Kapitel 2
Schweigen
Es gibt zwei große Kräfte im Universum, Schweigen und Sprechen. Schweigen bereitet vor, Sprache erschafft. Schweigen handelt, Sprache gibt den Impuls zu handeln. Schweigen fordert auf, Sprechen überzeugt. Die gewaltigen und unergründlichen Prozesse der Welt, alle in sich selbst in einer tiefen und erhabenen Stille vollkommen, sind von einer lärmenden und irreführenden Geräuschschicht bedeckt – der Betriebsamkeit unzähliger Wellen oben, der unergründlichen, unwiderstehlichen Masse der Wasser des Ozeans unten. Die Menschen sehen die Wellen, sie hören das Munkeln und die tausend Stimmen und beurteilen nach ihnen den Lauf der Zukunft und das Herz von Gottes Plan; aber in neun von zehn Fällen verkennen sie diese. Deshalb sagt man, dass in der Geschichte immer das Unerwartete geschieht. Aber es wäre nicht das Unerwartete, wenn die Menschen ihre Augen von Oberflächlichkeiten abwenden und auf die Substanz schauen würden, wenn sie sich daran gewöhnten, Scheinbarkeiten beiseite zu lassen und dahinter zu der geheimen und verschleierten Realität vorzudringen, wenn sie aufhören würden, auf das Lärmen des Lebens zu hören und lieber auf seine Stille lauschten.
Die größten Anstrengungen werden mit angehaltenem Atem unternommen; je schneller die Atmung, desto mehr Energie wird verschwendet. Wer in der Handlung aufhören kann zu atmen – natürlich, spontan – ist ein Meister des Prana, der Energie, die im ganzen Universum wirkt und schafft. Es ist eine allgemeine Erfahrung des Yogin, dass, wenn das Denken aufhört, der Atem aufhört, – das ganze Kumbhak, den der Hathayogin mit unendlicher Mühe und gigantischer Anstrengung hervorgebracht hat, sich leicht und glücklich einstellt, – aber wenn das Denken wieder einsetzt, nimmt der Atem seine Tätigkeit wieder auf. Wenn aber das Denken ohne Wiederaufnahme des Ein- und Ausatmens fließt, dann ist das Prana wirklich besiegt. Das ist ein Gesetz der Natur. Wenn wir handeln wollen, tun die Kräfte der Natur ihren Willen mit uns; wenn wir still werden, werden wir ihre Herren. Aber es gibt zwei Arten von Stille – die hilflose Stille der Trägheit, die die Auflösung ankündigt, und die Stille der sicheren Souveränität, die die Harmonie des Lebens beherrscht. Es ist die souveräne Stille, die die Stille des Yogin ist. Je vollkommener die Stille ist, desto mächtiger ist die yogische Kraft, desto größer ist die Kraft im Handeln.
In dieser Ruhe kommt die rechte Erkenntnis. Die Gedanken der Menschen sind ein Durcheinander von Wahrheit und Falschheit, von satyam und anrtam. Wahre Wahrnehmung wird durch falsche Wahrnehmung verzerrt und getrübt, wahres Urteilsvermögen wird durch falsches Urteilsvermögen gelähmt, wahre Vorstellungskraft wird durch falsche Vorstellungskraft verzerrt, wahre Erinnerung wird durch falsche Erinnerung getäuscht. Die Aktivität des Mentals muss aufhören, das Chitta muss gereinigt werden, eine Ruhe muss auf die Unruhe der Prakriti einwirken, dann kommt in dieser Ruhe, in dieser stimmlosen Stille die Erleuchtung über den mentalen Geist, der Irrtum beginnt abzufallen, und solange die Begierde nicht wieder auflebt, stellt sich in der oberen Bewusstseinsschicht Klarheit ein und erzwingt in der unteren Frieden und Freude. Richtiges Wissen wird zur unfehlbaren Quelle für richtiges Handeln. Yogah karmasu kausalam.
