Kapitel 2

Rolle, Aufgabe und Tätigkeit der Seele

Worte Sri Aurobindos

Dies Samen-Selbst, ins Unbestimmte eingesät,

Verwirkt die Glorie seiner Göttlichkeit,

Verbergend die Allmacht seiner Kraft,

Verbergend die Allweisheit seiner Seele;

Als Mittler seines eigenen transzendenten Willens,

Versenkt es Wissen in der nichtbewussten Tiefe;

Annehmend Irrtum, Kummer, Tod und Schmerz,

Bezahlt es das Lösegeld der unwissenden Nacht,

Wiedergutmachend den Absturz der Natur mit seiner Substanz.

Worte Sri Aurobindos

In dieser Ausstattung von fleischlichem Leben

Überlebt eine Seele, die ein Funke Gottes ist,

Und manchmal bricht sie durch den schmutzigen Vorhang

Und entfacht ein Feuer, das uns halb göttlich macht.

Worte Sri Aurobindos

Unsere Seele wirkt aus ihrer mysteriösen Kammer;

Ihr Einfluss drückt auf unser Herz und Mental,

Drängt sie, über ihr sterbliches Selbst hinauszukommen.

Sie sucht nach dem Guten und der Schönheit und nach Gott;

Wir sehen hinter den Wänden des Selbstes unser grenzenloses Selbst,

Wir blicken durch das Glas unserer Welt auf halb sichtbare Weiten,

Wir jagen nach der Wahrheit hinter sichtbaren Dingen.

Die Aufgabe der Seele

Worte Sri Aurobindos

Das ist die Aufgabe der Seele – sie muss auf jeder Ebene wirken, um jeder dazu zu verhelfen zur wahren Wahrheit und Göttlichen Wirklichkeit zu erwachen.

Worte der Mutter

Ist es der seelische Wille, der die Identifizierung des Wesens mit dem Göttlichen will?

Ja, sicher. Es ist der Wille der Seele. Es ist auch der eigentliche Grund ihres Daseins. Zu diesem Zweck ist sie hier. Zum Beispiel öffnen sich im Mental gewisse Aktivitäten (zeitweilig sogar im Physischen und im Vital) … dem Einfluss der Seele, ohne es überhaupt zu wissen. Diese Teile bleiben dann dabei und beginnen nach göttlichem Wissen zu streben, der göttlichen Einung, der Beziehung mit dem Göttlichen.

Worte der Mutter

Worin besteht die Arbeit des seelischen Wesens?

Worin besteht die Arbeit des seelischen Wesens? Du willst, dass es eine Arbeit habe? Was genau willst du ausdrücken? Was seine Aufgabe ist? Ah, sehr gut – man könnte es so formulieren, dass es wie ein elektrischer Draht ist, der den Generator mit der Lampe verbindet. Nun, wenn das jemand verstanden hat, dann soll er erklären, was ich gesagt habe.

Was ist der Generator und was die Lampe?

Ah, das ist es also. Was ist der Generator und was die Lampe? Das genau ist die Frage. Was ist der Generator und was die Lampe? Oder vielmehr wer ist der Generator und wer die Lampe?

Der Generator ist das Göttliche und die Lampe ist der Körper.

Sie ist der Körper, sie ist das sichtbare Wesen.

Das ist ihre Aufgabe. Das heißt, wenn es keine Seele in der Materie gäbe, wäre diese nicht in der Lage, direkten Kontakt mit dem Göttlichen zu haben. Doch glücklicherweise kann aufgrund dieser seelischen Gegenwart in der Materie der Kontakt zwischen der Materie und dem Göttlichen ein direkter sein, und allen Menschen kann gesagt werden: „Du trägst das Göttliche in dir, du brauchst dich nur nach innen zu wenden und du wirst Ihn finden.“ Das ist eine Besonderheit des menschlichen Wesens oder vielmehr der Bewohner der Erde. Im menschlichen Wesen wird die Seele bewusster, geformter, bewusster und auch unabhängiger. In menschlichen Wesen ist sie individualisiert. Das aber ist eine Besonderheit der Erde. Es ist eine direkte Infusion in der ganz unbewussten und dunklen Materie, speziell und erlösend, sodass sie wiederum stufenweise zum göttlichen Bewusstsein erwachen kann, zur göttlichen Gegenwart, und schließlich zum Göttlichen selbst. Es ist die Gegenwart der Seele, die den Menschen zu einem besonderen Wesen macht – ich sollte das eigentlich gar nicht sagen, denn er hat bereits eine zu hohe Meinung von sich; er hat solch hohe Meinung von sich, dass es nicht notwendig ist, ihn darin zu bestärken! Aber dennoch ist es eine Tatsache, und zwar so sehr, dass Wesen von anderen Bereichen des Universums, jene, die man Halbgötter nennt, und selbst die Götter, Wesen zum Beispiel von jenem Bereich, den Sri Aurobindo das Obermental nennt, unbedingt einen physischen Körper auf Erden wollen, um die Erfahrung der Seele zu haben – denn sie haben sie nicht. Diese Wesen haben bestimmt viele Eigenschaften, welche die Menschen nicht besitzen, doch es fehlt ihnen diese göttliche Gegenwart, die etwas ganz Außergewöhnliches ist, und nur auf Erden existiert und nirgends sonst. All diese Bewohner der höheren Welten, des Höheren Mentals, des Obermentals und der anderen Regionen haben kein seelisches Wesen. Natürlich haben es die Wesen der vitalen Welten genauso wenig. Jene aber bedauern es nicht, da sie es nicht wollen. Es gibt aber sehr seltene und ganz außergewöhnliche Fälle, die konvertiert werden wollen, und zu diesem Zweck nehmen sie sofort und ohne zu zögern einen physischen Körper an. Die anderen wollen es nicht; sie empfinden es als etwas, das sie bindet und an eine Regel fesselt, die sie nicht wollen.

Es ist aber eine Tatsache; daher muss ich sagen, dass es eine außergewöhnliche Eigenart des menschlichen Wesens ist, in sich die Seele zu tragen und, um die Wahrheit zu sagen, zieht der Mensch nicht den vollen Nutzen daraus. Aus der Art zu schließen, wie er diese [seelische] Gegenwart behandelt, scheint er diese Besonderheit nicht als etwas sehr, sehr Wünschenswertes anzusehen – genau das ist es. Er zieht ihr die Ideen seines Mentals vor, zieht ihr die Begierden seines vitalen Wesens vor und die Gewohnheiten seines Physischen.

