2. Kapitel

Sankhya, Yoga und Vedanta

Der Glaube des arischen Kriegers

2.1
Sanjaya sprach:
Zu ihm, der so von Mitleid ergriffen war, die Augen voll Tränen und Kummer, das Herz überwältigt von Schwermut und Entmutigung, sprach Madhusudana folgende Worte.

Dies Mitleid Arjunas ist gänzlich anders, als das göttliche Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt… Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen.

Arjunas Mitleid ist eine Form von Nachgiebigkeit gegen sich selbst. Es ist der körperliche Krampf der Nerven angesichts des Blutbads, das egoistisch emotionale Zurückschrecken seines Herzens vor der Vernichtung der Leute Dhritarashtras, weil diese „sein eigenes Volk“ sind; ohne sie wird das Leben leer sein. (59)

2.2
Der Erhabene sprach:
Woher ist diese Niedergeschlagenheit, diese Verfärbung und Verfinsterung deiner Seele in der Stunde der schweren Entscheidung und Gefahr über dich gekommen, O Arjuna? Das ist nicht die Art, die vom arischen Mann hochgehalten wird. Diese Stimmung ist nicht vom Himmel zu dir herniedergekommen, und sie kann dich auch nicht empor zum Himmel tragen. Auf Erden bedeutet sie den Verlust deines Ruhmes.

Diese Frage weist hin auf die wirkliche Art von Arjunas Abkehr von seinen heldenhaften Eigenschaften. Es gibt ein göttliches Mitleiden, das von oben zu uns herabkommt. Und für den Menschen, der es nicht besitzt und nicht davon geprägt ist, ist es töricht und unverschämt zu behaupten, er sei der höhere Mensch, der Herrenmensch oder der Übermensch. Denn der allein ist der Übermensch, der am meisten die höchste Art der Gottheit in der Menschheit offenbart. Dieses Mitleiden schaut mit den Augen der Liebe, Weisheit und stillen Kraft auf die Schlacht und das Ringen, auf Stärke und Schwäche des Menschen, auf seine Tugenden und Sünden, seine Freude und sein Leid, sein Wissen und seine Unwissenheit, seine Weisheit und seine Torheit, sein Streben und sein Versagen. In all das geht dieser Mensch ein, um zu helfen und zu heilen. Im Heiligen und Menschenfreund mag er sich in das Gewand einer Fülle von Liebe und helfender Güte hüllen; im Denker und Helden nimmt er die Weite und Kraft seiner hilfreichen Weisheit und Stärke an. Dies Mitleiden des arischen Kriegers, die Seele seiner Ritterlichkeit, wird das geknickte Schilf nicht zerbrechen, sondern hilft dem Schwachen und Unterdrückten, dem Verwundeten und Niedergeworfenen und beschützt sie. Aber das göttliche Mitleiden zerschmettert auch den starken Tyrannen und den selbstgewissen Unterdrücker, nicht in Zorn und Hass –, denn das sind nicht die hohen göttlichen Eigenschaften; der Zorn Gottes gegen den Sünder, Gottes Hass gegen den Bösewicht sind die Fabeln halberleuchteter Religionen, ebenso wie die ewige Qual der Höllen eine Fabel ist, die sie erfunden haben –, sondern, wie es die alte indische Spiritualität klar sah, mit ebenso viel Liebe und Mitleiden für den starken Titanen, der durch seine Kraft irrt und wegen seiner Sünden erschlagen wird, wie für die Leidenden und Unterdrückten, die vor seiner Gewalt und Ungerechtigkeit gerettet werden müssen.

Solcher Art ist aber nicht das Mitleid, das Arjuna zur Zurückweisung seines Werkes und seiner Sendung bestimmt. Das ist kein Mitleid, sondern ein Versagen aller Kräfte voller schwächlichen Selbstmitleids. Er weicht aufgrund des mentalen Leidens zurück, das sein Handeln über ihn bringen muss: „Ich sehe nicht, was den tiefen Kummer von mir wegnehmen wird, der mir die Sinne austrocknet.“ Von allen Dingen ist es eine der schimpflichsten unarischen Stimmungen, dass man sich selbst bemitleidet. (58-59)

2.3
Lass nicht ab von der Männlichkeit des Kriegers und Helden, O Partha! Das passt nicht zu dir. Schüttele diese erbärmliche Schwachherzigkeit ab! Steh auf, Parantapa (du Geißel der Feinde)!

Arjunas Mitleid ist eine Schwäche seines Mentals und seiner Sinne –, eine Schwäche, die für Menschen von niedrigerem Entwicklungsgrad wohl vorteilhaft sein könnte. Sie müssen schwach sein, da sie sonst hart und grausam wären; denn sie müssen die raueren Formen der egoistischen Empfindungen durch die sanfteren mildern… Dieser Weg ist aber nichts für den entwickelten arischen Mann, der wachsen muss, nicht durch Schwäche, sondern durch ein Emporsteigen von einer Stärke zur anderen. Arjuna ist der göttliche Mensch, der Herrenmensch im Werden. Als solcher ist er von den Göttern erwählt worden. Er muss das ihm übertragene Werk durchführen. Dazu hat er Gott neben sich im Kampfwagen. Er hält den himmlischen Bogen Gandiva in seiner Hand. Er wird mit den Verfechtern der Rechtlosigkeit, den Gegnern der göttlichen Lenkung der Welt konfrontiert. Nicht er selbst hat das Recht zu entscheiden, was er tun oder nicht tun soll, je nach seinen Empfindungen und Leidenschaften. Er darf nicht vor der notwendigen Zerstörung durch den Einwand seines egoistischen Herzens und seiner Vernunft zurückschrecken oder sein Werk ablehnen, weil es Kummer und Leere in sein Leben bringt oder weil sein Ergebnis auf Erden für ihn keinen Wert hat, wenn die Tausende fehlen, die zugrunde gehen müssen. All das ist ein schwächliches Absinken aus seiner höheren Natur. Er darf nur auf sein Werk schauen, das getan werden muss, kartavyam karma, er soll nur den göttlichen Befehl vernehmen, der ihm durch seine Krieger-Natur eingehaucht wird. Sein Gefühl muss allein auf die Welt und das Schicksal der Menschheit gerichtet sein, die ihn als ihren gottgesandten Helfer ruft, ihren Fortschritt zu unterstützen und ihren Weg von den finsteren Armeen zu befreien, die ihn besetzt halten. (59-60)

2.4
Arjuna sprach:
Wie soll ich, O Madhusudana, im Kampfe Bhishma und Drona, die der Verehrung würdig sind, mit Waffen schlagen, O Töter der Feinde?

2.5
Es ist mir lieber, in dieser Welt nur von Almosen zu leben, als die Gurus, die hohen Seelen, zu töten. Würde ich diese Gurus erschlagen, schmeckten mir alle Genüsse in dieser Welt nur noch nach Blut.

2.6
Auch weiß ich nicht, was für uns besser ist, sie zu besiegen oder von ihnen besiegt zu werden –, denn vor uns stehen die Dhritarashtrier. Haben wir sie getötet, sollten wir nicht mehr weiterleben wollen.

2.7
Es ist die Dürftigkeit des Geistes, die mein (wahres heldenhaftes) Wesen so tödlich getroffen hat. Mein ganzes Bewusstsein ist völlig verwirrt in seinem Urteil über Recht und Unrecht. Dich frage ich, was wohl das Bessere ist – sage es mir eindeutig! Wie ein Jünger nehme ich meine Zuflucht zu dir. Erleuchte mich!

Arjuna ist der Mann der Aktion, nicht des Wissens; er ist Kämpfer, niemals Seher oder Denker. (22)

In der Gita ist er beispielhaft für die Seele des handelnden Menschen, der durch dieses Handeln in dessen höchster und gewaltsamster Entscheidung vor das Problem des menschlichen Lebens und seiner offensichtlichen Unvereinbarkeit mit dem spirituellen Seelenzustand oder auch nur einem rein ethischen Ideal von Vollkommenheit gestellt wird. (21)

Diese innere Krise entsteht also nicht aus der Fragestellung des Denkers. Sie ist kein Zurückschrecken vor den äußeren Erscheinungen des Lebens, keine Wendung des Blicks nach innen, um die Wahrheit der Dinge, die wirkliche Bedeutung des Seins zu ergründen und eine Lösung der dunklen Rätsel der Welt zu finden oder ihnen zu entfliehen. Vielmehr ist es das Aufbegehren der Sinne, Gefühle und Moral des Mannes, der bisher mit seinem Handeln und mit dessen gültigen Normen zufrieden war, sich aber nun gerade durch diese in ein furchtbares Chaos geschleudert sieht, da sie miteinander und mit sich selbst in Konflikt liegen. Ihm ist kein fester moralischer Boden übriggeblieben, nichts, woran er sich halten und worauf er seinen Weg ausrichten kann, also kein dharma.1 Das ist für die auf das Handeln gerichtete Seele im mentalen Wesen die schlimmste aller möglichen Krisen: Scheitern und Untergang. Die Auflehnung dagegen ist das an sich zutiefst Elementare und die einfachste Möglichkeit: In seinen Sinnen herrscht das Urgefühl von Schrecken, Mitleid und Abscheu. Im Vitalen ist die Anziehungskraft der anerkannten und vertrauten Ziele und der Glaube an sie verloren gegangen. In den Gefühlen schrecken die gewöhnlichen Empfindungen des Gemeinschaftsmenschen, Anhänglichkeit, Ehrerbietung, das Verlangen nach gemeinsamem Glück und Zufriedenheit zurück vor einer harten Pflicht, die sie alle vergewaltigt. Im Moralischen wehrt sich das elementare Empfinden von Sünde und Hölle dagegen und weist diese „blutbefleckten Freuden“ zurück. Praktisch herrscht nur noch das Empfinden, dass die dieser Aktion zugrunde liegenden Normen zu einem Ergebnis führen, das die tatsächlichen Ziele dieser Aktion zerstört. Aus alledem entsteht der totale innere Bankrott, den Arjuna mit den Worten ausdrückt, dass sein ganzes bewusstes Wesen, nicht nur sein Denken, sondern sein Herz, sein vitales Begehren und alles aufs äußerste verstört sind und er nirgendwo mehr das Dharma, nirgends ein gültiges Gesetz für sein Handeln finden kann. Nur um dieses zu erlangen, nimmt er als Schüler seine Zuflucht zu Krishna: Gib mir, so bittet er praktisch, das, was ich verloren habe, ein wahres Gesetz, eine klare Vorschrift für mein Handeln. Zeige mir den Pfad, auf dem ich wieder vertrauensvoll gehen kann! Er bittet nicht um die Enthüllung des Geheimnisses des Lebens oder des Rätsels der Welt. Er fragt nicht nach dem Sinn und Ziel von alledem. Er bittet nur um ein Dharma.

Der göttliche Lehrer beabsichtigt jedoch, seinen Schüler gerade zu diesem Geheimnis hinzuführen, um dessen Erhellung er nicht bittet, zumindest zu so viel Erkenntnis, wie notwendig ist, um ihn zu einem höheren Leben emporzuheben. Denn er legt ihm nahe, jedes Dharma aufzugeben außer dem einzigen umfassenden Lebensgesetz im weitesten Sinn, nämlich bewusst im Göttlichen zu leben und aus diesem Bewusstsein zu handeln. (25-26)

Es ist irrig, die Gita vom Standpunkt der heutigen Mentalität aus zu interpretieren und sie zu zwingen, uns die uneigennützige Ausführung der Pflicht als das höchste und völlig ausreichende Gesetz zu lehren. Schon bei kurzer Erwägung der Situation, mit der sich die Gita befasst, werden wir erkennen, dass das nicht ihre Absicht sein kann. Denn das ganze Ereignis, von dem ihre Belehrung ausgeht und das den Schüler zwingt, den Lehrer zu suchen, ist ein unentwirrbarer Konflikt verschiedener miteinander verbundener Pflichtbegriffe, der im Zusammenbruch des ganzen zweckmäßigen intellektuellen und moralischen Gebäudes endet, das vom menschlichen Mental errichtet worden war. Im menschlichen Leben kommt es ziemlich oft zu einem Widerstreit von Pflichten, wie zum Beispiel zwischen der Pflicht gegenüber der Familie und derjenigen gegenüber dem Land oder gegenüber einer Sache, zwischen dem Anspruch des Landes und dem Wohl der Menschheit oder einem umfassenderen religiösen oder moralischen Prinzip. Es mag sogar, wie bei Buddha, eine innere Situation entstehen, in der alle Pflichten aufgegeben, mit Füßen getreten, beiseite geworfen werden müssen, um dem Ruf der Gottheit im Inneren zu folgen. Ich kann mir nicht denken, dass die Gita eine solche innere Situation dadurch lösen würde, dass sie Buddha zu seiner Gattin, seinem Vater und der Regierung des Sakya-Staates zurückschickt; oder dass sie Ramakrishna anweisen würde, Pandit an einer Volksschule zu werden, um kleinen Jungen in selbstloser Hingabe ihre Lektionen beizubringen; oder einen Vivekananda an die niedere Pflicht binden würde, seine Familie zu unterstützen und zu diesem Zweck leidenschaftslos die Gesetzeskunde, Medizin oder Journalistik zu praktizieren. Die Gita lehrt nicht, selbstlos die Pflicht zu erfüllen, sondern dem göttlichen Leben zu folgen. Wir sollen alle Dharmas aufgeben, sarvadharmān, unsere Zuflucht allein zum Erhabenen nehmen. Die göttliche Aktivität eines Buddha, Ramakrishna und Vivekananda steht völlig im Einklang mit dieser Lehre. Ja, obwohl die Gita das Handeln dem Nichthandeln vorzieht, schließt sie nicht den Verzicht auf Wirken aus, sondern akzeptiert ihn als einen der Wege zum Göttlichen. Wenn man dieses allein dadurch erlangen kann, dass man auf Wirken, Leben und alle Pflichten verzichtet und der innere Ruf in uns stark ist, müssen jene alle aufgegeben werden, dagegen hilft nichts. Der Ruf Gottes ist zwingend. Ihm gegenüber haben keine anderen Erwägungen Gewicht. (32-33)

2.8
Ich sehe nicht, was mich von diesem Kummer befreien könnte, der mir die Sinne ausdörrt, selbst dann nicht, wenn ich eine reiche und unangefochtene Herrschaft auf Erden oder gar die Hoheitsgewalt der Götter erlangen würde.

