Kapitel 3
Rhythmen der Zeit
Worte der Mutter
Diesem Gespräch liegt das 1. Kapitel der Synthese des Yoga, „Die vier Hilfen“, zugrunde.
Liebe Mutter, hier steht: „Zuletzt kommt die Funktion der Zeit – kāla; denn in allen Dingen herrscht ein Zyklus ihrer Aktion und ein periodischer Ablauf der göttlichen Bewegung.“ Was ist dieser periodische Ablauf der göttlichen Bewegung?
Für jede Sache ist es anders. Für jede Tätigkeit, für jede Verwirklichung, für jede Bewegung gibt es einen begrenzten periodischen Zeitablauf, der unterschiedlich ist. Es gibt unzählig viele periodische Abläufe, die miteinander verwoben sind. Doch jede Sache wird von einer Art Rhythmus regiert, die der ganz besondere Rhythmus dieser einen Sache ist.
Nicht wahr, zur Erleichterung ihres äußeren Daseins haben die Menschen die Zeit mehr oder weniger willkürlich eingeteilt, und zwar in Jahre, in Monate, in Wochen, in Tage, in Stunden, in Minuten, in Sekunden und so weiter. Es ist ein mehr oder weniger willkürlicher Rhythmus, denn er wurde vom Menschen geschaffen, enthält aber in sich eine gewisse Wirklichkeit, weil er universalen Bewegungen entspricht … weitestgehend. Und deswegen feiern wir übrigens den Geburtstag: Denn im Leben eines jeden herrscht ein bestimmter Rhythmus, der durch die regelmäßige Wiederkehr von Umständen hergestellt wird, die den Umständen bei seiner Geburt gleichen.
Und wenn man alle Bewegungen beobachtet, merkt man, dass sie einen bestimmten Rhythmus haben – die Bewegungen des inneren Bewusstseins zum Beispiel, nicht nur im Hinblick auf das Verstehen, sondern auch auf persönliche Reaktionen, Höhen und Tiefen im Fortschritt; mit einer ziemlich regelmäßig periodischen Wiederkehr von Vorrücken und Zurückweichen, von Schwierigkeiten und Hilfen. Wenn jeder aufmerksam wäre, könnte er feststellen, dass er einen völlig eigenen Rhythmus besitzt. Es ist nicht der gleiche Rhythmus wie der seines Nachbarn. Doch ebenso wie die Jahreszeiten in einem bestimmten, im großen Ganzen ziemlich regelmäßigen Rhythmus verlaufen, hat auch das individuelle Leben seine Jahreszeiten. Und wenn man sich selbst aufmerksam beobachtet, merkt man, dass sogar bestimmte Wiederholungen ähnlicher Umstände in regelmäßigen Abständen auftreten. Sehr empfindsame Menschen merken sogar, dass sie an bestimmten Tagen der Woche oder zu bestimmten Stunden des Tages Dinge leichter ausführen können. Manche haben an besonderen Tagen und in besonderen Stunden besondere Schwierigkeiten. Im Gegensatz dazu haben manche in besonderen Augenblicken bessere Eingebungen. Doch jeder muss das für sich selbst herausfinden, und zwar durch Selbstbeobachtung. Natürlich ist das bei weitem nicht absolut, es ist nicht strikt, und wenn es stört, kann es sehr leicht beseitigt werden, einfach mit einer kleinen, entschlossenen Willensbemühung. Doch wenn es hilft, kann man es sich nutzbar machen.
Und all das – jede Sache besitzt ihren eigenen Rhythmus –, ergibt ein äußerst kompliziertes Wirrwarr von Rhythmen, das dazu führt, was wir sehen: Nämlich etwas, das scheinbar keinen Rhythmus hat, weil es zu kompliziert, zu komplex ist.
Wie kann man sich das nutzbar machen, liebe Mutter?
Nun, wenn … wir sprechen vom Yoga … wenn du in dir eine gewisse Wiederholung von Zuständen beobachtest, wie zum Beispiel: Zu einer besonderen Stunde oder zu einem besonderen Augenblick des Tages oder unter gewissen Umständen fällt es dir leichter, dich zu konzentrieren oder zu meditieren, nun, dann nutzt du das, indem du es in diesem Moment tust.
Natürlich darf man nicht der Sklave davon werden. Man kann es sich nutzbar machen, aber es darf keine Notwendigkeit werden, so dass man nicht mehr zu meditieren vermag, wenn man die Stunde verpasst hat. Aber wenn es eine ausreichende Hilfe ist, gebraucht man die Hilfe. Alles ist eine Frage der Beobachtung.
Wenn du dich selbst beobachtest, kannst du bemerken, dass es im Jahr bestimmte Momente gibt, die nicht nur von persönlichen Umständen herrühren, sondern von allgemeineren Bedingungen – von Bedingungen der Natur im Allgemeinen. Es gibt Zeiten, in denen du in der Sadhana mehr Schwierigkeiten begegnest. Dagegen gibt es Zeiten, in denen du in dir einen größeren Schwung zum Wachsen des Wissens und des Bewusstseins hast. Das hilft dir insofern, als du zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn du vor besonderen Schwierigkeiten stehst oder vor etwas, das einem Stillstand ähnelt, statt dich zu beklagen, dir sagst: „Ach, das ist dieser Zeitpunkt. Das ist deshalb so, weil wir uns in dieser besonderen Zeit des Jahres befinden.“ Und du wartest geduldig, bis die Zeit vorüber ist; oder du tust, was du kannst, aber ohne den Mut zu verlieren und zu sagen: „Oh, da haben wir‘s! Ich komme nicht voran, ich mache keinen Fortschritt.“ Das hilft dir, vernünftig zu bleiben.
Und natürlich kann man noch einen Schritt weitergehen und seine Vorkehrungen auf diese oder jene Art treffen … innere Vorkehrungen, um von diesen äußeren Einflüssen unabhängig zu sein. Doch das kommt später. Das kommt, wenn man anfängt, der bewusste Meister seiner Sadhana zu werden. Das kommt später.
Worte der Mutter
Lass diesen Tag deiner Geburt für dich eine Gelegenheit sein, dich ein wenig mehr und besser dem Göttlichen zu geben. Lass deine Weihung umfassender sein, deine Hingabe inbrünstiger, deine Aspiration intensiver.
Öffne dich gegenüber dem Neuen Licht und wandle mit freudvollem Schritt auf dem Pfad.
Beschließe an diesem Tage, dass es so sein möge, und der Tag wird nicht nutzlos vertan sein.