Worte der Mutter

Liebe Mutter, was ist die Rolle der Seele?

Nun, ohne Seele würden wir nicht existieren!

Die Seele ist das, was vom Göttlichen kommt, ohne Es je zu verlassen, und das, was zum Göttlichen zurückkehrt, ohne aufzuhören, manifestiert zu sein.

Die Seele ist das Göttliche, individualisiert, ohne aufzuhören göttlich zu sein.

In der Seele sind das Individuelle und das Göttliche ewig eins; daher bedeutet, seine Seele zu finden, Gott zu finden; sich mit seiner Seele zu identifizieren, bedeutet, sich mit dem Göttlichen zu einen.

Daher kann man sagen, dass es die Rolle der Seele ist, ein wahres Wesen aus dem Menschen zu machen.

Einfluss und Tätigkeit der Seele

Worte Sri Aurobindos

Anfangs ist die Seele innerhalb der Natur, die seelische Wesenheit, deren Entfaltung der erste Schritt zu einer spirituellen Umwandlung ist, ein völlig verhüllter Teil von uns, obwohl wir gerade durch sie als individuelle Wesen in der Natur existieren und fortdauern. Die anderen Schichten, aus denen unsere Natur zusammengesetzt ist, sind nicht nur veränderlich, sondern auch vergänglich. Die seelische Wesenheit in uns dauert aber fort und ist im Grunde immer dieselbe: Sie enthält in sich alle wesentlichen Möglichkeiten unserer Manifestation, wird aber nicht durch diese konstituiert. Sie wird nicht durch das, was sie manifestiert, begrenzt. Sie wird nicht durch die unvollkommenen Formen der Manifestation eingeschlossen; sie ist nicht beeinträchtigt, weil diese unvollendet, unrein, mangelhaft sind und das Wesen der Außenseite entstellen. Sie ist eine immer-reine Flamme des Göttlichen in den Dingen. Nichts, was an sie herankommt, und nichts, was in unsere Erfahrung eindringt, kann ihre Reinheit beflecken oder die Flamme auslöschen. Dieser spirituelle Stoff ist makellos und leuchtend. Weil er vollkommen lichtvoll ist, nimmt er unmittelbar von innen her und unmittelbar die Wahrheit des Wissens und die Wahrheit der Natur wahr. Er ist sich der Wahrheit des Guten und des Schönen tief bewusst, weil das Wahre, Gute und Schöne seinem inneren Charakter verwandt ist; das sind Formen von etwas, das seiner eigenen Substanz eingeboren ist. Auch ist sich das seelische Wesen all dessen bewusst, was diesen Dingen widerspricht und von dem eigenen Charakter abweicht: der Lüge und des Bösen, alles Hässlichen und Unziemlichen. Es wird aber nicht zu alledem und wird auch nicht angerührt oder verändert von dem, was dem eigenen Wesen entgegengesetzt ist und so stark auf seine äußeren Instrumente, Mental, Leben und Körper, einwirkt. Denn die Seele, das immerwährende Wesen in uns, stellt Mental, Leben und Körper als ihre Werkzeuge aus sich heraus und verwendet sie. Sie nimmt zwar das Umhülltsein von ihnen und ihren Bedingungen auf sich, ist aber etwas anderes und Größeres als ihre Organe.

Wäre die seelische Wesenheit von Anfang an enthüllt und ihren Ministern bekannt gewesen und nicht ein einsamer König in seinem abgeschirmten Thronsaal, wäre die menschliche Entwicklung ein rasches Aufblühen der Seele gewesen und nicht diese schwierige, wechselvolle und entstellte Entwicklung, die sie ist. Die Hülle ist dicht. Wir kennen nicht das verborgene Licht in unserem Inneren, das Licht in der geheimen Krypta des innersten Heiligtums des Herzens. Ahnungen steigen aus der Seele an die Oberfläche empor, aber unser Mental entdeckt ihren Ursprung nicht. Es hält sie für seine eigenen Tätigkeiten, weil sie, schon bevor sie an die Oberfläche kommen, in mentale Substanz eingekleidet sind. Darum kennt es ihre Autorität nicht, folgt ihnen oder folgt ihnen nicht, je nach Laune oder Neigung des Augenblicks. Gehorcht das Mental dem Drängen des vitalen Egos, dann besteht überhaupt wenig Aussicht für die Seele, die menschliche Natur zu beherrschen oder etwas von ihrem verborgenen spirituellen Stoff und ihren ursprünglichen Regungen in uns zu offenbaren. Wenn das Mental in übergroßem Vertrauen auf sein eigenes geringes Licht handelt, wenn es sich auf sein eigenes Urteil, auf seinen Willen und das Handeln aus eigener Erkenntnis verlässt, auch dann wird die Seele verhüllt und still zurückgezogen bleiben und die weitere Entwicklung des Mentals abwarten. Denn der seelische Teil in uns ist dazu da, die natürliche Evolution zu unterstützen. Die erste natürliche Evolution muss sukzessive die Entwicklung des Körpers, des Lebens und des Mentals sein. Und diese müssen handeln, jedes seiner eigenen Art gemäß oder alle zusammen in ihrer schlecht geregelten Partnerschaft, um zu wachsen, Erfahrung zu sammeln und sich zu entfalten. Die Seele sammelt die Essenz all unserer mentalen, vitalen und körperlichen Erfahrungen und assimiliert sie für die weitere Evolution unseres Daseins in der Natur. Doch ist dies Wirken verborgen und dringt nicht an die Außenseite. Auf den früheren materiellen und vitalen Entwicklungsstufen des Wesens findet sich in der Tat kein Bewusstsein der Seele. Es gibt zwar eine seelische Aktivität, aber Instrumentation und Form dieses Wirkens sind vital und physisch – oder mental, wenn das Mental aktiv ist. Denn auch das Mental erkennt, solange es noch primitiv oder zwar entwickelt, aber noch zu äußerlich ist, ihren tieferen Charakter nicht. Leicht können wir uns selbst als physische, vitale oder als mentale Wesen ansehen, die Leben und Körper verwenden, aber die Existenz der Seele völlig ignorieren. Denn die einzige bestimmte Vorstellung, die wir von der Seele haben, ist die, dass sie etwas ist, das den Tod unseres Körpers überlebt. Was das aber ist, wissen wir nicht, weil wir, auch wenn wir manchmal ihrer Gegenwart bewusst werden, ihrer normalerweise nicht als einer bestimmten Wirklichkeit inne sind und auch nicht deutlich ihr unmittelbares Wirken in unserer Natur fühlen.