2.9
Sanjaya sprach:
Gudakesha, der Schrecken seiner Feinde, der so zu Hrishikesha gesprochen hatte, sagte noch: „Ich will nicht kämpfen!“ Dann schwieg er.

In seiner Antwort an Krishna erkennt Arjuna den Tadel an, auch wenn er dagegen kämpft und den Befehl verweigert. Er ist sich seiner Schwäche bewusst und gibt zu, dass er dieser unterworfen ist. Es ist Dürftigkeit seines Geistes – das erkennt er an –, die seine wahre Heldennatur von ihm genommen hat. Sein Gewissen ist völlig verstört in seiner Anschauung von Recht und Unrecht. Darum nimmt er den göttlichen Freund zu seinem Lehrer. Alle Stützen des Gefühls und Verstandes, mit denen er seinen Gerechtigkeitssinn abgesichert hatte, sind zusammengebrochen. Er kann keinen Befehl annehmen, der nur an seinen alten Standpunkt zu appellieren scheint und ihm keine neue Grundlage zum Handeln gibt. Er versucht immer noch, seine Ablehnung des Werkes zu rechtfertigen, und bringt zu deren Unterstützung die Einwände seines feinnervigen, empfindsamen Wesens vor, das vor dem Blutbad und den folgenden blutbefleckten Genüssen zurückschreckt; die Forderung seines Herzens, das vor dem Schmerz und der Leere des Lebens schaudert, die seinem Handeln folgen; die Normen der üblichen Moralbegriffe, das Entsetzen über die Notwendigkeit, dass er seine Gurus, Bhishma und Drona, erschlagen soll; den Einwand seiner Vernunft, die keine guten, sondern nur böse Folgen aus dem schrecklichen, gewalttätigen Werk kommen sieht, das ihm aufgetragen wird. Er ist entschlossen, nicht auf der alten Grundlage von Denken und Beweggrund zu kämpfen, und erwartet schweigend die Antwort auf seine Einwände, die ihm unwiderlegbar zu sein scheinen. Diese Einwände aus Arjunas egoistischem Wesen versucht Krishna zuerst zu zerstören, um Raum zu schaffen für das höhere Gesetz, das über alle egoistischen Motive zum Handeln hinausgeht. (60)

2.10
Zu ihm, O Bharata, der so niedergeschlagen und entmutigt war, sprach nun zwischen den beiden Heeren Hrishikesha. Und es war, als ob er dabei lächelte.

Die Antwort des Lehrers geht auf zwei verschiedenen Wegen vor: Zuerst eine kurze Antwort, die sich auf die höchsten Ideen der allgemeinen arischen Kultur gründet, in der Arjuna erzogen wurde; sodann eine andere, viel stärker begründete Antwort, deren Grundlage ein mehr inneres Erkennen ist, das in tiefere Wahrheiten unseres Wesens einführt, die der wirkliche Ausgangspunkt der Lehre der Gita sind. Die erste Antwort stützt sich auf die philosophischen und moralischen Auffassungen der vedantischen Philosophie und auf die soziale Idee von Pflicht und Ehre, die die ethische Basis der arischen Gesellschaft bildete. (60-61)

2.11
Der Erhabene sprach:
Du beklagst die, welche man nicht beklagen sollte, und doch redest du Worte der Weisheit. Der erleuchtete Mensch betrauert weder die Lebenden noch die Toten.

2.12
Es ist nicht wahr, dass Ich zu irgendeiner Zeit nicht gewesen bin, noch du, noch diese Könige unter den Menschen; und es ist auch nicht wahr, dass einer von uns je aufhören wird, künftig zu sein.

2.13
So wie die Seele in diesem Körper durch Kindheit, Jugend und Alter hindurchgeht, so geht sie weiter im Wechseln des Körpers. Der in seinem Selbst ruhende Mensch erlaubt es sich nicht, hierdurch verwirrt und geblendet zu werden.

Der stille und weise mentale Geist, der dhīra, der Denker, der mit gelassenem Blick das Leben betrachtet und sich nicht durch seine Empfindungen und Gefühle verstören oder blind machen lässt, wird durch materielle Erscheinungen nicht getäuscht. Er erlaubt nicht, dass die Aufruhr seines Blutes, seiner Nerven, seines Herzens sein Urteil trübt oder seiner Erkenntnis widerspricht. Er schaut über die äußerlich erkennbaren Fakten des Lebens, des Körpers und der Sinne hinaus zur wirklichen Tatsache seines Wesens und erhebt sich über die emotionalen und physischen Begehren seiner unwissenden Natur empor zum wahren und einzigen Ziel menschlichen Seins.

Was ist diese wirkliche Tatsache, dies höchste Ziel? Dies, dass Leben und Tod des Menschen, wiederholt durch die Äonen in den großen Zyklen der Welt, nur ein langes Vorwärtsschreiten sind, durch das sich der Mensch vorbereitet und für die Unsterblichkeit fähig macht. (61)

2.14
Vergänglich sind, O Sohn der Kunti, die materiellen Berührungen von Kälte und Hitze, von Freude und Leid. Sie kommen und gehen. Lerne dies zu ertragen, O Bharata.

2.15
Der Mensch, den sie nicht mehr bekümmern noch schmerzen, O Löwenherz unter den Menschen, der Starke und Weise, der ausgeglichenen Sinnes ist in Freude und Leid, er bereitet sich zu für die Unsterblichkeit.

Mit Unsterblichkeit ist nicht das Überleben des Todes gemeint – das wird bereits jedem geborenen Geschöpf gegeben, das mit einem Mental ausgestattet wird –, sondern die Erhabenheit über Leben und Tod. Das bedeutet jener Aufstieg, durch den der Mensch aufhört, nur als mental geprägter Körper zu leben, und durch den er zuletzt lebt als ein Geist und im Geist. Wer Kummer und Trauer unterworfen, ein Sklave der Empfindungen und Gefühle ist, ganz benommen durch die Berührungen der vergänglichen Dinge, kann nicht zur Unsterblichkeit fähig werden. Diese Dinge muss man ertragen, bis sie überwunden sind; bis sie dem befreiten Menschen keinen Schmerz mehr bereiten können; bis er fähig ist, alle materiellen Geschehnisse der Welt, ob sie froh machen oder Schmerz bereiten, in weiser und stiller Gelassenheit ebenso zu empfangen wie der stille ewige Geist, der insgeheim in uns ist, sie annimmt. (62)

2.16
Das, was wirklich ist, kann nicht das Dasein verlassen, genauso wenig wie das, was nicht ist, in das Dasein eintreten kann. Den Zweck dieses Gegensatzes von „es ist“ und „es ist nicht“ haben die Seher der essentiellen Wahrheiten erkannt.

Die Seele ist und kann nicht aufhören zu sein. Diese Gegensätzlichkeit von „ist“ und „ist nicht“, dies Gleichgewicht von Sein und Werden, die die Auffassung des Mentals vom Dasein ist, findet ihr Ende in der Verwirklichung der Seele als das eine unzerstörbare Selbst, durch das dieses gesamte Universum nach außen hin ausgebreitet worden ist. (62)

2.17
Erkenne jenes als das Unzerstörbare, durch das dies alles hier ausgebreitet wird. Wer kann schon den unsterblichen Geist erschlagen?

2.18
Begrenzte Körper haben ein Ende, aber jenes, das den Körper besitzt und verwendet, ist unendlich, unbegrenzbar, ewig, unzerstörbar. Darum kämpfe, O Bharata!

2.19
Wenn einer diese (Seele) als einen Tötenden ansieht oder wenn einer denkt, dass diese getötet wird, versagen beide im Erkennen der Wahrheit. Die Seele erschlägt nicht, noch wird sie erschlagen.

2.20
Die Seele wird weder geboren noch stirbt sie. Sie ist nicht etwas, das nur ein einziges Mal in das Dasein eintritt und, wenn sie gegangen ist, nie mehr in das Dasein kommen wird. Die Seele ist ungeboren, uralt, immer dauernd; sie wird nicht erschlagen, wenn der Körper erschlagen wird.

2.21
Wer sie erkennt als eine unsterbliche, ewige, unzerstörbare spirituelle Existenz, wie kann dieser Mensch töten, O Partha, oder Ursache des Tötens sein?

2.22
Die verkörperte Seele wirft ihre alt gewordenen Körper ab und geht in neue Körper ein, so wie ein Mensch zerschlissene Kleider gegen neue wechselt.

2.23
Waffen können die Seele nicht zerschmettern, Feuer kann sie nicht verbrennen, noch Wasser sie durchnässen oder der Wind sie ausdörren.

2.24
Sie ist unzerreißbar und unbrennbar, sie kann weder durchnässt noch ausgedörrt werden. Ewig beständig, unbeweglich, alles durchdringend, ist sie für immer und ewig.

2.25
Sie ist nicht geoffenbart, sie ist unbegreiflich, sie ist unveränderlich. So wird sie (in den Srutis = Heiligen Schriften) beschrieben. Darum solltest du, sofern du die Seele als von solcher Art erkennst, unbekümmert sein.

Nicht erschaffen wie der Körper, sondern größer als die ganze Manifestation; nicht analysierbar durch das Denken, aber größer als das ganze Mental; nicht fähig, sich zu verändern, sich umzuwandeln, wie das Leben mit seinen Organen und ihren Gegenständen, sondern jenseits von allen Wandlungen des Mentals, Lebens und Körpers ist es doch die Wirklichkeit, die sie alle darzustellen sich bemühen. (63)

2.26
Auch wenn du von ihm (dem Selbst) annehmen solltest, es sei ständig Geburt und Tod unterworfen, so solltest du, O Starkarmiger, dich doch nicht grämen.

2.27
Denn einem, der geboren wurde, ist der Tod sicher, und einem, der gestorben ist, ist die Geburt gewiss. Darum sollte, was unvermeidlich ist, kein Anlass für deinen Kummer sein.

Selbst wenn unser wahres Wesen etwas weniger Feines, Gewaltiges, von Tod und Leben Unberührbares und das Selbst ständig der Geburt und dem Tod unterworfen wäre, dürfte der Tod der Wesen doch kein Anlass zum Trauern sein. Denn er ist ein unvermeidlicher Umstand in der Selbst-Manifestation der Seele. Bei ihrer Geburt tritt sie in die Sichtbarkeit hervor aus einem bestimmten Zustand, in dem sie nicht nicht-seiend, wohl aber für unsere sterblichen Sinne ungeoffenbart ist. Ihr Tod ist eine Rückkehr in jene nicht-manifeste Welt oder Urbedingung, aus der sie wieder in der physischen Manifestation erscheint. All der Lärm, der vom physischen Mental und den Sinnen wegen des Todes gemacht wird, die Angst vor dem Tod auf dem Krankenbett oder auf dem Schlachtfeld ist die unwissendste der nervlich bedingten Klagen. Unsere Trauer über den Tod von Menschen ist ein unwissendes Trauern um die, für die es keinen Grund zum Trauern gibt, da sie weder das Sein verlassen noch einen schmerzvollen oder schrecklichen Wandel ihrer Bedingungen erfahren haben. Vielmehr sind sie jenseits des Todes nicht weniger im Sein, auch nicht unglücklicher in ihren Umständen als im Leben. (63)

2.28
Alle Wesen sind am Anfang ungeoffenbart, in ihrem Zwischenzustand geoffenbart, O Bharata, und wieder ungeoffenbart bei ihrer Auflösung. Worüber soll man also klagen?

2.29
Der eine betrachtet es (das Selbst) als ein Mysterium. Ein anderer spricht oder hört von ihm als einem Mysterium. Aber keiner kennt es. Auf jenes (das Selbst, das Eine, das Göttliche) blicken wir, von ihm sprechen oder hören wir als dem Wunderbaren jenseits unseres Verstehens, denn trotz allem, was wir von denen gelernt haben, die Erkenntnis besitzen, hat kein menschliches Mental jemals dieses Absolute gekannt.

Es ist dieses Selbst, das hier durch die Welt verhüllt ist; es ist der Herr des Körpers. Alles Leben ist nur sein Schatten. Das Eintreten der Seele in die körperliche Manifestation und unser Weitergehen aus ihr durch den Tod ist nur eine ihrer kleineren Bewegungen. Wenn wir erkannt haben, dass wir selbst jenes Selbst sind, ist es absurd, von uns als den Tötenden oder Getöteten zu sprechen. Nur jenes Eine ist die Wahrheit, in der wir zu leben haben: das Ewige, das sich als die Seele des Menschen in dem großen Zyklus seiner Pilgerschaft manifestiert, deren Meilensteine Geburt und Tod sind, mit Welten im Jenseits als Ruhestätten, mit allen frohen und unfrohen Lebensumständen als den Mitteln unseres Fortschritts, mit Kampf und Sieg und mit der Unsterblichkeit als der Heimat, zu der die Seele reist. (63-64)

2.30
Dieser Einwohner im Körper eines jeden Menschen ist ewig und unzerstörbar, O Bharata. Darum solltest du um keiner Kreatur willen Kummer empfinden.