Das Wissen des Yogin ist nicht das Wissen des durchschnittlichen, von Begierden getriebenen Verstandes. Es ist auch nicht das Wissen der wissenschaftlichen oder weltklugen Vernunft, die sich auf oberflächliche Fakten stützt und auf Erfahrung und Wahrscheinlichkeit beruht. Der Yogin kennt die Wirkungsweise Gottes und ist sich bewusst, dass oft das Unwahrscheinliche eintritt, dass Fakten in die Irre führen. Er erhebt sich über die Vernunft zu jenem direkten und erleuchteten Wissen, das wir vijnanam nennen. Der von Begierde getriebene Geist verstrickt sich in das komplizierte Geflecht von Gut und Böse, Angenehmem und Unangenehmem, Glück und Unglück. Er strebt danach, immer das Gute, immer das Angenehme, immer das Glück zu haben. Er ist begeistert von glücklichen Ereignissen, beunruhigt und verärgert über ihr Gegenteil. Aber das erleuchtete Auge des Sehers erkennt, dass alles zum Guten führt, denn Gott ist alles und Gott ist sarvamangalam. Er weiß, dass das scheinbar Böse oft der kürzeste Weg zum Guten ist, dass das Unangenehme notwendig ist, um das Angenehme vorzubereiten, dass das Unglück die Voraussetzung ist, um ein vollkommeneres Glück zu erlangen. Sein Intellekt ist frei von der Sklaverei der Dualitäten.
Deshalb wird das Handeln des Yogin nicht wie das des gewöhnlichen Menschen sein. Er wird oft den Anschein erwecken, das Böse zu dulden, die Gelegenheit zur Linderung des Unglücks zu meiden, den Bemühungen der Edlen, die der Gewalt und dem Bösen widerstehen, seine Zustimmung zu verweigern; er wird den Anschein erwecken, pisacavat zu handeln. Oder man hält ihn für jada, träge, einen Stein, einen Block, weil er passiv ist, wo Aktivität angebracht scheint; stumm, wo man Sprachgewalt erwartet; ungerührt, wo es Grund zu tiefen und leidenschaftlichen Gefühlen gibt. Wenn er handelt, nennt man ihn unmatta, einen Verrückten, einen Exzentriker oder einen Idioten, denn seine Handlungen scheinen oft kein bestimmtes Ergebnis oder Ziel zu haben, sie sind zügellos, unkontrolliert, ohne Rücksicht auf Sinn und Wahrscheinlichkeit oder von einem Ziel und einer Vision inspiriert, die nicht für diese Welt sind. Und es ist wahr, dass er einem Licht folgt, das andere nicht haben oder sogar Dunkelheit nennen würden; dass das, was für sie ein Traum ist, für ihn Wirklichkeit ist; dass ihre Nacht sein Tag ist. Und das ist die Wurzel des Unterschieds, dass er weiß, während sie schlussfolgern.
Zum Schweigen, zur Stille, zur erleuchteten Passivität fähig zu sein, bedeutet, für die Unsterblichkeit gerüstet zu sein – amrtatvāya kalpate. Es bedeutet, dhira zu sein, das Ideal unserer alten Zivilisation, was nicht bedeutet, tamasisch, träge und ein Block zu sein. Die Untätigkeit des tamasischen Menschen ist ein Hindernis für die Energien um ihn herum, die Untätigkeit des Yogin erschafft, bewahrt und zerstört; sein Handeln ist dynamisch mit der direkten, überwältigenden Antriebskraft großer Naturkräfte. Es ist eine Stille im Inneren, die oft von einer Welle des Redens und der Aktivität nach außen hin überdeckt wird – der Ozean mit seiner lebhaften Oberfläche aus Wellen. Aber so wie die Menschen die Wirklichkeit des Wirkens Gottes im oberflächlichen Lärm der Welt und ihrer vorübergehenden Ereignisse nicht erkennen, weil sie unter dieser Hülle verborgen ist, so werden sie auch das Wirken des Yogin nicht verstehen, weil es innen anders ist als außen. Die Kraft des Lärms und der Aktivität ist zweifellos groß – sind nicht die Mauern von Jericho durch die Kraft des Lärms gefallen? Aber unendlich groß ist die Kraft der Stille und des Schweigens, in der sich große Kräfte zum Wirken vorbereiten.