Beim weiteren Fortschritt der Evolution beginnt die Natur allmählich und versuchsweise, unsere verborgenen Seiten hervortreten zu lassen. Sie veranlasst uns, immer tiefer in unser Inneres zu schauen, oder verursacht immer klarer erkennbare Andeutungen und Gestaltungen von jenen an der Oberfläche. Die Seele in uns, das seelische Prinzip, hat bereits begonnen, geheime Gestalt anzunehmen. Sie lässt eine Seelen-Persönlichkeit hervortreten und entwickelt sie, ein besonderes seelisches Wesen, das sie repräsentiert. Dieses seelische Wesen verbleibt noch ebenso wie das wahre mentale, das wahre vitale oder das wahre subtil-physische Wesen in uns hinter der Verhüllung in unserer subliminalen Schicht. Aber es wirkt, genauso wie jene, auf das vordergründige Leben ein durch die Einflüsse und Andeutungen, die es zu jener Außenseite empor schickt. Diese bilden einen Teil der Oberflächenverbindung der äußeren Person, die die zusammengewürfelte Wirkung innerer Einflüsse und Aufwallungen ist, die sichtbare Gestaltung und der Überbau, den wir gewöhnlich erfahren und von dem wir meinen, das seien wir. An dieser unwissenden Außenseite gewahren wir dunkel etwas, das zum Unterschied von Mental, Leben und Körper die Seele genannt werden kann. Wir spüren, dass das nicht nur unsere mentale Vorstellung oder ein vages instinktives Empfinden von uns ist, sondern ein fühlbarer Einfluss auf unser Leben, unseren Charakter und unser Handeln. Das gewöhnlich am ehesten erkennbare, allgemeinste und charakteristischste, wenn auch nicht das einzige Zeichen für diesen Einfluss der Seele ist eine gewisse Feinfühligkeit für alles, was wahr, gut und schön, fein, rein und edel ist, eine Reaktion darauf, ein Verlangen danach, ein Druck auf Mental und Leben, es in unserem Denken und Fühlen, Charakter und Verhalten anzunehmen und zum Ausdruck zu bringen. Hat ein Mensch dieses Element nicht in sich oder reagiert er überhaupt nicht auf diesen Drang, so sagen wir von ihm, er habe keine Seele. Denn wir können gerade diesen Einfluss am leichtesten als die feinere, ja als die göttliche Seite in uns und als das Stärkste erkennen, das uns allmählich hin zu einem Ziel, zur Vollkommenheit in unserer Art drängt.

Aber dieser seelische Einfluss, diese seelische Wirkung tritt nicht ganz rein an die Oberfläche, bleibt in ihrer Reinheit nicht unterscheidbar. Sonst könnten wir das Seelen-Element in uns deutlich erkennen und bewusst und völlig seinen Weisungen folgen. Es drängt sich eine okkulte mentale, vitale oder subtil-physische Einwirkung dazwischen, vermischt sich mit ihm und versucht, es zu verwenden und für seinen eigenen Vorteil auszunutzen. Es setzt seine Göttlichkeit herab, entwertet oder entstellt seinen Selbst-Ausdruck und versucht sogar, es in die Irre zu führen oder zu Fall zu bringen. Oder es befleckt es mit Unlauterkeit, Kleinlichkeit und Irrtum von Mental, Leben und Körper. Kommt es dann, derart mit Fremdem verschmolzen und herabgesetzt, an die Oberfläche, bemächtigt sich seiner unsere vordergründige Natur auf obskure Weise und für eine unwissende Formgebung. So kommt es oder kann es zu noch weiterer Abirrung und Vermischung kommen. Was an sich Stoff und Wirken in der Reinheit unseres spirituellen Wesens ist, wird verdreht, bekommt eine falsche Richtung, wird verkehrt angewandt, falsch gestaltet und führt zu einem irrigen Resultat. Entsprechend kommt es zu einer Bewusstseinsgestaltung, die eine Mischung aus dem seelischen Einfluss und seinen Anregungen ist, mit mentalen Gedanken und Meinungen, vitalen Wünschen und Trieben und gewohnheitsmäßigen körperlichen Neigungen vermischt. Mit diesem verfinsterten Seelen-Einfluss verschmelzen dann die unwissenden, wenn auch wohlmeinenden Bemühungen unserer äußeren Seiten in ihrem Streben nach etwas Höherem. All diese Einflüsse wachsen zu einem vielseitigen Gebilde zusammen. Das kommt zu einer mentalen Ideenbildung von sehr vermischtem Charakter, die selbst in ihrem Idealismus meist ohne Erleuchtung und oft sogar in verhängnisvollem Irrtum befangen ist, oder zu einer Glut und Leidenschaft des emotionalen Wesens, das seine Gischt und seinen Schaum von Gefühlen, Empfindungen, Sentimentalitäten, einen dynamischen Enthusiasmus der vitalen Schichten, lebhafte Reaktionen der physischen Seiten, die Erschütterungen und Erregungen von Nerven und Körper aufwallen lässt. Häufig verwechselt man das mit der Seele und hält dies vermischte und verworrene Wirken für Seelen-Regung, für eine Entfaltung und Wirkensweise der Seele, für einen verwirklichten inneren Einfluss. Die seelische Wesenheit selbst ist frei von Makel und Beimischung. Was aber aus ihr hervortritt, ist nicht durch diese Immunität geschützt. Darum wird solche Verwirrung möglich.

