Kapitel 2

Die Feier des 15. August 1924

Hier der Inhalt von Sri Aurobindos Rede am 15. August 1924. (Dieses Jahr kam Sri Aurobindo morgens um 9:15 Uhr heraus und noch einmal um 16 Uhr. Er sprach 30 bis 35 Minuten, am Anfang blieb er 10 bis 15 Minuten lang still.)

Es ist üblich geworden, von mir an diesem Tag eine Rede zu erwarten. Ich ziehe es vor, durch das Stille Bewusstsein zu kommunizieren, denn das Sprechen richtet sich an das Mental, während man durch das Stille Bewusstsein etwas Tieferes erreichen kann. Wir praktizieren gemeinsam einen Yoga, der sich in einigen wesentlichen Punkten von anderen gleichnamigen Methoden deutlich unterscheidet. Der alten Methode zufolge müssen wir zwischen dem Intellekt, dem Gefühl oder dem Willen wählen, oder wir müssen unterscheiden zwischen Purusha und Prakriti, der bewussten Seele und der Natur. Auf diese Art erlangen wir ein Unendliches Wissen, ein alles Liebendes Höchstes und über alle Maßen Schönes Höchstes oder einen Unendlichen Unpersönlichen Willen oder das Stille Brahman jenseits unseres Mentals, unseres emotionalen Wesens oder Willens oder unseres individuellen Purushas.

Unser Yoga hingegen strebt nicht nach Unpersönlichem Unendlichem Wissen, Willen oder Ananda, sondern nach der Verwirklichung eines Höchsten Wesens, nach einem Unendlichen Wissen, das über die begrenzte Unendlichkeit des menschlichen Wissens hinausgeht, nach einer Unbegrenzten Macht, welche die Quelle unseres persönlichen Willens ist, und nach einem Ananda, das nicht von den oberflächlichen Gefühlsregungen erfasst werden kann.

Dieses Höchste Wesen, das wir verwirklichen wollen, ist keine unpersönliche Unendlichkeit, sondern eine Göttliche Persönlichkeit, und um Sie zu verwirklichen, müssen wir uns unserer eigenen wahren Persönlichkeit bewusst werden. Ihr müsst euer eigenes inneres Wesen erkennen. Diese Persönlichkeit ist nicht das innere Mental, das innere Vital und das innere physische Wesen und dessen Bewusstsein, wie das so oft fälschlicherweise beschrieben wird, sondern sie ist euer wahres Wesen, das sich in direkter Kommunikation mit dem Höchsten befindet. Der Mensch entwickelt sich in der Natur durch ein allmähliches Wachstum, und jeder muss seine eigene Göttliche Person verwirklichen, die sich im Supramental befindet. Jeder ist im Wesentlichen eins mit dem Göttlichen, aber in der Natur ist jeder eine partielle Manifestation des Höchsten Wesens.

Mit eben diesem Ziel unseres Yoga vor Augen wollen wir uns unserem Leben zuwenden und es transformieren. Die alten Yoga-Systeme scheiterten deshalb daran, das Leben zu transformieren, weil sie nicht über das Mental hinausgingen. Sie pflegten mentale Erfahrungen aufzugreifen, aber wenn es darum ging, sie im Leben anzuwenden, reduzierten sie diese auf eine mentale Formel. Wie zum Beispiel die mentale Erfahrung des Unendlichen oder die Anwendung des Prinzips der universalen Liebe.

Deshalb müssen wir auf allen Ebenen unseres Wesens bewusst werden und das höhere Licht, die Kraft und das Ananda herabbringen, um auch die äußerlichsten Einzelheiten des Lebens zu beherrschen. Wir müssen aus einer gewissen Distanz heraus alles, was um uns herum geschieht, beobachten, ohne die geringste Bewegung oder die oberflächlichste Handlung außer Acht zu lassen. Dieser Prozess ist in der mentalen und vitalen Ebene vergleichsweise leicht. Aber auf der physisch-vitalen und physischen Ebene üben die Kräfte der Unwissenheit ihre Macht und Herrschaft mit aller Macht aus, indem sie auf dem beharren, was sie für ewige Gesetze halten. Sie blockieren das Durchscheinen des Höheren Lichts und halten ihre Fahne hoch. Hier decken die Kräfte der Finsternis immer und immer wieder das Wesen zu, und selbst wenn das Physisch-Vitale geöffnet ist, tauchen die Elemente der Unwissenheit aus den unteren Ebenen des physischen Wesens auf. Sich mit ihnen zu befassen, ist eine Arbeit, die viel Geduld erfordert. Das Physisch-Vitale und das physische Wesen weigern sich beharrlich, das Höhere Gesetz zu akzeptieren. Sie verteidigen ihre Hartnäckigkeit und ihr Spiel durch intellektuelle und sonstige Rechtfertigungen und versuchen so, den Sadhak unter verschiedenen Vorwänden zu täuschen.

Im Allgemeinen ist das vitale Wesen sehr ungeduldig und möchte, dass die Dinge auf der physisch-vitalen und physischen Ebene schnell getan werden. Aber dies führt zu äußerst gewaltsamen Reaktionen, und deshalb sollten das mentale und das vitale Wesen sich der höheren Macht hingeben, statt das Höhere Licht und die Höhere Macht an sich zu reißen. Wir dürfen uns nicht mit einer partiellen Transformation zufriedengeben. Wir müssen die höhere Macht auf die physische Ebene herabbringen und das Leben bis ins kleinste Detail durch sie regeln. Das Mental kann sie nicht beherrschen. Wir müssen das Höhere Licht, die Höhere Kraft und das Ananda herabrufen, um unsere gegenwärtige Natur zu transformieren. Dazu bedarf es in jedem Teil des Wesens einer unerlässlichen und vollkommenen Aufrichtigkeit, die alles, was im Wesen vor sich geht, klar erkennen kann und nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit will.

Die zweite Voraussetzung, damit das Licht herabkommen kann, um auch die geringsten Kleinigkeiten im Leben zu bestimmen, ist, dass man sich seiner Göttlichen Persönlichkeit bewusst wird, die sich im Supramental befindet.

Manchmal neigt der Sadhak dazu, sich mit Erfahrungen zufriedenzugeben. Man sollte sich aber nicht allein mit Erfahrungen begnügen.

Außerdem haben wir dadurch, dass wir uns hier unablässig gemeinsam der Suche nach derselben Wahrheit widmen, eine gewisse Solidarität erlangt, durch die wir uns gegenseitig in unserem Fortschritt helfen oder ihn auch verzögern können.

Die Voraussetzungen für die Transformation unseres Wesens sind die Öffnung von uns selbst dem Höheren Licht gegenüber und eine absolute Hingabe. Das bringt die Transformation zustande, so dass ihr, wenn die unerlässliche vollkommene Aufrichtigkeit, die Öffnung zum Licht, die Hingabe und ein allmähliches Wachsen des Bewusstseins vorhanden sind, ein idealer Sadhak dieses Yogas werden könnt.

Wir benutzen Cookies

Wir verwenden auf unserer Website nur für den Betrieb notwendige sowie sogenannte Session Cookies, also ausdrücklich keine Werbe- oder Trackingcookies.

Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Website zur Verfügung stehen.