2.31
Und weiter: Wenn du dein eigenes Gesetz des Handelns betrachtest, solltest du nicht erzittern; es gibt kein höheres Gut für den Kshatriya als die gerechte Schlacht.

Wie rechtfertigt das aber das Handeln, das von Arjuna verlangt wird, und das Hinschlachten von Kurukshetra? Die Antwort lautet: Das ist das von Arjuna geforderte Handeln auf dem Pfad, den er zu gehen hat. Es ist bei der Ausführung der Funktionen, die von ihm durch sein svadharma gefordert werden, unvermeidlich geworden. Es ist seine soziale Pflicht, das Gesetz seines Lebens und das Gesetz seines Wesens. Diese Welt, diese Manifestation des Selbstes im materiellen Universum, ist nicht nur ein Kreislauf der inneren Entwicklung, sondern auch ein Feld, auf dem die äußeren Umstände des Lebens als eine Umgebung und eine Gelegenheit für diese Entwicklung angenommen werden müssen. Sie ist eine Welt gegenseitiger Hilfe und gegenseitigen Kampfes. Der Fortschritt, den sie uns erlaubt, ist kein gelassenes friedliches Dahingleiten durch leichte Freuden. Vielmehr muss jeder Schritt durch ein heroisches Mühen und einen Konflikt gegensätzlicher Kräfte erobert werden. Jene machtvollen Männer, die den inneren und äußeren Kampf, selbst bis hin zum rein physischen Zusammenstoß, dem des Krieges, auf sich nehmen, sind die Kshatriyas. Krieg, Kraft, Adel, Mut gehören zu ihrer Natur, Schutz des Rechts und unerschrockene Annahme der Herausforderung der Schlacht zu ihrer Tugend und ihrer Pflicht. (64)

2.32
Wenn sich ihnen eine solche Schlacht von selbst anbietet wie das offene Tor zum Himmel, sind die Kshatriyas glücklich.

Für einen Augenblick gibt der Lehrer dem Gespräch eine andere Wendung, um zu antworten auf das Gezeter Arjunas über seinen Schmerz um den Tod der Verwandten, weil dadurch sein Leben von Motiven und Zielen entleert werde. Was ist das wahre Ziel des Lebens eines Kshatriya, was sein wirkliches Glück? Nicht sich selbst Freude zu verschaffen, nicht häusliches Glück und ein Leben in Bequemlichkeit und friedlichem Genießen mit Freunden und Verwandten. Vielmehr muss er für das Recht kämpfen. Das ist sein wahres Lebensziel. Und er soll ein großes Motiv finden, für das er sein Leben hingeben oder durch den Sieg Krone und Ruhm im Dasein als ein Held gewinnen kann. Das ist sein größtes Glück. (65)

2.33
Wenn du aber diesen Kampf für das Recht nicht wagst, hast du deine Pflicht und deine Tugend sowie deinen Ruhm preisgegeben, und Sünde wird auf dir liegen.

Stets gibt es Kampf zwischen Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, der Kraft, die beschützt, und der Kraft, die verletzt und unterdrückt. Und wenn das einmal bis zum Ausbruch des physischen Kampfes gebracht worden ist, darf der Vorkämpfer und Bannerträger des Rechts nicht erschüttert sein und vor der gewalttätigen und schrecklichen Natur des Werkes, das er zu verrichten hat, erzittern. Er darf seine Gefolgsleute, seine Kameraden nicht aufgeben, seine Sache nicht verraten und nicht zulassen, dass die Fahne des Rechts und der Gerechtigkeit in den Staub gezerrt und von blutbefleckten Füßen des Unterdrückers in den Schmutz getreten wird, wegen eines schwächlichen Jammerns vor dem Gewaltsamen und Grausamen und eines physischen Erschreckens vor der Ungeheuerlichkeit der angeordneten Zerstörung. Seine Tugend und seine Pflicht liegen in der Schlacht und nicht im Vermeiden der Schlacht. Nicht das Töten, das Nicht-Töten wäre hier die Sünde. (64-65)

2.34
Überdies werden die Menschen von deiner unauslöschlichen Schande erzählen, und für einen Mann von edlem Rang ist die Unehre schlimmer als der Tod.

2.35
Die Starken werden meinen, du seist aus Furcht vor der Schlacht geflohen, und du, der du von ihnen hoch geachtet warst, musst deine Ehre mit Schmach besudeln lassen.

Wenn Arjuna dies Ideal herabwürdigt, einen Schandfleck auf diese Ehre fallen lässt, indem er dem Helden das Beispiel eines solchen gibt, dessen Handeln sich selbst dem Vorwurf der Feigheit und Schwächlichkeit preisgibt, und auf diese Weise das moralische Niveau der Menschheit herunterdrückt, handelt er falsch, sich selbst gegenüber und auch gegen das, was die Welt von ihren Führern und Königen fordert. (65)

2.36
Viele unziemliche Worte werden von deinen Feinden geredet werden, mit denen sie deine Stärke verleumden. Gibt es größeren Kummer als diesen?

2.37
Wirst du erschlagen, wirst du den Himmel gewinnen. Bist du aber siegreich, wirst du die Erde genießen. Darum steh auf, O Sohn der Kunti, zum Kampf entschlossen!

Die indische Ethik hat immer die praktische Notwendigkeit eingesehen, für die Entwicklung des moralischen und spirituellen Lebens der Menschen Ideale unterschiedlichen Grades hochzuhalten. Das Kshatriya-Ideal, das Ideal der vier Ordnungen, wird hier in seinem gesellschaftlichen Aspekt dargestellt, nicht, wie später, in seiner spirituellen Bedeutung. Letzten Endes sagt Krishna hier: Das ist meine Antwort, falls du auf Freude und Schmerz und auf dem Ergebnis dieser Handlungen als dem Motiv für dein Handeln beharrst. Ich habe dir gezeigt, nach welcher Richtung dich die höhere Erkenntnis des Selbstes und der Welt weist. Jetzt zeigte ich dir, wozu dich deine gesellschaftliche Pflicht und der ethische Rang deines Standes bestimmt, vadharmam api cāvekṣya. Was du von beidem auch als maßgebend für dich ansiehst, das Ergebnis ist das Gleiche. Wenn du aber nicht mit deiner gesellschaftlichen Pflicht und mit der Ehre deines Standes zufrieden bist, wenn du denkst, das führe dich in Kummer und Sünde, dann verlange ich von dir, dass du dich zu einem höheren Ideal erhebst und nicht in ein niedrigeres hinabsinkst. (66)

2.38
Lass Kummer und Glück, Verlust und Gewinn, Sieg und Niederlage gleich viel für deine Seele sein und stürze dich in die Schlacht! So wirst du keine Sünde auf dich laden.

Lege jeglichen Egoismus ab! Beachte nicht Freude und Schmerz, nicht Gewinn und Verlust und alle weltlichen Ergebnisse! Schaue nur auf die große Sache, der du dienen musst, und auf das Werk, das du auf göttlichen Befehl durchzuführen hast, „so wirst du keine Sünde auf dich laden“. So werden Arjunas Vorwand des Trauerns, die Verteidigung seines Zurückschreckens vor der Schlacht, seine Ausrede von wegen seines Sündengefühls, sein Hinweis auf die unglücklichen Folgen seiner Aktion beantwortet, und zwar im Einklang mit der höchsten Erkenntnis und den ethischen Idealen, die sein Menschengeschlecht und sein Zeitalter erreicht hatten. (66)

Der Yoga des intelligenten Willens

In dem Augenblick, da er sich von dieser ersten und kurz gefassten Antwort auf Arjunas Schwierigkeiten wegwendet, und in den ersten Worten, die den Grundton zu einer spirituellen Lösung anklingen lassen, trifft der Lehrer sofort eine Unterscheidung, die für das Verständnis der Gita von größter Bedeutung ist: die Unterscheidung zwischen Sankhya und Yoga…

In ihrer Grundlage ist die Gita ein vedantisches Werk. Sie ist eine der drei anerkannten Autoritäten für die vedantische Lehre. Obwohl sie nicht als eine geoffenbarte Schrift beschrieben wird, in ihrer Methode sozusagen weithin intellektuell, vernunftgemäß, philosophisch und, wenn auch gewiss auf die Wahrheit gegründet, doch nicht unmittelbar das inspirierte Wort, also Offenbarung der Wahrheit durch die höheren Fähigkeiten des Sehers ist, wird sie doch so sehr verehrt, dass man ihr beinahe den Rang der dreizehnten Upanishad gibt. Aber ihre vedantischen Gedanken sind durchweg und gründlich durch die Denkweise von Sankhya und Yoga gefärbt: Durch diese Färbung gewinnt sie den besonderen synthetischen Charakter ihrer Philosophie. In der Tat lehrt sie in erster Linie ein praktisches System des Yoga und verwendet metaphysische Gedanken nur, um ihr praktisches System zu erläutern…

Was sind nun Sankhya und Yoga, von denen die Gita spricht? Sicherlich sind sie nicht die Systeme, die unter diesem Namen auf uns gekommen sind, wie sie einerseits im Sankhya Karika von Ishwara Krishna, andererseits in den Yoga-Aphorismen des Patanjali dargestellt werden. Dies Sankhya ist nicht das System der Karikas – zumindest nicht so, wie dieses allgemein verstanden wird. Denn die Gita lässt niemals, auch nicht für einen Augenblick, die Vielzahl der Purushas als eine Grundwahrheit des Seins zu, sondern behauptet mit Nachdruck, was das traditionelle Sankhya streng bestreitet, den Einen als das Selbst und den Purusha; diesen Einen wiederum als den Herrn Ishwara, Purushottama; und Ishwara als den Urheber des Weltalls. Das traditionelle Sankhya ist, um unsere moderne Unterscheidung zu verwenden, atheistisch. Das Sankhya der Gita erkennt die theistischen, pantheistischen und monistischen Deutungen des Weltalls an und bringt sie miteinander in Einklang.

Aber dieser Yoga ist auch nicht das Yoga-System des Patanjali. Denn dieses ist eine rein subjektive Methode von Raja-Yoga, eine innere Disziplin, begrenzt, scharf umrissen, streng und wissenschaftlich abgestuft, durch die das Mental fortschreitend stillgelegt und in den Samadhi emporgehoben wird, damit wir den zeitlichen und ewigen Lohn dafür bekommen, dass wir unser Ego überwinden: den zeitlichen in einer weiten Ausdehnung des Wissens und der Kräfte der Seele; den ewigen in der Einung mit dem Göttlichen. Der Yoga der Gita ist demgegenüber ein umfassendes, biegsames, vielseitiges System mit verschiedenartigen Elementen, die alle durch eine Art natürlicher lebendiger Anpassung miteinander in Einklang gebracht werden. Von diesen Elementen ist der Raja-Yoga nur eines und nicht das wichtigste und vitalste Element. Dieser Yoga verwendet keine strikte wissenschaftliche Stufenfolge; vielmehr ist er ein Prozess von natürlicher Seelen-Entfaltung. Indem er einige Prinzipien von subjektiver ausgeglichener Ruhe und von aktivem Handeln verwendet, will er eine Erneuerung der Seele und eine gewisse Umwandlung, ein Emporsteigen oder eine neue Geburt aus der niederen Natur in die göttliche zustande bringen. Entsprechend ist die Vorstellung der Gita von Samadhi völlig verschieden von der gewöhnlichen Auffassung der Yoga-Ekstase. Und während Patanjali dem Wirken nur eine anfängliche Bedeutung für die sittliche Läuterung und religiöse Konzentration beimisst, geht die Gita so weit, dass sie das Wirken zum besonderen Kennzeichen des Yoga macht. Handeln ist für Patanjali nur eine vorläufige, für die Gita eine dauernde Grundlage. Im Raja-Yoga muss es praktisch beiseite gelassen werden, wenn sein Ergebnis erlangt ist, zumindest hört es bald auf, ein Mittel für den Yoga zu sein. Für die Gita ist es ein Mittel zum höchsten Aufstieg und dauert auch nach der völligen Befreiung der Seele noch fort.