Außerdem kommt das seelische Wesen, die Seelen-Persönlichkeit in uns, nicht sofort voll-erwachsen und strahlend ans Licht. Sie entfaltet sich und durchläuft eine langsame Entwicklung und Ausformung. Die Gestalt ihres Wesens mag zuerst undeutlich sein und danach noch für lange Zeit schwach und unentwickelt, nicht mehr verunstaltet, doch noch nicht ausgestaltet sein. Denn sie gründet ihre Ausformung, ihre dynamische Selbst-Struktur, auf die Seelen-Macht, die aktuell und mehr oder minder erfolgreich in der Evolution gegen den Widerstand der Unwissenheit und Unbewusstheit in den Vordergrund gebracht worden ist. Ihr Erscheinen ist das Zeichen dafür, dass die Seele in der Natur hervortritt. Wenn dieses Emportauchen bis jetzt noch unbedeutend und mangelhaft ist, wird auch die Seelen-Persönlichkeit noch verkümmert oder schwach sein. Auch ist sie durch die Verdunkelung unseres Bewusstseins von ihrer inneren Wirklichkeit getrennt. Sie steht mit ihrem eigenen Ursprung in den Tiefen des Wesens nur in unvollkommener Kommunikation. Denn der Weg dorthin ist bis jetzt noch nicht gebahnt. Leicht wird er behindert, die Leitungsdrähte werden oft durchschnitten oder sind mit Nachrichten anderer Art und anderen Ursprungs überlastet. Ebenso unvollkommen ist ihr Vermögen, mit dem, was sie empfängt, auf die äußeren Instrumente einzuwirken. Angesichts ihrer eigenen Mangelhaftigkeit muss sie sich in Bezug auf die meisten Dinge auf diese Instrumente verlassen. Sie gestaltet ihr Bedürfnis nach Ausdruck und Handeln aufgrund von deren Daten und nicht allein aufgrund der unfehlbaren Wahrnehmungen der seelischen Wesenheit. Unter diesen Umständen kann sie nicht verhindern, dass das wahre seelische Licht im Mental herabgemindert oder verzerrt wird zur bloßen Idee oder Meinung. Das seelische Fühlen im Herzen wird zu einer fehlbaren Emotion oder bloßen Sentimentalität. Der seelische Wille zum Wirken in den Lebens-Organen entartet in blinde vitale Begeisterung oder fieberhafte Erregung. Sie akzeptiert sogar diese falschen Übertragungen aus Mangel an Besserem und versucht, durch sie zur eigenen Erfüllung zu gelangen. Denn es gehört zum Wirken der Seele, dass sie Mental, Herz und Vitalwesen beeinflusst und ihre Ideen, Gefühle, Begeisterungen und die anderen Äußerungen ihrer Kräfte zu dem hinlenkt, was göttlich und erleuchtet ist. Das soll aber zuerst nur unvollkommen, langsam und mit jenen Beimischungen getan werden. Sobald die seelische Persönlichkeit stärker wird, vertieft sie ihre Kommunion mit der seelischen Wesenheit, die hinter ihr steht, und verbessert dadurch ihre Kommunikation mit der Außenwelt. So kann sie ihre Anregungen Mental, Herz und Leben reiner und stärker mitteilen. Denn nun kann sie wirksamer Kontrolle ausüben und gegen falsche Beimischungen einschreiten. Immer mehr macht sie sich nun ausdrücklich als eine Macht in der Natur fühlbar. Aber auch so wäre diese Evolution noch langsam und langwierig, wenn sie nur dem schwierigen automatischen Wirken der evolutionären Energie überlassen bliebe. Erst wenn der Mensch zum Wissen um seine Seele erwacht und die Notwendigkeit fühlt, diese in den Vordergrund zu bringen, sie zum Herrn seines Lebens und Wirkens zu machen, greift eine raschere, bewusste Methode der Entwicklung ein. Nun wird die seelische Transformation möglich.

Worte der Mutter

Wie beeinflusst die Seele ein Wesen, das normalerweise nicht bewusst ist?

Der Einfluss der Seele gleicht einer Art Ausstrahlung, welche die undurchlässigsten Substanzen durchdringt, und selbst im Unbewussten wirkt.

Dann aber ist seine Tätigkeit langsam, und es dauert sehr lange, ein wahrnehmbares Ergebnis zu erzielen.

Worte Sri Aurobindos

Im gewöhnlichen Bewusstsein, in welchem das Mental und das Übrige nicht wach sind, wirkt die Seele so gut sie kann durch diese, doch gemäß den Gesetzen der Unwissenheit.

Worte Sri Aurobindos

Das seelische Wesen ist in allen vorhanden, doch in sehr wenigen ist es gut entwickelt, gut aufgebaut im Bewusstsein oder deutlich im Vordergrund; in den meisten ist es verhüllt, oft nicht wirksam oder nur ein Einfluss, der nicht bewusst genug oder stark genug ist, um das spirituelle Leben zu stützen.

Worte Sri Aurobindos

Was du beschreibst, ist das seelische Feuer, agni pavaka, das im tiefsten Herzen brennt, und von dort im Mental, im Vital und im physischen Körper entfacht wird. Im Mental schafft Agni ein Licht intuitiver Wahrnehmung und Unterscheidung, das sofort sieht, was die wahre Vision oder Idee, und was die falsche Vision oder Idee ist, das wahre Gefühl und das falsche Gefühl, die wahre Regung und die falsche Regung. Im Vital wird das seelische Feuer als ein Feuer des richtigen Gefühls entfacht, einer Art intuitivem Gefühl, einer Art Feingefühl, sich dem rechten Impuls zuzuwenden, dem rechten Tun, dem rechten Erspüren der Dinge, der rechten Reaktion auf die Dinge. Im Körper ruft es eine ähnliche, doch noch automatischere, richtige Erwiderung auf die Dinge des physischen Lebens, Fühlens und der Körpererfahrung hervor. Meist ist es das seelische Licht im Mental, das von den Dreien zuerst entzündet wird, doch nicht immer –, denn manchmal ist es die seelisch-vitale Flamme, die den Vorrang einnimmt.

Auch im gewöhnlichen Leben wirkt zweifellos eine Seelentätigkeit – ohne sie wäre der Mensch nur ein denkendes und planendes Tier. Doch ist sie sehr verhüllt und bedarf stets des Mentals oder Vitals für ihren Ausdruck, sie ist meist vermischt und nicht dominierend, und daher nicht unfehlbar; sie tut oft das Rechte auf die falsche Weise, wird vom richtigen Gefühl bewegt, doch irrt hinsichtlich der Anwendung, der Person, des Ortes und des Umstands. Die Seele, außer in wenigen außergewöhnlichen Naturen, erhält nicht ihre volle Gelegenheit im äußeren Bewusstsein; sie bedarf einer Art Yoga oder Sadhana, um zur Geltung zu kommen, und in dem Maß wie sie mehr und mehr im Vordergrund auftaucht, befreit sie sich von dem Gemisch. Das bedeutet, dass ihre Gegenwart direkt gefühlt wird, und nicht allein im Hintergrund oder als Stütze, sondern das frontale Bewusstsein ausfüllend, und nicht länger abhängig von ihren Instrumenten, Mental, Vital und Körper, oder durch sie beherrscht, sondern sie dominierend und in das Lichthafte wendend und sie ihre wahre Tätigkeit lehrend.

