Kapitel 3

Unterweisung durch die Organisation des Lebens

Hat die Seele irgendwelche Macht?

Macht? Meist ist es die Seele, die das Wesen leitet. Man weiß nichts darüber, denn man ist sich dessen nicht bewusst, doch im Allgemeinen leitet sie das Wesen. Wenn man sehr aufmerksam ist, wird man sich dessen bewusst. Doch die Mehrheit der Menschen hat nicht die leiseste Idee davon. Wenn sie zum Beispiel in ihrer äußeren Unwissenheit beschlossen haben, etwas Bestimmtes zu tun, doch dann ordnen sich alle Umstände derart, dass sie etwas ganz anderes tun, dann beginnen sie zu schimpfen, zu toben und wütend gegen das Schicksal anzugehen und zu sagen (es hängt davon ab, woran sie glauben, von ihrer Religion), dass die Natur hinterhältig, ihr Schicksal unheilvoll oder Gott ungerecht sei oder … ganz gleichgültig was (es hängt davon ab, woran sie glauben). Wobei während der ganzen Zeit genau jene Umstände für ihre innere Entwicklung am vorteilhaftesten waren. Und natürlich, wenn du die Seele darum bittest, dir dabei zu helfen, dir ein angenehmes Leben zu gestalten, Geld zu verdienen, Kinder zu haben, die der Stolz der Familie sind, etc., nun, dabei wird dir die Seele nicht helfen. Aber sie wird alle erforderlichen Umstände für dich schaffen, um etwas in dir wachzurufen, damit die Sehnsucht, sich mit dem Göttlichen zu vereinen in deinem Bewusstsein geboren werde. Manchmal hast du prächtige Pläne gemacht und wenn sie erfolgreich gewesen wären, wärst du immer mehr in deiner äußeren Unwissenheit erstarrt, in deinem dummen, kleinen Ehrgeiz und deiner ziellosen Tätigkeit. Doch wenn du einen kräftigen Schock empfängst, und der Posten, den du begehrtest, wird dir verweigert, der Plan, den du aufstelltest, wird vereitelt, und in allem wird dir ein Strich durch die Rechnung gemacht, dann öffnet dieser Widerstand dir manchmal eine Tür auf etwas Wahreres und Tieferes. Und wenn du ein wenig bewusst bist und zurückblickst, wenn du ein wenig aufrichtig bist, sagst du dir: „Ah, nicht ich hatte recht – es war die Natur oder die göttliche Gnade oder mein seelisches Wesen, durch die es geschah.“ Es ist das seelische Wesen, das so etwas auslöst.

DIE MUTTER (5:394)

Wenn du in dir ein seelisches Wesen hast, das hinreichend erweckt ist, um über dich zu wachen und deinen Pfad vorzubereiten, vermag es Dinge anzuziehen, Menschen, Bücher, Umstände, alle Arten von kleinen Zufälligkeiten, die zu dir kommen wie durch einen gütigen Willen herbeigeführt, und dir einen Hinweis geben, eine Hilfe, eine Unterstützung, um eine Entscheidung zu treffen und dich in die richtige Richtung zu wenden. Und wenn du einmal eine Entscheidung getroffen hast, wenn du dich einmal entschlossen hast, die Wahrheit deines Wesens zu finden, wenn du dich einmal aufrichtig auf den Weg machst, dann scheint sich alles zu deinem Fortschritt zu verschwören.

DIE MUTTER (4:261)

Wenn jemand für den Pfad bestimmt ist, werden ihn, trotz aller Umwege des Mentals und Lebens, alle Umstände auf die eine oder andere Weise zu diesem hinführen. Es ist das eigene seelische Wesen in ihm und die Göttliche Macht über uns, die zu diesem Zweck sowohl die Wechselhaftigkeiten des Mentals als auch die äußeren Umstände benutzen.

SRI AUROBINDO (23:550)

Manche Menschen behaupten, dass etwas jenseits ihres Willens ihr ganzes Leben gestaltet, sie in den erforderlichen Zustand versetzt, der günstige Umstände oder wohlgesinnte Menschen anzieht, das sozusagen alles über sie hinweg arrangiert. In ihrem Bewusstsein wollten sie vielleicht etwas Bestimmtes und arbeiteten dafür, doch etwas anderes trat ein. Nun, nach einigen Jahren erkennen sie, dass es das war, was wirklich kommen musste. Du magst von der Existenz eines seelischen Wesens in dir nichts wissen, und dennoch von ihm geleitet werden. Denn, um sich einer Sache bewusst zu werden, muss man vor allem zugeben, dass sie existiert. Manche Menschen tun das nicht. Ich habe Menschen gekannt, die einen echten Kontakt mit ihrem seelischen Wesen hatten, ohne sich im geringsten darüber im Klaren zu sein, denn nichts in ihnen entsprach dem Wissen dieses Kontaktes.