So viel muss vorausgeschickt werden, um eine gedankliche Verwirrung zu vermeiden, die durch die Verwendung vertrauter Wörter in einem begrifflichen Zusammenhang entstehen könnte, der weiter ist als ihr jetzt bei uns gebräuchlicher technischer Sinn. Freilich wird von der Gita alles einbezogen, was den Systemen von Sankhya und Yoga wesentlich ist: alles was in ihnen weit, allumfassend, universal wahr ist, wobei sie sich aber nicht wie die einander bekämpfenden Schulen durch sie einschränkt. Ihr Sankhya ist das allumfassende vedantische Sankhya, wie wir es in den Prinzipien und Elementen der großen vedantischen Synthese der Upanishaden und in den späteren Entwicklungsphasen der Puranas finden. Ihre Auffassung von Yoga ist jener weite Gedanke einer hauptsächlich subjektiven Praxis und inneren Umwandlung, die für das Entdecken des Selbstes oder die Einung mit Gott nötig ist, der Raja-Yoga ist nur eine deren besonderer Anwendungen. Die Gita betont, Sankhya und Yoga sind nicht zwei verschiedene, miteinander unvereinbare und gegensätzliche Systeme, sondern in ihrem Prinzip und Ziel eins. Ihr Unterschied besteht nur in ihrer Methode und ihrem Ausgangspunkt. Auch Sankhya ist ein Yoga, aber es geht vom Wissen aus und wird fortschreitend durch dieses verwirklicht. Das heißt, es beginnt mit intellektueller Unterscheidung und Analyse der Prinzipien unseres Wesens und erlangt sein Ziel durch die Schau der Wahrheit und ihren Besitz. Yoga geht demgegenüber vom Wirken aus und vollendet sich durch Wirken. In seinem Grundprinzip ist er Karma-Yoga. Aus der ganzen Lehre der Gita und ihren späteren Definitionen wird aber klar, dass das Wort karma in einem sehr weiten Sinn gebraucht wird und dass unter Yoga die egolose völlige Hingabe sowohl der inneren wie der äußeren Aktivitäten als ein Opfer an den Herrn aller Werke verstanden wird. Es wird dem Ewigen als dem Meister aller Seelen-Energien und der strengen Übungen dargebracht. Yoga ist die praktische Ausübung der Wahrheit, die im Schauen erkannt wird. Seine Praxis hat als Antriebskraft den Geist erleuchteter Hingabe, einer stillen glühenden Darbringung, die sich Jenem weiht, das die Erkenntnis als das Höchste schaut.

Was sind aber die Wahrheiten des Sankhya? Diese Philosophie bekam ihren Namen von ihrem analytischen Prozess. Sankhya ist die Analyse, die Aufzählung, die trennende und unterscheidende Darstellung der Prinzipien unseres Wesens, von denen das gewöhnliche Mental nur die Kombinationen und die Ergebnisse der Kombinationen sieht. Es wollte überhaupt nicht die Synthese herstellen. Sein ursprünglicher Standpunkt ist tatsächlich dualistisch, und zwar nicht vom relativen Dualismus der vedantischen Schulen, die sich mit diesem Namen benennen, Dwaita, sondern auf eine sehr absolute und genau präzisierte Art. Denn das Sankhya erklärt das Dasein nicht durch ein einziges ursprüngliches Prinzip, sondern durch zwei, deren Verhältnis zueinander die Ursache des Weltalls ist: Purusha, das inaktive, Prakriti, das aktive Prinzip. Purusha ist die Seele, nicht im gewöhnlichen oder populären Sinn des Wortes, sondern als reines, bewusstes Wesen, unbeweglich, unveränderlich und selbst-leuchtend. Prakriti ist Energie und deren Auswirkung. Purusha tut nichts, aber er reflektiert das Wirken der Energie und ihre Verfahren. Prakriti ist mechanisch; aber dadurch, dass sie in Purusha reflektiert wird, gewinnt sie den Anschein von Bewusstsein in ihren Wirkensweisen, und deshalb entstehen solche Phänomene von Schöpfung, Erhaltung und Auflösung, Geburt, Leben und Tod, Bewusstheit und Unbewusstheit, Erkenntnis durch die Sinne, intellektuelles Wissen und Unwissenheit, Wirken und Nicht-Wirken, Frohsinn und Leiden. Sie alle schreibt der Purusha unter dem Einfluss von Prakriti sich selbst zu, obwohl sie alle überhaupt nicht ihm angehören, sondern allein dem Wirken oder der Bewegung von Prakriti.

Denn Prakriti wird von den drei guṇas, den wesentlichen Eigenschaften der Energie konstituiert: sattva, die Saat der Intelligenz, konserviert die Wirkensweisen der Energie; rajas, die Saat der Kraft und Aktivität, verschafft die Wirkensweisen der Energie; tamas, die Saat der Trägheit und Nicht-Intelligenz, die Aufhebung von Sattwa und Rajas, löst das auf, was diese erschaffen und bewahren. Sind diese drei Mächte der Energie von Prakriti im Zustand des Gleichgewichts, dann ist alles in Ruhe, gibt es keine Bewegung, kein Handeln, keine Schöpfung, darum auch nichts, was in dem unwandelbaren, erleuchteten Wesen der bewussten Seele reflektiert werden könnte. Wird das Gleichgewicht aber gestört, verfallen die drei Gunas in einen Zustand von Unausgeglichenheit, indem sie miteinander streiten und aufeinander einwirken, und all die unentwirrbaren Vorgänge von Schöpfung, Erhaltung und Auflösung beginnen und lassen die Phänomene des Kosmos abrollen. Das geht so lange weiter, als Purusha einwilligt, diesen Wirrwarr zu reflektieren, der seine ewige Natur verfinstert und ihr die Natur von Prakriti beilegt. Wenn er aber seine Zustimmung zurückzieht, fallen die Gunas in ihr Gleichgewicht zurück und die Seele kehrt heim in ihre ewige, unveränderliche Unbeweglichkeit; sie wird von den Phänomenen erlöst. Dies Reflektieren und dies Erteilen oder Widerrufen der Zustimmung scheinen die einzigen Mächte des Purusha zu sein. Kraft der Reflexion ist er der beobachtende Zeuge der Natur und erteilt ihr seine Zustimmung, sāksī und anumantā der Gita. Er ist aber nicht auf aktive Weise der Ishwara. Selbst sein Erteilen der Zustimmung ist passiv; und wenn er die Zustimmung zurückzieht, ist das nur eine andere Passivität. Jegliche subjektive oder objektive Aktion ist der Seele fremd; sie hat weder einen aktiven Willen noch eine aktive Intelligenz. Sie kann darum auch nicht die einzige Ursache des Kosmos sein. So wird die Behauptung einer zweiten Ursache notwendig. Nicht Seele allein ist durch ihre Natur als bewusstes Wissen, bewusster Wille und bewusste Seligkeit die Ursache des Weltalls, sondern Seele und Natur sind die duale Ursache: ein passives Bewusstsein und eine aktive Energie. So erklärt das Sankhya das Dasein des Kosmos.

Woher stammen aber diese bewusste Intelligenz und dieser bewusste Wille, die wir als einen so großen Teil unseres Wesens wahrnehmen und die wir, gewöhnlich und instinktiv, nicht der Prakriti sondern dem Purusha zuschreiben? Nach dem Sankhya sind diese Intelligenz und dieser Wille ganz und gar ein Teil der mechanischen Energie der Natur, nicht Eigenschaften der Seele. Sie sind das Prinzip von Buddhi, einem der vierundzwanzig tattvas, der vierundzwanzig kosmischen Prinzipien. In der Evolution der Welt bildet Prakriti mit den drei Gunas in ihr die Basis; sie ist als die ursprüngliche Substanz der Dinge ungeoffenbart, nichtbewusst. Daraus entwickeln sich, aufeinander folgend, fünf elementare Erscheinungsformen von Energie und Materie – denn Materie und Kraft sind dasselbe in der Sankhya-Philosophie. Diese werden mit den Namen der fünf konkreten Elemente des alten Denkens benannt: Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde. Wir müssen aber bedenken, dass sie nicht Elemente im Sinn moderner Wissenschaft sondern subtile Zustandsformen materieller Energie sind und dass man sie nirgendwo in der grobmateriellen Welt in ihrer Reinheit findet. Alle Gegenstände werden durch die Kombination dieser fünf subtilen Zustandsformen oder Elemente gebildet. Andererseits ist jedes dieser fünf die Grundlage für eine der fünf subtilen Eigenschaften von Energie oder Materie: Klang, Tastbarkeit, Geschmack, Gestaltung, Geruch, die die Art ermöglichen, in der der Mental-Sinn Gegenstände wahrnimmt. So wird durch diese fünf Elemente der Materie, die aus der ursprünglichen Energie hervorgehen, und durch diese fünf Sinnen-Beziehungen, durch welche die Materie erkannt wird, das entwickelt, was wir in moderner Sprache den objektiven Aspekt des kosmischen Seins nennen können.

Dreizehn andere Prinzipien bilden den subjektiven Aspekt der kosmischen Energie – Buddhi oder Mahat, Ahankara, Manas und seine zehn Sinnen-Funktionen: fünf für das Erkennen und fünf für das Handeln. Manas, das Mental, ist der ursprüngliche Sinn, der alle Gegenstände wahrnimmt und auf sie reagiert. Denn es hat zugleich eine nach innen, eine erkennende, und eine nach außen gerichtete, eine ausführende Aktivität. Es empfängt durch Wahrnehmung das, was die Gita die äußere Berührung durch die Dinge nennt, bāhya sparśa. So gestaltet es seine Vorstellung von der Welt und übt seine Reaktionen aktiver Vitalität aus. Es spezialisiert aber seine einfachsten Funktionen des Empfangens durch die Hilfe der fünf wahrnehmenden Sinne von Hören, Tasten, Sehen, Schmecken und Riechen, die die fünf Eigenschaften der Dinge zu den ihnen entsprechenden Objekten machen. Das Mental spezialisiert gewisse notwendige vitale Funktionen des Reagierens mit Hilfe der fünf aktiven Sinne, die als Reden, Fortbewegung, Ergreifen der Dinge, Ausscheiden und Fortpflanzung wirken. Buddhi, das unterscheidende Prinzip, ist zugleich Intelligenz und Wille. Es ist die Macht in der Natur, die unterscheidend trennt und zusammenfügt. Ahankara, der Ego-Sinn, ist das subjektive Prinzip in Buddhi, durch das Purusha verführt wird, sich mit Prakriti und ihren Aktivitäten zu identifizieren. Aber diese subjektiven Prinzipien sind selbst ebenso mechanisch, ebenso sehr ein Teil der unbewussten Energie, wie diejenigen, die ihre objektiven Abläufe bilden. Wenn wir es schwierig finden einzusehen, wie Intelligenz und Wille Eigenschaften des mechanischen Nichtbewusstseins und selbst mechanisch, jaḍa, sein können, müssen wir uns nur daran erinnern, dass die moderne Wissenschaft selbst zur gleichen Schlussfolgerung geführt worden ist. Sogar in der mechanischen Wirksamkeit des Atoms gibt es eine Macht, die man nur einen unbewussten Willen nennen kann. Und bei allem Wirken der Natur leistet dieser alles durchdringende Wille unbewusst die Werke der Intelligenz. Was wir die mentale Intelligenz nennen, ist in seinem Wesen genau dasselbe wie das, was unterbewusst in allen Aktivitäten des materiellen Weltalls unterscheidet und zusammenfügt. Und das bewusste Mental selbst ist, wie die Wissenschaft zu zeigen versucht hat, nur ein Ergebnis und eine Kopie der mechanischen Bewegung des Nichtbewusstseins. Sankhya macht das klar, was die moderne Wissenschaft im Dunkel lässt, den Vorgang, durch den das Mechanische und Nichtbewusste die äußere Erscheinung von Bewusstsein annimmt. Es kommt daher, dass Prakriti auf Purusha zurückstrahlt. Das Licht des Bewusstseins der Seele wird den Wirkensweisen der mechanischen Energie zugeschrieben. Auf diese Weise wird Purusha, der die Natur als Zeuge beobachtet und sich selbst dabei vergisst, von dem in Prakriti erzeugten Gedanken irregeführt, er sei es, der denkt, fühlt, will, handelt; während doch allezeit der Vorgang von Denken, Fühlen, Wollen, Handeln in Wirklichkeit von ihr und ihren drei Qualitäten und ganz und gar nicht von ihm selbst durchgeführt wird. Von dieser Selbst-Täuschung befreit zu werden, ist der erste Schritt zur Befreiung der Seele von der Natur und ihren Wirkensweisen.

Gewiss gibt es viele Dinge in unserem Dasein, die das Sankhya gar nicht oder nicht zufriedenstellend erklärt. Wenn aber alles, was wir nötig haben, eine rationale Erklärung der kosmischen Vorgänge in ihren Prinzipien als Grundlage für das große, allen alten Weltanschauungen gemeinsame Ziel der Befreiung der Seele vom Beherrschtwerden durch die kosmische Natur ist, dann erscheint die Sankhya-Erklärung der Welt und der Sankhya-Weg der Befreiung als ebenso gut und ebenso erfolgreich wie irgendein anderer. Was wir zuerst nicht begreifen ist, warum Sankhya ein Element von Pluralismus in seinen Dualismus mit der Behauptung hereinbringt, es gebe eine einzige Prakriti aber viele Purushas. Zur Erklärung der Erschaffung und weiteren Entwicklung des Weltalls könnte doch das Dasein eines einzigen Purushas und einer einzigen Prakriti als ausreichend erscheinen. Das Sankhya war aber gezwungen, wegen seiner streng analytischen Beobachtung der Prinzipien der Dinge einen Pluralismus zu entwickeln. Zunächst finden wir tatsächlich, dass es in der Welt viele bewusste Wesen gibt, dass jedes von ihnen die gleiche Welt auf seine eigene Weise anschaut und seine unabhängige Erfahrung der subjektiven und objektiven Dinge hat, seine gesonderten Umgangsweisen mit den gleichen Wahrnehmungs- und Reaktions-Vorgängen. Gäbe es nur einen einzigen Purusha, dann wäre diese zentrale Unabhängigkeit und gegenseitige Abgesondertheit nicht vorhanden. Alle würden vielmehr die Welt auf völlig gleiche Weise und in gemeinsamer Subjektivität und Objektivität sehen. Da Prakriti eine einzige ist, beobachten alle dieselbe Welt. Da ihre Prinzipien überall dieselben sind, sind die allgemeinen Prinzipien, die die innere und äußere Erfahrung bilden, dieselben. Äußerst unerklärbar ist aber die unendliche Unterschiedlichkeit von Betrachtung, Beurteilung und Haltung, von Handeln, Erfahrung und Flucht aus der Erfahrung –, eine Unterschiedlichkeit, die nicht auf den natürlichen Abläufen beruht, da diese dieselben sind, sondern auf dem beobachtenden Bewusstsein –, wenn man nicht voraussetzt, dass es eine Vielzahl von Beobachtern, viele Purushas, gibt. Der absondernde Ego-Sinn, so könnten wir sagen, ist eine ausreichende Erklärung dafür. Aber der Ego-Sinn ist ein gemeinsames Prinzip der Natur und brauchte nicht unterschiedlich zu sein. Denn von sich aus veranlasst er einfach den Purusha, sich mit Prakriti zu identifizieren. Wenn es aber nur einen einzigen Purusha gäbe, wären alle Wesen eins; sie wären in ihrem egoistischen Bewusstsein miteinander verbunden und einander gleich. So verschiedenartig im einzelnen auch die reinen Gestaltungen und die Zusammensetzungen der Bestandteile ihrer Natur sein mögen, es würde keinen Unterschied der Seelen-Anschauung und Seelen-Erfahrung geben. Die Variationen der Natur hätten nicht diese ganze zentrale Unterschiedlichkeit, diese Vielfalt der Anschauung und, von Anfang bis Ende, diese Gesondertheit der Erfahrung in einem einzigen Zeugen, einem Purusha, bewirken müssen. Darum ist der Pluralismus der Seelen logische Notwendigkeit für ein reines Sankhya-System, das sich von den vedantischen Elementen des alten Wissens getrennt hat, das es zuerst entstehen ließ. Der Kosmos und sein Ablauf kann durch den Umgang der einen Prakriti mit dem einen Purusha erklärt werden, nicht aber die Vielzahl bewusster Wesen im Kosmos.