Unterweisung durch die Organisation des Lebens

Worte der Mutter

Hat die Seele irgendwelche Macht?

Macht? Meist ist es die Seele, die das Wesen leitet. Man weiß nichts darüber, denn man ist sich dessen nicht bewusst, doch im Allgemeinen leitet sie das Wesen. Wenn man sehr aufmerksam ist, wird man sich dessen bewusst. Doch die Mehrheit der Menschen hat nicht die leiseste Idee davon. Wenn sie zum Beispiel in ihrer äußeren Unwissenheit beschlossen haben, etwas Bestimmtes zu tun, doch dann ordnen sich alle Umstände derart, dass sie etwas ganz anderes tun, dann beginnen sie zu schimpfen, zu toben und wütend gegen das Schicksal anzugehen und zu sagen (es hängt davon ab, woran sie glauben, von ihrer Religion), dass die Natur hinterhältig, ihr Schicksal unheilvoll oder Gott ungerecht sei oder … ganz gleichgültig was (es hängt davon ab, woran sie glauben). Wobei während der ganzen Zeit genau jene Umstände für ihre innere Entwicklung am vorteilhaftesten waren. Und natürlich, wenn du die Seele darum bittest, dir dabei zu helfen, dir ein angenehmes Leben zu gestalten, Geld zu verdienen, Kinder zu haben, die der Stolz der Familie sind, etc., nun, dabei wird dir die Seele nicht helfen. Aber sie wird alle erforderlichen Umstände für dich schaffen, um etwas in dir wachzurufen, damit die Sehnsucht, sich mit dem Göttlichen zu vereinen in deinem Bewusstsein geboren werde. Manchmal hast du prächtige Pläne gemacht und wenn sie erfolgreich gewesen wären, wärst du immer mehr in deiner äußeren Unwissenheit erstarrt, in deinem dummen, kleinen Ehrgeiz und deiner ziellosen Tätigkeit. Doch wenn du einen kräftigen Schock empfängst, und der Posten, den du begehrtest, wird dir verweigert, der Plan, den du aufstelltest, wird vereitelt, und in allem wird dir ein Strich durch die Rechnung gemacht, dann öffnet dieser Widerstand dir manchmal eine Tür auf etwas Wahreres und Tieferes. Und wenn du ein wenig bewusst bist und zurückblickst, wenn du ein wenig aufrichtig bist, sagst du dir: „Ah, nicht ich hatte recht – es war die Natur oder die göttliche Gnade oder mein seelisches Wesen, durch die es geschah.“ Es ist das seelische Wesen, das so etwas auslöst.

Worte der Mutter

Wenn du in dir ein seelisches Wesen hast, das hinreichend erweckt ist, um über dich zu wachen und deinen Pfad vorzubereiten, vermag es Dinge anzuziehen, Menschen, Bücher, Umstände, alle Arten von kleinen Zufälligkeiten, die zu dir kommen wie durch einen gütigen Willen herbeigeführt, und dir einen Hinweis geben, eine Hilfe, eine Unterstützung, um eine Entscheidung zu treffen und dich in die richtige Richtung zu wenden. Und wenn du einmal eine Entscheidung getroffen hast, wenn du dich einmal entschlossen hast, die Wahrheit deines Wesens zu finden, wenn du dich einmal aufrichtig auf den Weg machst, dann scheint sich alles zu deinem Fortschritt zu verschwören.

Worte Sri Aurobindos

Wenn jemand für den Pfad bestimmt ist, werden ihn, trotz aller Umwege des Mentals und Lebens, alle Umstände auf die eine oder andere Weise zu diesem hinführen. Es ist das eigene seelische Wesen in ihm und die Göttliche Macht über uns, die zu diesem Zweck sowohl die Wechselhaftigkeiten des Mentals als auch die äußeren Umstände benutzen.

Worte der Mutter

Manche Menschen behaupten, dass etwas jenseits ihres Willens ihr ganzes Leben gestaltet, sie in den erforderlichen Zustand versetzt, der günstige Umstände oder wohlgesinnte Menschen anzieht, das sozusagen alles über sie hinweg arrangiert. In ihrem Bewusstsein wollten sie vielleicht etwas Bestimmtes und arbeiteten dafür, doch etwas anderes trat ein. Nun, nach einigen Jahren erkennen sie, dass es das war, was wirklich kommen musste. Du magst von der Existenz eines seelischen Wesens in dir nichts wissen, und dennoch von ihm geleitet werden. Denn, um sich einer Sache bewusst zu werden, muss man vor allem zugeben, dass sie existiert. Manche Menschen tun das nicht. Ich habe Menschen gekannt, die einen echten Kontakt mit ihrem seelischen Wesen hatten, ohne sich im geringsten darüber im Klaren zu sein, denn nichts in ihnen entsprach dem Wissen dieses Kontaktes.

Worte der Mutter

Mutter, wird die Ausrichtung eines menschlichen Lebens von der Seele bestimmt?

Ja. Meist dem Einzelnen durchaus nicht bewusst; aber es ist die Seele, die sein Dasein ausrichtet – doch nur hinsichtlich dessen, was man als die hauptsächlichen Richtlinien bezeichnen könnte, denn um in die Einzelheiten einzugreifen, hätte eine bewusste Einung zwischen dem äußeren Wesen, das heißt dem vitalen und physischen Wesen und dem seelischen Wesen stattfinden müssen; doch im Allgemeinen ist dies nicht der Fall. In den äußerlichen Einzelheiten … da war zum Beispiel jemand, der äußerst verblüfft zu mir sagte: „Nun, wenn es das seelische Wesen ist, oder vielmehr das Göttliche im seelischen Wesen, das unser Leben lenkt, entscheidet es dann auch die Anzahl der Zuckerstücke, die ich in meinen Tee tue?“ Das war die wörtliche Frage. Die Antwort war natürlich: „Nein, denn es ist kein ins einzelne gehendes Eingreifen dieser Art.“