An den Toren der Transzendenz steht jener reine, vollkommene Geist, der in den Upanishaden beschrieben wird: lichtvoll, lauter, er trägt die Welt und erhält sie, ist aber in ihr inaktiv, ohne Kraftanspannung, ohne den Makel der Dualität, ohne die Narben der Zerteilung, ein Einziger, Identischer, bar aller Erscheinung von Relation und Vielfalt, das reine Selbst der Advaitins (der vedantischen Monisten), das intakte Brahman, das transzendente Schweigen. Wenn das Mental plötzlich, ohne vermittelnde Übergänge, durch diese Tore hindurchgeht, überkommt es ein Empfinden, die Welt sei unwirklich, wirklich sei allein das Schweigen. Das ist eine der machtvollsten und überzeugendsten Erfahrungen, deren das menschliche Mental fähig ist. Hier haben wir in der Wahrnehmung des reinen Selbstes oder des Nichtseins hinter ihm den Ausgangspunkt für eine zweite Verneinung, am anderen Pol, parallel zur materialistischen. Sie ist aber vollständiger, endgültiger, gefährlicher in ihren Auswirkungen auf die einzelnen Menschen und auf die Kollektive, wenn sie ihren machtvollen Anruf hören, in die Wüste zu gehen –, die Entsagung des Asketen.

Wiederum sehen wir, dass es einen unendlichen reinen Zustand und eine unbewegte Stille des Geistes gibt; wir sehen auch, dass es eine grenzenlose Bewegung des Geistes gibt, eine Kraft, eine dynamische spirituelle alles umfassende Selbstausdehnung des Unendlichen. Unsere Vorstellungen unterstellen dieser an sich gültigen und richtigen Wahrnehmung einen Gegensatz zwischen Stille und Statik und Dynamis und Bewegung, aber für die Vernunft und die Logik des Unendlichen kann es einen solchen Gegensatz nicht geben. Ein nur stilles und statisches Unendliches, ein Unendliches ohne unendliche Kraft und Dynamik und Energie ist unzulässig, es sei denn als Wahrnehmung eines Aspektes; ein ohnmächtiges Absolutes, ein ohnmächtiger Geist ist undenkbar: eine unendliche Energie muss die Dynamik des Unendlichen sein, eine Allmacht muss die Potenz des Absoluten sein, eine unendliche Kraft muss die Kraft des Geistes sein. Aber die Stille, der Zustand ist die Grundlage der Bewegung, eine ewige Unbeweglichkeit ist die notwendige Bedingung, das Feld, ja das Wesen der unendlichen Beweglichkeit, ein stabiles Sein ist die Bedingung und Grundlage des gewaltigen Wirkens der Kraft des Seins. Wenn wir etwas von dieser Stille, Stabilität, Unbeweglichkeit erreichen, können wir darauf eine Kraft und Energie gründen, die in unserem oberflächlichen unruhigen Zustand unvorstellbar wäre. Die Gegenüberstellung, die wir vornehmen, ist mental und begrifflich; in Wirklichkeit sind die Stille des Geistes und die dynamis des Geistes komplementäre Wahrheiten und untrennbar miteinander verbunden. Der unveränderliche, stille Geist mag seine unendliche Energie still und unbeweglich in sich halten, denn er ist nicht durch seine eigenen Kräfte gebunden, er ist nicht ihr Subjekt oder ihr Instrument, sondern er besitzt sie, setzt sie frei, ist zu ewiger und unendlicher Aktion fähig, wird nicht müde und braucht nicht aufzuhören, und doch wird seine stille Unbeweglichkeit, die seiner Aktion und Bewegung innewohnt, nicht einen Augenblick durch seine Aktion und Bewegung erschüttert, gestört oder verändert; die Zeugenstille des Geistes ist im Kern aller Stimmen und Wirkensweisen der Natur vorhanden. Diese Dinge mögen für uns schwer zu verstehen sein, weil unser eigenes oberflächliches, endliches Vermögen in beiden Richtungen begrenzt ist und unsere Vorstellungen auf unseren Begrenzungen beruhen; aber es sollte leicht zu erkennen sein, dass diese relativen und endlichen Vorstellungen nicht auf das Absolute und Unendliche zutreffen.

