich bestohlen.“ Wer Gedanken wie diese pflegt, wird nie seinen Hass beschwichtigen.

Das Dhammapada sagt uns als erstes, dass schlechte Gedanken Leiden bringen und gute Gedanken Glück. Nun gibt es uns Beispiele davon, was schlechte Gedanken sind, und sagt uns, wie wir das Leiden vermeiden. Hier ist das erste Beispiel, ich wiederhole: „Er hat mich beleidigt, er hat mich geschlagen, er hat mich gedemütigt, er hat mich bestohlen“; und es fügt hinzu: „Wer Gedanken wie diese pflegt, wird nie seinen Hass beschwichtigen.“

Wir haben unsere mentale Disziplin begonnen, indem wir uns auf die aufeinanderfolgenden Stufen der mentalen Entwicklung gestützt haben, und wir haben gesehen, dass diese Disziplin aus vier aufeinanderfolgenden Bewegungen besteht, die wir, wie du dich sicherlich erinnerst, wie folgt beschrieben haben: Beobachten, achthaben, kontrollieren und meistern; und in der letzten Stunde haben wir gelernt – so hoffe ich –, uns von unseren Gedanken zu trennen, um sie als aufmerksame Beobachter betrachten zu können.

Heute haben wir zu lernen, wie wir auf diese Gedanken acht geben können. Erst siehst du sie und dann wachst du über sie. Lerne, sie zu sehen wie ein vorurteilsfreier Richter, so dass du zwischen den guten und schlechten unterscheiden kannst, zwischen Gedanken, die nützlich sind und solchen, die schaden, zwischen aufbauenden Gedanken, die zum Sieg verhelfen, und zerstörerischen Gedanken, die uns davon wegführen. Es ist diese Kraft der Unterscheidung, die wir jetzt erwerben müssen; das ist heute Abend das Thema unserer Meditation.

Wie ich dir gesagt habe, will uns das Dhammapada Beispiele geben, aber Beispiele sind nur Beispiele. Wir müssen selbst lernen, wie wir Gedanken unterscheiden können, die gut sind, von denen, die es nicht sind, und dafür musst du beobachten, wie ich gesagt habe, wie ein vorurteilsfreier Richter – das heißt, so unparteiisch wie möglich, das ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen.

„Er hat mich beleidigt, er hat mich geschlagen, er hat mich gedemütigt, er hat mich bestohlen.“ Wer Gedanken wie diese nicht pflegt, nährt seinen Hass nicht.

Das ist das Gegenstück zu dem, was wir letztes Mal gelesen haben. Aber beachte, dass dies nur Gedanken betrifft, die Groll (Ressentiment) erzeugen. Und zwar deshalb, weil Bitterkeit, zusammen mit Eifersucht, einer der am meisten verbreiteten Gründe für menschliches Elend ist.

Aber wie soll man Groll vermeiden? Ein weites und großzügiges Herz ist sicherlich das beste Mittel, aber das liegt nicht in jedermanns Reichweite. Seine Gedanken zu kontrollieren könnte von einem mehr allgemeineren Nutzen sein.

Gedankenkontrolle ist der dritte Schritt unserer mentalen Disziplin. Wenn einmal der erleuchtete Richter unseres Bewusstseins zwischen nützlichen und schädlichen Gedanken unterschieden hat, wird die innere Führung kommen und nur den gutgeheißenen Gedanken erlauben einzutreten und allen unerwünschten Elementen den Einlass streng versagen.

Mit gebieterischer Geste wird die Führung jedem schlechten Gedanken den Zugang verweigern und ihn soweit wie möglich fortstoßen.

Diese Bewegung von Zulassung und Abweisung nennen wir Gedankenkontrolle und das ist das Thema unserer Meditation heute Abend.

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