Es ist, als würdest du deine Faust in einen Haufen Eisenspäne oder Sägemehl stoßen, all die unendlich kleinen Elemente der Eisenspäne oder des Sägemehls arrangieren sich in der Form deiner Faust, doch tun sie es weder willentlich noch bewusst. Es geschieht durch das Wirken des Bewusstseins, das die Faust stößt. Es gibt keine Entscheidung, die jedes Element genau an diesen oder jenen Platz verweist; es ist die Auswirkung der Energie, welche die Faust gestoßen hat und die Elemente der Eisenspäne ordnet. So ist es. Es ist das seelische Bewusstsein, das im Leben wirkt, das alle Umstände deines Lebens gestaltet, doch nicht mit einer vorsätzlichen Wahl der Einzelheiten; und tatsächlich sind es nur wenige Dinge, die vorsätzlich und bewusst das physische Leben der Menschen ausrichten. Jedenfalls meistens. Wenn du jemanden fragst: „Warum hast du das getan?“ „Nun, es geschah einfach so!“ In mindestens fünfundsiebzig Fällen von hundert. Man ist nur so daran gewöhnt auf diese Weise zu gehen und Dinge zu bewegen und zu tun, dass man es nicht einmal bemerkt. Doch wenn man sich zu beobachten beginnt, sieht man, dass es stimmt. Es gibt sehr wenige Dinge, die das Ergebnis einer klaren und gewollten Entscheidung sind, sehr wenige, nur das, was man als wichtig ansieht, und selbst hier gibt es einen großen Spielraum. Das Ausmaß der Unbewusstheit, die mit physischem Bewusstsein vermischt ist, ist ungeheuer, doch da wir daran gewöhnt sind, bemerken wir es nicht. Sobald du aber zu analysieren beginnst, zu betrachten, zu forschen, erschrickst du. Wie viele Male siehst du dich einem Problem gegenüber! Du erkennst, dass du die Dinge automatisch tust, gewohnheitsmäßig, manchmal vielleicht in freier Wahl – manchmal –, doch dann siehst du dich plötzlich einer ganz unbedeutenden Einzelheit gegenüber und fragst dich: „Sollte ich nun dies oder jenes tun?“ Einfach dies. Es sind sehr geringfügige Dinge, zum Beispiel … du bist beim Essen und du fragst dich: „Sollte ich weiter essen oder aufhören?“ Wie oft vermagst du eine motivierte und bewusste Entscheidung zu treffen? Und plötzlich erkennst du: „Ah, ich weiß überhaupt nichts darüber; ich weiß nicht; ich kann dies oder jenes tun; ich kann dies und das und das tun. Doch was ist es, das in mir wählen wird?“ Es sei denn, du hättest mentale Formationen. Doch dann, wenn du mentale Formationen hast, die dein Leben lenken, fragst du dich diese Fragen nicht einmal, du lebst wie ein Automat in einer gewohnheitsmäßigen Routine, die du für dich errichtest hast. Doch nicht nur einmal, es geschieht viele tausend Mal täglich.

Zum Beispiel, du hast Kontakt mit jemanden, du hast sehr gute Gefühle für diese Person; du befindest dich in einer etwas schwierigen Situation und willst das Bestmögliche tun. Wenn du spontan handelst, gibt es kein Problem, denn du handelst ohne nachzudenken, und ein Ding folgt dem anderen. Und du willst bewusst das Beste tun … Worauf willst du dein Urteil gründen? Welches Wissen lässt dich entscheiden: „Ich muss dies oder ich muss jenes tun, ich muss dies oder jenes sagen oder ich darf gar nichts sagen“ – all die unzähligen Möglichkeiten, die du siehst. Und worauf willst du dein Urteil gründen? Wenn du es aufrichtig betrachtest, wirst du deine Unwissenheit bei jedem Schritt erkennen.

Allein dann, wenn du die Gewohnheit hast, in dich zu gehen, dich an das innere seelische Bewusstsein zu wenden, damit es in dir entscheide, was du tun willst, tust du es mit Gewissheit, ohne zu zögern, ohne zu fragen, ohne alles. Du weißt, dass es dies ist, was getan werden muss, und dass es nichts zu fragen gibt; doch nur dann. Allein, wenn du deiner Seele die bewusste Führung überlässt, kannst du bewusst und immerwährend das Rechte tun; doch nur dann.

Im anderen Fall, weil du es dir zur Gewohnheit gemacht hast, zu denken und zu beobachten, siehst du all die kleinen Dinge des Lebens, die immer wiederkehren. Du willst nicht mechanisch leben, gewissermaßen gewohnheitsmäßig, du willst bewusst leben, deinen Willen gebrauchen. Nun, in jedem Augenblick stehst du einem Problem gegenüber, das du nicht lösen kannst. Ich meine rein physisch. Nimm eine bestimmte Schwierigkeit in deinem Körper – das, was wir eine Störung nennen –, die sich durch Unbehagen oder Unpässlichkeit ausdrückt; es ist keine Krankheit, es ist eine Unpässlichkeit, ein Unbehagen, etwas in dir, das nicht richtig funktioniert. Wenn du dann das seelische Wissen nicht hast, das dich die Sache, die getan werden sollte, tun lässt, ohne jedes Argument, wenn du die Sache deinem Verstand überlässt und dem, was du als dein Wissen ansiehst, dann … Nimm einen Fall aus dem Bereich der Medizin: „Sollte ich dies oder jenes tun, diese Medizin oder jene nehmen, meine Diät ändern, diese oder jene Nahrung zu mir nehmen?“ … Dann prüfst du dich. Wenn du niemals mehr als eine bestimmte Anzahl sehr grundlegender Prinzipien gekannt hast, ist deine Wahl sehr einfach, doch wenn du zufällig ein wenig Kenntnis der unterschiedlichen medizinischen Behandlungsmethoden besitzt … es gibt Systeme der verschiedenen Länder, die verschiedenen Systeme der Medikamente, es gibt, wie du weißt, Allopathie, Homöopathie, dieses oder jenes; daher sagt dir der eine das, der andere etwas anderes. Du kennst Leute, die sagen: „Tue das nicht, tue jenes“, andere sagen: „Vor allem tue jenes nicht, tue dieses“, und so fort, und so siehst du dich selbst dem Problem gegenüber und fragst dich: „Nun, was weiß ich selbst von all dem, wozu soll ich mich entscheiden? Ich weiß nichts.“