Betrachtet man nämlich die Vorstellung des Verstandes von dieser Ewigkeit, so stellt man fest, dass es sich nur um eine fortwährende Abfolge von Augenblicken des Seins in einer ewigen Zeit handelt. Es ist also die Zeit, die ewig ist, und nicht das fortwährend momentane bewusste Sein. Andererseits gibt es keinen Beweis dafür, dass die ewige Zeit wirklich existiert oder dass die Zeit selbst etwas anderes ist als die Art und Weise, in der das bewusste Sein eine ununterbrochene Kontinuität oder vielleicht eine Ewigkeit der Existenz als einen unteilbaren Fluss betrachtet, den es begrifflich an der Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit der Erfahrungen misst, durch die allein diese Existenz für es repräsentiert wird. Wenn es eine ewige Existenz gibt, die ein bewusstes Wesen ist, dann muss sie jenseits der Zeit sein, die sie enthält, zeitlos, wie wir sagen; sie muss der Ewige des Vedanta sein, der, wie wir vermuten können, die Zeit nur als begriffliche Perspektive für Seine Sicht Seiner Selbstmanifestation benutzt. Aber die zeitlose Selbsterkenntnis dieses Ewigen liegt jenseits des Verstandes; sie ist ein supramentales Wissen, das uns überbewusst ist und das nur durch ein Anhalten oder Transzendieren der zeitlichen Aktivität unseres bewussten Verstandes, durch ein Eintreten in die Stille oder ein Durchschreiten der Stille in das Bewusstsein der Ewigkeit erlangt werden kann.

Ferner gilt, dass es für das Mental des Menschen schwierig ist, die Seele oder das Selbst oder sonst ein spirituelles Element in ihm von der mentalen und vitalen Gestaltung, in der sie erscheinen, scharf zu unterscheiden. Das trifft aber nur so lange zu, als das Hervortreten noch nicht vollständig ist. Im Tier ist das Mental noch nicht scharf getrennt von seiner eigenen Lebens-Prägung und -Materie. Seine Regungen sind so sehr den Lebens-Bewegungen involviert, dass es sich noch nicht von ihnen loslösen, noch nicht von ihnen getrennt dastehen und sie beobachten kann. Im Menschen ist aber das Mental gesondert worden. Er kann seine mentalen Vorgänge als etwas erkennen, das von seinen Lebens-Vorgängen unterschieden ist. Sein Denken und sein Wille können sich von seinen Empfindungen und Impulsen, Begehren und Gefühls-Reaktionen lösen. Sie können diesen selbständig gegenüberstehen, sie beobachten und beherrschen, ihre Funktion bestätigen oder aufheben. Er kennt aber die Geheimnisse seines eigenen Wesens noch nicht gut genug, um entscheidend und gewiss seiner selbst als eines mentalen Wesens in Leben und Körper innezuwerden. Er hat aber einen Eindruck davon und kann innerlich diese Position einnehmen. So erscheint auch zuerst die Seele im Menschen nicht als etwas vom Mental und mentalisierten Leben völlig Verschiedenes. Ihre Bewegungen sind den Mental-Bewegungen involviert, ihre Wirkensweisen scheinen mentale und emotionale Aktivitäten zu sein. Das mentale menschliche Wesen ist sich einer Seele in seinem Innern nicht bewusst, die hinter Mental, Leben und Körper zurücktritt, sich von ihnen loslöst, ihr Wirken und ihre Gestaltung sieht, kontrolliert und formt. Das ist aber in dem Maß, wie die innere Entwicklung fortschreitet, genau das, was geschehen kann, muss und auch wirklich geschieht. Es ist der lange hinausgezögerte, jedoch unausweichliche nächste Schritt in unserer evolutionären Bestimmung. Es kann zu einem entscheidenden Hervortreten kommen, in dem sich das Wesen vom Denken trennt und sich in einem inneren Schweigen als der Geist im Mental schaut. Oder es sondert sich ab von den Lebens-Bewegungen, vom Begehren, den Sensationen, kraftvollen Impulsen und gewahrt sich als den Geist, der das Leben unterstützt. Ober es trennt sich vom Körper-Sinn und erkennt sich als Geist, der die Materie beseelt: So entdecken wir uns selbst als den Purusha, als ein mentales Wesen, als eine Lebens-Seele oder als ein subtiles Selbst, das den Körper trägt und erhält. Viele Menschen halten