Es gibt noch eine andere, ebenso gewaltige Schwierigkeit. Befreiung ist das Ziel, das sich diese Weltanschauung genau wie die anderen gesteckt hat. Diese Befreiung wird, wie wir gesehen haben, dadurch bewirkt, dass Purusha seine Zustimmung zu den Aktivitäten von Prakriti zurückzieht, die sie ja nur zu seiner Freude unternimmt. Das ist aber, genau genommen, nur eine Form, es sprachlich auszudrücken, Purusha ist passiv. Also kann der Akt, Zustimmung zu erteilen oder zurückzuziehen, in Wirklichkeit nicht zu ihm gehören, sondern muss eine Bewegung in Prakriti selbst sein. Wenn wir genauer zusehen, erkennen wir, es ist, insoweit es sich um eine Maßnahme handelt, eine Bewegung von Umkehr oder Zurücknahme im Prinzip von Buddhi, dem unterscheidenden Willen. Buddhi hat sich den Wahrnehmungen des Mental-Sinns zur Verfügung gestellt und ist damit beschäftigt gewesen, die Wirksamkeiten der kosmischen Energie scharf zu unterscheiden und in Einklang zu bringen. Mit Hilfe des Ego-Sinnes identifiziert es den Zeugen mit ihrem Wirken von Denken, Empfinden und Handeln. Durch den Prozess der Unterscheidung der Dinge kommt Buddhi zu der messerscharfen und auflösenden Erkenntnis, dass diese Identität in Wirklichkeit eine Illusion ist. So trennt Buddhi schließlich in seiner Unterscheidung Purusha von Prakriti und nimmt wahr, das alles nur eine Störung des Gleichgewichts der Gunas ist. Buddhi, zugleich Intelligenz und Wille, zieht sich von den irrealen Dingen zurück, die es unterstützt hat. Purusha, der aufhört, gebunden zu sein, verbindet sich nicht mehr mit dem Interesse des Mentals am kosmischen Spiel. Das letzte Ergebnis wird dann sein, dass Prakriti ihre Macht verliert, sich in Purusha zu reflektieren. Denn die Auswirkung des Ego-Sinnes ist zerstört. Und da der intelligente Wille gleichgültig geworden ist, hört er auf, ein Mittel für ihre Sanktion zu sein: Notwendigerweise müssen dann ihre Gunas in einen Zustand des Gleichgewichts geraten, das kosmische Spiel muss aufhören, der Purusha in seine unbewegliche Ruhehaltung zurückkehren. Gäbe es nur den einen Purusha und dieses Zurücktreten des unterscheidenden Prinzips von seinen Selbsttäuschungen würde stattfinden, dann würde der ganze Kosmos aufhören. Tatsächlich sehen wir aber, dass sich nichts Derartiges ereignet. Nur einige wenige unter unzähligen Millionen Menschen erlangen die Befreiung oder bewegen sich auf sie zu. Die Übrigen werden in keiner Weise davon berührt, und auch die kosmische Natur wird durch diese summarische Zurückweisung, die das Ende all ihrer Wirksamkeiten wäre, in ihrem Spiel keineswegs gestört. Diese Tatsache kann nur durch die Theorie von vielen unabhängigen Purushas erklärt werden. Die einzige überhaupt logische Erklärung vom Standpunkt des vedantischen Monismus aus ist die des Mayavada. Hier aber wird die ganze Welt zu einem Traum. Sowohl Gebundenheit wie Befreiung sind in ihr Zustandsformen der Unwirklichkeit, empirische Fehlkonstruktionen von Maya. In Wirklichkeit wird niemand befreit und niemand gebunden. Die realistischere Sankhya-Anschauung der Dinge lässt den Gedanken, alles Dasein sei trügerisch, nicht zu und kann darum auch diese Lösung nicht akzeptieren. Auch hier sehen wir, dass die Vielzahl der Seelen ein unvermeidlicher Schluss aus den Gegebenheiten der Seins-Analyse des Sankhyaist.

Die Gita fängt mit dieser Analyse an, und es hat zuerst den Anschein, sogar in ihrer Darstellung des Yoga, als ob sie sie beinahe ganz annehme. Sie akzeptiert Prakriti mit ihren drei Gunas und vierundzwanzig Prinzipien. Sie stimmt darin zu, dass sie alles Wirken der Prakriti und die Passivität dem Purusha zuschreibt. Sie erkennt die Vielzahl der bewussten Wesen im Kosmos an. Sie bejaht, als Mittel zur Befreiung, dass der sich identifizierende Ego-Sinn aufgelöst werden muss, ferner das Wirken des unterscheidenden intelligenten Willens und die Notwendigkeit, dass wir über die Bewegung der drei Qualitäten der Energie hinauskommen müssen. Der Yoga, den zu praktizieren Arjuna von Anfang an aufgetragen wird, ist ein Yoga durch Buddhi, den intelligenten Willen. Hier ist aber die eine grundlegend bedeutungsvolle Abweichung – der Purusha wird als ein einziger angesehen, nicht als viele; denn das freie, nicht-materielle, unbewegliche, ewige, unwandelbare Selbst der Gita ist, abgesehen von einem einzigen Detail, eine vedantische Beschreibung des ewigen, passiven, unbeweglichen, unwandelbaren Purusha des Sankhya. Der grundlegende Unterschied ist aber, dass hier nur Einer da ist und nicht viele. Hier entsteht nun die ganze Schwierigkeit, die die Vielzahl des Sankhya vermeidet; darum ist eine völlig andersartige Lösung notwendig. Dafür sorgt die Gita, indem sie in das vedantische Sankhya die Auffassungen und Grundsätze des vedantischen Yoga hineinbringt.

Das erste wichtige neue Element, das wir finden, liegt in der Auffassung von Purusha selbst. Prakriti unternimmt ihre Aktivitäten zur Freude von Purusha. Wie wird aber diese Freude näher bestimmt? In der strikten Sankhya-Analyse kann sie nur durch eine passive Zustimmung des schweigenden Zeugen geschehen. Passiv gibt der Zeuge seine Zustimmung zur Aktivität des intelligenten Willens und des Ego-Sinnes. Passiv stimmt er zu, dass dieser Wille sich vom Ego-Sinn zurückzieht. Er ist Zeuge, Ursprung der Zustimmung und hält durch die Reflexion das Werk der Natur in Gang, sāksī anumantā bhartā. Weiter ist er nichts. Der Purusha der Gita ist aber auch der Herr der Natur; er ist Ishwara. Wenn die Betätigung des intelligenten Willens zur Natur gehört, so gehen doch Verursachung und Macht des Willens von der bewussten Seele aus. Diese ist der Herr der Natur. Wenn auch der Akt der Intelligenz des Willens der Akt von Prakriti ist, so werden Ursprung und Licht der Intelligenz doch aktiv von Purusha beigesteuert. Er ist nicht nur der Zeuge, sondern der Herr und der Wissende, Meister des Wissens und des Willens, jñātā īśvaraḥ. Er ist die oberste Ursache der Aktion von Prakriti und die Ursache dafür, dass sie sich aus dem Wirken zurückzieht. In der Sankhya-Analyse sind Purusha und Prakriti in ihrem Dualismus die Ursache des Kosmos. In diesem synthetischen Sankhya ist Purusha mittels seiner Prakriti die Ursache des Kosmos. Wir sehen sofort, wie weit wir vom starren Purismus der traditionellen Analyse weggekommen sind.

Was wird aber aus dem einen Selbst, dem unveränderlichen, unbeweglichen, ewig freien, mit dem die Gita begann? Dies ist frei von allem Wechsel, von einer Involution in den Wechsel, avikārya; es ist ungeboren, nicht manifestiert, das Brahman, und doch ist es das, „durch das all dieses hier ausgebreitet ist“. Darum dürfte das Prinzip des Ishwara in seinem Wesen enthalten sein. Wenn es auch unbeweglich ist, so ist es doch Ursache und Herr allen Wirkens und all dessen, was sich bewegt. Aber wie? Und wie steht es mit der Vielzahl der bewussten Wesen im Kosmos? Sie sind offenbar nicht der Herr, und zwar sehr betont nicht der Herr, anīśa, denn sie sind dem Wirken der drei Gunas und der Täuschung durch den Ego-Sinn unterworfen. Und wenn sie, wie die Gita offenbar sagt, alle das einzige Selbst sind, wie kam diese Involution, Unterwerfung und Täuschung zustande, wie ist das erklärbar außer durch die reine Passivität des Purusha? Und woher diese Vielzahl? Wie steht es damit, dass das eine Selbst in dem einen Körper und Mental die Befreiung erlangt, während es in anderen unter der Illusion der Gebundenheit verbleibt? Das sind Schwierigkeiten, an denen man nicht ohne Lösung vorübergehen kann.

Die Gita antwortet darauf in ihren späteren Kapiteln mit einer Analyse von Purusha und Prakriti, die neue Elemente beisteuert, die einem vedantischen Yoga sehr angemessen, dem traditionellen Sankhya aber fremd sind. Sie spricht von drei Purushas, eigentlich von einem dreifachen Zustand des Purusha. Wenn die Upanishaden auf die Wahrheiten des Sankhya eingehen, scheinen sie manchmal nur von zwei Purushas zu sprechen. Ein Text sagt, es gibt einen Ungeborenen von drei Farben, das ewige weibliche Prinzip von Prakriti mit seinen drei Gunas, das immer erschafft. Es gibt zwei Ungeborene, zwei Purushas, von denen der eine an ihr hängt und sich ihrer erfreut, der andere sie aufgibt, weil er alle ihre Freuden genossen hat. In einem anderen Vers werden sie als zwei Vögel auf einem Baum beschrieben, zwei auf ewig einander verbundene Gefährten, von denen der eine die Früchte des Baumes isst –, der Purusha in der Natur, der sich an ihrem Kosmos erfreut –, der andere aber nicht, der seinen Gefährten beobachtet –, der schweigende Zeuge, der sich zurückgezogen hat vom Genießen. Wenn der erstere den zweiten sieht und erkennt, dass alles seine eigene Größe ist, ist er befreit vom Leiden. Der Gesichtspunkt in den beiden Versen ist ein unterschiedlicher, aber sie haben eine gemeinsame Bedeutung. Einer der Vögel ist das ewig schweigende, ungebundene Selbst oder der Purusha, durch den alles hier ausgebreitet ist. Er betrachtet den Kosmos, den er aus sich heraus entstehen ließ, bleibt aber über ihm erhaben. Der andere ist der in Prakriti hinein verwickelte Purusha. Der erste Vers deutet an, dass die zwei dasselbe sind. Sie repräsentieren verschiedene Zustände, gebunden und frei, desselben bewussten Wesens –, denn der zweite Ungeborene ist zum Genießen der Natur herabgestiegen und hat sich dann aus ihr zurückgezogen. Der andere Vers macht deutlich, was wir aus dem ersten nicht entnehmen können, dass das Selbst in seinem höheren Zustand von Einheit immer frei, inaktiv, ohne Bindungen ist, obwohl es in sein niederes Wesen in die Vielfalt der Schöpfungen der Prakriti herabsteigt und sich aus ihr wieder dadurch zurückzieht, dass es in jedem individuellen Geschöpf zum höheren Zustand zurückkehrt. Diese Theorie vom doppelten Status der einen bewussten Seele öffnet die Tür. Aber der Prozess der Vervielfältigung des Einen ist immer noch dunkel.

