Kapitel 3

Der 15. August 1925

Rede Sri Aurobindos um 16:30 Uhr

Das Ziel unseres Yogas ist die Entdeckung des Supramentalen Wesens, der Supramentalen Welt, der Supramentalen Natur und ihrer Manifestationen im Leben. Aber wir müssen uns in Acht nehmen vor gewissen allgemeinen Fehlern, die leicht auftreten können. Die Leute denken, dass gewisse Kräfte, wie Anima, Garima1 oder die Beherrschung über die physischen Funktionen und die Fähigkeit, Krankheiten zu heilen, das supramentalisierte Physische ausmachten. In vielen Fällen werden diese Kräfte von Personen erlangt, die sich bewusst oder unbewusst dem subliminalen Wesen öffnen, dem diese Kräfte innewohnen. Es gibt viele Fälle, wo solche Kräfte bei Personen erkennbar sind, die keine Ahnung vom Supramental oder vom Yoga haben.

Es besteht eine Vorstellung, dass dieser Yoga in der Vergangenheit schon unzählige Male unternommen wurde, dass das Licht herabgestiegen sei und sich immer wieder zurückgezogen habe. Aber das scheint nicht zu stimmen; denn meiner Ansicht nach ist der supramentale physische Körper noch nicht herabgebracht worden, sonst wäre er ja hier gewesen. Deshalb dürfen wir unser Bemühen nicht geringschätzen und damit Hindernisse in den Weg seiner Verwirklichung legen.

Die Zeit ist noch nicht reif, um zu sagen, von welcher Art die endgültige Transformation sein wird. Das, was die alten Yogis in ihrem Leben erreichten, verdankten sie hauptsächlich der Beherrschung des vitalen Wesens über die physischen Funktionen. Unser Ziel ist jedoch nicht das Erlangen der vitalen Siddhi – die Beherrschung über die physische Substanz und ihre Funktionen durch die vitale Kraft. Was wir zu erreichen versuchen, ist eine vollständige Transformation unseres ganzen Wesens in all seinen Ebenen der Manifestation. Das Ziel der alten Disziplinen war nicht die Transformation oder der Sieg über das physische Wesen. Sie hatten keinen direkten Einfluss darauf.

Dann besteht eine Idee, dass wir, weil ja alles Eins sei, das Eine Bewusstsein zu verwirklichen hätten und eine gewisse Erfahrung davon auf verschiedenen Ebenen unseres Wesens machen müssten. Aber das ist ein Irrtum, der auf einer starren vedantischen Vorstellung beruht. Es stimmt, dass das Eine Bewusstsein existiert, und wir müssen es verwirklichen, aber wir dürfen bei dieser Verwirklichung nicht Halt machen. Wir müssen, wie ich soeben sagte, unser gesamtes Wesen transformieren.

Man geht davon aus, dass unser Yoga ein Versuch bewusster Evolution ist. Der Geist ist hier in der Materie involviert und scheint ihr unterworfen zu sein. Im Laufe der Evolution haben das mentale und das vitale Wesen hier eine eindeutige Existenz erlangt. Unser Bemühen ist es nun, uns über das Mental hinaus zum Supramental zu entwickeln.

Die Taittiriya Upanishad spricht davon, dass das physische Wesen zunächst in das vitale Bewusstsein erhoben wird, dieses anschließend in das mentale Bewusstsein und dieses wiederum in das Supramentale Bewusstsein und das Ananda-Bewusstsein. Eine andere Upanishad sagt, dass der Mensch, der das Supramental erreicht, durch „das Tor der Sonne“ entflieht. Darin ist nicht die Rede von einem bewussten Abstieg in das Leben nach dem Aufstieg in das Supramental.

Aber es ist möglich, den Prozess als eine Involution zu betrachten – eine Involution des manifestierten Wesens in das Wahrheits-Bewusstsein des Supramentals, das mit der Vollkommenheit desselben in das Mental, in das Vital und in das physische Wesen herabkommt.

In unserer Sadhana stellen wir auch fest, dass hier eine Aufwärtsbewegung stattfindet. Aber das ist nicht alles, wir dürfen uns nicht nur mit dem Aufstieg zufriedengeben. Wir müssen wieder hinabsteigen und bewusst das Supramentale Licht, die Supramentale Wahrheit und Harmonie herabbringen, um unsere Natur – das heißt unser Mental, unser Leben und unseren Körper – zu führen und zu transformieren. So haben wir eine Evolution der niederen Kräfte nach oben zur Wahrheit hin, von wo aus der Geist wieder in die Materie hinabsteigt und sich darin dann als diese Wahrheit in ihrer gesamten Natur manifestiert.

Nicht alle sind dazu fähig. Man sagt, jeder könne diesem Yoga folgen. Aber das trifft nur teilweise zu. Nicht alle sind dazu berufen, diesen Yoga zu praktizieren. Man kann zwar sagen, dass alle Menschen eine latente Fähigkeit für diesen Yoga besitzen, aber dies hilft ihnen nur, um sie bis zu einem gewissen Punkt auf diesen Yoga vorzubereiten. Die enorme mentale Ausweitung, die schwierige, langwierige und mühsame Aufgabe der Zurückweisung der niederen Regungen der vitalen Natur und die noch mühsamere Aufgabe, eine Veränderung im physischen Wesen herbeizuführen, all das kann nicht von allen unternommen werden. Als Erstes wollen wir unser ganzes Wesen in die Supramentale Natur transformieren. Aber das ist nicht alles, wir müssen diese Kraft in unser äußeres Leben herabbringen und die Wahrheit und Harmonie auch darin verankern. Ich habe euch gesagt, dass die Zeit noch nicht gekommen ist, um zu sagen, welcher Art die endgültige Transformation sein wird. Wenn die Zeit kommt, wird sie sich selbst offenbaren. Von euch wird erwartet, dass ihr euch der Wahrheit mehr und mehr öffnet. Der Rest wird sich von selbst ausarbeiten, entsprechend dem Willen des Höchsten Ishvara.2

1 Anima: Die übermenschliche Macht, so klein wie ein Atom zu werden. Garima: Die Macht, den Körper willkürlich schwer werden zu lassen.

2 Meister oder Herr allen Seins.

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