das für eine ausreichende Entdeckung des wahren Selbsts. In gewissem Sinn haben sie auch recht. Denn das ist das Selbst oder der Geist, das sich so im Blick auf die Aktivitäten der Natur selbständig darstellt. Diese Offenbarung seiner Gegenwart reicht aus, das spirituelle Element von ihnen abzulösen. Aber die Entdeckung des Selbsts kann noch weitergehen. Sie kann sogar jede Beziehung zu Form und Aktivität der Natur beiseite stellen. Denn man kann diese Selbste als Repräsentanten einer göttlichen Wesenheit erkennen, der gegenüber Mental, Leben und Körper nur Formen und Instrumente sind. Dann sind wir die Seele, die die Natur betrachtet, alle ihre dynamischen Wirkungen in uns erkennt, und zwar nicht durch mentale Wahrnehmung und Beobachtung, sondern durch ein inneres Bewusstsein, dessen unmittelbares Empfinden der Dinge und selbständige, genaue innere Schau. So wird die Seele durch ihr Hervortreten fähig, alle Macht über unsere Natur auszuüben und sie zu verändern. Wenn im Wesen völliges Schweigen herrscht, entweder die Stille des ganzen Wesens oder die Stille hinter ihm, die unbeeinträchtigt bleibt von den Bewegungen der Außenseite, können wir eines Selbsts gewahr werden, einer spirituellen Substanz unseres Wesens, eines Seins, das umfassender ist als die Seelen-Individualität. Es breitet sich in die Universalität aus, geht über alle Abhängigkeit von jeglicher natürlichen Form oder Aktivität hinaus und weitet sich nach oben hin in eine Transzendenz, deren Grenzen nicht erkennbar sind. Diese Befreiungen der spirituellen Seite in uns sind der entscheidende Schritt der spirituellen Entwicklung in der Natur.

Auch wenn diese Behinderung sich im weiteren Fortschritt verringern kann, wird sie doch auf jeder Stufe des höheren Aufstiegs vorhanden sein. Um überhaupt dem höheren Licht zu ermöglichen, in entsprechender Wirkensstärke hereinzukommen, müssen wir das Vermögen zur Beruhigung unserer Natur erwerben. Wir sollen Mental, Herz, Leben und Körper besänftigen, still machen, ihnen eine gelenkte Passivität oder sogar völliges Schweigen auferlegen. Trotzdem ist fortdauernde Opposition immer möglich. Sie ist entweder offenkundig oder wird in der Kraft der allumfassenden Unwissenheit empfunden. Oder sie ist subliminal und verborgen in der Substanz-Energie der individuellen Mental-Struktur, in der Lebensform des Individuums und in seinem Körper aus Materie. Geheimer Widerstand, eine Revolte oder eine wiederholte Durchsetzung der früher schon beherrschten oder unterdrückten Energien der unwissenden Natur sind immer möglich. Wenn irgendetwas in unserem Wesen diesen Dingen zustimmt, können sie wieder die Herrschaft an sich reißen. Eine schon früher gewonnene Beherrschung durch die Seele ist sehr wünschenswert, da sie eine allgemeine Empfänglichkeit für das Licht schafft und die Revolte der niederen Schichten gegen es oder ihre Zustimmung zu den Ansprüchen der Unwissenheit behindert. Ebenso wird eine vorausgehende spirituelle Transformation die Macht der Unwissenheit über uns verringern. Keiner dieser Einflüsse kann aber ihre Widersetzlichkeit oder Begrenzung völlig ausschalten. Denn die vorausgehenden Umwandlungen erbringen nicht das integrale Bewusstsein und Wissen. Immer wird die ursprüngliche Basis der dem Nichtwissen eigentümlichen Unbewusstheit vorhanden sein, die jedes Mal wieder umgewandelt, erleuchtet und im Ausmaß und der Kraft ihrer Reaktion verringert werden muss. So wie die Macht des spirituellen Höheren Mentals und seine Ideen-Kraft bei ihrem Eintritt in unsere Mentalität modifiziert und verringert wird, reicht sie nicht aus, alle diese Widerstände wegzufegen und ein gnostisches Wesen zu erschaffen. Sie kann aber eine erste Umwandlung und eine Veränderung zuwege bringen, die einen weiteren Aufstieg und ein machtvolleres Herabkommen ermöglicht. Sie kann die weitere Integration des Wesens in eine höhere Kraft von Bewusstsein und Wissen vorbereiten.