DIE MUTTER (15:327)

Mutter, wird die Ausrichtung eines menschlichen Lebens von der Seele bestimmt?

Ja. Meist dem Einzelnen durchaus nicht bewusst; aber es ist die Seele, die sein Dasein ausrichtet – doch nur hinsichtlich dessen, was man als die hauptsächlichen Richtlinien bezeichnen könnte, denn um in die Einzelheiten einzugreifen, hätte eine bewusste Einung zwischen dem äußeren Wesen, das heißt dem vitalen und physischen Wesen und dem seelischen Wesen stattfinden müssen; doch im Allgemeinen ist dies nicht der Fall. In den äußerlichen Einzelheiten … da war zum Beispiel jemand, der äußerst verblüfft zu mir sagte: „Nun, wenn es das seelische Wesen ist, oder vielmehr das Göttliche im seelischen Wesen, das unser Leben lenkt, entscheidet es dann auch die Anzahl der Zuckerstücke, die ich in meinen Tee tue?“ Das war die wörtliche Frage. Die Antwort war natürlich: „Nein, denn es ist kein ins einzelne gehendes Eingreifen dieser Art.“

Es ist, als würdest Du Deine Faust in einen Haufen Eisenspäne oder Sägemehl stoßen, all die unendlich kleinen Elemente der Eisenspäne oder des Sägemehls arrangieren sich in der Form deiner Faust, doch tun sie es weder willentlich noch bewusst. Es geschieht durch das Wirken des Bewusstseins, das die Faust stößt. Es gibt keine Entscheidung, die jedes Element genau an diesen oder jenen Platz verweist; es ist die Auswirkung der Energie, welche die Faust gestoßen hat und die Elemente der Eisenspäne ordnet. So ist es. Es ist das seelische Bewusstsein, das im Leben wirkt, das alle Umstände deines Lebens gestaltet, doch nicht mit einer vorsätzlichen Wahl der Einzelheiten; und tatsächlich sind es nur wenige Dinge, die vorsätzlich und bewusst das physische Leben der Menschen ausrichten. Jedenfalls meistens. Wenn du jemanden fragst: „Warum hast du das getan?“ „Nun, es geschah einfach so“! In mindestens fünfundsiebzig Fällen von hundert. Man ist nur so daran gewöhnt auf diese Weise zu gehen und Dinge zu bewegen und zu tun, dass man es nicht einmal bemerkt. Doch wenn man sich zu beobachten beginnt, sieht man, dass es stimmt. Es gibt sehr wenige Dinge, die das Ergebnis einer klaren und gewollten Entscheidung sind, sehr wenige, nur das, was man als wichtig ansieht, und selbst hier gibt es einen großen Spielraum. Das Ausmaß der Unbewusstheit, die mit physischem Bewusstsein vermischt ist, ist ungeheuer, doch da wir daran gewöhnt sind, bemerken wir es nicht. Sobald du aber zu analysieren beginnst, zu betrachten, zu forschen, erschrickst du. Wie viele Male siehst du dich einem Problem gegenüber! Du erkennst, dass du die Dinge automatisch tust, gewohnheitsmäßig, manchmal vielleicht in freier Wahl – manchmal –, doch dann siehst du dich plötzlich einer ganz unbedeutenden Einzelheit gegenüber und fragst dich: „Sollte ich nun dies oder jenes tun?“ Einfach dies. Es sind sehr geringfügige Dinge, zum Beispiel … du bist beim Essen und du fragst dich: „Sollte ich weiter essen oder aufhören?“ Wie oft vermagst du eine motivierte und bewusste Entscheidung zu treffen? Und plötzlich erkennst du: „Ah, ich weiß überhaupt nichts darüber; ich weiß nicht; ich kann dies oder jenes tun; ich kann dies und das und das tun. Doch was ist es, das in mir wählen wird?“ Es sei denn, du hättest mentale Formierungen. Doch dann, wenn du mentale Formierungen hast, die dein Leben lenken, fragst du dich diese Fragen nicht einmal, du lebst wie ein Automat in einer gewohnheitsmäßigen Routine, die du für dich errichtest hast. Doch nicht nur einmal, es geschieht viele tausend Mal täglich.

Zum Beispiel, du hast Kontakt mit jemanden, du hast sehr gute Gefühle für diese Person; du befindest dich in einer etwas schwierigen Situation und willst das Bestmögliche tun. Wenn du spontan handelst, gibt es kein Problem, denn du handelst ohne nachzudenken, und ein Ding folgt dem anderen. Und du willst bewusst das Beste tun … Worauf willst du dein Urteil gründen? Welches Wissen lässt dich entscheiden: „Ich muss dies oder ich muss jenes tun, ich muss dies oder jenes sagen oder ich darf gar nichts sagen“ – all die unzähligen Möglichkeiten, die du siehst. Und worauf willst du dein Urteil gründen? Wenn du es aufrichtig betrachtest, wirst du deine Unwissenheit bei jedem Schritt erkennen.