Es gibt nur eines in dir, das weiß, das ist deine Seele; sie macht keinen Fehler, sie wird es dir sofort und augenblicklich sagen, wenn du ihr widerspruchslos gehorchst, ohne deine eigenen Ideen und Argumente vorzubringen, sie ist es, die dich die rechte Sache tun lässt. Doch all das Übrige … du bist verloren. Und mit allem ist es so: was sollst du lernen, was sollst du nicht lernen, welche Arbeit wirst du tun, welchen Pfad wirst du einschlagen? Doch dann sind da all die Möglichkeiten, die sich einmischen, all das, was du entweder gelernt hast, oder dem du im Leben begegnet bist, all die Vorschläge, die du von allen Seiten empfangen hast, und die dich umflattern. Zu welchem wirst du dich entscheiden? Ich spreche von Menschen, die ganz aufrichtig sind, nicht von solchen, die vorgefasste Ideen, Vorurteile, festgelegte Regeln haben, denen sie in einer mechanischen Routine folgen, ohne sich im geringsten darum zu bemühen, die Wahrheit zu kennen, und für welche die Wahrheit aus der mentalen Auffassung der Dinge besteht. Für diese ist es einfach. Man folgt geradewegs seinem Pfad, bumst seine Nase gegen die Wand, man merkt es aber nicht, bis die Nase zerbeult ist. Doch im anderen Fall ist es furchtbar schwer.

Das ist es, was Sri Aurobindo meinte, als er sagte, dass man fortwährend in Unwissenheit lebt, und solange das Mental der Unwissenheit nicht durch das Mental des Lichtes ersetzt werde, man dem wahren Pfad nicht folgen könnte; und dass dies die unerlässliche Vorbereitung sei, bevor eine integrale Umwandlung stattfinden könne.

Das seelische Wesen – Zentrum der Selbst-Einung

Worte der Mutter

Die Arbeit, das menschliche Wesen zu einen, besteht darin:

1. sich seines seelischen Wesens bewusst zu werden und

2. alle eigenen Regungen, Impulse, Gedanken und Willensakte, sobald man sich ihrer bewusst wird, vor das seelische Wesen hinzustellen, damit es jede dieser Regungen, Impulse, Gedanken oder Willensakte akzeptiere oder zurückweise. Jene, die es akzeptiert, werden bewahrt und durchgeführt; jene, die es zurückweist, werden aus dem Bewusstsein vertrieben, um niemals mehr zurückzukehren.

Worte der Mutter

Wenn wir wahrhaft vorankommen und die Fähigkeit erwerben wollen, die Wahrheit unseres Wesens zu erkennen, das heißt das, wofür wir wirklich geschaffen wurden, das, was wir unsere Berufung auf Erden nennen können, müssen wir, was immer der Wahrheit unseres Daseins widerspricht, was immer im Gegensatz zu ihr steht, von uns zurückweisen oder in uns ausmerzen. Auf diese Weise können nach und nach alle Teile, alle Elemente unseres Wesens, in ein homogenes Ganzes um unser seelisches Zentrum angeordnet werden. Dieses Werk der Einung erfordert viel Zeit, bevor man einen gewissen Grad der Vollendung erlangt hat. Daher müssen wir uns für seine Durchführung mit Geduld und Ausdauer wappnen, mit einer Entschlossenheit, unser Leben so lange zu verlängern, wie es für den Erfolg unserer Bemühung notwendig ist.

Während du diese Arbeit der Läuterung und Einung aufnimmst, hast du gleichzeitig große Sorge zu tragen, den äußeren und instrumentalen Teil deines Wesens zu vervollkommnen. Wenn sich die höhere Wahrheit manifestiert, muss sie in dir ein Mental vorfinden, das beweglich und reich genug ist, der Idee, die sich auszudrücken sucht, eine Gedankenform geben zu können, welche ihre Kraft und Klarheit bewahrt. Dieser Gedanke wiederum, wenn er sich in Worte zu kleiden sucht, muss in dir eine genügende Ausdruckskraft finden, damit die Worte den Gedanken enthüllen, und ihn nicht entstellen. Und die Formel, in welcher du die Wahrheit verkörperst, sollte sich in all deinen Gefühlen ausdrücken, all deinen Willensakten, all deinen Tätigkeiten, in allen Regungen deines Wesens. Schließlich sollten diese Regungen selbst durch fortwährende Bemühung ihre höchste Vollendung erreichen.

All dies kann mit Hilfe einer vierfachen Disziplin verwirklicht werden, deren allgemeine Richtlinie hier gegeben ist. Die vier Aspekte der Disziplin schließen sich gegenseitig nicht aus und können gleichzeitig verfolgt werden; das ist sogar vorzuziehen. Der Ausgangspunkt ist, was man die seelische Disziplin nennen kann. Wir nennen das psychologische Zentrum unseres Wesens „seelisch“, es ist der Sitz der höchsten Wahrheit unseres Daseins in uns, das, was diese Wahrheit kennt und sie auslöst. Daher ist es von höchster Wichtigkeit, sich seiner Gegenwart in uns bewusst zu werden, sich auf diese Gegenwart zu konzentrieren, bis sie eine lebendige Tatsache für uns wird, und wir uns damit identifizieren können.

Zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten wurden viele Methoden vorgeschrieben, um diese Erkenntnis zu erreichen, und letztlich diese Identifizierung zu erlangen. Einige Methoden sind psychologisch, einige religiös, einige sogar mechanisch. Tatsächlich muss jeder diejenige finden, die am besten zu ihm passt; und wenn man eine glühende und stetige Aspiration besitzt, einen beharrlichen und dynamischen Willen, kann man gewiss auf die eine oder andere Weise – äußerlich durch Lesen und Studium, innerlich durch Konzentration, Meditation, Offenbarung und Erfahrung – die Hilfe erlangen, deren man bedarf, um das Ziel zu erreichen. Nur eine Sache ist absolut unerlässlich: der Wille, zu entdecken und zu verwirklichen. Diese Entdeckung und Verwirklichung sollte das Hauptanliegen unseres Wesens sein, die Perle von hohem Wert, die wir um jeden Preis erlangen müssen. Was immer du auch tust, welcher Art auch immer deine Beschäftigungen und Tätigkeiten seien, der Wille, die Wahrheit deines Wesens zu finden und sich damit zu einen, muss hinter allem, was du tust, allem, was du fühlst und allem, was du denkst, lebendig und gegenwärtig sein.

Worte der Mutter

Du sagst, es sei notwendig „Homogenität“ in unserem Wesen zu errichten?