Den beiden Purushas fügt die Gita noch einen anderen, den höchsten, den Purushottama, den erhabenen Purusha, hinzu, dessen Größe diese ganze Schöpfung ist. Sie entwickelt dabei den Gedanken, der an anderer Stelle in den Upanishaden auftaucht, weiter: Es gibt also drei, Kshara, Akshara, Uttama. Kshara, der bewegliche, der veränderliche, ist Natur, svabhāva. Er ist die variable Werdeform der Seele. Hier ist der Purusha die Vielfalt des göttlichen Wesens. Er ist der Purusha, vielfältig, nicht getrennt von Prakriti, sondern in ihr. Akshara, der unbewegliche, der unveränderliche, ist das schweigende inaktive Selbst. Er ist die Einheit des göttlichen Wesens. Er ist der Zeuge der Natur, jedoch nicht in ihre Bewegung verwickelt. Er ist der inaktive Purusha, frei von Prakriti und ihrem Wirken. Uttama ist der Herr, das erhabene Brahman, das höchste Selbst, das beides besitzt, die unveränderliche Einheit und die bewegliche Vielfalt. Durch eine außerordentlich große Beweglichkeit und Aktionskraft Seiner Natur, Seiner Energie, Seines Willens und Seiner Macht manifestiert Er sich in der Welt. Durch eine größere Stille und Unbeweglichkeit Seines Wesens steht Er erhaben über ihr. Doch ist Er als Purushottama über beiden, oberhalb der Erhabenheit über die Natur und der Gebundenheit an die Natur. Diese Idee des Purushottama wird zwar ständig in den Upanishaden vorausgesetzt, sie wird aber erst von der Gita herausgelöst und entschieden herausgearbeitet. Sie hat auf die spätere Entwicklung des indischen religiösen Bewusstseins gewaltigen Einfluss ausgeübt. Sie ist die Grundlage des höchsten Bhakti-Yoga, der den Anspruch erhebt, die starren Definitionen der monistischen Philosophie zu überwinden. Sie steht im Hintergrund der Philosophie der hingebungsvollen Puranas.

Die Gita ist nicht damit zufrieden, innerhalb der Sankhya-Analyse von Prakriti stehen zu bleiben. Denn diese gibt nur dem Ego-Sinn Raum und nicht dem vielfachen Purusha, der ja kein Teil von Prakriti, sondern von ihr getrennt ist. Die Gita versichert hingegen, dass der Herr durch Seine Natur zum Jiva wird. Wie ist das möglich, da es nur die vierundzwanzig Prinzipien der kosmischen Energie und keine anderen gibt? Ja, sagt eigentlich der göttliche Lehrer, das ist eine völlig gültige Darstellung für die sichtbaren Operationen der kosmischen Prakriti mit ihren drei Gunas. Und die Beziehung, die hier dem Purusha und der Prakriti zugeschrieben wird, ist auch völlig gültig und für die praktischen Zwecke der Involution in sie und der Rückkehr aus ihr von großem Nutzen. Das ist aber nur die niedere Prakriti der drei Qualitäten des Nichtbewussten, das sichtbar Gewordene. Es gibt aber noch eine höhere, eine höchste, eine bewusste und göttliche Natur. Diese ist zur individuellen Seele, zum Jiva, geworden. In der niederen Natur erscheint jedes Wesen als das Ego. In der höheren ist der Mensch der individuelle Purusha. Mit anderen Worten: die Vielfalt ist ein Teil der spirituellen Natur des Einen. Diese individuelle Seele bin ich selbst. In der Schöpfung ist sie eine Teil-Manifestation von mir, mamaiva amśaḥ, und sie besitzt alle meine Mächte. Sie ist beobachtender Zeuge, erteilt die Sanktion, ist Erhalter, Wissender, Herr. Sie steigt in die niedere Natur hinab und denkt, sie sei durch das Handeln gebunden, um so das niedere Wesen zu genießen. Sie kann sich aber zurückziehen und als der passive Purusha erkennen, der frei ist von allem Handeln. Sie kann sich über die drei Gunas erheben und, befreit von der Gebundenheit durch Handeln, doch das Wirken beibehalten, wie ich selbst es tue. Sie kann durch die tiefe Verehrung des Purushottama und die Einung mit ihm sich völlig ihrer göttlichen Natur erfreuen.

Von dieser Art ist ihre Analyse. Sie beschränkt sich nicht auf den kosmischen Prozess der vordergründigen Erscheinung. Vielmehr dringt sie in die verborgenen Geheimnisse der überbewussten Natur ein, uttamaṁ rahasyam. Dadurch begründet die Gita ihre Synthese von Vedanta, Sankhya und Yoga, ihre Synthese von Wissen, Wirken und Hingabe. Durch reines Sankhya allein ist die enge Verbindung zwischen Wirken und Befreiung widersprüchlich und unmöglich. Durch reinen Monismus allein wird die dauernde Weiterführung des Wirkens als eines Teils des Yoga und die volle Hingabe der Verehrung, nachdem vollkommenes Wissen, Befreiung und Einung erreicht sind, unmöglich, zumindest widersinnig und zwecklos. Die Sankhya-Erkenntnis der Gita zerstreut alle diese Hindernisse, und das Yoga-System der Gita triumphiert über sie. (68-80)

2.39
Diese Einsicht (die vernunftgemäße Erkenntnis der Dinge und des Willens) wird dir durch Sankhya vermittelt. Vernimm nun dasselbe im Yoga! Denn wenn du durch diese Einsicht im Yoga gegründet bist, O Sohn Prithas, wirst du die Fesseln deiner Taten abschütteln.

Ich habe dir die Haltung einer das Selbst befreienden Intelligenz im Sankhya dargelegt, sagt der göttliche Lehrer zu Arjuna. Nun will ich dir eine andere Haltung im Yoga erklären. Du schreckst vor den Folgen deiner Handlungen zurück. Du begehrst andere Ergebnisse und wendest dich ab von deinem rechten Pfad im Leben, weil er dich nicht zu jenen führt. Aber deine Vorstellung von Handlungen und ihrem Resultat, wobei das Begehren nach dem Resultat der Beweggrund ist und die Handlung ein Mittel zur Befriedigung des Begehrens, entspricht der Gebundenheit der Unwissenden, die nicht wissen, was die Werke sind, nicht ihren wahren Ursprung, nicht ihren wirklichen Verlauf, nicht ihren hohen Nutzen kennen. Mein Yoga wird dich von aller Gebundenheit der Seele an ihre Werke befreien, karmabandhaṁ prahāsyasi. (94)

2.40
Auf diesem Pfad ist keine Mühe verloren, kein Hindernis hat Bestand. Selbst ein wenig von diesem Dharma befreit dich von der großen Furcht.

Arjuna ist von jener großen Furcht gepackt, die die Menschheit bedrängt, ihre Furcht vor Sühne und Leiden, hier und danach; ihre Angst in einer Welt, von deren wahrer Natur sie nichts weiß; vor einem Gott, dessen wahres Wesen sie ebenfalls nicht gesehen hat und dessen Absicht mit dem Kosmos sie nicht versteht. Mein Yoga wird dich von der großen Angst befreien, sagt der göttliche Lehrer zu ihm, selbst ein wenig von ihm wird dir Erlösung bringen. Sobald du einmal die ersten Schritte auf diesem Pfad gegangen bist, wirst du finden, dass kein Schritt umsonst ist. Jeder noch so kleine Augenblick wird dir zum Gewinn werden. Du wirst entdecken, dass es kein Hindernis gibt, das dir dein Vorwärtsschreiten vereiteln könnte. Das ist ein kühnes und absolutes Versprechen. Einem solchen kann das angstvolle und zaudernde Gemüt, das auf all seinen Pfaden bedrängt ist und strauchelt, nicht leicht sicheres Vertrauen schenken. (94-95)

2.41
Die fest im Selbst gegründete und entschlossene Intelligenz ist zielgerichtet und homogen, O Freude der Kurus; aber vielverzweigt und mannigfaltig ist die Intelligenz des Unentschlossenen.

Intelligenz: Das hier verwendete Wort Buddhi bedeutet im eigentlichen Wortsinn die mentale Macht des Verstehens. Von der Gita wird es offensichtlich in einem umfassenden philosophischen Sinn für das ganze Wirken des unterscheidenden und entscheidenden Mentals gebraucht, das sowohl die Richtung wie die Verwendung unserer Gedanken bestimmt, und ebenso die Richtung und Verwendung unserer Handlungen. Denken, Intelligenz, Urteilsvermögen, scharfsichtige Auswahl und Zielsetzung sind allesamt in seine Arbeit eingeschlossen. Denn das Charakteristische der geeinten Intelligenz ist nicht nur die Konzentration des Mentals, das erkennt, sondern besonders die Konzentration des Mentals, das entscheidet und in der Entscheidung verharrt, vyavasāya. Im Gegensatz dazu ist das Kennzeichen der zerstreuten Intelligenz nicht so sehr ihr Abschweifen von ihren Vorstellungen und Wahrnehmungen, als vielmehr die Unstetigkeit der Ziele und Begehren, deshalb auch des Willens. So sind also Wille und Erkenntnis die beiden Funktionen von Buddhi. Der in sich geeinte intelligente Wille ist in der erleuchteten Seele fest gegründet. Er ist in einer inneren Erkenntnis des Selbstes konzentriert. Die nach vielen Seiten hin verzweigte und nach verschiedenen Zielen strebende Intelligenz, mit vielen Dingen beschäftigt, ohne Sorge um das Eine, das nottut, steht im Gegensatz dazu unter der Herrschaft der ruhelosen und unsteten Tätigkeit des Mentals. Sie ist in das äußere Leben, Wirken und dessen Ergebnisse zerstreut. (95-96)

2.42-43
Es sind blumige Worte, die jene verkünden, die keine klare Urteilskraft haben, der Lehre des Veda ergeben und davon überzeugt, dass es nichts darüber hinaus gibt, Seelen der Begehrlichkeit, nach dem Paradies Suchende –, sie bringt die Früchte der Werke der Geburt, ist vielgestaltig und verlangt besondere Riten und ist auf Genuss ausgerichtet und auf Macht als ihr Ziel.

In den ersten sechs Kapiteln legt die Gita die weite Grundlage für ihre Synthese von Wirken und Wissen, die Synthese von Sankhya, Yoga und Vedanta. Zunächst entdeckt sie aber, dass karma, das Wirken, in der Sprache der Vedantins einen besonderen Sinn hat. Es bedeutet die vedischen Opfer und Zeremonien, zumindest diese und die Ordnungen des Lebens im Einklang mit den Grihyasutras, in denen diese Riten der wichtigste Teil, der religiöse Kern des Lebens sind. Unter Handlungen verstanden die Vedantins diese religiösen Werke, das Opfersystem, yajña, eine Fülle sorgfältiger Anordnungen, vidhi, und genauer, komplizierter Riten, kriyā-viśeṣa-bahulām. Im Yoga haben die Werke aber eine viel weitere Bedeutung; und die Gita legt auf diese umfassendere Bedeutung besonderes Gewicht. Nach unserer Auffassung spiritueller Aktivität müssen alle Handlungen einbezogen werden, sarva-karmāṇi. Zugleich verwirft sie nicht, wie der Buddhismus, den Gedanken des Opfers; sie zieht vor, es im höheren Sinn zu verstehen und auszuweiten. Ja, sie sagt ausdrücklich, nicht nur ist Opfer, yajña, der wichtigste Teil des Lebens, sondern alles Leben, alle Handlungen, sollten als Opfer betrachtet werden. Sie sind yajña, auch wenn sie von den ganz Unwissenden ohne höhere Erkenntnis, und von den meisten Unwissenden nicht nach der wahren Ordnung ausgeführt werden, avidhi-pūrvakam. Opfer ist die eigentliche Grundbedingung des Lebens. Mit dem Opfer als ihrem Begleiter hat der Vater der Geschöpfe diese Völker erschaffen. Aber die Opfer der Vedavadins sind Darbringungen aus Begehren, auf materielle Belohnung gerichtet, ein Verlangen, das gierig ist auf das Ergebnis des Wirkens, ein Begehren, das nach viel größeren Freuden im Paradies aus ist, nach Unsterblichkeit und höchster Erlösung. So etwas kann das System der Gita nicht zulassen. Denn dieses beginnt schon an seinem eigentlichen Ausgangspunkt mit der Zurückweisung des Begehrens; es wird abgewiesen und zerstört, da es der Feind der Seele ist. Die Gita bestreitet nicht die Gültigkeit der vedischen Opferhandlungen. Sie lässt sie zu, sie räumt ein, dass man durch diese Mittel hier auf Erden und jenseits im Paradies Freuden gewinnen kann. „Ich selbst bin es“, sagt der göttliche Lehrer, „der diese Opfer annimmt; Mir werden sie dargebracht. Ich bin es, in Gestalt der Götter, der die Früchte der Opfer gewährt. Denn die Menschen ziehen es vor, sich Mir auf diese Weise zu nahen.“ Das ist aber nicht der wahre Weg, und auch die Freuden des Paradieses sind nicht die Befreiung und Erfüllung, die der Mensch suchen soll. Die Unwissenden sind es, die die Götter verehren, da sie nicht erkennen, wen sie unwissend in göttlicher Gestalt verehren. Denn sie beten, wenn auch unwissend, in diesen Formen zu dem Einen, dem Herrn, dem einzigen Deva, und es ist Er, der ihre Darbringung annimmt. Diesem Herrn muss das Opfer geweiht werden, das wahre Opfer aller Energien und Aktivitäten des Lebens, mit tiefer Ergebenheit, ohne Begehren, um Seinetwillen und für die Wohlfahrt der Menschen. Weil das Vedavada diese Wahrheit verdunkelt und mit seinem Wirrwarr von rituellen Bindungen der Menschen nach unten, an das Wirken der drei Gunas, fesselt, muss es so hart getadelt und schroff abgelehnt werden. Aber seine zentrale Idee wird dadurch nicht zerstört. Sie wird umgestaltet und emporgehoben. Sie wird in einen höchst wichtigen Teil der wahren spirituellen Erfahrung und Methode zur Befreiung verwandelt. (89-90)

2.44
Die Intelligenz derer, die durch diese blumige Rede fehlgeleitet werden und sich an Genuss und Macht klammern, ist nicht fest im Selbst gegründet, Samadhi (beständige Konzentration).