Es ist eine schwierige Aufgabe, dem normalen Bewusstsein des menschlichen Wesens diese Bewegung nahezulegen, nach innen zu gehen und im Innern zu leben; doch gibt es keinen anderen Weg, unser Selbst zu finden. Der materialistische Denker stellt einen Gegensatz auf zwischen dem Extrovertierten und dem Introvertierten und meint, man müsse die extrovertierte Haltung als die einzige Sicherheit akzeptieren: Nach innen gehen bedeute, man trete in eine Finsternis, eine Leere ein, oder man verliere das Gleichgewicht des Bewusstseins und werde krank; nur von außen her werde solch inneres Leben, soweit man es konstruieren könne, entstehen, und unsere Gesundheit sei nur dadurch gesichert, dass wir uns strikt auf ihre heilenden und nährenden äußeren Quellen verlassen – das Gleichgewicht des persönlichen Mentals und Lebens könne nur dadurch gesichert sein, dass wir uns auf die äußere Wirklichkeit stützen, denn die materielle Welt sei die einzige fundamentale Wirklichkeit. Das mag für den physischen Menschen, für den geborenen Extrovertierten zutreffen, der sich als Geschöpf der äußeren Natur fühlt; durch sie gebildet, von ihr abhängig, würde er sich selbst verlieren, wenn er nach innen ginge: Für ihn gibt es kein inneres Wesen, kein inneres Leben. Aber auch der – nach dieser Unterscheidung – introvertierte Mensch besitzt nicht das innere Leben; er ist kein Seher, der das wahre innere Selbst und die inneren Dinge schaut, sondern der kleine mentale Mensch, der nur oberflächlich in sich hineinschaut und dort nicht sein spirituelles Selbst, sondern sein Lebens-Ich, sein Mental-Ich sieht und sich nun in heilloser Weise mit den Regungen dieser kleinen, armseligen Zwerg-Schöpfung beschäftigt. Die Vorstellung oder Erfahrung innerer Finsternis ist, wenn er nach innen schaut, die erste Reaktion seiner Mentalität, die immer nur an der Oberfläche gelebt und das innere Sein nie wirklich erfahren hat; es verfügt nur über eine konstruierte innere Erfahrung, die für die Materialien ihres Wesens von der Außenwelt abhängt. Den Menschen jedoch, in deren Wesen die Macht eines mehr verinnerlichten Lebens eingedrungen ist, bringt dieser Weg nach innen und das Leben in der Innerlichkeit nicht Finsternis oder dumpfe Leere, sondern umfassende Ausweitung, eine neue Erfahrung, eine größere Schau, mehr Fähigkeit, ein geweitetes Leben, das unendlich viel wahrer und vielseitiger als jenes erste kleinliche Leben ist, das nur um seiner selbst willen von unserem normalen physischen Menschsein konstruiert war, eine Freude des Wesens, die umfassender und reicher ist als jede Daseins-Freude, die der äußere vitale Mensch oder der vordergründige mentale Mensch durch ihre dynamische Vital-Kraft bzw. die Aktivität oder Subtilität und Ausweitung des mentalen Daseins erwerben kann. Ein Schweigen, das Eintreten in eine weite, ja ungeheure oder unendliche Leere ist ein Teil der inneren spirituellen Erfahrung; vor diesem Schweigen und vor dieser Leere hat das physische Mental eine gewisse Angst, das kleine oberflächlich aktiv denkende oder vitale Mental schreckt davor zurück oder hat eine Abneigung dagegen – denn es verwechselt das Schweigen