Allein dann, wenn du die Gewohnheit hast, in dich zu gehen, dich an das innere seelische Bewusstsein zu wenden, damit es in dir entscheide, was du tun willst, tust du es mit Gewissheit, ohne zu zögern, ohne zu fragen, ohne alles. Du weißt, dass es dies ist, was getan werden muss, und dass es nichts zu fragen gibt; doch nur dann. Allein, wenn du deiner Seele die bewusste Führung überlässt, kannst du bewusst und immerwährend das Rechte tun; doch nur dann.

Im anderen Fall, weil du es dir zur Gewohnheit gemacht hast, zu denken und zu beobachten, siehst du all die kleinen Dinge des Lebens, die immer wiederkehren. Du willst nicht mechanisch leben, gewissermaßen gewohnheitsmäßig, du willst bewusst leben, deinen Willen gebrauchen. Nun, in jedem Augenblick stehst du einem Problem gegenüber, das du nicht lösen kannst. Ich meine rein physisch. Nimm eine bestimmte Schwierigkeit in deinem Körper – das, was wir eine Störung nennen –, die sich durch Unbehagen oder Unpässlichkeit ausdrückt; es ist keine Krankheit, es ist eine Unpässlichkeit, ein Unbehagen, etwas [in dir], das nicht richtig funktioniert. Wenn du dann das seelische Wissen nicht hast, das dich die Sache, die getan werden sollte, tun lässt, ohne jedes Argument, wenn du die Sache deinem Mental überlässt und dem, was du als dein Wissen ansiehst, dann … Nimm einen Fall aus dem Bereich der Medizin: „Sollte ich dies oder jenes tun, diese Medizin oder jene nehmen, meine Diät ändern, diese oder jene Nahrung zu mir nehmen?“ … Dann prüfst du dich. Wenn du niemals mehr als eine bestimmte Anzahl sehr grundlegender Prinzipien gekannt hast, ist deine Wahl sehr einfach, doch wenn du zufällig ein wenig Kenntnis der unterschiedlichen medizinischen Behandlungsmethoden besitzt … es gibt Systeme der verschiedenen Länder, die verschiedenen Systeme der Medikamente, es gibt, wie du weißt, Allopathie, Homöopathie, dieses oder jenes; daher sagt dir der eine das, der andere etwas anderes. Du kennst Leute, die sagen: „Tue das nicht, tue jenes“, andere sagen: „Vor allem tue jenes nicht, tue dieses“, und so fort, und so siehst du dich selbst dem Problem gegenüber und fragst dich: „Nun, was weiß ich selbst von all dem, wozu soll ich mich entscheiden? Ich weiß nichts.“

Es gibt nur eines in dir, das weiß, das ist deine Seele; sie macht keinen Fehler, sie wird es dir sofort und augenblicklich sagen, wenn du ihr widerspruchslos gehorchst, ohne deine eigenen Ideen und Argumente vorzubringen, sie ist es, die dich die rechte Sache tun lässt. Doch all das übrige … du bist verloren. Und mit allem ist es so: was sollst du lernen, was sollst du nicht lernen, welche Arbeit wirst du tun, welchen Pfad wirst du einschlagen? Doch dann sind da all die Möglichkeiten, die sich einmischen, all das, was du entweder gelernt hast, oder dem du im Leben begegnet bist, all die Vorschläge, die du von allen Seiten empfangen hast, und die dich umflattern. Zu welchem wirst du dich entscheiden? Ich spreche von Menschen, die ganz wahrhaft sind, nicht von solchen, die vorgefasste Ideen, Vorurteile, festgelegte Regeln haben, denen sie in einer mechanischen Routine folgen, ohne sich im geringsten darum zu bemühen, die Wahrheit zu kennen, und für welche die Wahrheit aus der mentalen Auffassung der Dinge besteht. Für diese ist es einfach. Man folgt geradewegs seinem Pfad, bumst seine Nase gegen die Wand, man merkt es aber nicht, bis die Nase zerbeult ist. Doch im anderen Fall ist es furchtbar schwer .

Das ist es, was Sri Aurobindo meinte, als er sagte, dass man fortwährend in Unwissenheit lebt, und solange das Mental der Unwissenheit nicht durch das Mental des Lichtes ersetzt werde, man dem wahren Pfad nicht folgen könnte; und dass dies die unerlässliche Vorbereitung sei, bevor eine integrale Umwandlung stattfinden könne.

DIE MUTTER (7:222)