2.45
Das Wirken der drei Gunas ist Gegenstand des Veda; aber du werde frei von den drei Gunas, O Arjuna! Sei ohne Gegensätze, immer fest im wahren Wesen gegründet, frei von Erwerben- und Habenwollen, fest im Besitz des Selbstes!

Denn was könnte die freie Seele noch bekommen oder haben? Sind wir einmal im Besitz des Selbstes, dann sind wir im Besitz aller Dinge. Und dennoch hört dieser Mensch nicht auf, zu wirken und zu handeln. Darin liegt die Originalität und die Macht der Gita: Nachdem sie diesen statischen Zustand der befreiten Seele versichert hat, diese Überlegenheit über die Natur, dies Leergewordensein auch von allem, aus dem gewöhnlich das Wirken der Natur besteht, kann sie immer noch den Anspruch stellen, ja dringend von ihr verlangen, nun erst recht mit dem Wirken fortzufahren. So kann sie den großen Mangel der rein quietistischen und asketischen Philosophien vermeiden –, jenen Irrweg, dem sie, wie wir heute sehen, zu entkommen suchen. (102)

2.46
So viel Nutzen, wie in einer Quelle liegt, um die herum das Wasser in Fluten strömt, so viel Nutzen liegt in allen Veden für den Brahmanen, der das Wissen besitzt.

2.47
Du hast ein Recht auf das Handeln, aber nur auf das Handeln an sich, niemals auf dessen Früchte. Lass weder die Früchte zum Beweggrund deines Handelns werden, noch sei der Untätigkeit verhaftet.

Der Gott-Schauende wohnt im Wissen, sagt der göttliche Lehrer, aber er soll die Menschen nicht durch ein gefährliches Vorbild verwirren, indem er in seiner vermeintlichen Überlegenheit das Wirken in der Welt zurückweist. Er soll den Faden des Wirkens nicht abschneiden, bevor er zu Ende gesponnen ist. Er soll die Stufen und Grade der Wege, die ich ausgehauen habe, nicht durcheinanderbringen und falsch markieren. Die ganze Reichweite menschlichen Wirkens ist von mir verordnet worden mit dem Blick auf den Fortschritt des Menschen von der niederen zur höheren Natur, vom anscheinend Ungöttlichen zum bewusst Göttlichen. Der ganze Bereich des menschlichen Wirkens muss jenes Feld sein, auf dem sich der Gott-Erkennende bewegen soll. (139)

Aber „lass nicht die Früchte deines Wirkens zu deinem Beweggrund werden. Lass aber auch in dir keinen Hang zur Untätigkeit aufkommen.“ Darum wird hier weder zu dem Wirken geraten, wie es von den Vedavadins mit Begehren praktiziert wird. Noch ist es der Anspruch des praktischen oder überaktiven Menschen, der sein ruheloses und energetisches Mental durch ständige Aktivität zufriedenstellen will. (102-103)

2.48
Fest gegründet im Yoga, vollbringe deine Taten als einer, der jegliche Bindung aufgegeben hat und gleichmütig geworden ist hinsichtlich Misslingen und Erfolg! Denn Gleichmut wird durch Yoga beabsichtigt.

Denn nur deshalb ist der Mensch durch seine Handlungen gebunden, oder scheint er es zu sein, weil er mit einer falsch arbeitenden Intelligenz unwissend handelt und deshalb mit einem falschen Willen in diesen Dingen. Andernfalls bewirken Werke keine Gebundenheit für die freie Seele. Wegen dieser falsch wirkenden Intelligenz hat er Hoffnung und Furcht, Zorn, Kummer und vergängliche Freuden. Andernfalls sind die Werke in völlig froher Gelassenheit und Freiheit möglich. Darum wird Arjuna zuerst der Yoga der Buddhi, der Intelligenz, nahegelegt. Seine Handlungen soll er mit der richtigen Einsicht leisten und, daraus folgend, mit dem richtigen Willen, fest gegründet in dem Einen, das eine Selbst in allem wahrnehmen und aus dessen Gelassenheit handeln. Er soll nicht in verschiedenen Richtungen unter den tausend Antrieben des oberflächlichen mentalen Selbsts umherrennen. Das ist der Yoga des intelligenten Willens. (95)

Das Wirken wird leidvoll durch die Wahl zwischen einem relativen Guten und relativen Bösen, durch die Furcht vor Sünde und das schwierige Ringen um die Tugend. Aber der befreite Mensch, der seine Intelligenz und seinen Willen mit dem Göttlichen geeint hat, wirft gerade hier in der Welt der Gegensätzlichkeiten sowohl das Gutes-Tun wie das Böses-Tun von sich. (103)

2.49
Taten sind von weit minderem Wert als der Yoga der Intelligenz, O Dhananjaya; suche lieber deine Zuflucht in der Intelligenz! Arme und erbärmliche Seelen sind jene, die die Frucht ihrer Werke zum Ziel ihrer Gedanken und Taten machen.

2.50
Derjenige, dessen Intelligenz das Eins-Sein erlangt hat, weist schon hier in dieser Welt der Gegensätze beides, „gut“ oder „schlecht“ zu handeln, von sich; strebe also danach, im Yoga gegründet zu sein. Yoga ist wahre Fertigkeit im Wirken.

weist beides, „gut“ oder „schlecht“ zu handeln, von sich: Denn er hebt sich empor in ein höheres Gesetz jenseits von Gut und Böse, das gegründet ist in der Freiheit der Selbst-Erkenntnis. Kann solch ein Handeln ohne Begehren überhaupt Entschlossenheit, Wirkungskraft, ein wirkungsvolles Motiv, eine weithin oder effektive schöpferische Macht haben? Und ob! Im Yoga geleistetes Wirken ist nicht nur das höchste, sondern das weiseste, kraftvollste und wirkungsstärkste gerade für die Angelegenheiten der Welt. Denn es wird durch das Wissen und den Willen des Meisters der Werke geformt: „Yoga ist wahre Fertigkeit im Wirken.“ (103)

2.51
Die Weisen, die ihre Vernunft und ihren Willen mit dem Göttlichen geeint haben, verzichten auf die Frucht, die das Wirken ihnen einbringt. Befreit von den Fesseln der Geburt, erlangen sie den Zustand jenseits des Elends.

Lenkt aber nicht alles Wirken, das auf das Leben gerichtet ist, ab vom universalen Ziel des Yogin, das doch nach allgemeiner Übereinstimmung darin besteht, dass er der Gebundenheit an dies gequälte und leidvolle Geborenwerden als Mensch entkommt? Im Gegenteil, weder noch. Die Weisen, die ohne das Begehren nach den Früchten wirken, die im Yoga mit Gott geeint sind, werden befreit von der Gebundenheit an das Geborenwerden und erreichen jenen anderen vollkommenen Zustand (brāhmī sthiti), in dem es keine der Krankheiten gibt, die hier Mental und Leben einer leidenden Menschheit anfechten. (103)

2.52
Wenn deine Intelligenz hinübergeht, hinaus über den Wirbel der Verblendung, wirst du gegenüber der Schrift gleichgültig werden, sowohl gegen die bis jetzt gehörte wie auch gegen die, die du noch zu hören bekommst.

Die Veden und die Upanishaden werden für den, der die Erkenntnis gewonnen hat, als unnötig erklärt. „So viel Nutzen, wie in einer Quelle liegt, um die herum das Wasser in Fluten strömt, so viel Nutzen liegt in allen Veden für den Brahmanen, der das Wissen besitzt.“ Die Schriften werden sogar zum blockierenden Hindernis. Denn der Buchstabe des Wortes verwirrt – vielleicht weil es Streit über die Texte und ihre verschiedenen, voneinander abweichenden Auslegungen gibt –, das Verstehen, das seine Gewissheit und Konzentration nur durch das innere Licht finden kann. (87)

2.53
Wenn deine Intelligenz, die durch die Sruti (Veden und Upanishaden) verwirrt ist, unbeweglich und fest im Samadhi steht, wirst du den Yoga erlangen.

Sruti ist der allgemeine Begriff für die Veden und Upanishaden. So anstößig diese Kritik an den Srutis für das konventionelle religiöse Empfinden auch sein mag – natürlich wurden durch die übliche, unerlässliche Fähigkeit des Menschen, Texte zu verbiegen, Versuche gemacht, einigen dieser Verse einen anderen Sinn zu geben –, so ist doch der Sinn deutlich und von Anfang bis Ende zusammenhängend. Das wird durch eine darauffolgende Stelle bestätigt und besonders hervorgehoben, in der die Erkenntnis des Wissenden beschrieben wird als ein Anstieg zu den Höhen, die sich jenseits der Veden und Upanishaden erheben, śabdabrahmātivartate. Sehen wir indessen zu, was all dies bedeutet. Denn wir können sicher sein, dass ein synthetisches und allumfassendes System wie das der Gita solche wichtigen Teile der arischen Kultur nicht im Geist bloßer Verneinung und Zurückweisung behandelt. (88)

2.54
Arjuna sprach:
Was ist das Kennzeichen des Menschen in Samadhi, dessen Intelligenz fest in der Weisheit gegründet ist, O Keshava? Wie spricht, wie sitzt, wie handelt dieser Weise, dessen Verstehen sicheren Grund gefunden hat?

Arjuna, die Stimme des durchschnittlichen menschlichen Mentals, fragt nach einem äußeren, physischen, praktisch unterscheidbaren Kennzeichen dieses hohen Samadhi. „Wie spricht, wie sitzt, wie handelt dieser Weise?“ Solche Kennzeichen können nicht gegeben werden, und der Lehrer versucht auch nicht, sie zu liefern. Denn der einzig mögliche Beweis dafür ist innerlich, dass jemand eben Samadhi besitzt und dass sich viele feindliche psychische Kräfte dagegen wenden. Gelassenheit ist das große Siegel der befreiten Seele und von dieser Ausgeglichenheit sind gerade die am meisten erkennbaren Zeichen nur subjektiv. (102)

Kennzeichnend für einen Menschen in Samadhi ist nicht, dass er das Bewusstsein der Gegenstände und seiner Umgebung, seines mentalen und physischen Selbstes verliert und zu diesem Bewusstsein auch dann nicht zurückgerufen werden kann, wenn der Körper gebrannt oder gequält wird –, das ist die übliche Auffassung von Samadhi. Trance ist eine besondere Intensität, nicht das wesentliche Kennzeichen. (101)

2.55
Der Erhabene sprach:
Wenn ein Mensch, O Partha, aus seinem mentalen Wesen alles Begehren ausmerzt und im Selbst durch das Selbst sein volles Genüge gefunden hat, dann sagt man von ihm, er ist in seiner Intelligenz fest gegründet.

Das Kriterium des Samadhi besteht darin, dass alles Begehren ausgetrieben ist. Das Begehren kann nicht mehr an das mentale Wesen herankommen. Der innere Zustand ist es, aus dem unsere Freiheit entsteht und die Seligkeit der Seele, die in sich gesammelt ist mit ausgeglichenem Mental, das still, in hoher Gelassenheit oberhalb dessen verbleibt, was anzieht und abstößt, über dem dauernden Wechsel von Sonnenschein, Sturm und Spannung des äußeren Lebens. Ein solches mentales Wesen wird selbst dann nach innen gezogen, wenn es nach außen hin handelt. Es ist im Selbst konzentriert, auch wenn es auf die Dinge draußen schaut. Es wird völlig zum Göttlichen hingezogen, auch wenn es dem äußeren Betrachter als geschäftig und mit den Angelegenheiten der Welt befasst erscheint. (102)

2.56
Er, dessen Mental unerschütterlich bleibt inmitten von Leiden und Freuden, ist frei geworden vom Begehren, aus dem Vorliebe, Furcht und Zorn verschwunden sind, der ist der Weise, fest gegründet in seinem Verstehen.

Die Selbst-Erziehung der Stoiker nimmt Begehren und Leidenschaft in ihre Arme wie ein Ringer und zermalmt sie zwischen diesen, wie einst Dhritarashtra im Epos das eiserne Bild des Bhima. Sie erträgt den Schock der schmerzhaften und freudvollen Dinge, die Ursachen der physischen und mentalen Erregungen der Natur und bricht deren Wirkungen in Stücke. Sie ist abgeschlossen, wenn die Seele alle Einwirkungen ertragen kann, ohne an ihnen zu leiden, von ihnen angezogen, freudig erregt oder verwirrt zu werden. Sie sucht den Menschen zum Eroberer und König über seine Natur zu machen.

