Kapitel 3
Die falsche Seele und die wahre Seele
Worte Sri Aurobindos
Die Seele ist ein Funke des Göttlichen Geistes, die die individuelle Natur stützt. Mental, Leben und Körper sind die Instrumente für die Manifestation der Natur. In den meisten Menschen ist die Seele verborgen und durch das Wirken der äußeren Natur verdeckt. Sie verwechseln das vitale Wesen mit der Seele, denn das Vital ist es, welches den Körper anregt und antreibt. Doch dieses Vital besteht aus Begierden und ausführenden Kräften, guten und schlechten; es ist die Begierden-Seele und nicht die wahre Seele. Erst wenn die wahre Seele (Psyche) hervortritt und die Tätigkeit der instrumentalen menschlichen Natur zu beeinflussen und dann zu beherrschen beginnt, kann der Mensch seine vitalen Begierden überwinden und einer göttlichen Natur entgegenwachsen.

Worte Sri Aurobindos
Nach außen hin tritt beim Menschen ein Herz des vitalen Gefühls hervor, das dem des Tieres ähnelt, wenn es auch vielfältiger entwickelt ist. Seine Emotionen werden durch die egoistische Leidenschaft, die blinden instinktiven Zuneigungen und das ganze Spiel der Lebensimpulse regiert. Diese sind unvollkommen, verkehrt und oft in böser Weise erniedrigt. Das Herz wird dann von den Gelüsten und Begierden, vom Zorn, vom intensiven oder wilden Verlangen oder von den kleinen Wünschen und gemeinen Armseligkeiten einer dunklen, gefallenen Lebenskraft bestürmt und erobert. So wird es durch seine Versklavung an jeglichen Reiz und Drang erniedrigt. Diese Vermischung, dass das Herz sowohl das Organ der Gefühle als auch des sinnlich-hungrigen Vitals ist, erschafft im Menschen eine falsche Seele des Begehrens. Sie ist das rohe und gefährliche Element, dem die Vernunft mit Recht misstraut und das sie der Beherrschung für dringend bedürftig hält, obwohl die tatsächliche Kontrolle oder eigentlich der Zwang, den die Vernunft über unsere ungebändigte, widersetzliche vitale Natur auszuüben vermag, immer sehr unsicher und dem Irrtum ausgesetzt bleibt. Die wahre Seele des Menschen befindet sich gar nicht hier. Sie ist in dem wahren unsichtbaren Herzen, in einer „erleuchteten Grotte“ in der menschlichen Natur verborgen. Dort lebt in dem einsickernden göttlichen Licht unsere Seele, ein schweigendes innerstes Wesen, dessen nur wenige gewahr sind. Wenn auch alle Menschen eine Seele besitzen, so sind doch nur wenige ihrer wahren Seele bewusst oder fühlen deren direkten Impuls. Hier befindet sich der kleine Funke des Göttlichen, der diese dunkle Masse unserer Natur in ihrem Dasein erhält. Um ihn herum wächst in unserem Inneren das seelische Wesen, die gestaltete Seele oder der wirkliche Mensch. Ein Mensch wird erst dann immer mehr seiner Seele inne, wenn dieses seelische Wesen in ihm wächst und wenn die Regungen des Herzens seine göttlichen Eingebungen und Impulse reflektieren. Dann hört er auf, nur ein höheres Tierwesen zu sein. Er erhascht einen Blick von der Gottheit in seinem Inneren und gibt den Ahnungen eines tieferen Lebens und Bewusstseins sowie dem Drang nach den göttlichen Dingen immer mehr Raum. Es ist einer der entscheidenden Augenblicke im Integralen Yoga, wenn dieses seelische Wesen befreit ist und aus seiner Verhüllung hervortritt. Dann kann es die ganze Flut seiner göttlichen Eingebungen, Schauungen und Anregungen über das Mental, das Leben und den Körper des Menschen ausgießen und immer besser den Aufbau der Göttlichkeit in der irdischen Natur vorbereiten.

Worte Sri Aurobindos
Dies ist der erste Schritt der Selbst-Verwirklichung: die Seele, das göttliche seelische individuelle Wesen anstelle des Ego auf den Thron zu setzen.