Weißt du nicht, was eine homogene Sache ist, aus vielen gleichartigen Teilen zusammengesetzt? Es bedeutet, dass das ganze Wesen unter dem gleichen Einfluss steht, das gleiche Bewusstsein, die gleiche Richtlinie, den gleichen Willen haben muss. Wir bestehen aus allerlei verschiedenartigen Teilen. Sie werden einer nach dem anderen aktiv. Je nach dem Teil, der aktiv ist, ist man eine ganz andere Person, wird beinahe eine andere Persönlichkeit. Zum Beispiel, man hat zuerst eine Aspiration, man hat gespürt, dass alles nur um des Göttlichen willen existiert, dann passiert etwas, jemand kommt, man hat etwas zu tun, und alles verflüchtigt sich. Man versucht die Erfahrung zurückzurufen, doch nicht einmal die Erinnerung an die Erfahrung ist geblieben. Man ist völlig unter einen anderen Einfluss geraten, man wundert sich, wie dies geschehen konnte. Es gibt Beispiele von doppelten, dreifachen, vierfachen Persönlichkeiten in uns, die nichts voneinander wissen … Das aber meine ich nicht; was ich meine, ist etwas, das euch allen begegnet ist: Ihr hattet eine Erfahrung, und eine Zeit lang habt ihr gefühlt und verstanden, dass diese Erfahrung die einzige Sache war, etwas, das einen absoluten Wert hatte – eine halbe Stunde später versucht ihr sie euch zurückzurufen, und sie ist verschwunden, wie Rauch, der sich auflöst. Die Erfahrung ist verschwunden. Und doch, eine halbe Stunde vorher war sie noch da, und so machtvoll … Es hat seinen Grund in der Tatsache, dass man aus allen möglichen verschiedenartigen Dingen besteht. Der Körper ist wie eine Tasche voller Kieselsteine und Perlen, alle durcheinander gemischt, und allein die Tasche hält sie zusammen. Wir haben kein homogenes, einheitliches Bewusstsein, sondern ein heterogenes.

Ihr könnt eine andere Person in verschiedenen Augenblicken des Lebens sein. Ich kenne Menschen, die Entscheidungen trafen, einen starken Willen hatten, die wussten, was sie wollten und bereit waren, es zu tun. Dann fand eine kleiner Umschwung im Wesen statt; ein anderer Wesensteil trat hervor und verdarb die ganze Arbeit in zehn Minuten. Alles, was in zwei Monaten erreicht worden war, war zunichte gemacht. Wenn dann der erste Teil zurückkehrt, ist er bestürzt und sagt: „Was! …“ Dann muss die ganze Arbeit wieder von vorne beginnen, langsam. Daraus folgt, dass es sehr wichtig ist, sich des seelischen Wesens bewusst zu werden; man braucht eine Art Warnsignal oder Spiegel, in dem sich alle Dinge spiegeln und sich so zeigen, wie sie wirklich sind. Und dann, je nachdem, stellt man sie an den einen oder anderen Platz; man beginnt zu erklären, zu ordnen. Das dauert. Der gleiche Teil kehrt drei oder vier Mal zurück, und jeder Teil, der emporkommt, sagt: „Stell mich auf den ersten Platz; was die anderen tun, ist nicht wichtig, ganz und gar nicht wichtig, ich bin es, der entscheidet, denn ich bin am wichtigsten.“ Wenn ihr euch betrachtet, werdet ihr finden, dass nicht einer unter euch ist, der diese Erfahrung nicht hatte – dessen bin ich mir sicher. Ihr wollt bewusst werden, ihr seid voll guten Willens, ihr habt verstanden, eure Aspiration ist lichthaft, alles ist brillant, erleuchtet; doch plötzlich geschieht etwas, ein nutzloses Gespräch, eine unglückselige Stelle, die ihr lest, und das wirft alles über den Haufen. Dann glaubt man, dass es eine Illusion war, in der man lebte, dass alle Dinge nur unter einem bestimmten Gesichtswinkel gesehen wurden.

Das ist das Leben. Man stolpert und fällt bei der ersten Gelegenheit. Man sagt sich: „Ach, man kann nicht immer so ernsthaft sein“, und wenn der andere Teil zurückkehrt, bereut man es bitterlich: „Ich war ein Narr, ich habe meine Zeit vergeudet, jetzt muss ich wieder von vorne anfangen …“ Manchmal ist es ein Wesensteil, der schlecht gelaunt und voller Aufruhr und Sorgen ist, und dann ein anderer, der fortschrittlich ist, voller Hingabe. All das, eins nach dem anderen.

Es gibt nur einen Ausweg: dieses Warnsignal muss immer da sein, ein Spiegel in den eigenen Gefühlen, Impulsen und Wahrnehmungen. Man sieht sie in diesem Spiegel. Manche sind nicht sehr schön und angenehm zu betrachten; es gibt andere, die sind schön und angenehm, und müssen bewahrt werden. Dies tut man, wenn nötig, hundert Mal am Tag. Und es ist sehr interessant. Man zieht so etwas wie einen großen Kreis um den seelischen Spiegel und ordnet alle Elemente darum herum. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, erscheint eine Art grauer Schatten auf dem Spiegel: dieses Element muss verschoben, ausgerichtet werden. Man muss ihm zureden, es muss begreifen lernen, man muss aus dieser Finsternis herauskommen. Wenn ihr das tut, wird es euch nie langweilig werden. Wenn die Menschen nicht freundlich sind, wenn man eine Erkältung im Kopf hat, wenn man seine Aufgabe nicht weiß, und so weiter, beginnt man in diesen Spiegel zu schauen. Es ist sehr interessant, man sieht das Geschwür. „Ich dachte, ich sei aufrichtig!“ – ganz und gar nicht.

Nicht eine einzige Sache geschieht im Leben, die nicht interessant ist. Dieser Spiegel ist sehr, sehr gut gemacht. Tu das zwei Jahre lang, drei, vier Jahre, manchmal muss man es zwanzig Jahre lang tun. Dann, am Ende von einigen Jahren, schaut zurück, betrachtet das, was ihr vor drei Jahren wart: „Wie sehr ich mich verändert habe! … War ich so?“ … Es ist sehr interessant. „Ich konnte auf diese Weise sprechen? Ich konnte so reden, so denken? Ich war doch wirklich dumm! Wie ich mich verändert habe!“ Es ist sehr interessant, nicht wahr!

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