Indem die Gita ihren Anruf an die Krieger-Natur des Arjuna richtet, beginnt sie mit dieser heroischen Bewegung. Sie fordert ihn auf, sich gegen den großen Feind, das Begehren, zu wenden und ihn zu erschlagen. Ihre erste Beschreibung der Gelassenheit ist die eines Philosophen der Stoa. (195-96)

Aber die Gita akzeptiert die Erziehung der Stoiker, diese heroische Philosophie, unter derselben Bedingung, unter der sie das tamasische Zurückschrecken akzeptiert: Sie muss über sich die sattwische Schau der Erkenntnis, an ihrer Wurzel das Ziel, das Selbst zu verwirklichen, und in ihren Schritten den Aufstieg zur göttlichen Natur haben. Eine stoische Erziehung, die nur die gewöhnlichen Neigungen unserer menschlichen Natur zertrümmert – auch wenn sie weniger gefährlich ist als tamasische Lebensmüdigkeit, unfruchtbarer Pessimismus und sterile Trägheit, da sie wenigstens die Macht und die Meisterschaft der Seele aus dem Selbst vermehrt –, wäre doch kein unvermischtes Gut, da das zur Unempfindlichkeit und einer unmenschlichen Isolierung führen könnte, ohne die spirituelle Befreiung zu bewirken. Die Gelassenheit der Stoa wird als ein Element in der Erziehung der Gita zugelassen, da sie mit der Verwirklichung des freien, unwandelbaren Selbstes im wandelbaren menschlichen Wesen vereint werden, zu dieser helfen, paraṃ dṛṣṭvā, und zum sicheren Stand in jenem neuen Selbstbewusstsein führen kann, eṣā brāhmi sthitiḥ. (197)

2.57
Wer in jeder Lage ohne Gemütsbewegung ist, auch wenn er von diesem Guten oder jenem Bösen heimgesucht wird, und weder hasst noch frohlockt –, dessen Intelligenz ruht auf starkem Fundament in der Weisheit.

2.58
Wer die Sinne von den Gegenständen der Sinne zurückzieht, so wie die Schildkröte ihre Glieder in ihren Panzer einzieht –, dessen Intelligenz ruht auf starkem Fundament in der Weisheit.

Die erste Bewegung muss offensichtlich die sein, dass wir vom Begehren frei werden, das die tiefste Wurzel des Bösen und des Leidens ist. Um vom Begehren frei zu werden, müssen wir der Ursache des Begehrens, dem Hinausstürmen der Sinne, die ihre Gegenstände erfassen und genießen wollen, ein Ende setzen. Wir müssen sie zurückziehen, wenn sie die Neigung haben, sich so nach außen zu stürzen. Wir müssen sie von ihren Gegenständen zurückziehen –, wie die Schildkröte ihre Glieder in ihr Gehäuse zurückzieht, so diese Sinne zurück in ihren Ursprung, beruhigt im Mental, das Mental in der Intelligenz zur Ruhe gebracht, die Intelligenz in der Seele und ihrer Erkenntnis des Selbstes zur Ruhe gebracht. So müssen wir das Wirken der Natur beobachten, ihr aber nicht unterworfen und nicht durch unser Begehren an etwas gebunden sein, das das objektive Leben geben kann.

Um ein Missverständnis zu vermeiden, das sich leicht ergeben kann, wendet aber Krishna sofort ein: Was ich lehre, ist nicht äußeres Asketentum, nicht den Gegenständen der Sinne körperlich zu entsagen. Die Entsagung der Sankhyas oder die Kasteiungen der strengen Asketen mit ihrem Fasten, der Auszehrung ihres Körpers und dem Versuch, sich überhaupt der Nahrung zu enthalten, sind nicht jene Selbst-Disziplin oder Enthaltung, die ich meine. Ich spreche von einer inneren Zurückgezogenheit, einer Zurückweisung des Begehrens. (99)

2.59
Wenn sich jemand der Nahrung enthält, hören wohl die Gegenstände seiner Sinne auf zu wirken, doch die Neigung in den Sinnen selbst, rasa, bleibt bestehen; wenn der Höchste geschaut wird, hört auch rasa auf.

Da die verkörperte Seele einen Leib besitzt, muss sie ihn normal für seine normale physische Betätigung mit Nahrung versorgen. Wenn sie sich der Nahrung enthält, legt sie einfach den physischen Kontakt zum Objekt der Sinne von sich ab. Sie wird aber die innere Beziehung nicht los, die den Kontakt zu etwas Schädlichem macht. Sie behält die Freude der Sinne am Objekt, rasa, zurück, die Zuneigung und Abneigung –, denn rasa hat zwei Seiten. Die Seele muss, im Gegenteil, dazu fähig sein, den physischen Kontakt auszuhalten, ohne innerlich diese Sinnen-Reaktionen zu erleiden. (99-100)

2.60
Selbst bei dem Weisen, der nach Vollkommenheit trachtet, wird das mentale Wesen durch das heftige Drängen der Sinne fortgerissen, O Sohn der Kunti.

Gewiss sind Selbst-Disziplin und Selbst-Kontrolle niemals leicht. Alle intelligenten Menschen wissen, dass sie eine gewisse Selbst-Beherrschung ausüben müssen. Nichts ist allgemeiner bekannt als der Rat, die Sinne zu beherrschen. Gewöhnlich wird dieser Rat aber nur unvollkommen gegeben und sehr unvollkommen, in eingeschränkter und ungenügender Form befolgt. Indes findet sich sogar der weise Mensch von klarer, kluger und urteilsfähiger Seele, der sich wirklich darum bemüht, völlige Meisterschaft über sich zu erwerben, von den Sinnen bestürmt und fortgerissen. (100)

2.61
Nachdem er alle seine Sinne unter seine Herrschaft gebracht hat, muss er fest im Yoga gegründet und ganz an Mich hingegeben sein; denn wer seine Sinne gemeistert hat, dessen Intelligenz ist fest (an ihrem richtigen Ort) gegründet.

Durch einen Akt der Intelligenz selbst, durch reine mentale Selbst-Disziplin, kann das nicht vollkommen geleistet werden. Es kann nur geschehen durch einen Yoga der Einung mit etwas, das höher ist als jene, mit etwas, dem Ruhe und Selbst-Herrschaft innewohnt. Und dieser Yoga kann nur dadurch zu seinem Erfolg gelangen, dass das ganze Selbst an das Göttliche hingegeben, ihm geweiht und dargebracht wird. Krishna sagt: „an Mich“. Denn der Befreier ist in unserem Inneren. Aber er ist nicht in unserem Mental, auch nicht in unserer Intelligenz und nicht in unserem persönlichen Willen –, sie sind nur Instrumente. Es ist der Herr, wie uns am Ende der Gita gesagt wird, zu dem wir unbedingt unsere Zuflucht nehmen sollen. Zu diesem Zweck müssen wir ihn zuerst zum Ziel und Inhalt unseres ganzen Wesens machen und Seelen-Verbindung mit ihm halten. Das ist der Sinn des Satzes: „Er muss fest im Yoga gegründet und ganz an Mich hingegeben sein.“ So deutet die Gita gemäß ihrer Art nur im Vorübergehen mit drei Worten das an, was im Kern alles Wesentliche des höchsten Geheimnisses enthält, das noch zu entfalten ist. Yukta āsīta matparaḥ. (101)

2.62
In demjenigen, dessen Mental mit gefesseltem Interesse an den Gegenständen seiner Sinne hängt, bildet sich Bindung an diese. Aus der Bindung kommt das Begehren und aus Begehren Zorn.

2.63
Zorn führt zu Verwirrung, auf Verwirrung folgt der Verlust der Erinnerung. Hierdurch wird die Intelligenz zerstört. Durch die Zerstörung der Intelligenz geht er zugrunde.

Durch Leidenschaft und Zorn wird die Seele verdunkelt, Intelligenz und Wille vergessen die stille beobachtende Seele zu schauen und in ihrem Reich daheim zu sein. So kommt es zum Absturz aus der Erinnerung an das eigene wahre Selbst. Durch diesen Fall wird auch der intelligente Wille verfinstert, sogar zerstört. Denn in diesem Augenblick existiert die Seele in unserer Selbst-Erinnerung überhaupt nicht mehr; sie verschwindet in einer Wolke von Leidenschaft. Wir selbst werden Leidenschaft, Zorn, Kummer und hören auf, unser Selbst, unsere Intelligenz, unser Wille zu sein. (100)

2.64-65
Wer mit den Sinnen über die Gegenstände nur hinwegstreift, mit Sinnen, die dem Selbst untertan sind, befreit von Vorliebe und Abneigung, gelangt in eine weite und heitere Klarheit von Seele und Temperament, in der Leidenschaft und Kummer keinen Raum mehr haben. Die Intelligenz eines solchen Menschen wird rasch und fest (an ihrem eigentlichen Ort) gegründet.

Wie ist aber dieser begierdelose Kontakt zu den Objekten, diese nicht-sinnliche Verwendung der Sinne, möglich? Sie ist möglich, parām dṛṣṭvā, durch die Schau des Höchstenparām, der Seele, des Purusha –, und dadurch, dass wir im Yoga leben, in der Einung oder im Einssein des ganzen subjektiven Wesens mit jenem, durch den Yoga der Intelligenz… (100)

Dann werden die Sinne, von Reaktionen frei, von Gebundenheit an Vorlieben und Abneigungen erlöst, der Gegensätzlichkeit von positivem und negativem Begehren entgehen. Dann werden Stille, Friede, Klarheit, heitere Gelassenheit, ātmaprasāda, den Menschen ganz einnehmen. Diese klare Heiterkeit ist die Ursache für das Glück der Seele. Aller Kummer verliert allmählich seine Macht, die heitere Seele anzurühren. Die Intelligenz wird rasch im Frieden des Selbstes beheimatet. Leiden wird zerstört. Dieser ruhigen, von Begehren und Kummer freien Beständigkeit von Buddhi in Selbst-Ausgeglichenheit und Selbst-Erkenntnis gibt die Gita den Namen Samadhi. (101)

Das höchste Ziel des Yoga des intelligenten Willens liegt im Brahman-Zustand, brāhmī sthiti. Das ist eine Umkehrung aller Anschauungen der erdgeborenen Geschöpfe, ihrer Erfahrung, Erkenntnis, Werte, Gesichtspunkte. (103)

2.66
Für den, der nicht im Yoga gegründet ist, gibt es keine Intelligenz, keine Konzentration des Denkens. Ohne Konzentration gibt es für ihn keinen Frieden. Wie kann der Friedlose glücklich sein?

2.67
Schweifende Sinne, denen das Mental folgt, reißen den Verstand mit sich fort, so wie die Winde ein Schiff auf See mit sich forttragen.

2.68
Darum, O Starkarmiger, ruht bei demjenigen, der bis zum äußersten die Erregung der Sinne durch deren Gegenstände gezügelt hat, die Intelligenz fest gegründet in der ruhigen Erkenntnis des Selbstes.

2.69
Jenes (höhere Sein), das für alle Geschöpfe eine Nacht ist, ist Wachsein für den selbstbeherrschten Weisen (sein leuchtender Tag wahren Seins, wahrer Erkenntnis und Macht). Das Leben in der Spannung der Dualitäten, das für jene ihr Wachsein ist (ihr Tag, ihr Bewusstsein, die helle Voraussetzung für ihr Wirken), ist eine Nacht für den Weisen, der sieht (ein unruhiger Schlaf und Finsternis der Seele).

2.70
Derjenige erlangt Frieden, in den alle Begehren einströmen wie die Gewässer in das Meer (in einen Ozean von weitem Sein und Bewusstsein), das ständig gefüllt wird und doch immer unbewegt bleibt; niemals jener, der (wie die wirbelnden schlammigen Gewässer) durch jeden kleinen Zustrom von Begehren erregt wird.

2.71
Wer alles Begehren aufgibt und frei von Begehren lebt und handelt, wer kein „ich“ und „mein“ mehr hat (wer sein individuelles Ego im Einen ausgelöscht hat und in jener Einung lebt), der erlangt den großen Frieden.

2.72
Dies ist brāhmī sthiti (das Feststehen in Brahman), O Sohn Prithas. Wer dahin gelangt ist, wird nicht verwirrt. Wer in der Stunde des Todes in diesem Zustand fest gegründet ist, kann zum Erlöschen in Brahman gelangen.

Nirvana ist nicht die negative Selbst-Vernichtung der Buddhisten, sondern das beseligende Eintauchen des gesonderten persönlichen Selbsts in die allgewaltige Wirklichkeit des einen unendlichen apersonalen Seins. (104)

Die Gita ersetzt die sechs Kapitel hindurch den stillen, unveränderlichen, aber vielfältigen Purusha der Sankhyas durch den stillen, unveränderlichen Brahman der Vedantins, den Einen ohne einen zweiten, der dem ganzen Kosmos immanent ist. Durch all diese Kapitel hindurch akzeptiert sie das Wissen von Brahman und die Verwirklichung von Brahman als das wichtigste, das unentbehrliche Mittel zur Befreiung, während sie gerade auf den ohne Verlangen vollzogenen Werken als einem wesentlichen Teil des Wissens besteht. Ebenso übernimmt sie das Nirvana des Ego als wesentlich für die Befreiung, wenn das Ego in der unendlichen Gelassenheit des unveränderlichen, unpersönlichen Brahman aufgeht. Sie identifiziert praktisch dies Auslöschen des Ego mit der Rückkehr des untätigen, unwandelbaren Purusha zu sich selbst im Sankhya, wenn er aus den Identifizierungen mit den Aktionen der Prakriti emportaucht. (90)

Solche subtile Vereinigung von Sankhya, Yoga und Vedanta ist die erste Stütze der Lehre der Gita. Sie ist keineswegs alles, aber die erste, unentbehrliche praktische Einheit von Wissen und Wirken. Sie enthält bereits eine Andeutung des dritten krönenden und stärksten Elements in der Vollkommenheit der Seele: göttliche Liebe und innige Hingabe [Devotion]. (104)


1 Dharma bedeutet wörtlich das, woran man seinen Halt findet und was die Dinge zusammenhält, das Gesetz, die Norm, die Ordnung der Natur, des Handelns und Lebens. – Anmerkung Sri Aurobindos