mit mentaler oder vitaler Unfähigkeit und die Leere mit Stillstand oder Nicht-Sein: Dieses Schweigen ist aber das Schweigen des Geistes, das die Voraussetzung für höheres Wissen, für mehr Macht und tiefere Freude ist, und durch diese Leere wird der Becher unseres natürlichen Wesens ausgeleert und von seinen trüben Inhalten befreit, so dass er mit dem Wein Gottes gefüllt werden kann; es ist der Übergang nicht in das Nicht-Sein, sondern in ein höheres Sein. Selbst wenn sich das Wesen dem Stillstand zuwendet, ist das kein Ende in einem Nicht-Sein, sondern in einem unendlich weiten, unaussprechlichen Sein des spirituellen Wesens oder das Versinken in die nicht mitteilbare Überbewusstheit des Absoluten.

Das Wunsch-Mental muss auch aus dem Instrument des Denkens ausgeschaltet werden. Das geschieht am besten, indem sich der Purusha vom Denken und Meinen löst. Darüber zu sprechen hatten wir schon Gelegenheit, als wir überlegten, worin die integrale Läuterung des Wesens besteht. Diese ganze Bewegung des Wissens, die wir beschreiben, ist eine Methode der Läuterung und Befreiung, durch die volle und endgültige Selbst-Erkenntnis möglich wird. Dabei ist wieder eine fortschreitende Selbst-Erkenntnis das eigentliche Instrument der Läuterung und Befreiung. Für das Denk-Mental gilt dieselbe Methode wie für das übrige Wesen. Wenn der Purusha auf das Denk-Mental dahingehend eingewirkt hat, dass es von seiner Identifikation mit Leben und Körper, mit dem Mental des Begehrens, der Empfindungen und der Gefühle frei wird, wendet er sich dem Denk-Mental selbst zu und sagt: „Auch dieses bin ich nicht. Ich bin nicht der Gedanke des Denkers. Alle diese Ideen, Meinungen, Spekulationen, dieses ganze Ringen des Intellekts und alles, was er bevorzugt und worauf er sein Hauptinteresse richtet, seine Dogmen, Zweifel und Selbstkorrektur, all das bin nicht ich. Das ist alles nur das Wirken der Prakriti, das im Denk-Mental stattfindet.“ So wird also getrennt zwischen dem Mental, das denkt und will, und jenem Mental, das beobachtet. Der Purusha wird dabei nur zum beobachtenden Zeugen. Er sieht und versteht den Prozess und die Gesetze seines Denkens und löst sich davon. Daraufhin entzieht er als der Meister der Sanktion dem Wirrwarr der mentalen Unterströmung und dem vernünftelnden Intellekt seine früher gegebene Zustimmung. So bewirkt er, dass beide mit ihren lästigen Zudringlichkeiten aufhören. Er wird davon befreit, dem denkenden Mental unterworfen zu sein, und kann nun in das äußerste Schweigen eingehen.
Zu unserer Vollkommenheit ist es jedoch nötig, dass der Purusha auch seine Position als Herr seiner Natur einnimmt. Er wird die bloß mentale Strömung von unten her und den Intellekt durch das der Wahrheit bewusste Denken ersetzen, das von oben her erleuchtet. Das Schweigen ist notwendig. Wir werden im Schweigen und nicht im Denken das Selbst finden. Wir werden seiner gewahr werden und es nicht nur begrifflich erfassen. Wir werden uns aus dem mentalen Purusha in das zurückziehen, was der Ursprung des Mentals ist. Für dieses Zurücktreten ist aber eine endgültige Befreiung notwendig: die Befreiung vom Ich-Empfinden im Mental.
